Beiträge von Leibgeber

    Ich hab den ersten Band ausgelesen, mache jetzt eine Pause, was natürlich eine völlig willkürliche Zäsur ist, und lese aber immer mal halbwegs regelmäßig den „heutigen Tag“ nach. Denn das Ganze bezieht sich ja rück- und vorwärts immer wieder aufeinander.
    Der Kommentar verlinkt es und macht es deutlich.


    Einige Anmerkungen, wie meist bei mir, dank weitestgehenden Fehlens fachlichen Vokabulars, ein wenig unbeholfen. :wink:


    Die Personen gewinnen wohl so Konturen, wie man sie sich macht.
    Es liegt am Leser, die sich mit Inhalt zu füllen.


    Meinem Empfinden nach erfolgt die Charakterisierung indirekt, Im Verlauf des Erzählens, durch die Dialoge. Durch wechselseitige Spiegelung. Für dieses Verfahren gibt es sicherlich einen literaturwissenschaftlichen Terminus, aber den hab ich, wie meist, nicht parat.
    Mir stehen jedenfalls Gesine und die anderen, und insbesondere Marie, durchaus lebhaft vor Augen.
    Ich dachte dabei auch an Gesine und Cresspahl aus den „Mutmassungen“ zurück.


    Und ebenso wertet Johnson direkt nicht. Seine Standpunkte hatte er sicherlich, aber es liegt an uns, die zu erschließen. Bzw., und das finde ich, wie stets, wichtiger, uns selbst am Text unsere Fragen aufzuwerfen.


    Auch mir kommen die einzelnen Tage/Kapitel vom „Niveau“ her wechselnd vor. Nur wie soll es auch zu schaffen sein, stilistische Höhepunkte wie bspw. das von mir erwähnte Anschalten der Heizung permanent zu halten.
    Ich glaub, das muss auch so sein.


    Es ist mir bei längeren Lektüreabschnitten aufgefallen, dass ich ruhigere Passagen habe, und dann zieht das Tempo wieder an. Es gibt Passagen eher „normalen“ Erzählens, und dann wieder diese von sehr hoher Qualität mit streckenweise wirklich brillanter Prosa.


    Das scheint mir, neben der Strukturierung in einzelne Tage, mögen deren Ereignisse nun willkürlich sein oder nicht, eine zweite zu sein.


    Die dritte, auch die „tagesunabhängig“, ergibt sich durch den Wechsel der Schauplätze. Und deren Spiegelung. Dadurch, dass sich ja die hier angesprochenen Grundthemen, in den 30ern und den 60ern aufeinander beziehen.


    Auch ich fand, besonders im letzten Drittel, die Jerichow-Szenen, vor allem die um die Machtergreifung herum, am gelungensten.
    Das ist einfach plastisch, da erleben wir mit, wie sich die „große“ Politik im Kleinen, in so einem dörflichen Biotop, auswirkt.
    Ganz konkret, bspw. die sich verschärfende Judenverfolgung, an Semig und seiner Frau.
    Kleinigkeiten, wie dass sich Cresspahl einen Aufnahmeantrag für die Partei holt, aber dann, wenn ich mich richtig erinnere, doch nicht eintritt.


    Spiegelung:
    sehr gut hat mir gefallen, wie, am 1. November, Mittwoch, das Verhalten von Marie und ihrer Gruppe auf Halloween geschildert wird. Und Marie im Dialog mit Gesine, Sophisterei betreibt, um vor ihr und sich selbst, ihrem schlechten Gewissen, zu rechtfertigen, dass Francine, weil nämlich „gefärbt“, nicht eingeladen wurde. Marie, die doch andererseits eine so entschiedene Haltung zum Vietnamkrieg (in ihrer Schule, bei dem Besuch bei de Rosny) hat. (Fragte ich mich ja: geht das überhaupt, in dem Alter?)
    Alltäglicher Rassismus, Jerichow 1933, New York 1967.


    Ziemlich ratlos bin ich bisher, was den/die Erzähler betrifft.
    Ich meine mich an Stellen zu erinnern, wo ein übergeordneter (auktorialer ??) Erzähler mit seiner Gesine spricht.


    Leibgeber (zur Zeit Wien, nicht Jerichow/New York :wink: )

    Ich hab gestern mit dem Roman begonnen.
    (Und "Die Dämonen" und "Ein Mord, den jeder begeht" bestellt.)


    Großartig!
    Ohne weitere Begründungen, hier stehen ja schon genug.


    Naja, für die, die das Buch nicht kennen, zitier ich, das las ich gerad in der Mittagspause.
    Wer sich so wie ich sowas auf der Zunge v/z/ergehen lassen kann, kann auch was mit dem Ganzen anfangen.


    In nördlichen Ländern, solang' man nicht trinkt, ist die Oberfläche des Benehmens und der Erscheinung gleichmäßig gepflegter, die Rillen und Runzeln, welche die Stände trennen, liegen für den Fremden aus dem Süden nicht sogleich zu Tage, und wenn dazu die Sprache noch nicht oder erst mangelhaft beherrscht wird, so fehlen auch die Orientierungs-Marken des Bildungsmäßigen, das ja sonst, wenn auch kaum greifbar, doch ein international ergossenes Fluidum darstellt, nicht unverwandt der Bratensauce in den Speisewagen der großen Expreß-Züge, die vorlängst zwischen Biarritz und Paris, Bregenz und Wien, Mandschuria und Wladiwostok verdächtige Analogien zeigte, so daß man auf die unsinnige Vorstellung verfallen konnte, sie werde in Röhrensystemen entlang der Strecken geleitet.


    Ich mach für den Roman mal ein paar Tage Jahrestage-Lesepause (hab den ersten Band durch).


    So, ich dehn die Mittagspause aus, weiterlesen ...


    Leibgeber


    PostSchluss: Danke Leibgeber, aber was ist das Ding an sich? Aufregend, Kantelaborat ... -? (leicht bedrückt) Muss mir wohl erst 10 Jahre Zeit zum Studium nehmen, bis ich hier mitreden kann.


    Keineswegs.
    Wie ich oben schrieb, ich hab die "Kritik der reinen Vernunft" bis heut nicht geschafft.
    Aber mit den "Prolegomena" und einigem an Sekundärliteratur ist es auch in Ordnung.
    Andere kommen weiter, und das ist auch OK.
    Ob ich jemals weiter komm, weiß ich nicht, ich bin allemal der Typ, der sich eher einen dickleibigen Roman zur Hand nimmt.


    Mir kommt es nicht - und nie, bei keiner Lektüre - darauf an, möglichst viel Seiten zu verkonsumieren, und dann rückzugucken "Wow, was hab ich geschafft". Nö, ich freu mich an dem was ich hab, baue und bastele daran herum, wie ich will, versuche, Zusammenhänge herzustellen -
    mir haben auch einige Vorsokratiker einiges gegeben, zB -


    und auf meinen langen Abendspaziergängen schau ich in den gestirnten Himmel über mir, und stelle mir Fragen, die häufig gestellt wurden, und nicht beantwortet werden können bzw. immer wieder anders beantwortet werden -
    und stolpere dabei gelegentlich über meine Füße.


    Das ist Philosophie für mich. Und nix vom Katheder runter.
    Auf das Moralische Gesetz in mir pfeif ich dabei, der Kant'schen Moralphilosophie hab ich nie was abgewinnen können.




    Das Ding an sich (Singular) ist ein rhetorischer Trick Schopenhauers, mit dem er seinen negativen Gott ("Wille") in die Gottlosigkeit der Kantschen Erkenntnistheorie schmugglet.


    Bei Kant ist die Rede von "den Dingen an sich" (Plural); der Grundgedanke ist dabei eigentlich sehr einfach: Alles, was wir erkennen und wahrnehmen, wird durch unsere Wahrnehmungsstrukturen geformt (Raum, Zeit, Kausalität). Ob die Dinge wirklich so sind, wie wir sie wahrnehmen, wissen wir nicht und können wir auch gar nicht wissen, weil auch dieses Wissen wieder von unseren Wahrnehmungsstrukturen abhängig ist. Die Frage nach der Natur der Dinge an sich - also wie sie *ohne* unsere Wahrnehmung sind -, muss zwanglsäufig unbeantwortet bleiben.


    Das ist sehr präzis ausgedrückt.
    Und genau diese Erkenntnis, die ich durch Kant gewann, dass alle Dinge nur unsere Anschauung sind, und das, was dahinter liegen mag, nicht erkennbar ist -
    gehört zum Faszinierendsten, was mir je klar wurde. Und wenn mich jemand nach Gründen fragt, sag ich fröhlich, dass ich es nicht begründen kann, genauso wenig, wie andere begründen können, warum sie die oder die oder jene Version vom Lieben Gott so toll finden -
    das ist für mich total OK, aber ich hab nie irgendeinem Lieben Gott was abgewinnen können.




    Du aber schraubst den Wetterhahn von der Schopenhauerischen Kirche ab und wünscht dir, man möge dir erklären, wie der da oben Halt findet. Der ganze Komplex ruht aber auf Kantschen Ziegeln, aristotelischem Mauerwerk, Humeschen Mörtel etc. etc. etc. - und auch wenn das Tierchen einzig dadurch auf den Giebel kommt: Grundlegendes über die Statik muss man zuerst in Erfahrung bringen. Was übrigens - meiner Erfahrung nach - eine Sache von Jahren ist. Nicht so schwer ist's, aber eine gewisse Liebe zur Materie muss man haben. Und Geduld! So nebebei: Spaß macht's auch noch!


    Nur musst du nicht klassisch architektonisch beim Fundament anfangen.
    Ich mach es so, wie ETA Hoffmann's Rat Krespel sein Haus gebaut hat. :wink:




    Erst mal fände ich es sehr freundlich wenn Du mir das vornangestellte Zitat erklären würdest


    Es kommt mir irgendwie vor, wie wenn jemand hier in dieses Forum ein paar Zitate aus Shakespeare posten würde, oder aus dem Faust, oder einem Roman von Thomas Mann oder was auch immer und dann sagen würde:
    so, erklärt mir mal. Das Werk.


    Anstatt es zu lesen.
    Warum sollte das bei Schopenhauer anders sein?


    Ich hab das mal aufgeschrieben, weil es, unsystematisch und unwissenschaftlich, wie ich eben bin, ein paar Gedanken übers Lesen und Philosophieren ausdrückt. So gut ich das kann.
    Im übrigen mag ich keinen Zänkes (mag sein, das heißt rheinisch so).
    Davon hab ich im Alltag genug. :winken:


    Ich habe die komplette "Menschliche Komödie", doch leider die vom Diogenes Verlag (Abdruck von Rowohlt), also ohne Erläuterungen. Damals habe ich nur auf den Preis geachtet - ein großer Fehler!


    Ich musste auf den Preis achten, damals, weil ich ein armer Student war.
    Hatte mir die Bücher fast komplett aus Ramschkästen zusammengesucht.
    Hab einige Zeit lang sehr intensiv Balzac gelesen, wohl auch eher unkritisch, und später einzelne Werke mal wieder.


    Den hier genannten Titeln kann ich so aus der Erinnerung noch "Die Kleinbürger" hinzufügen, eine treffende, recht giftige Milieuschilderung.


    Warum Balzac mich immer wieder fasziniert, kann ich mir nicht begründen.
    Versuche es auch nicht.


    Er ist jedenfalls ein Autor, den ich in Masse lesen mag, und zwar auch die schwächeren Werke, und die Qualität schwankt schon.


    Irgendwann demnächst ist er mal wieder dran.


    Hab begonnen, mir antiquarisch die Bände der von Ernst Sander herausgegebenen Ausgabe, Dünndruck, 12 Bände, zusammenzusuchen. Die sind sehr preiswert zu finden!
    (Erschien seinerzeit auch in Einzelausgaben als Goldmann TB.)


    Die Werke sind jeweils versehen mit Vorbemerkung zu Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte, (eher knappen) Anmerkungen, und Biographischen Notizen über die Romangestalten.
    Die Anordnung folgt Balzacs Plan.


    Ich hab mal versucht, eine Bewertung verschiedener Balzac-Übersetzungen aufzustöbern, aber da wurde ich nicht fündig.
    Ich denk mal einfach, schlechter als die anderer Ausgaben werden sie nicht sein .....


    Gruß
    Leibgeber


    Erst mal fände ich es sehr freundlich wenn Du mir das vornangestellte Zitat erklären würdest (gantenbeinin). Die Verschlungenheit ist für einen kleinen Denker bzw. unterdurchschnittlichen Leser undurchdringlich. Und selbst wenn es an einem Missverständnis zwischen Autor und Rezipient liegt (seit wann hat das dumme Gesindel Zugriff auf Bücher?) wird es dir als Bekehrte und mit hinreichend Zellen ausgestattet eine Freude sein den Dickicht zur gewohnten Flachheit, mit der ich zu Rande komme, zurechzustutzen. Dann verstehe ich vielleicht irgendetwas davon.


    Ich glaub, so einfach ist das mit dem Verstehen nicht.
    Andererseits auch nicht so schwierig, wie du es dir vorstellst.
    Es empfiehlt sich allerdings, eine Schopenhauer-Lektüre nicht gerade mit dem Handschriftlichen Nachlass zu beginnen.
    Ich bin bis heut nicht zu dem vorgedrungen.


    Zitat


    Was heißt es, beim Willen auf das Ding an sich zu stoßen? Welches Ding? Das, das wir wollen?


    Es ist das, nicht nur von dir als ominös bezeichnete, "Ding an sich" von Kant.
    Die "Kritik der reinen Vernunft" hab ich bis heut nicht geschafft.
    (Nur die "Prolegomena", und Sekundärliteratur.)
    Aber jeder neue Versuch war sehr anregend.


    Das "Ding an sich" gehört zum Aufregendsten, was mir je untergekommen ist.


    Zitat


    Vorgestellt? Wahrhaftig? Beim besten Willen (da haben wir's wieder), warum sollte dieses an ein ominöses Ding stoßen, die Ursache für die Popularität der Vorstellung vom freien Willen sein?
    Und schon geht es weiter, ich könnte unendlich viele Fragen stellen: von welchem Satz bitte spricht Schopenhauer? Satzung, normaler Satz? Und wie ist das in Einklang mit dem Vorangegangenen zu bringen?


    Wer Schopenhauer lesen will, liest ihn, und versteht ein bisschen was, und es geht.
    Sogar für einen 1/10.000 belesenen Viertelhobbyphilosophen, wie ich es bin.


    Zitat


    Ist es zu tiefgründig für meinen Geist?


    Nur, wenn du der Meinung bist, es sei so.


    Zitat


    Ich bin dafür, im Titel eine Intelligenzschranke festzusetzen - darunter: Betreten verboten! und wer sich durchschlängelt, ähnlich der sich vor Achterbahnen auf Zehenspitzen reckenden, ist selbst Schuld tiefster Frustration ausgesetzt zu werden, wenn das mit dem Verständnis dann doch nicht so klappt wie "vorgestellt".


    Ob du ein "Betreten verboten!" Schild siehst und den Befehl befolgst oder nicht, liegt an dir.
    (Ich neige des öfteren zur Trotzreaktion.)


    In welchen Titeln eigentlich?
    Allgemein in denen von Klassikern?
    Und wer setzt die fest?


    Lesen ist ein Abenteuer, das mich dazu bringt, Schranken zu durchbrechen.


    Ein freundliches Willkommen :winken: auch von mir.



    Ich bin hier aber ausschließlich zu meinem Vergnügen.


    Gantenbeinin, das hast du mal wieder sowas von genau ausgedrückt ... :klatschen:



    Leibgeber


    Thematisch am dichtesten sind für mich Heimat, Heimatlosigkeit und Einsamkeit. Nicht nur die äußere Einsamkeit in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen sondern auch eine innere Einsamkeit und vielleicht auch dadurch der Wunsch Maries nach der Aufdeckung ihrer Identität. Auch Cresspahl ist für mich so ein suchender Charakter.


    Plus:
    wie schaffen wir uns Heimat, wie holen wir uns Heimat zurück durch Erinnerung.


    Wieso? Die FAZ druckt auch schon lange Bücher häppchenweise ab :breitgrins:


    Soll auch sonst schon vorgekommen sein, der Zeitungsabdruck, sogar schon im 19. Jahrhundert
    Sogar von ganz berühmten Autoren. :wink:
    Mal ganz im Ernst *lach* ich sag mir schon seit Jahren "lies mal wieder mehr Englisch" (meine einzige moderne Fremdsprache).
    Und die führen bspw. auch den.
    Überleg ich mir doch glatt mal, ob ich den häppchenweise les.


    Dein Buchhändler wird Dir mit dem Metzinger nicht dienen können. Mir scheint, ich habe das einzig derzeit existierende Exemplar (dank sandhofer) bei amazon gesehen


    Nicht so ganz. :wink:


    Hast du es mal bei Eurobuch versucht?
    Vielleicht ist bei den paar Angeboten dort außer Amazon eines mit Rechnung bzw. Vorkasse.


    Übrigens, http://www.buchhandel.de/ verzeichnet das Buch.
    Naja, da bleiben auch mal nicht mehr lieferbare drin stehen ....


    Habe versucht zu helfen, und nehm das zum Anlass, dich ganz OT mit einer völlig überflüssigen zweiteiligen Frage zu nerven, die mich schon länger drückt.
    1. Was für Bücher liest du eigentlich - nicht?
    2. Wieviel 1000 Seiten schaffst du pro Tag?
    :zwinker:


    LG
    Leibgeber


    Aber mal eine Frage am Rande, wie schafft ihr eigentlich diese Unmengen an Literatur? Ich bin immer wieder über die Lesegeschwindigkeit einiger hier im Forum erstaunt! Kompliment! Seit Ende Juni, Beginn meines 3 wöchigen Urlaubs bis jetzt habe ich 6 1/2 Bücher geschafft; 1/2 war ein Sachbuch; daraus nur einige Kapitel!


    Das halte ich für eine recht gute Quote.


    Wie viele Bücher, das ist immer eine Kombination:
    wie dick sind die, bzw. auch wie ist der Satzspiegel, wie schwierig sind die, und wie viel Zeit ist.
    Ich lese einen gewissen Teil in Bus + Bahn weg. Da kommt durchaus was zusammen.
    Oder in der Mittagspause im Büro.
    Es gibt auch sonst Zwischendurchgelesenheiten. Auf diese hier :klo: steh ich allerdings nicht.


    Heut bspw. ging es gar nicht mit den Jahrestagen.
    War ich irgendwie nicht so dabei für.
    Mir war mal nach was Leichtem, und auch noch mit Bildern drin. :redface: :breitgrins:
    Das neue Spiegel Special über Preußen.


    Ich hab schon länger keine "Geschichtslektüre" mehr zwischengehabt, es sei denn, wir rechnen Biographisches über Autoren dazu.
    Das leidet halt unter der vielen Belletristik. :wink:


    gantenbeinin
    Ich dope mich nur mit etwas zu viel Kaffee ....


    So wie die Tante Times am 31. August 1967 von Uwe Johnson beschrieben wurde, sind Zeitungen zu wünchen. Diese Thesen sind Grundlage wahrer Journalistenkunst. Zeitungen, die so berichten, gewinnen das Vertrauen der Leser von ganz von allein. Doch welche Zeitungen sind heute noch so?


    Wir sollten dabei nicht überlesen, dass die Schilderungen der Guten Tante Times ironisch sind.
    Ihre Berichterstattung des Vietnamkriegs sieht Johnson durchaus nicht als positiv an.
    Egal mal, ob Journalistenkunst oder nicht.


    Zitat


    Der am 1. September 1967 so leichthin erwähnte Fall Babendererde interessiert mich seit längerem, das Buch steht auf der Wunschliste. Kennt jemand von euch Johnsons ersten Roman, der ursprünglich auch bei Suhrkamp abgelehnt und erst nach Johnsons Tod veröffentlicht wurde? Jedenfalls treten darin schon Personen auf, die in den Jahrestagen wiederkehren, wenn auch nur in Erinnerungen.


    Ich bin ja am überlegen, mehr zu lesen, nur, die Berge an ungelesenen Büchern ....
    also, der Johnson hat mich gepackt.
    Die recht ausführlichen Zitate in der Neumann-Biographie machen mir schon Lust auch auf "Babendererde".
    Und übrigens wird in den Jahrestagen auch Karsch erwähnt, aus dem "Dritten Buch über Achim", und ich meine mich zu erinnern, auch einen Hinweis auf die "Zwei Ansichten" gefunden zu haben.
    Ebenso Jakob und Jöche, und Marie Abs (Jakobs Mutter) aus den "Mutmassungen".


    11. September 1967
    In der letzten Woche sind in Viet Nam 2376 Menschen beruflich am Krieg gestorben.


    Eine interessante Art sich auszudrücken. Die Menschen, die beruflich mit Krieg zu tun haben, sterben nicht im Krieg, sondern am Krieg. Krieg als (Volks)Krankheit(?)


    So eine Leserunde ist eine feine Sache.
    Die besondere Exaktheit dieser Formulierung war mir nicht aufgefallen.


    Ich blieb heute auch bei einer hängen.
    Seite 215, 16. Oktober, 1967 steht:
    Cresspahl war sich nichts vermutend gewesen.


    Und Seite 215, 24. Oktober, 1967, noch mal:
    ... und Cresspahl war sich nichts vermutend.


    Ein so sorgfältiger Wortsetzer denkt sich natürlich was dabei.
    Nur, was ?

    Lektüre seit ungefähr sechs Wochen:
    FAUST
    ( Goethe. Nicht Marlowe oder sonst einer. :wink: )
    Hatte ich auch vorher schon öfters zwischen gehabt.
    Aber nie am Stück, und vor allem fast nichts vom Zweiten Teil.
    Und diesmal - durch und am Stück, und es wird immer spannender.
    (Die Ausgabe von Albrecht Schöne.)
    Den Urfaust, den ich meiner Erinnerung nach noch nie gelesen hatte, häng ich noch zwischen oder dran.


    :winken: in Richtung Leibgeber - wie sieht's aus, wollen wir das machen?


    Hallo Zefira,
    ist halt so, dass ich in der Jahrestage-Leserunde bin.
    Das Werk wird sich wohl noch einige längere Wochenenden hinziehen. :wink:


    Und viel im Web bin ich gerade nicht.
    Nimmt ja Zeit zum Lesen weg. :wink:


    Ich sag einfach mal, schau'n wir mal -
    möchtest du einen Leserunden-Vorschlag eröffnen?


    Ich hab gestern ein wenig recherchiert, und trag das bei.
    Es gibt zwei Übersetzungen, die ältere von Georg Rudolf Lind, die neuere von Inés Köbel, auf der Grundlage der älteren.
    Diese neuere ist erweitert und hat eine andere Anordnung.


    Näheres findet sich im Perlentaucher.
    Es gibt das auch als Fischer Taschenbuch für Euro 12,95, und eine preiswertere Ammann-Ausgabe für Euro 19,50.

    Ich las die letzten Tage, neben hauptsächlich den Jahrestagen:
    Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon.


    Die im Perlentaucher nachgewiesenen Rezensionen treffen es recht gut.
    Ich mochte den Roman, aber er ist arg kopflastig.
    ( Oder mochte ich ihn, weil er kopflastig ist? )
    Und sein Autor ist zwar ein guter Sprachhandwerker, aber ein guter Romanautor nur in gewissen Grenzen.


    Letztendlich, in Romanform, eine philosophische Erkundung des Themas Freiheit, und wie gewinne ich sie, über das Mercier, alias Peter Bieri, auch sonst schon geschrieben hat. Sein Buch "Das Handwerk der Freiheit" las ich vor Jahren mal, und fand es gut.


    Hauptsächlich hat mir der Roman Appetit gemacht, endlich mal Fernando Pessoa zu lesen, Das Buch der Unruhe.
    Ich werde es demnächst mal bestellen.


    mir kam derselbe Gedanke. Man bekommt regelrecht Lust darauf NY zu besuchen.


    Oder in so einem Mietshaus zu wohnen? Falls es die noch gibt.
    Ich meine vor allem


    1. Oktober, 1967 Sonntag: Beginn der Heizperiode.


    (Seite 131/132)
    Das ist mit einer solchen Bildmächtigkeit beschrieben, solch einem Gespür für ungewöhnliche Metaphern, dabei, wie alles, absolut diszipliniert, und mit so viel Ironie.


    Nun werden die Morgenträume wieder interpunktiert von den Nöten des heißen Wassers, das Mr. Robionson aus dem Keller in freistehenden Rohren durch Stockwerk nach Stockwerk aufwärts schickt. Das Wasser erschrickt vor der kalten Luft, prallt allseitig vor der ungleichen Federung, so daß im Schlaf ein alter Kerl erscheint, neben dem Kopfende des Bettes aufragend, der hat eine eiserne Kehle, eine schartige Röhre hat der im Hals, der atmet mit Rasierklingen, der frißt Glas und Schrott.


    ... and so on ...
    Da les ich mich ja richtig im Bett liegen, morgens, aufgewacht in dieser Geräuschkulisse.


    Ich versuche beim Lesen immer im Hinterkopf zu haben, wie viel Recherche-Arbeit das alles war.
    Für diese Schilderung muss er doch wohl mal s/einem Hausmeister mit Fragen behelligt haben. :zwinker:


    Ich hatte ganz vergessen, dass er den letzten Teil erst viel später schrieb. Danke, Regina. Vielleicht schaff ich es und kann die „Begleitumstände“ mit hinzunehmen.


    Die Lektüre der "Begleitumstände" ist empfehlenswert, allerdings hätte ich ohne die Biographie von Neumann (wo sie sowieso das meistzitierte Werk sind) nicht allzuviel davon verstanden.


    Zum Beginn des Romans folgendes:
    neben Johnsons großer Liebe zum Wasser mag eine Rolle spielen, dass das Meer dafür steht, zwei Kontinente, und auch zwei Zeitebenen, miteinander zu verbinden. Ich meine gelesen zu haben, dass Gesines Ausflug ans mehr chronologisch tatsächlich bis in den 20. August liegt, und der Roman also tatsächlich an diesem Tag beginnt. Das fehlende Datum und die intensiv ausgeführte Wasser-Symbolik würde ihn insofern eine übergeordnete Bedeutung verleihen, ihn mit der im Roman immer wieder vorkommenden Symboplik verketten.


    Ich bin im Urlaub :winken: und versuche zwischendurch mal, mich zu melden. Bin bis knapp Seite 100 gediehen.


    Gruß
    Leibgeber


    Das ist mir auch aufgefallen: Dass der erste Beitrag gar nicht datiert ist und die "Jahrestage" also eigentlich am 21. August beginnen.


    Nein, der Roman beginnt am 20., nur dass das Datum fehlt.
    Wozu der Online verfügbare Kommentar bemerkt:
    "Der erste Tag hat deutlich präludierenden Charakter, der durch die fehlende Datierung hervorgehoben wird. "