Beiträge von Leibgeber


    Ich habe inzwischen ein bißchen über die Hälfte gelesen und muß sagen, daß mir das Buch ganz gut gefällt. Der ältere Sohn ist wieder aufgetaucht und hat seine Geschichte erzählt. Ich fand es sehr interessant zu lesen, wie man sich damals so ohne Geld durchschlagen konnte, und was man für Möglichkeiten hatte. Auch die Darstellung des Literaturbetriebs in London war sehr spannend und irgendwie ist es beruhigend zu wissen, daß auch damals schon lauter Betrüger unterwegs waren und wahre Künstler kaum eine Chance hatten. Da Goldsmith den Londoner Literaturbetrieb aus eigener Erfahrung gut kannte, konnte er sich wohl nicht verkneifen, auf diese Weise seine Eindrücke zu schildern.


    Ja, nur ist das so ein wenig in Kurzform all das, was andere Autoren ausführlicher - und besser - geschildert haben.
    Siehe Defoe und Fielding, auch den (meiner Erinnerung nach nicht ganz so guten) Smollett.


    Ich finde das Werk nach wie vor faszinierend. Die Ironie des ersten Teils, und das Umklappen im zweiten. Ist hier, wie es mein Kindler postuliert, eine andere Form von Ironie versteckt, indem der Autor sich mit dem Leser zusammentut und über den Simpel von Erzähler lustig macht? Bis jetzt bin ich nicht geneigt, dem zuzustimmen, aber erst bin ich dort, wo der Landpfarrer in den Schuldturm geworfen wird.


    Dann lies ein wenig weiter, bis der Simpel beginnt, die Gefangenen zu bekehren.
    Zuerst wird sich über den lustig gemacht.
    Und dann beginnt er, Erfolg zu haben.


    Ich bin mir also nicht sicher.
    Bin zeitweise sehr geneigt, mich lustig zu machen.
    Aber andererseits ist zB das, was der im 27. Kapitel über Gesetzgebung von sich gibt, durchaus ernst zu nehmen.


    Zum Thema Goethe u.a. Rezeption zitiere ich aus Kindler (alt):
    Die Wirkungsgeschichte des "Vicar of Wakefield" ist bis ins 20. Jh. hinein durch eine romantische Fehlinterpretation bestimmt. SCOTT, HERDER und GOETHE verstanden den Roman als eine empfindsame Erzählung; als solche wurde er in fast alle europäischen Sprachen übersetzt und - besonders in England - auch als Jugendbuch populär.


    Ich frag mich dann, wenn es anfangs eher ironisch zugeht, dann ist der so permanent strapazierte Deus ex Machina doch wohl auch ironisch überzogen. Dann kippt es ins Ernsthafte um oder doch nicht, infolgedessen kann auch der DeM nicht mehr ironisch gemeint sein und der Verfasser entschuldigt ihn dann gegen Ende beim geneigten Leser ...


    Auf wie viel Ebenen sind wir nun eigentlich?
    :confused:


    Doderer liest aus der "Strudlhofstiege". Imho ist Doderer nicht er beste Vorleser seiner Texte, er betont eher gewöhnungsbedürftig, kann aber auch am Dialekt liegen.


    Herr Fleischer, gründlich wie stets, vermerkt dazu, HvD habe Schwierigkeiten damit gehabt, bei den Aufnahmen allein in der schalldichten Kabine zu sitzen. Und dass er deshalb nicht so inspiriert las, wie sonst.
    :zwinker:


    Zur Identifikation: es ist ja nicht so gemeint, dass man sich immer ganz identifizieren können muss, um ein Werk spannend zu finden. Doch es ist offenbar ein erklärtes Ziel von Johnsons Erzählweise, Identifikationsmöglichkeiten zu verhindern, und ich frage mich, ob das nicht allzu gründlich geschieht.


    Woran machst du das fest? An der sehr sachlichen, präzisen Schreibe?
    Identifikation ist mE eher ein Fall für -
    Heftliteratur ?? :breitgrins:


    Siehe Max Frisch.


    ??? Magst du das ein wenig genauer ausführen? ??? :wink:


    On second thought: Ich möchte "farblos" in "schematisch" ändern ...


    Auftritt in Kapitel 5 ja auch schon der Nächste:
    Der Grundbesitzer, Geck, Verführer, übrigens auch mit einem sozusagen "sprechenden" Namen, den man glatt als Gegenstück zu dem der primeligen Hauptperson auffassen könnte.


    Es findet sich auch gleich im 1. Kapitel so ein Hinweis auf die Klischeekiste:

    Our second child, a girl,
    I intended to call after her aunt Grissel; but my wife, who
    during her pregnancy had been reading romances, insisted upon her
    being called Olivia. In less than another year we had another
    daughter, and now I was determined that Grissel should be her
    name; but a rich relation taking a fancy to stand godmother, the
    girl was, by her directions, called Sophia; so that we had two
    romantic names in the family; but I solemnly protest I had no
    hand in it.


    Der Name Grissel (Griseldis), viel verwendete literarische Figur seit Boccaccio, Inbegriff der Dulderin, wird also der einen wie der anderen Tochter versagt.
    Olivia und Sophie krieg ich nicht so auf die Reihe, Richardson ist das nicht.


    Auch Arno Schmidt rühmt diese Ritter. Wobei, was A. Schmidt rühmt, imho meist dritt- oder fünftklassige Ware ist ...


    "meist" ist vielleicht ein wenig ungerecht.
    Aber man sollte ihm natürlich nicht unbedingt und grundsätzlich trauen.
    So wenig wie dem Vollmann.


    Zitat


    Das ist, was mich zurückhält, auf die Suche nach weiterer Lektüre von Gutzkow zu gehen.


    Nana, da kann doch der Gutzkow nix für. :wink:


    Vom Erwerb der "Ritter ..." hatte ich seinerzeit abgesehen.
    Ob ich was verpass, weiß ich nicht.


    Ich las mal "Wally, die Zweiflerin".
    Ist erstens dünner und gibts zweitens als Reclam, mit Materialien zu, ich sag mal, Wally, Menzel und die Folgen.
    Wer DAS nicht kennt, sollte es unbedingt mal lesen, egal, ob mit Wally oder ohne.


    Ich hielt es nicht gerade für eine literarische Spitzenleistung.
    Aber es ist ein sehr interessantes Stück deutscher Literaturgeschichte.


    Was mich in der letzten Zeit überrascht hat: Mir geht der erste Band doch mehr nach als ich das erwartet hätte. Ich würde fast so weit gehen, zu behaupten, ich freue mich auf den zweiten Teil :smile:


    Den werde ich in absehbarer Zeit anfangen.


    Ich hab heut angefangen, und werde mich, so wie beim ersten, gemütlich da durchlesen, immer so 20-30 Seiten am Stück.



    Also, bei den meisten Personen so kreuz und quer durch die Weltliteratur kam es bei mir nicht oder fast nicht zur Identifikation.
    Oder nur indirekt, will heißen, Siebenkäs und Leibgeber zB geben mir durchaus was, aber vielleicht eher durch eine Sublimation? :wink:


    Und es lag beim Nachsommer auch nicht daran, dass ich mich mit den Figuren nicht identifizieren konnte, dass ich mit dem Roman irgendwie nichts anfangen konnte. :wink:


    Die Thematik der Jahrestage scheint mir ein wenig zu vielfältig, als dass sich ein Gefallen oder Nicht-Gefallen an der Nationalität festmachen ließe.
    Wir hatten als einen wesentlichen Topos bspw. die Erinnerung ausgemacht.


    Und das Werk behandelt ja sowohl deutsche, als auch amerikanische Themen.


    Nein, identifizieren tu ich mich mit dem Personarium auch nicht. Mitfühlen allerdings jenachdem sehr wohl.


    Übrigens:
    Erinnerung baut an: sagen die, die noch einmal zurückgegangen sind. Dahin zurück darf ich nicht. Das ist weit von hier.
    (Seite 490/91)


    Ja, so ist das. Das sind Sätze, die bleiben einfach hängen.
    Manchmal darf man nicht versuchen, zurückzugehen.
    Außer - in der Erinnerung.


    Gruß
    Leibgeber


    Hm ... ich hatte das Buch immer in der Kategorie "sentimental" abgelegt. Könnte sein, dass da sehr viel Satire (mit) drin liegt ...


    Ich hatte das seinerzeit bei der Erstlektüre auch so abgelegt.
    Vielleicht war ich da noch nicht alt und abgeklärt genug für Ironie? :redface:


    Mein Englisch ist ja nicht gar so fit.
    Musste nachlesen, was Primrose bedeutet.
    Primel bzw. Schlüsselblume.


    Wenn das alles ernst gemeint wäre, hätte er dem Vicar vielleicht auch einen ernsthafteren Namen verpasst?


    ...............
    im zweiten die Heirat des ältesten Sohnes geplant und zum Platzen gebracht. Letzteres durch zwei voneinander unabhängige (oder doch nicht?) Phänomene: einerseits einem ungetreuen Kaufmann, der das kleine Vermögen des Landpfarrers veruntreut, andererseits durch die Dickköpfigkeit des Landpfarrers, der für absolute Monogamie plädiert und so den Vater der Braut vor den Kopf stösst, der zwar auch Geistlicher ist, aber in vierter Ehe lebt. Ist hier eine Spitze gegen theologisch-moralische Dispute der Geistlichkeit gemeint?


    Denk ich mal doch, ja.
    Zumal die Sache zu Beginn des Kapitels genauer ausgeführt wird.


    I published some tracts upon the subject myself, which,
    as they never sold, I have the consolation of thinking are read
    only by the happy Few. Some of my friends called this my weak
    side; but alas! they had not like me made it the subject of long
    contemplation. The more I reflected upon it, the more important
    it appeared.


    Mr. Primrose, der Prediger für die paar Auserwählten, scheint überhaupt ein recht bigotter Patriarch zu sein. :wink:


    Die geplatzte Heirat ist dem Vater der Braut ja auch keineswegs unrecht, denn wenn das Vermögen weg, ist der Wert des Bräutigams doch sehr gemindert.

    Ich kann hier nicht viel mehr posten als das Übliche.


    Wikipedia Deutsch
    http://de.wikipedia.org/wiki/Oliver_Goldsmith


    Wikipedia English
    http://en.wikipedia.org/wiki/Oliver_Goldsmith
    http://en.wikipedia.org/wiki/The_Vicar_of_Wakefield


    Beide Artikel kommen mir nicht gerade ausgebaut vor.
    Wir, die Beteiligten, könnten ja eine Mitarbeit am deutschsprachigen Eintrag in Erwägung ziehen. :wink:


    Ich lese zur Zeit:
    Encyclopedia Britannica, 11th ed. 1911:
    http://www.1911encyclopedia.org/Oliver_Goldsmith


    Im englischen Wikipedia-Beitrag ist übrigens u.a. auf eine Goldsmith-Biographie von Washington Irving verlinkt. War mir nicht bekannt, dass der eine geschrieben hatte.


    LG
    Leibgeber

    There are an hundred faults in this Thing, and an hundred things
    might be said to prove them beauties. But it is needless.


    Ich eröffne die Lesrunde zum “Vicar of Wakefield” mit dem gewollt bescheidenen Beginn des Werkleins.


    Meine Ausgabe ist:


    Der Landprediger von Wakefield. Eine Erzählung angeblich von ihm selbst verfaßt.
    Motto auf dem Titelblatt: Sperate miseri, cavete felices
    Deutsche Bibliothek in Berlin, ohne Jahresangabe.
    Impressum: Für die Deutsche Bibliothek herausgegeben von Otto Knapp.
    Druck der Spamerschen Buchdruckerei, Leipzig.
    255 Seiten. In Frakturdruck.


    Ich werde außerdem relativ parallel im englischen Text mitlesen.


    Und weiter als bis zu dieser Vorrede, und bis zur Klärung der von gantenbeinin angefragten Redewendung bin ich bisher auch nicht gekommen.


    Den Beteiligten wünsche ich viel Freude.


    Leibgeber


    ....all our adventures were by the fireside, and all our migrations from the blue bed to the brown.


    Ich mache es mir ohne weiter Nachforschungen bequem und zitiere aus meiner deutschen Ausgabe:


    ...; unsere Abenteuer beschränkten sich auf den häuslichen Herd, und zwischen Wiege und Grab lagen keine weiten Wanderungen.


    Übersetzer hat sich da also schon eine Freiheit herausgenommen (gut dass mir auch der englische Text vorliegt), aber die Metapher sollte wohl korrekt übersetzt sein.


    Was sie aber über das Privatleben Doderers schreibt, fand ich sehr widerwärtig. Einen recht großen Teil widmet sie ihrem Sexualleben, auch mit Doderer. Es ist ein recht exzentrisches gewesen.


    Allerdings.


    Ich hab mich die letzten vier Wochen über durch die "Strudlhofstiege" gelesen, und bin auf den letzten paar Dutzend Seiten von "Die Dämonen".
    Und lese außerdem die nicht nur hier empfohlene Biographie von Fleischer.
    Die wirklich gut ist.


    Nein, er war in gar keiner Weise ein sympathischer Mensch.
    Aber fraglos ein faszinierender.
    "Die Strudlhofstiege" gehört zu den bestgeschriebenen Romanen, die ich überhaupt je gelesen hab, und ich finde, auch "Die Dämonen" hat Qualitäten. Ist nur lang nicht so komplex geschrieben.


    Aber auch da sind so Meisterszenen drin, wie die paar Einblicke in die Wiener Unterwelt, die Kavernen von Neudegg, und andere, die offenbaren wirklich Abgründe.


    Auf längere Sicht werde ich mich weiter in das Werk reinlesen, hab "Die Umkehr", "Ein Mord, den jeder begeht", "Die Merowinger", "Die Wasserfälle von Slunj" gekauft, nach dem "Amtsrat Zihal" suche ich noch.


    Ihr könnt dem sicher unschwer entnehmen, dass er mich gepackt hat.


    Nur -
    was will er mir eigentlich sagen? :wink:
    das weiß ich bisher nicht so recht.


    Für die hier gegebenen Meinungen danke ich mal herzlich.
    Ein bisschen weiteres Nachlesen (bspw. über den Band des Justizpalastes) muss erstmal zurückstehen.
    Wegen Goldsmith und Johnson. :wink:


    Gruß
    Leibgeber

    Ich las vor so 2-3 Jahren "Der Gehülfe".
    Mein bisher einziger Walser.
    Über seinen seltsamen und tragischen Lebensweg wusste ich nur, was ich ab und an mal nebenbei mitbekommen hatte.
    Den Roman hatte ich daher auch nur aus sich heraus gelesen, ohne Aufschlüsseln der biographischen Hintergünde.
    Das Nachwort ausgenommen.
    Ich war von der Milieuschilderung und der präzisen Schreibe (sorry, weiß gerad keinen anderen Begriff dafür) sehr angetan.
    Mir schien das so eine Art Schweizer Heimatroman zu sein.


    Auf jeden Fall empfehlenswert, nur dass es meine Art Schreibe absolut nicht ist.
    Ohne Begründung, einfach Geschmackssache, kein Werturteil!


    LG
    Leibgeber