Ich bin leider diese Woche recht wenig zum Lesen gekommen. Ich habe jetzt noch die drei letzten Kapitel vor mir, also die Wendung hin zum Guten. Manche Szenen im Gefängnis finde ich schon arg schmalzig und etwas dick aufgetragen vom Autor. Was mich irritiert hat ist, daß einzig der Pfarrer selbst sich weigert, seine Tochter Olivia nicht als Mätresse an Squire Thornhill zu verscherbeln, um die Familie von den Schulden zu befreien. Mutter und Geschwister scheinen da keine Skrupel zu haben, Olivia zu opfern. Hab ich da die Ironie übersehen, oder war das für damals ein normales Verhalten?
Ich bin erschüttert. Meines Weltbildes wegen. Habe das für völlig normal gehalten. :breitgrins:
Insbesondere weil die gute Olivia, die Eitle der beiden Töchter, doch nicht unbedingt was dagegen gehabt hätte.
Interessant finde ich übrigens die Anekdote, die in der Einleitung meiner Ausgabe (Oxford World´s Classics, 2006, new edition) steht, wie es überhaupt dazu kam, daß dieser Roman veröffentlicht wurde. Goldsmith verkaufte ihn erstmal nur deshalb, um die Schulden bei seiner Vermieterin begleichen zu können. Daß der Roman aus lauter Versatzstücken besteht, die woanders sicherlich besser behandelt werden, ist dann vielleicht auch kein Wunder.
Das ist ja auch in der hier verlinkten 11th ed. der Encyclopedia so erzählt.
Unter Beteiligung Dr. Samuel Johnsons.
Und mit dem Hinweis darauf, dass G. schon vorab den Roman anderweitig verscherbelt hatte.
Zitat
Hmmm... Das wird man wahrscheinlich nie genau wissen. Es ist halt mal wieder eine Anekdote, die um mehrere Ecken tradiert wurde. Taucht in einer Biographie über Dr. Johnson auf (ich kann heute abend nochmal genau nachschauen, hab gerade das Buch nicht hier).
Ja, über die Zuverlässigkeit Boswells weiß ich auch nichts.
Zitat
Vielleicht sogar ein Eingriff des Verlegers: "Hör mal: Wenn du das Buch wirklich verkaufen und aus den Geldsorgen herauskommen willst, musst du da viel mehr Schmalz hineinbuttern!" - Gesagt, getan?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass G. schon selber wusste, wie so ein Roman am besten aussehen musste.
Wenn ich den Lebensweg mal glaub, wie er in diesem Encyclopedia-Artikel steht (dort wird übrigens angemerkt, dass bspw. Angaben über die Auslandsreisen mit Vorsicht zu nehmen sind), dann war er einer, der sich als freiberuflicher Autor durchschlug, nachdem er sich schon mit anderem durchgeschlagen hatte, und einfach war das gerade nicht.
Das ist es, was mich aktuell so fasziniert: Das Ding ist entweder ungeheuer raffiniert aufgebaut - oder ungeheuer plump. Normalerweise - bilde ich mir ein - merke ich so was sehr schnell. Aber Goldsmith bringt mich tatsächlich ins Schleudern ... :smile:
Oder beides. G. war raffinierterweise plump, indem er alles in den Roman reinschmiss von dem er meinte, dass es rein sollte.
Er konnte ja den Erfolg vorab nicht kalkulieren.
Sondern nur, wie er es schreiben musste, um es möglichst erfolgreich verkaufen zu können.
Mag sein, er hatte seinen Spaß dran, den Leuten all diese Versatzstücke um die Ohren zu hauen.
Das mit der Ironie (in der Enc. findet sich dieser Begriff übrigens nicht, und die Würdigung des „Vicar“ dort ist, mal freundlich ausgedrückt, durchwachsen ...) ist schwer festzumachen. Was wurde vor 250 Jahren für bare Münze genommen und was nicht.
Ironisiert G. einen religiösen Monolog, indem er ihn dem etwas eitlen Primrose in den Mund legt?
Ist die Frage, ob sich dann im Falle Goethes etc. von einer „Fehlrezeption“ sprechen lässt. Denn wenn wir es tun, machen wir es ja an unseren Maßstäben fest.
Mit hat es jedenfalls Spaß gemacht. So für sich allein gelesen wäre es ja eher katastrophal gewesen
aber den Kontext dazu genommen, ist es doch eine spannende Sache.
LG
Leibgeber