Beiträge von Leibgeber

    Lord Jim. Diogenes-Taschenbuch, detebe 66/I.


    Keine Inhaltsangabe, wer die will, findet sie auch anderswo. Aber das nimmt der Lektüre doch die ganze Spannung :zwinker:


    Wie der Autor im Vorwort zu einer späteren Ausgabe, 1917, schreibt, entstand der Roman aus einer geplanten Kurzgeschichte. (Falls das nicht eine Fiktion ist.) Er ist, grob formal, zweigeteilt; der erste Teil behandelt enthält die Episode des "Pilgerschiffs", der zweite die Fortsetzung im - fiktiven - Land Patusan.


    Tatsächlich ist es wesentlich komplexer.
    Nach einem quasi einleitenden Text des Autors, der uns Jim vorstellt, setzt mitten in der Pilgerschiff-Episode die umfangreiche Erzählung Marlows (the one from "Heart of Darkness") ein, die bis weit in den Patusan-Teil reicht.
    Eingeführt wird er mit einem schönen Kunstgriff; er ist einer der Zuhörer in dem Gerichtssaal, wo gegen die Besatzung der "Patna" verhandelt wird.


    Den Abschluss bildet eine "Rekonstruktion" aus Dokumenten, die Marlow einem Mitglied seiner Zuhörer-Runde schickt. Und auch Marlows lange Erzählung ist vielfach aufgelockert und unterbrochen durch wieder andere Erzählungen beteiligter Personen. Durch dieses nicht-linerare Erzählen bleibt's immer spannend.


    Stilistisch gehört das fraglos zu den besten Romanen, die ich gelesen habe.


    Es ist die Geschichte eines einfachen Mannes ohne übermäßige Gaben, der einen Fehler macht, und vor diesem und seinem durch diesen Fehler entstandenen Ruf davonläuft. Bis er, unterstützt durch Marlow, der versucht, Jims Lebensweg eine Wende zum Besseren zu geben, die Chance zu einem Neuanfang bekommt, in einem Land, in dem ihn niemand (er)kennen kann.
    Eine Möglichkeit, Utopia zu verwirklichen? Auch dort lauern Gefahren ...


    Eines der Themen benennt Conrad im Vorwort: "Jedenfalls würde kein romantisches Temperament etwas Morbides in dem durchdringenden Bewußtsein verlorener Ehre entdecken". Jim, der ehrlos geworden ist, jagt dieser Ehre hinterher.
    Ein Heimatloser, Getriebener.


    Und er ist, wie uns Conrad - Marlow - Stein mehrfach mitteilen, romantisch.
    Was Mr. Conrads Vorstellung von Romantik war, weiß ich (bisher) nicht, aber man mag es sehen in der Suche nach etwas, das sich erzeugt aus grundlegenden, in seinem Werk immer wieder thematisierten Werten: Ehre, Männlichkeit, Mut, zu-sich-stehen. Und, zweimal im Roman so aufgeschrieben: "Das war der Weg. Dem Traum folgen, und abermals dem Traum folgen - und so - in alle Ewigkeit - usque ad finem ..." Stein in den Mund gelegt, einer der zentralen Personen in Marlows Erzählung.


    Jim war "einer von uns", auch diese Charakterisierung mehrfach wiederholt. Was es bedeutet, bleibt mir fraglich. Es muss nicht so offensichtlich sein, wie im Patusan-Teil, wo festgestellt wird: Dain Waris, Jims Freund, ist einer von ihnen (den Malaien) und Jim einer von uns - den Weißen also. Jim kann auch einer von uns Sinnsuchern sein, von uns, die wir einmal feige gehandelt haben, von uns Träumern, von uns - Menschen.


    Ein Unterschied zu Almayer (ich las den Roman vorher) liegt darin, dass Jim immerhin seinen Träumen nachjagt, anstatt in der Passivität zu verharren.


    Conrad bringt es fertig, einen Abenteuerroman zu schreiben, in dem die Personen zugleich Ideenträger sind. Und in dem weitaus mehr steckt, als das bisschen, was ich jetzt aufgeschrieben habe.


    Highly recommended!


    Was im Übrigen ist so verwerflich daran, Name, Kaufdatum und Gelesen-Zeitraum in ein Buch einzutragen?
    Mache ich - zwar mit Bleistift, damit ich es bei Nichtgefallen weggeben kann - auch. Du hast doch auch von den Informationen profitiert?!


    finsbury


    Na, man muss es nicht mit Tinte oder Kugelschreiber auf dem Hauptsachtitel tun :zwinker:
    Und empfehlenswerter wäre sowieso, ein Lesejournal zu führen, was ich nie getan hab.


    Ich wühle mich zur Zeit durch die etwas unübersichtliche Lage betr. verschiedene Ausgaben, Übersetzer etc., von JC, meine ich, und merke mal wieder, dass ich mehr Englisch lesen sollte.


    Die ganzen letzten Jahre hab ich es nur einmal geschafft, das war Coopers Deerslayer.
    Ein großes Erlebnis, aber weiter ging es mit den Lederstrumpf-Romanen bisher nicht.


    By the way, ebenfalls gerade eingetroffen:
    Melville, Billy Budd, Die großen Erzählungen.
    Einband Büchergilde, ansonsten Hanser pur.


    So ist das bei mir, tunke ich gerade mal ein in die christliche Seefahrt, so will ich mehr, und außer Billy Budd und Bartleby hab ich davon, glaub ich, nie was gelesen.
    Und nachdem es vor 5-6 Jahren schon mal Moby Dick und Pierre ... waren, sollte aus dem Erzählwerk auch mal was her.


    Aber bleibt wieder anderes dafür liegen, bspw. Arno Schmidt, Romane und Erzählungen 1946-1964, wovon ich Vieles schon kannte, aber vieles auch nicht, und das was ich schon kannte, hatte ich in den 70ern und 80ern gelesen.


    Gruß, Leibgeber


    "Almayers Luftschloss" hab ich bestellt.
    Leibgeber


    Und gelesen.
    Die Neuübersetzung scheint mir einige Grammtikfehler, Schlampigkeiten, was immer, zu enthalten. Aber mein ganz altes Fischer-Taschenbuch hatte ich irgendwann mal weggeschmissen.
    Da die Haffmans-Edition eh nicht abgeschlossen wurde, werde ich mich an die alten Übersetzungen halten.


    Und ein wenig in den Originalen stöbern.
    Auch wenns jeder selbst googlen kann:
    DIES sieht interessant aus ...


    Es könnte sein, dass dies (u.a. noch) ein Joseph-Conrad-Jahr wird.


    Inzwischen "Lord Jim".
    Ich hatte früher die Unart, Namen und Kaufdatum ins Buch zu schreiben *schäääm*
    Gekauft und gelesen 1975.


    Es war verkehrt, vermutlich dreieinhalb Jahrzehnte nichts von JC gelesen zu haben.
    Aber besser spät als gar nicht.
    Und inzwischen versteh ich, alt und grau geworden, die dämonische Reise ins Herz der Finsternis ja auch besser :belehr:


    Bestellt: "Freya von den sieben Inseln".


    Gruß, Leibgeber

    Odoevskij, Prinzessin Mimi, Prinzessin Zizi. Zwei Novellen.
    Zwei thematisch verflochtene Novellen, fein erzählt, Gesellschaftskritik mit dem satirischen Seziermesser, Erzählkunst der russischen Romantik vom Besseren. Empfehlenswert.


    Vorher war es:
    Joseph Conrad, Herz der Finsternis.
    Ich hab wenig so Gutes in der kurzen Erzählform gelesen; so perfekt, wie eine Novelle oder ein kurzer Roman zu machen ist.
    Meiner Erinnerung nach mein erster Conrad nach 30 oder mehr Jahren. War ein Fehler, so lange gewartet zu haben.
    "Almayers Luftschloss" hab ich bestellt.
    Das "Herz der Finsternis" wäre eine Zweitlektüre wert, aber die mach ich auf Englisch.


    Leibgeber


    Moin, Moin!



    Das Erfassen solcher, wie ich es nenne, "Fundstücke" (<a href="http://www.buecherlei.de/fab/index.htm">FAB</a>) ist eines meiner zentrales Anliegen. Ich freue mich über gelungene Sprache und über skurrile Einfälle usw. Manche Bücher geben viel her, manche weniger - das ist unabhängig von der literarischen Tiefe des Buches!


    Würde ich mich dem widmen, hätte ich keine Zeit mehr zum Lesen.
    Ergo auch nicht für Fundstücke.


    "Die Leute sind zu Mitleid fähig für Krüppel und Blinde, man kann sagen, sie haben Liebe übrig. Das hatte ich schon früher gespürt, häufig sogar, dass sie Liebe übrig hatten. Gibt es riesig viel von. Kann keiner sagen, dass das nicht stimmt. Schade nur, dass sie immer so gemein sind, die Leute, wo sie doch eigentlich Liebe übrig haben. Sie kommt nicht raus, das ist es. Sie steckt drinnen fest, und da bleibt sie, sie ist zu nichts nütze. Die Leute verrecken innerlich vor lauter Liebe." (Seite 516)


    Scheint mir übrigens, soweit ich überhaupt zur derartigem Sortieren in der Lage bin, dass es sich um einen pikaresken Roman handelt. Aber dann wohl der garstigste, widerwärtigste, zynischste, feigste Picaro, den ich je zwischenhatte.

    Gerade beendet:


    Céline, Reise ans Ende der Nacht.
    (Natürlich die Neuübersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel.)


    Und diese Tour de Force vom Ersten Weltkrieg über die Nervenheilanstalt, den Kongo, Amerika, das Dasein als Armenarzt, bis hin ins Irrenhaus hat mich schwer beeindruckt.


    Hätte ich mir Zitate, Redewendungen, Hintergründiges notiert, wären daraus 40 Seiten geworden ...


    Mich weiter mit dem doch sehr problematischen Autor zu befassen, dafür hab ich einfach nicht die Zeit.
    Derzeit.


    ( Zumal ich auf ihn auch nur mal wieder über einen Anderen gekommen bin.
    Louis Paul Boon, Der Kapellekensweg.
    Wo Célines Roman ganz am Anfang erwähnt wird. Na, hab ich mir gedacht, das wolltest du doch schon lange mal. Am Tag danach war es bestellt.)


    Ich hab aber ein bisschen gegooglet.
    Dabei fiel mir dieser Hinweis auf. Dass es mit der ersten Übersetzung durch Isak Grünberg wohl doch etwas anders gewesen sei, als die in der Wikipedia und sonst allenthalben verbreitete Version besagt.


    Vielleicht versuche ich, mir den Akzente-Artikel zu beschaffen.


    Zum Kapellekensweg vielleicht ein andermal noch mehr.


    Den Rest des Abend lese ich mich weiter, wie schon seit längerer Zeit, durch Ralph Freedmans Rilke-Biographie. Ungemein kenntnisreich zwar, aber sehr zäh, finde ich, und der Mensch Rilke bleibt mir im Dunkeln dabei.


    Gruß, Leibgeber


    Ich lege dir die Kein und Aber-Ausgabe sehr ans Herz, gute Buchgestaltung,


    ... fadengeheftet ? :zwinker:



    und vor allem: ein sehr lobenswertes Unterfangen, dem ich mehr Abnehmer wünsche. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse reagierte ein Kein & Aber-Mitarbeiter etwas säuerlich, als ich ihn nach dem Absatz der Niebelschütz-Romane fragte.


    Kann ich mir denken.
    Ich werd mir die Ausgabe morgen bestellen - im Buchhandel, nicht antiquarisch. :winken:



    Ansonsten: Auch wenn die Leserunde vorüber ist, würde ich mich gern über das Buch austauschen, zumal ich "damals" aufgrund äußerer Umstände deutlich länger für die Lektüre benötigt habe. Auch wollte ich noch eine Rezension des Romans schreiben, wozu ich ebenfalls noch nicht gekommen bin. Auf jeden Fall wären deine Lektüreeindrücke hier sehr willkommen!


    Schau'mer mal.
    Ich fang dann wieder von vorne an zu lesen, oder lese jedenfalls anfangs quer.
    Ich war schon am Beginn des zweiten Romans.


    Die Leserunde scheint ja, warum auch immer, eher kurz ausgefallen zu sein.


    ( "Die Kinder der Finsternis" hatte ich vor 3-4 Jahren zwischengehabt und war SCHWER beeindruckt.
    Möchte ich wiederlesen, auch wenn die Menge der wiederzulesenden Bücher bzw. Autoren am Stück immer größer wird. )


    Bis bald.
    Leibgeber

    Steck ich doch seit einer Woche auch in dem Roman.
    Die Leserunde läuft nicht mehr, was?


    Geizig, wie ich bin, hab ich mir, sehr preiswert, die Ausgabe von 1961 gekauft, "Suhrkamp Hausbuch".


    Und finde jetzt hier den Vermerk:
    "Dennoch riskierte es der Verlag 1961 ein zweites Mal, jetzt als „Suhrkamp Hausbuch" zu niedrigem Preis, vom Autor gekürzt und in der Orthographie uni sein barockes Air gebracht."


    So mag ich das ja gar nicht .... hätte ich vorab mal recherchieren sollen :grmpf:
    Ohne das jetzt nachzuholen, an die Expert/inn/en hier die Frage:


    kann ich davon ausgehen, dass die DTV-Ausgabe, 778 Seiten (meine Suhrkamp hat 719) oder die bei Kein & Aber den ungekürzten Text bieten?
    Bei der DTV steht es, ungekürzte Ausgabe, aber jetzt bin ich misstrauisch :zwinker:


    Oder welche noch?
    Meine Ausgabe bietet übrigens die Kapitelüberschriften nur im Inhaltsverzeichnis hintendran.


    Gruß
    Leibgeber


    Im moment lese ich Philip K. Dicks "Flow my tears the policeman said". Läuft unter dem Label Science Fiction. Aber auch wenn ich mich das kaum zu schreiben traue,


    ... wieso denn? :zwinker:


    Zitat


    ich halte Dick für einen wirklich bedeutenden Schriftsteller des letzten Jahrhunderts.


    Eben.


    Zitat


    Ich lese den Roman im englischen Original und er enttäuscht mich nicht und belohnt mich für das ganze Vokabelnachgeschlage.


    Etwas, das ich mir immer mal wieder vornehme.
    Ich hab in meinen 10ern, 20ern, 30ern Berge an Science Fiction gelesen.
    Dick gehört zum wenigen, das wirklich hängengeblieben ist.


    Nur sind eben mit meinem Schul-Englisch Gegenwartsautoren oft schwerer zu lesen als Klassiker.


    Zitat


    Führe da auch so ein Vokabelheft und hoffe auch mein Englisch damit zu verbessern. Auch wenn man dann mal Vokabeln pauken muß. Werde ihn dann wieder lesen, um zu sehen, ob ich ihn beim nächsten mal besser verstehe. Ich kenne übrigens einiges von Dick, allerdings dann in deutscher Übersetzung, und er hat mich wirklich selten enttäuscht. Aber dieses Werk scheint mir bisher besonders gelungen.


    Mit Sicherheit.
    Allerdings sind viele der alten Übersetzungen wohl verkürzt.
    Und werden dem literarischen Wert der Originale auch nicht gerecht.


    Es wurde da in den 80ern einiges nachgeholt, aber die Geschichte der deutschen Ausgaben ist sehr unübersichtlich.


    Hier noch ein Link
    [url=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,700204,00.html]Alpträume aus der Provinz[/url]


    Gruß
    Leibgeber


    Edit, Nachtrag:
    DER ist sehr empfehlenswert!

    Vielleicht :breitgrins: . Oder auch nicht. Es ist wohl kein Zufall, dass von Fielding nur der Tom Jones wirklichen Weltruhm erlangt hat. :winken:


    Ruhm ist kein Kriterium für Qualität :breitgrins:
    Die "Amelia" kenn ich bisher nicht.
    Und "Joseph Andrews" fällt gegen "Tom Jones" ab, klar.
    Die bittergarstige Satire "Jonathan Wild" kann ich aber sehr empfehlen.


    LG, Leibgeber


    bei Amazon habe ich nach "Der Atem" von Thomas Bernhard geschaut, da mich das Buch interessiert. Ein Link führte mich zu einem weiteren Buch von ihm "Die Kälte: Eine Isolation". Dieser Roman wird als der dritte Teil der Jugenderinnerung betitelt. Wieviele Teile gibt es denn und wie heißen sie?


    Fünf.
    Die Ursache. 1975
    Der Keller. 1976
    Der Atem. Der Atem
    Die Kälte. 1981
    Ein Kind. 1982


    Ich hänge so seit Anfang des Jahres in einer Bernhard-Intensivlektüre.
    Gesamtausgaben kaufen ist ja oft preiswerter.
    ( Klotzen, nicht kleckern :zwinker: )


    Es gibt zwei, im Residenz-Verlag, und, teurer, bei Suhrkamp.


    LG, Leibgeber


    Ich bin weiterhin noch etwas iritiert, wie mühelos er seinen Schatten verkaufte zu Beginn.


    Ich denke mal, diese Mühelosigkeit, besser: Leichtfertigkeit ist beabsichtigt.


    Zitat


    Ich meine: Natürlich habe ich mir auch noch nie Gedanken gemacht, wieviel mir mein Schatten wert wäre,


    Dann musst du es ja auch Schlemihl abnehmen ... :wink:


    Zitat


    aber wenn jemand mir diesen abkaufen möchte, so würde ich ihn doch in erster Linie mit Spott begegnen - und vielleicht aus Leichtsinn, d.h. im Scherz einwilligen - allerdings kann einem der Scherz auch wieder vergehen, wenn man einen grauen Mann vor sich hat, der Zelte und Pferde zur Tasche herauszieht...


    Eben. Wer sowas gesehen hat, glaubt dann auch, dass es möglich ist, den eigenen Schatten zu verkaufen.


    Zitat


    Aber im Prinzip weiss man nicht so recht, ob Schlemihl selbst seinen Schatten vermisst oder ob er ganz froh ist, ihn nicht mehr zu haben (die Theorie, dass er etwas abstreifen wollte bzw. sich herausstellen aus den Normen) oder ob es ihm schlicht gleichgültig ist, ober er etwas verkauft hat, was ihm nichts wert schien, solange er es besass und dessen Wert er erst entdeckte, als es ihm fehlte und er von aussen auf diesen Mangel hingewiesen wurde? - Ich neige zu dieser letzteren Meinung und diese Situation wiederum hätte etwas beispielhaftes und er wäre kein Einzelfall...


    So seh ich das auch.


    Übrigens scheint mir ein wesentliches Motiv der Neid der Besitzlosen zu sein ...


    Leibgeber


    Ja, so... Meine naive Frage liest sich wohl noch naiver, als sie gemeint war: Ich wollte nicht nach einer "rationalen" Erklärung nachfragen, sondern vielmehr nach einer Bedeutung innerhalb der Geschichte; z.B. das Aussenseitermotiv. Kommt mir gerade in den Sinn: Dieser Einbruch in die Realität, z.b. in "La peau de chagrin" von Balzac.


    Gebongt, hatte ich missverstanden.


    Ja, nun:
    erstmal, er muss dem Grauen Mann ja irgendwas verkaufen.
    Weils zur Geschichte gehört :wink:


    Ich schreib ein wenig ab aus dem Kommentar meiner Ausgabe:
    Da wird aus einem Brief von Chamisso an seinen Bruder Hippolyte zitiert.
    „Schlemihl ... ist ein Hebräischer Name und bedeutet Gottlieb, Theophil oder aimé de Dieu.Dies ist in der gewöhnlichen Sprache der Juden die Benennung von ungeschickten oder unglücklichen Leuten, denen nichts in der Welt gelingt. Ein Schlemihl bricht sich den Finger in der Westentache ab, er fällt auf den Rücken und bricht das Nasenbein, er kommt immer zur Unzeit. Schlemihl, dessen Name sprichwörtlich geworden, ist eine Person, von der der talmud folgende Geschichte erzählt: Er hatte Umgang mit der Frau eines Rabbi, läßt sich dabei ertappen und wird getödtet. Die Erläuterung stellt das Unglück dieses Schlemihl ins Licht, der so theuer das, was jedem anderen hingeht, bezahlen muss ...“


    Schlemihl ist ohne seinen Schatten kein richtiger, vollwertiger Mensch mehr.
    Er ist außerhalb jeder Gesellschaft gestellt.
    Seine Liebe zerbricht.


    Mag sein, Chamisso thematisiert damit auch seine eigene Lage als Heimatloser, er war ja Angehöriger einer Emigrantenfamilie aus Frankreich. Und wohl nicht gerade bürgerlich etabliert.


    Ich weiß ja nicht, wie weit du schon gelesen hast.
    Auf die Gefahr hin, dir vorzugreifen:
    der Graue Mann kommt wieder. Und bietet Sch. den Rückkauf des Schattens an.
    Gegen seine Seele.
    Die Wiederherstellung der irdischen Reputation gegen das Seelenheil.
    Die Szene gefiel mir übrigens abgründig gut. :wink:


    An Balzacs „Chagrinleder“ hatte ich auch gedacht, und natürlich an das Faust-Motiv.
    Es gibt auch eine hübsche Novelle von Stevenson, „Der Flaschenteufel“.


    Es wäre interessant, sich über das Motiv „Schatten“ ein wenig näher zu informieren, die Ikonographie gewissermaßen, es gibt bspw. die Redewendung „über den eigenen Schatten springen“, oder „jemandes Schatten sein“.


    Ich konstruier mal:
    Abgesehen von dem finanziellen Vorteil; möchte Schlemihl durch den Verkauf des Schattens Altlasten abwerfen? Sich außerhalb bürgerlicher Normen stellen, denen er eh nicht entspricht?
    Weg mit dem Schatten, der wie Pech an ihm klebt?


    Soweit von mir für die Weihnachtstage
    Leibgeber


    Hiermit eröffne ich also die Leserunde zur wundersamen Geschichte.


    Es frappiert mich, dass das Fehlen eines Schattens als dermassen auffallend geschildert wird! - Ich meine, wer achtet sich schon aktiv darauf?


    Stell dir mal vor, DU gehst mittags über einen Marktplatz ohne Schatten. :wink:
    Meinst du, das fällt niemand auf?
    Meinst du, du bist dadurch nicht gebrandmarkt?
    Oder mag ja sein, das fällt heutzutage niemand mehr auf. :wink:
    Im Jahre 1814 oder wann immer das genau spielt, würde es ein wenig anders gewesen sein.



    Zitat


    Aber andererseits kann man nicht wirklich Mitleid haben,


    Och, wir machen doch alle mal Fehler. :breitgrins:



    Zitat


    da er ja beim Handelsabschluss eigentlich genau wusste, mit wem er es zu tun hatte, nur dass er verblendet wurde durch den Reiz des Goldes.


    Mag sein, dass seine Motive etwas vielschichtiger sind.
    Schlemihl ist Außenseiter, so schon am Anfang gekennzeichnet durch sein beiseite gestellt werden im Garten des reichen Herrn John.
    Inwieweit das Thema das Juden (der Name hat jüdische Wurzeln) als Außenseiter eine Rolle spielt, weiß ich nicht.



    Zitat


    Nur ist mir noch nicht ganz klar, als Metapher für was der Schatten verwendet wird oder ob er nicht als "reine" Metapher betrachtet werden darf, sondern als eine "wundersame" Mischung aus verschiedenem.


    Es ist zwar keine reine Märchen-Novelle, aber Märchen-Motive werden schon verwendet.
    Das Thema des Paktes, mit wem auch immer – mag sein der Graue Mann ist der Teufel – das ist alt. Man verkauft etwas, das man unbedingt braucht, bspw. seine Seele – oder eben, unüberlegt, etwas scheinbar so Unwichtiges wie den Schatten – und bekommt etwas, das nichts nutzt, weil man mit dem Verkauf einen so wesentlichen Teil seines Lebens gegeben hat, dass dieses nicht mehr lebenswert ist.


    Zitat


    Wie erklärt ihr euch, dass der graue Mann so unbemerkbar scheint, dass er nur Peter Schlemihl auffällt und nicht mal seinem Diener, als er nach ihm sucht und mit ihm spricht


    ... und wie, dass er mal eben Fernrohre, Teppiche etcetera aus der Manteltasche zaubert ? :wink:


    Wir sollten den Hang zu Wahrscheinlichkeiten mal ein wenig beiseite lassen, und das "Wundersame" als das nehmen, was es ist.


    Es ist ein Werk der Romantik. :winken:


    Es ist zwar lokal festgelegt – Beginn ist in Hamburg – aber ein wesentliches Kennzeichen dieser Art Literatur ist allemal der Einbruch des Wunderbaren in die Normalität.
    Im Alltag tun sich Risse auf.


    Frohe Tage !
    Leibgeber


    Mal im Ernst: Ob ein Buch gut oder schlecht geschrieben ist, konnte ich als Jugendlicher ganz bestimmt noch nicht beurteilen. Übrigens: Gemeinhin gelten Alexandre Dumas und Mark Twain nicht als miese Schreiberlinge, wovon ich damals natürlich auch noch keine Ahnung hatte.


    Jein.
    Literarische Kriterien spielen noch keine Rolle, das stimmt.
    Aber ein Gefühl, unterschwellig, für die Qualitäten eines Buches, das kann schon da sein, denke ich mal.
    Und das mag auch was mit der Qualität der Schreibe zu tun haben.


    Zitat


    Deine frühreife Urteilskraft erstaunt mich deshalb sehr ... :zwinker:


    Das ist ja eine Frage des Geschmacks –
    Mädchen lasen halt Pferdebücher, ob sie nun ritten oder nicht, ob das heutzutage noch so ist, das weiß ich nicht.


    Enid Blyton wurde von Jungen wie Mädchen verschlungen, ich fand das aber nur langweilig.
    Ziemlich wahrscheinlichkeitsstrapazierend, dass diese Kinderlein dauernd nur Ferien hatten.
    Galt für die drei ??? auch.


    Übrigens war damals auch eine bei fortschrittlichen Bibliothekarinnen und Lehrerinnen, Müttern vielleicht auch, SEHR unbeliebte Furchtbarkeit namens Berte Bratt sehr weit verbreitet.


    Ich muss dagegen schon in recht jungem Alter Sherlock Holmes verschlungen haben.


    gantenbeinin
    Ich bin einfach zu alt, um zum aktuelleren Kanon was beizutragen können.
    Aber der Thread ruft Erinnerungen wach.


    Ich bin mir ziemlich sicher, im Alter von ca. 13 „Der Herr der Ringe“ gelesen zu haben.
    Aus der Kinder- und Jugendbücherei entliehen, ich fand diese grünen Bände mit der Karte drin faszinierend und hab das entliehen ohne zu wissen, was das ist.
    Als ich es mit 17-18 vielleicht noch mal wiederlas, fand ich es nicht mehr so dolle ...


    Und ich grübele jetzt nach über eine Jungensdetektivserie, die ich sehr mochte, was schwedisches oder dänisches, ich komm da nicht drauf. Kalle Blomquist war es nicht.


    Leibgeber


    Von 688 Forumsmitgliedern gestehen 5 tatsächlich schon als Kinder gelesen zu haben, darunter sogar ein ganzer Knabe!
    Wer hätte das gedacht :breitgrins:


    Na dann meldet sich noch ein älterer Mann dazu.


    Die von dir genannten Klassiker kannte ich wohl auch noch alle.
    Obwohl etwas jünger :wink:


    Was ich von den dir so benamsten Relikten zwischenhatte, daran mag ich nicht so denken, der Bücherschrank von Omama ...
    Geschadt hat es mir nix.


    Erinnnere mich - da finsbury das Thema Tierbücher ansprach - an:
    Bengt Berg, Mein Freund der Regenpfeifer.
    Grzimek hab ich auch gelesen, und Hans Hass, sowie meinen damaligen Top Favorite der Reisebücher.
    Harrer, Sieben Jahre in Tibet.
    So gesehen hab ich ein inniges Verhältnis zum Dalai Lama :wink:


    Ich hatte einen Super-Band Deutsche Ritter- und Heldensagen.
    Mit einer Unmenge dieser alten Illustrationen. Schnorr von Carolsfeld und so.


    Schätze dass ich ca. 30-50 Karl Mays zwischenhatte, aber wohl mehr von Verne als von May.


    Und im übrigen geht es mir meist so, dass ich von irgendeinem Kinder/Jugendbuch lese, oder mal neu aufgelegt seh und mir denke „das hattest du doch damals auch gelesen ...“ oder wenn ich sowas altes mal auf einem Flohmarkt seh.


    Sehr gut fand ich das später auch mal fürs Fernsehen verfilmte „Die Rote Zora“. Übrigens, wie ich erst viel später erfuhr, von einem politisch – nach meinen Maßstäben jedenfalls - völlig unbedenklichen Autor.


    Märchen von Andersen. „Die Schneekönigin“ war mir damals schon das liebste.
    Was mag mir das nur über meine schon damalige Geistesbeschaffenheit sagen ...
    :belehr:


    Achja, ich begann sehr früh, und in Unmengen, mit Science Fiction. Aber wohl sehr wenig die Jugendbücher aus der Ecke. Gleich die englischen und amerikanischen Klassiker.


    Schon völlig übermüdet, fällt mir gerad noch ein:
    Ursula Wölfel.


    Achso – meinen ersten Jean Paul las ich erst mit 20 :breitgrins:


    Leibgeber


    edit: Naja, hab das Ereignis nicht hierher verlinken können, bzw. meinen Startbeitrag nicht mehr entsprechend editieren können, aber immerhin gibt es jetzt das Ereignis, halt eigenständig...


    Ich hab es geschafft, ein Ereignis zu finden und sah den 22.12.
    Ich kann erst ein paar Tage später dazu kommen.
    Nehme an du hast die Novelle dann schon durch :wink:
    aber kann vielleicht nachträglich noch was sagen.
    :winken:
    Leibneigender :breitgrins:


    Walter Moers will ich auch bald mal lesen, leider borgen sich unbotmäßige Jugendliche dieses Buch ständig in den Stadtbüchereien vor mir aus, an der Universitätsbibliothek ist solches nicht zu erhalten (in den großen Tempel der Gelehrsamkeit wird ein Moers natürlich nicht eingelassen) - und es zu kaufen bin ich zu geizig. (Den Stopfkuchen muss man im übrigen mögen ...)


    Freilich. Aber das gilt ja für andere Literatur auch :wink:


    Ich hatte erwogen, mir den Moers zu Weihnachten zu schenken. Aber in Anbetracht der anderen etlichen 1000 Seiten Buchgeschenke durch mich an mich allein der letzten Zeit (u.a. Gutzkow), sowie überhaupt das ganze Jahr über und wie viel davon mal wieder noch nicht gelesen ist ...
    hab ich mal davon abgesehen. Einstweilen.
    Vielleicht bis Januar?


    Für die Weihnachtsferien pack ich mir ein:
    meinen Band Chamisso.
    Balzac, Komödie I.
    Sowie, wie meist, noch was kurzentschlossen kurz vor Abfahrt aus dem Regal Gefischtes.


    BisdieTage
    Leibgeber