Und lese jetzt:
Der Geheimagent.
Hier ein paar fragmentarische Ansichten.
Nach Nostromo entstanden, ist "The Secret Agent" JCs einziger Großstadt-Roman.
Zitat
The inception of The Secret Agent followed immediately on a two years' period of intense absorption in the task of writing that remote novel, Nostromo, with its far-off Latin-American atmosphere; and the profoundly personal Mirror of the Sea. The first an intense creative effort on what I suppose will always remain my largest canvas, the second an unreserved attempt to unveil for a moment the profounder intimacies of the sea and the formative influences of nearly half my lifetime. It was a period, too, in which my sense of the truth of things was attended by a very intense imaginative and emotional readiness which, all genuine and faithful to facts as it was, yet made me feel (the task once done) as if I were left behind, aimless amongst mere husks of sensations and lost in a world of other, of inferior, values.
(Aus dem Vorwort.)
Es geht um einen Bombenanschlag.
Als Vorlage dient JC ein tatsächlich geschehener, Greenwich, 1894.
( Ich fand diesen Link über den englischen Wikipedia-Artikel. )
Und auch sonst war ja zu jener Zeit das Thema virulent.
"The Secret Agent" gilt als Klassiker der Kriminalliteratur, so wie "Nostromo" als Klassiker im Bereich Polit-Thriller oder Politischer Roman.
Und ich würde gern wissen, ob JC Conan Doyle kannte, und die Vorläufer wie Collins, Gaboriau, Poe.
Die Aufklärung, die Polizeiarbeit, werden denn auch detailliert geschildert.
Zusätzliche Qualität und Spannung erhält das dadurch, dass hier zwei Polizisten gegeneinander arbeiten.
Aber es ist sowieso klar, werd hinter dem Anschlag steckt, und auch bald, wen es dabei erwischt.
Wie es bei guter Kriminalliteratur sein sollte:
die Freude am Plot, die Auflösung des Falles mag Spaß machen, aber genug ist es nicht.
Und der Plot, das Verbrechen und des Aufklärung, haben einen nicht so großen Anteil am Romanumfang.
Es handelt einen Politischen Roman, der sich als zeitlos erweist, denn die von JC beschriebenen Mechanismen sind allgemein gültig.
Es geht darum, wie eine ausländische Macht durch Provokation destabilisierend wirken will.
Dass es sich dabei um Russland handelt, vertreten durch Herrn Wladimir, ist leicht erkennbar. Mag damit zu tun haben, dass Conrad, der Pole, in seiner Jugend Russlands Vorgehen in Polen erlebte.
Aber es können auch andere Staaten sein als Russland und Großbritannien.
Von welchem "politischen Standpunkt" her Conrad dies schrieb, weiß ich (bisher) nicht.
Ich meine, bei ihm gelegentlich einen gewissen Konservatismus herausgelesen zu haben, aber auf ein Lob für die gute alte demokratische Tradition des British Empire kann es nicht hinauslaufen.
Denn Politik allgemein ist ein schmutziges Geschäft.
Und Überparteilichkeit geboten.
Wie schon bei "Nostromo" kamen mir die früher viel gelesenen Eric Ambler oder Ross Thomas in den Sinn. Von denen ich nicht weiß, ob sie JC kannten.
Eine von Ambler heißt auch so: Schmutzige_Geschichte.
Die kleinen bösen Geschichten aus kleinen Staaten, die hintergründing nämlich ein Weltpanorama entfalten.
Und dies oft mit Mitteln der Ironie.
Der Roman ist, verglichen mit anderen von JC, erzähltechnisch einfach gehalten.
Wenn ich es richtig erinnere, gibt es nur einen, also wohl auktorialen Erzähler.
Dafür aber wird durch die Erzählart differenziert.
Anarchisten wie Gegenseite (Polizei, Politik) kommen bei JC gleichermaßen schlecht weg.
Und werden mit Mitteln der Ironie, der Karikatur, dargestellt.
Jede dieser Figuren ein Typ, der etwas Allgemeineres repräsentiert - trotzdem ist jede stimmig.
Ich setz hier ein Zitat, stellvertretend für so viele andere gute Passagen. Sir Ethelred, der Vertreter der Großen Politik.
Zitat
Vast in bulk and stature, with a long white face, which, broadened at the base by a big double chin, appeared egg-shaped in the fringe of greyish whisker, the great personage seemed an expanding man. Unfortunate from a tailoring point of view, the crossfolds in the middle of a buttoned black coat added to the impression, as if the fastenings of the garment were tried to the utmost. From the head, set upward on a thick neck, the eyes, with puffy lower lids, stared with a haughty droop on each side of a hooked, aggressive nose, nobly salient in the vast pale circumference of the face. A shiny silk hat and a pair of worn gloves lying ready at the end of a long table looked expanded, too, enormous.
Mrs. Verloc und ihre Familie dagegen werden in tiefem Ernst und Respekt geschildert.
Und diese beiden Erzählweisen durchzuführen und dabei stringent durchzuerzählen, einen Bruch zwischen Ironie und Ernst zu verhindern, das beweist große Könnerschaft.
Szenen einer Ehe.
Mr. Adolf Verloc, der Spitzel, bzw. Agent Provocateur des Lebensstandards, der Bequemlichkeit wegen, und seine Frau Winnie, die sich hat heiraten lassen, um sich, ihrer Mutter, ihrem geistig zurückgebliebenen Bruder Stevie das Überleben zu sichern.
Und Großstadtszenen von Armut und Elend, manchmal aber auch Nächstenliebe, die Qualitäten à la Dickens oder auch Dostojewskij haben.
Am bedrückendsten in der Szene mit Stevie, dem Kutscher und seinem Pferd.
Zitat
" 'Ard on 'osses, but dam' sight 'arder on poor chaps like me," he wheezed just audibly.
Für die Pferde ist es schlimm, für die Menschen noch schlimmer ...
Dem in diesem Kapitel, bezeichnenderweise von einem "Zurückgebliebenen", geäußerten Mitgefühl, stehen Eigennutz, Geldgier, Hass entgegen.
Die Worte des "Professors" am Schluss sind prophetisch
Zitat
"Do you understand, Ossipon? The source of all evil! They are our sinister masters - the weak, the flabby, the silly, the cowardly, the faint of heart, and the slavish of mind. They have power. They are the multitude. Theirs is the kingdom of the earth. Exterminate, exterminate! That is the only way of progress. It is! Follow me, Ossipon. First the great multitude of the weak must go, then the only relatively strong. You see? First the blind, then the deaf and the dumb, then the halt and the lame—and so on. Every taint, every vice, every prejudice, every convention must meet its doom."
So sind diese Kleinen, die auf ihre Art Geschichte machen.
Ob nun Mäntelchen links oder Mäntelchen rechts, das ist egal …
Nein, JC konnte natürlich keine Mengeles (oder Zwickauer Nazis) vorhersehen.
Aber Gesetzmäßigkeiten erkennen, die universal gültig, weil nämlich, menschlich sind.
Im Guten wie im Bösen.
Und wir alle hängen da drin, ob wir es wollen oder nicht.
Wir werden vom Autor sozusagen mit der Nase drauf gestoßen, wenn immer wieder der (anscheinend oder scheinbar) "zurückgebliebene" Stevie seine Kreise zeichnet.
Und das lässt sich rausholen aus einer "Einfachen Geschichte".
Es sind diese einfachen Geschichten, die das Leben schreibt, die es uns schildern wie es ist.
( So wie ja auch Nostromo einfach "Eine Geschichte von der Meeresküste" ist. )
In der Bescheidenheit beweist sich der Meister.