Beiträge von Pius

    Hallo!


    Nun zum japanischen Regisseur Akira Kurosawa, einem der international bedeutensten seiner Zunft.


    Ich habe bereits zwei Shakespeare-Adaptionen von ihm kennengelernt (weiß aber nicht, ob es noch andere gibt), nämlich:


    Kumonosu jo (1957):
    Eine Macbeth-Verfilmung, wirkt filmtechnisch recht altmodisch, ein japanischer Macbeth ist für unsereins erstmal gewöhnungsbedürftig. Aber der Film hat mich überzeugen können, nicht 100%ig, da ist doch das ein oder andere vom inhaltlichen Gewicht des Shakespeare-Originals verlorengegangen, dennoch: sehenswert!
    Vielleicht sogar besser als die Polanski-Verfilmung von Macbeth, der fehlen die "inneren Dimensionen", wirkt recht blaß im Vergleich zu dem, was möglich wäre.

    Ran (1985):
    Kurosawas bitter-pessimistisches letztes Werk, eine geniale (! - ich sage das nicht häufig zu Filmen) King-Lear-Filmfassung mit all der Tragik und Tiefe, geht unter die Haut und bis auf den archetypischen Grund der Figuren.
    Vieles ist an die japanische Kultur angepaßt, z.B. sind die Erben keine drei Töchter, sondern drei Söhne, auch der historische Hintergrund ist japanisiert, die Gesten der Schauspieler wohl (ich kenne mich da nicht aus) wie im japanischen Theater.
    Fazit: Ein Film-Kunstwerk, eine symthese europäischer und asiatischer Kultur.


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo!


    A Welches ist euer Lieblingsbuch und warum?


    Goethe: Faust (I+II); Shakespeare: Hamlet, Macbeth; Sophokles: Antigone, Ödipus auf Kolonos. Warum? Siehe Frage C!


    B Wer ist euer/eure Lieblingsschriftsteller(in) und warum?


    Shakespeare und Sophokles. Begründung: Wird aus Antwort zu Frage C klar!


    C Was sind eure literarischen Lieblingsthemen?


    Das „ewige Drama“ in seinen vielen Gestalten.


    D Sind/waren eure Lieblingsbücher und Schriftsteller(innen) dabei wechselnd?


    Nein.


    E Wenn ihr nur zehn Bücher für unbestimmte Zeit auf eine einsame Insel (oder anderen Ort) mitnehmen dürftet, zu welcher schmerzlichen Auswahl und Bescheidung würdet ihr euch durchringen?


    Ich würde Bücher mitnehmen, mit denen ich mich jahrzehntelang beschäftigen kann:


    Bibel
    Die göttliche Komödie
    Shakespeare-Dramen
    Sophokles-Dramen
    Parzival
    Ein Gedichtsband mit vielen schönen Gedichten
    Goethe-Dramen
    Taoteking
    Ein Buch über jungianische Psychologie
    Lexikon


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Andi!


    Etwas aktuelleres als die Shakespeare-Dramen wird es nie geben - die sind zeitlos aktuell! :breitgrins:


    Aber nun ein Tip für Dich: David Auburn: The Proof: Das Stück hat vor ein paar Jahren den Pulitzerpreis gewonnen, mir hat es sehr gefallen.


    Viele Grüße,
    Pius.

    Und weiter gehts mit Material zu Philoktet:


    Ich kann wirklich nur empfehlen, dieses Werk kennenzulernen. Es ist ein großartiges Alterswerk des Sophokles, zeitlos und sehr intensiv. Wer mal eine "Katharsis" durch ein Sophokles-Werk erlebt hat, der weiß, wovon ich spreche.



    Auf der homepage des "Theater des Wandels" habe ich folgende Beschreibung einer Aufführung gefunden:


    Die Geschichte des Philoktet wurde bereits von den beiden Tragikern Aischylos und Euripides in zwei nicht erhaltenen Tragödien behandelt. Sophokles greift den Stoff 20 Jahre später als Euripides auf: Er macht Lemnos zu einer unbewohnten Insel auf der Philoktet, als kranker Mann, ausgesetzt, abseits jeder Zivilisation sein Schicksal erträgt. Folgend der Sage kommt dann auch bei Sophokles das Orakel ins Spiel; Odysseus bietet sich an, diese Aufgabe von „höchster staatlicher Priorität“ zu übernehmen.


    Sophokles bringt jetzt eine neue Figur ins Spiel „Neoptolemos“, Sohn des Achill: Ein junger Mann der sich in seinem Wesen der Aufrichtigkeit und der Wahrheit verpflichtet fühlt, gleichzeitig voller Tatendrang, die Anerkennung der Gesellschaft suchend.
    Neoptolemos ist in gewissem Sinn der Schlüssel des Odysseus zu „Philoktet und seinem Bogen“. Odysseus weiß, daß er Philoktet, den er vor Jahren auf der Insel zurückließ, nicht ohne Todesgefahr gegenübertreten kann. Er bedient sich des Neoptolemos und einer Intrige – Odysseus nennt es „List“ um sein Ziel zu erreichen.


    Neoptolemos widerstrebt es „das Vertrauen“ des Philoktet mit Hilfe einer Geschichte „zu gewinnen“, die sinngemäß sagt „auch ich wurde von Odysseus betrogen“, um in den Besitz des Bogens zu gelangen. Doch letztendlich willigt er ein; die Versprechung des Odysseus man werde ihn „mutig“ und „scharfsinnig“ nennen, und der Hinweis auf die höchste staatliche Priorität haben gewirkt. Neoptolemos trifft auf Philoktet, dieser ist zuerst mißtrauisch, freut sich dann aber, bis jetzt abgeschieden von jeder sozialen Gemeinschaft, endlich wieder mit einem Menschen sprechen zu können. Philoktet erzählt Neoptolemos seine Leidensgeschichte und nun ist die Zeit reif für die „List“ des Odysseus. Neoptolomos erfüllt den Auftrag „gewinne sein Vertrauen“ ist aber gleichzeitig zunehmend berührt von jenem leidenden Mann, der ihm sein Vertrauen schenkt.


    Gleichzeitig nützt Sophokles den Dialog, in den die Intrige eingesponnen ist, um mit seiner Gesellschaft ins Gericht zu gehen. Eine degenerierte Form der Rhetorik gewann in dieser Zeit zunehmend die Oberhand. Dem Wahrheitsgehalt und Wert eines Arguments wurde immer weniger Bedeutung zugemessen; vielmehr ging es darum die Argumente des „Gegners“ außer Kraft zu setzen, ohne auf diese wirklich einzugehen. „Argumente würden nicht helfen, nicht mehr als Gewalt“ sagt Odysseus in der ersten Szene. Philoktet vertraut dem jungen Mann und in ihm keimt die Hoffnung, daß er ihn auf sein Schiff nehmen und ihn heim nach Thessalien bringen werde. Als sich beide bereit machen zu gehen, überkommen Philoktet starke Schmerzen, er übergibt Neoptolemos den Bogen, und schläft, völlig erschöpft, ein. Neoptolemos ist am Ziel, in seiner Hand der Bogen; doch bereits jetzt beginnt er zu zweifeln.


    Philoktet erwacht: entgegen seiner Erfahrung vor Jahren, als Odysseus und seine Schiffsmannschaft ihn auf Lemnos zurückließen, ist Neoptolemos bei ihm geblieben. Seine Freude ist groß und er glaubt, daß ihn der junge Mann, dem er vertraut, in seine Heimat bringen werde. Als sie aufbrechen kann Neoptolemos, gepackt von Zweifeln, das Ziel ihrer Reise nicht mehr verheimlichen. Den Bogen in der Hand gesteht er Philoktet, daß sie nach Troja fahren werden. Philoktet ist wütend und verzweifelt. Ohne Bogen, völlig wehrlos, appelliert er an das Gewissen des jungen Mannes ihm den Bogen zurückzugeben. Odysseus erscheint: jener Mann der ihn vor Jahren auf dieser Insel zurückließ. Philoktet steht seinem Feind, ohne Bogen völlig ausgeliefert, gegenüber; in dieser Situation hat er nur eine „Waffe“, die der „Wahrhaftigkeit“ und der „Moral“ und mit dieser versucht er Neoptolemos an seiner Redlichkeit „zu packen“. Sophokles nützt dieses Aufeinandertreffen, die Anklagerede des Philoktet gegen Odysseus, für eine geradezu „beißende Kritik“ an der Gesellschaft.


    Als Odysseus erkennt, daß ihm Philoktet nur Schwierigkeiten bereitet, der Bogen in ihren Händen ist, gehen sie, und lassen den verzweifelten Philoktet (erneut) zurück. Aber die „Waffe“ des Philoktet, seine Rede gegen Odysseus, hat gewirkt: Neoptolemos, gemeinsam mit Odysseus auf dem Weg zum Schiff, entscheidet sich, Philoktet den Bogen zurückzugeben. Odysseus droht Neoptolemos „das ist Verrat an deinem Land“, aber weder Zuspruch noch Drohung zeigen Wirkung. Der junge Mann bringt Philoktet, der zuerst mißtrauisch reagiert, seinen Bogen zurück. Im Augenblick der Übergabe betritt Odysseus noch einmal die Szene und versucht mit Hinweis auf die staatliche Priorität dieses zu verhindern. Doch Philoktet hat bereits den Bogen und zielt sofort auf ihn. Nur das Eingreifen des Neoptolemos verhindert den Schuß auf Odysseus, der sofort verschwindet. Neoptolemos weiß, daß auch er jetzt von der Gesellschaft ausgeschlossen ist; er versucht Philoktet zu überzeugen, er möge doch „freiwillig“ mit ihm nach Troja kommen. Doch dieser lehnt ab: er wurde bereits einmal instrumentalisiert. Er versucht Neoptolemos zu überzeugen, ihn „heim“ nach Thessalien zu bringen.


    An diesem Punkt endet der heutige Theaterabend. Sophokles löste diese „heillos verfahrene“ Situation durch den Auftritt eines Deus ex Machina: Herakles, Mensch zum Gott geworden, Freund des Philoktet, der ihm den Bogen vererbte, befiehlt Philoktet nach Troja zu fahren und die Schlacht zu gewinnen. Doch brauchen wir Menschen einen Herakles um diese Situation lösen zu können?


    Diese letzte Frage ist sehr interessant und im übertragenen Sinne von großer Wichtigkeit. Ich schätze Sophokles sehr, da er "ewige" Themen auf die Bühne gebracht hat. Dennoch ändert sich die Menschheit über die Jahrhunderte. Brauchen wir immer noch den "deus ex machina", können wir inzwischen selbst große Konflikte lösen?



    Aus dem Reclam-Schauspielführer::


    Ein ergreifendes Drama, das nicht nur in der Zeichnung der Charaktere meisterhaft gearbeitet ist, sondern erstmals in der Gestalt des Neoptolemos einen Charakter in der Entwicklung zeigt. In den Konflikt gestellt zwischen Staatsinteressen, die Odysseus vertritt, und menschlichem Mitgefühl, das das Schicksal des Philoktet ihm erweckt, ringt sich Neoptolemos, ein geistiger Bruder der Antigone, ganz zu reiner Menschlichkeit durch. Das Erscheinen des Herakles als „deus ex machina“ am Schluß des Werkes wirkt auf uns als äußeres Dazwischentreten, doch war es für den Griechen Ausdruck der Gebundenheit des irdischen Geschehens an den Willen der Götter, wie sie in der Sage vom Fall Trojas vorgebildet war.



    Aus dem Harenberg-Schauspielführer:


    Bereits Aischylos und Euripides hatten die aus Homers „Ilias“ bekannte Leidensgeschichte des Philoktet dramatisiert. Ihre Werke sind jedoch nicht überliefert. Typisch für Sophokles, den Verfasser der dritten Version, ist die Gegenüberstellung von drei scharf profilierten Repräsentanten sehr unterschiedlicher Charaktereigenschaften und Verhaltensmöglichkeiten: Auf der einen Seite Odysseus, der politisch versierte Pragmatiker, daneben Philoktet, der aus der Gesellschaft ausgestoßene Held, der als „antiker Robinson“ auch im größten Elend Stärke zeigt, und Neoptolemos, der Heranreifende, der sich für Betrug oder Aufrichtigkeit, Befehlsausführung oder Mitleid entscheiden muß.


    Das deutschsprachige Publikum lernte „Philoktet“ 1968 in Heiner Müllers sehr eigenständigen Version kennen. In seinem Lehrstück über Lüge und Betrug als ganz normal brutale Staatsaktion wird sogar der edle Neoptolemos zum Handlanger der politischen Infamie, indem er den beraubten und geschundenen Krüppel Philoktet nicht rettet, sondern liquidiert.



    Von Wilhelm Kuchenmüller:


    Mehr als sonst nimmt hier die Elementare Natur, die Meeresbrandung, die Felsenhöhle, der Vulkan, aber auch die Tierwelt am tragischen Geschehen teil. Schon die Bühne bot ein seltsam tragisches Bild: Eine schroffe Felswand mit Ausblick aufs Meer, oben zwei dunkle Pforten, durch die aus- und eingegangen wird, zu denen man hinaufsteigt, von wo man herunterkommt. Durch seine Vereinsamung ist Philoktet mit der Natur verwachsen. Nur sie ermöglicht ihm die Zwiesprache, ohne die ein Hellene nicht leben kann.



    Nietzsche und Philoktet (gefunden auf vitusens.de):


    In den Fragmenten vom Sommer 1871 (KSA 7, S. 394) notiert Nietzsche: "Der Philoktet des Sophokles – als Lied vom Exil zu verstehen"


    Warum nennt sich Nietzsche also mit seinem allerersten Pseudonym gerade einen "Philoktet"? Das sollte nun wohl naheliegen: Er empfindet sich ebenso ausgesetzt wie Philoktet, und auch er leidet an Wunden, körperlich und geistig. Wie Philoktet schreit er seine Verwundungen wie seine Verlassenheit/ Vereinsamung durchaus nach außen ... Und auch er meint über eine Art "Munition" (Zarathustra!) zu verfügen, deren die Menschheit noch bedarf.


    Daß die Verwendung des Philoktet-Bildes in diesen beiden Bedeutungen gemeint ist, geht im übrigen auch aus dem Schreiben an Heinrich von Stein hervor (18. September 1884; KSB, 6, Nr. 534, S. 533), in dem er sich wiederum mit "Philoctet" vergleicht: "Ohne meine Pfeile wird kein Illion erobert!"



    Für Musikfreunde: Franz Schubert hat ein Mayrhofer-Gedicht über Philoktet als Lied vertont. Hier der Text:


    Da sitz ich ohne Bogen und starre in den Sand.
    Was tat ich dir Ulysses, daß du sie mir entwandt?
    Die Waffe, die den Trojern des Todes Bote war,
    Die auf der wüsten Insel mir Unterhalt gebar.

    Es rauschen Vogelschwärme mir über'm greisen Haupt;
    Ich greife nach dem Bogen, umsonst, er ist geraubt!
    Aus dichtem Busche raschelt der braune Hirsch hervor:
    Ich strecke leere Arme zur Nemesis empor.

    Du schlauer König, scheue der Göttin Rächerblick!
    Erbarme dich und stelle den Bogen mir zurück.



    Nun zu einem Vergleich zweier Übersetzungen, der erste Textausschnitt ist stets die Kuchenmüller-Übersetzung, der zweite die von Wendt. Wir beginnen mit den ersten Versen des Dramas.


    Dies ist der Strand des meerumströmten Lemnos,
    Von Menschen unbewohnt und unbesucht.
    Hier war es, Kind des tapfersten Hellenen,
    Sohn des Achilleus, Neoptolemos,
    Wo ich einst Philoktet, des Poias Sohn,
    Aussetzte auf Befehl der Herrschenden,
    Weil ihm am Fuß die Eiterwunde fraß.
    Sein Stöhnen, Jammern füllte rings das Lager
    Mit wüstem Mißklang Tag für Tag: Wir konnten
    Kein Opfer ungestört noch heilige Spende
    Begehen.


    Hier ist das meerumspülte Eiland, hier der Strand,
    Vom Fuß des Menschen unbetreten, unbewohnt,
    Wo ich, o Neoptolemos, du Sohn Achills,
    Des besten Helden der Achäer, einst den Sohn
    Des Poias aus dem Lande Malis ausgesetzt,
    Weil fressend ihm der Wunde Eiter troff vom Fuß.
    Denn keine Spende und kein Opfer konnten wir
    Beginnen ohne Störung, sondern wild erscholl
    Von seinem Klagen, von seinem Stöhnen rings der Ruf
    Durchs ganze Lager.


    Hier sieht man bereits, daß Kuchenmüllers Übersetzung moderner ist. Wendts Sprache haftet stärker am Original. Zudem erwähnt er die Namen Philoktet und Lemnos gar nicht, die ja dem antiken Publikum bekannt waren. Kuchenmüller fügt sie für heutige Rezipienten, die nicht so sattelfest mit griechischen Sagen sind. Er fügt auch das Adjektiv "heilige" zu Spende hinzu, um den Sinn klarer zu Machen.


    Nun zu dem "berühmten" "Schlaflied" des Chores:


    Schlaf, der Schmerzen vergaß,
    Schlaf, der Leiden nicht weiß,
    Nahe mit sanftem Hauch,
    Labe, labe ihn, Mächtiger!
    Banne des Tages Glanz,
    Der sein Auge umfängt,
    Komm, o komme zu heilen!


    Schlaf, der du Schmerz nicht kennst,
    Schlaf, und vom Leid befreist,
    Mit sanftem Hauche nahe
    Du Herrscher, uns zum Heile!
    Wehre vom Auge ihm
    Das Licht, das jetzo herniederstrahlt!
    Komm, o komme, zu heilen!


    Bei Wendt ist der Schlaf noch deutlicher personifiziert, da er als "Herrscher" bezeichnet wird. Man muß dazu wissen, daß auch der Schlaf eine entsprechende Gottheit (Morpheus) hatte. Beide Passagen sind schön, aber Kuchenmüller gebe ich den Vorzug - nicht nur, weil "jetzo" veraltet ist.


    Große Abweichungen gibt es bei Philoktets Flüchen:


    Du Feuerschlund! du scheußliches Gebild
    Aus List und Schurkerei! O wie betrogst
    Du mich! Und ohne Scham schaust du mich an,
    der meinem Schutz befohlen war, du Unhold!
    Mit meinem Bogen nimmst du mir mein Leben,
    Kind, gib ihn, ich beschwör dich, gib mir ihn!
    Raub mir mein Leben nicht, bei unsern Göttern!


    Verderblicher! Verhaßter! O nichtswürdger List
    Verrucht Gewerbe! O was hast du mir getan!
    Wie hast du mich betrogen! Fühlst du keine Scham,
    Ins Auge mir zu blicken, der so flehend bat?
    Mein Leben raubst du, wenn du mir den Bogen nimmst.
    O gib, ich flehe, Jüngling, gib ihn mir zurück!
    O, bei der Heimat Göttern, nimm mein Leben nicht!


    Das Schlußwort gebührt Sophokles, es sind die Worte des Chores, mit denen das Stück endet. Hier sind sich Kuchenmüller und Wendt einig - bis auf gnädig/günstig.
    Es wäre schön, wenn jemand, der auch "Philoktet" gelesen oder gesehen hat, sich hier mal äußert. Ansonsten gehts irgendwann mit "Aias" weiter.


    So lasset uns ziehn in vereinigter Schar,
    Doch betet zuvor zu den Nymphen des Meers,
    Auf der Fahrt uns gnädig (günstig) zu schützen.

    PHILOKTET


    Dieses Spätwerk des Sophokles (er schrieb es im Alter von etwa 85 Jahren) ist für mich eines der großartigsten Dramen der Weltliteratur.


    Die handelnden Personen:


    Philoktet
    Odysseus
    Neoptolemos
    Ein Kaufmann
    Herakles
    Der Chor (Seeleute des Neoptolemos)


    Die Handlung:


    Diese Inhaltsangabe ist eine Erweiterung der des Harenberg-Schauspielführers.


    Zur Vorgeschichte: Siehe meinen Beitrag zuvor!


    Odysseus, der sich bei dem Unternehmen zurückhalten muß, da er die Rache des Philoktet zu fürchten hat, bleibt am Strand zurück und erklärt Neoptolemos, wie er mit listiger Verstellung und verlockenden Vorspiegelungen das Vertrauen des einsamen, sich gewiß nach seiner Heimat sehnenden Philoktet gewinnen und ihm die begehrte Waffe entlocken kann.
    Nur widerwillig lässt sich Neoptolemos auf das schmähliche Komplott ein und macht sich mit seinem Gefolge (Chor) auf die Suche nach Philoktet. Dieser ist erfreut, seinen Landsmännern zu begegnen und berichtet von seinem schweren Schicksal. Darauf erzählt ihm Neoptolemos, er sei auf dem Rückweg vom Troianischen Krieg in die Heimat, da ihn Odysseus schwer gekränkt habe. Damit schafft er sich bei Philoktet gleich doppeltes Vertrauen, da dieser mit ihm heimfahren möchte und er einen Feind des Odysseus leichter als Freund akzeptieren kann. So fleht Philoktet ihn schließlich an, dass er mit an Bord kommen und zurück in die Heimat fahren darf. Neoptolemos willigt ein, und Philoktet ist außer sich vor Freude.
    Darauf tritt ein Kaufmann auf, der zu einem eiligen Aufbruch drängt – dies gehört ebenfalls zu Odysseus’ Plan. Der Kaufmann behauptet, ein ganzes Geschwader sei unterwegs, um Philoktet mit Gewalt nach Troia zu bringen. Philoktet fällt darauf herein und will nun eilig seine Sachen holen, um dann sofort aufzubrechen.
    Als den Kranken ein furchtbarer Schmerzanfall seiner Beinwunde überkommt, vertraut er, ehe ihm die Sinne schwinden, Neoptolemos seine Wunderwaffe an, der damit eigentlich am Ziel seiner Wünsche ist. Nachdem Philoktet eingeschlafen ist, rät der Chor Neoptolemos nun, mit dem Bogen zu verschwinden. Doch Neoptolemos kommen Zweifel über diese Vorgehensweise, er weigert sich, den Bogen zu stehlen und will, dass Philoktet gemeinsam mit seiner Waffe die Insel verlässt.
    Und als Philoktet wieder erwacht, seinen Bogen und Neoptolemos neben sich vorfindet und daher die Treue seines neuen Freundes preist, gesteht Neoptolemos zutiefst beschämt das falsche Spiel ein, das sich Odysseus ausgedacht hat.
    Philoktet wird wütend, will nicht mit nach Troia und fordert Neoptolemos auf, ihm den Bogen zurückzugeben, doch dieser weigert sich. Daraufhin klagt Philoktet sein Leid, ohne den Bogen könne er nicht jagen und müsse verhungern.
    Schließlich erscheint Odysseus selbst und befiehlt Philoktet, mitzukommen. Dieser will sich lieber vom Fels in den Tod stürzen. Auf diese Androhung hin lässt Odysseus Philoktet festnehmen. Philoktet flucht und ruft die Götter um Hilfe an. Odysseus will sich das nicht länger ansehen und befiehlt Neoptolemos, sich mit dem Bogen des Herakles an Bord des Schiffes zu begeben und Philoktet zurückzulassen, denn der Grieche Teukros vor Troia könne ebensogut mit dem Bogen umgehen. Philoktet bleibt mit dem Chor zurück und beklagt weiterhin sein Leid, der Chor bleibt ungerührt.
    Doch Neoptolemos hat großes Mitleid ergriffen, widersetzt sich der Anordnung des Odysseus und gibt die Waffe ihrem rechtmäßigen Besitzer zurück, der sie sogleich gegen Odysseus richtet. Neoptolemos kann gerade so verhindern, dass Philoktet den Verursacher seiner Einsamkeit tötet. Er versucht nochmals, Philoktet zu überreden, mit nach Troia zu kommen, doch dieser besteht darauf, dass Neoptolemos Wort hält und ihn zurück in die Heimat bringt. Neoptolemos lässt sich schließlich dazu überreden, befürchtet aber die Rache der Griechen. Philoktet verspricht, ihn zu beschützen.
    Nun erscheint Herakles auf einer Wolke, als „deus ex machina“. Er verkündet den Beschluß des Zeus, dass die Reise der beiden weiter nach Troia geht, und Philoktet dort von Asklepios von seinen Leiden befreit werden wird und schließlich Paris, den Verursacher des Krieges, mit seinen Pfeilen töten wird.
    In größter Freude, seinen Freund früherer Tage wiederzusehen, willigt Philoktet in das von Herakles gesagte ein und bricht mit Neoptolemos gen Troia auf.


    Epilog:


    Das mythologische Leben des Philoktet geht folgendermaßen weiter:
    Er kommt mit Odysseus und Neoptolemos am troianischen Ufer an. Sein Leiden wird dort von Asklepios, dem Gott der Heilkunst, beendet. Zudem erhält er von den Griechen als Wiedergutmachung für das Aussetzten auf der einsamen Insel sieben trojanische Jungfrauen, zwölf Dreifüße und zwanzig Rosse.
    Der wieder genesene Philoktet greift entscheidend in den troianischen Krieg ein, der sich in seinem zehnten und letzten Jahr befindet. Er tötet mit einem der Pfeile des Herakles den Paris, Sohn des Priamos und Entführer der Helena.
    Nach dem Krieg verschlägt es Philoktet nach Italien, wo er die Stadt Petilia gründet.

    Hallo!


    @Roland:

    Zitat von "Roland"


    ... und sie hätten dort auch nichts zu suchen. :breitgrins:


    Doch, doch! Es ist ja nach dem besten und nicht nach dem beliebtesten Werk gefragt. Allerdings läuft die Art der Kürung natürlich auf eine Beliebtheitsfrage heraus.


    Mecki:

    Zitat


    klar, es ist egal, wer da nun gewinnt, aber witzig ist es schon, wer und was da zur Wahl steht. Und nur aus Spaß an blödsinnigen Wetten sage ich jetzt, daß eben nicht so ein dummer Kracher gewinnen wird, sondern Ludwigs und Fritzens Freude. Das ist eben das Ergebnis, wenn der musikalisch desinteressierte D-Schwachmat seine Meinung äußern soll. Da das Horst-Wessel-Lied nicht zur Wahl steht, muß er wohl auf LvB zurückgreifen. Obwohl: Ist in Pisa-Deutschland überhaupt noch bekannt, was es mit diesem Wessel auf sich hat??


    Immer noch besser in "Pisa-Deutschland" zu leben als in "Wessel-Deutschland"! Du hättest das Lied doch nicht ernsthaft nominiert bzw. glaubst Du tatsächlich, daß es von vielen gewählt werden würde? Übrigens wäre die Schiller-Beethoven Ode ein würdiger Gewinner!


    Viele Grüße,
    Pius.

    Was mythologisch nach „Die Trachinierinnen“ und vor der Handlung des „Philoktet“ geschah:


    Vor einer Inhaltsangabe der „Philoktet“-Tragödie ist es zunächst wichtig zu berichten, was geschah, bevor die Bühnenhandlung einsetzt. Ich folge größtenteils dem Text von Wilhelm Kuchenmüller:


    Als Herakles auf dem Oita durch den Flammentod Erlösung suchte von den unerträglichen Qualen, war es sein treuer Waffengefährte Philoktet, der ihm die letzte Liebe erwies und den Scheiterhaufen entzündete. Zum Dank erhielt er Herakles’ nie fehlenden Bogen und die Giftpfeile, die in die Galle der Hydra getaucht waren.


    Nachdem Paris Helena von Sparta geraubt hatte, schloß sich Philoktet als einer der Anführer der griechischen Streitkräfte mit sieben Schiffen dem Heereszug Agamemnons gegen Troia an. Unterwegs widerfuhr ihm das Unglück, dass er auf der Insel Chryse ahnungslos den heiligen Hain einer Nymphe betrat und von einer giftigen Schlange, der Wächterin des Heiligtums, in den Fuß gebissen wurde.


    So fürchterlich waren die Schmerzen der unaufhörlich eiternden Wunde, dass sogar die Opferhandlungen des Griechenheeres durch seine Klagen gestört wurden. Da die Griechen seine Schmerzensschreie und die stinkende Wunde nicht ertragen konnten, wurde auf Befehl der beiden Heerführer der Unglückliche von Odysseus am Strand der unbewohnten Insel Lemnos ausgesetzt. Nur Bogen und Pfeile ließ man ihm, sein Geschwader fuhr mit nach Troia. Zehn Jahre lang erduldete Philoktet auf der Insel die Qual der Schmerzen, der Not, der Einsamkeit.


    Im zehnten Jahr wurde den Griechen vom Seher Helenos prophezeit, dass sie den Krieg um Troia nur mit Hilfe des herakleischen Bogens gewinnen könnten. Daraufhin wurden der Heerführer Odysseus und der junge Neoptolemos, Sohn des Achilles, nach Lemnos gesandt, um den Bogen zu holen. „Philoktet“ von Sophokles beginnt mit dem Landgang der beiden und ihres Gefolges nach der Ankunft an der Küste von Lemnos…


    Fortsetzung folgt,
    Pius.

    Hallo!


    Zitat von "Steffi"


    Na, diese Frage hat mir jetzt eine Weile Nachdenken beschert - bzw. Nachforschen, denn das erste Reclam, an das ich mich erinnere war eine Geschichte über den Inka-Herrscher Atahualpa, gelesen in der Schule, vermutlich 7. Klasse und ich hab auch den Titel gefunden:
    Jakob Wassermann : Das Gold von Caxamalca


    Also, ich bin mir fast sicher, daß mein erstes Reclam ebenfalls "Das Gold von Caxamalca" von Jakob Wassermann war. Möglicherweise auch in der 7. Klasse. Mich hat diese Geschichte aber nie vom Stuhl gerissen.
    Als Kandidaten für mein erstes Reclam kommen noch Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre" und "Kleider machen Leute" von G. Keller in Frage - aber ich glaube, das war jeweils später.


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Gitta!


    Mein Hamlet-Bild hat sich durchaus gewandelt. Der Olivier-Film hatte ihm voll und ganz entsprochen, deshalb war ich von diesem Film so begeistert. Nach intensiver Beschäftigung mit der Figur des "Hamlet" (auch durch Sekundärliteratur), die mich einfach nicht losließ, änderte sich meine Auffassung des Shakespeare-Stücks und seiner Hauptperson. Branaghs Hamlet kommt dem näher als Oliviers, trifft ihn aber auch nicht ganz.
    Zu dem "wie Du ihn nicht magst, weich, melancholisch, dazu passend grüblerisch und zweifelnd"-Hamlet hat Maximilian Schell gesagt: "Die Deutschen haben Hamlet mit Werther verwechselt."
    Ich sagte, daß ich den Olivier-Film nicht mehr überragend finde, aber sehr gut ist er allemal. Meine Meinung ändert ja nichts an Oliviers grandioser Leistung, und Regie und Drehbuch (einige interessante Änderungen des Originals) sind ebenfalls sehr gut.


    Worüber wir als nächstes sprechen könnten: Wer kennt Macbeth-Verfilmungen?


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Mecki


    Da hat man ja wirklich die Qual der Wahl... :breitgrins:


    Ich vermisse da Beethovens späte Streichquartette oder die Kunst der Fuge von Bach... :grmpf:
    (nicht, daß ich sie dort erwartet hätte)


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Gitta!


    Zitat

    ja, der Hamlet-Film ist sehr beeindruckend, schon gleich die erste Szene, schaurig!


    Du meinst den Film mit Lawrence Olivier, oder?
    Der hat mich auch begeistert. Nach intensiven Beschäftigungen mit Shakespeares Drama finde ich den Film nicht mehr so überragend. Hamlet wird zu melancholisch und zu zart dargestellt.
    Mein Hamlet-Favorit ist Kenneth Brenagh. Sein Hamlet-Film ist zwar fast vier Stunden lang, aber ein großes Erlebnis. Voll zufriedenstellend ist der Film nicht, und es wundert mich nicht, daß er so umstritten ist - aber dennoch: große Kunst!


    Viele Grüße,
    Pius.

    Nun einige Anmerkungen zu "Die Trachinierinnen". Als "Aufhänger" benutze ich eine im Internet gefundene Lehrveranstaltungsbeschreibung von T. Poiss an der Humboldt-Uni in Berlin:


    Die Trachinierinnen fanden lange Zeit wenig Beachtung; erst in jüngerer Zeit häufen sich die Untersuchungen und Interpretationen zu diesem schon allein stofflich interessanten Stück. Herakles, der größte aller griechischen Heroen, kehrt nach der Eroberung Oichalias heim zu seiner Frau Deianeira und dem gemeinsamen Sohn Hyllos, wobei er die in Oichalia erbeutete Iole mitbringt. Beim Versuch, die Liebe ihres Mannes zurückzugewinnen, versehrt Deianeira Herakles tödlich durch ein mit dem Blut des Kentauren Nessos getränktes Gewand; Deianeira tötet sich; der sterbende Herakles vermählt Hyllos mit Iole. Jede Andeutung auf die bei der Verbrennung auf dem Oita erfolgende Apotheose des Herakles fehlt – unterdrückt Sophokles diese Perspektive absichtlich oder sollen die Zuschauer sie von selbst hinzudenken? Mit dem gewaltigsten Schlußsatz aller erhaltenen Tragödien – „Nichts von alledem, das nicht Zeus ist.“ – muß der moderne Interpret wie die ersten Zuschauer selbst fertig werden.
    Man kann also das Stück unter dem Gesichtspunkt der Theodizee lesen; man kann soziologische Aspekte oder solche der gender-Forschung hervorheben – Deianeira und Herakles begegnen einander nie direkt; die Welt des Ungeheuertöters Herakles kollidiert mit dem zivilisierten Raum des weiblichen oikos: Wie wird dieser Kontrast konstruiert? Welche Wertungen impliziert die Darstellung? –; man kann die Heimkehr-Handlung formal mit einem auf Riten gerichteten Blick analysieren – wie unterscheidet sich der Herakles-nostos von analogen Heimkehrer-Geschichten (Agamemnon, Odysseus)? – und man muß für alle diese Fragen den Text genau lesen. Die Praxis des close reading erweist sich gerade für Sophokles als besonders ergiebig, weil dieser selbst unter den hohen Standards der Antike eine Ausnahmestellung einnimmt. Kein antiker Autor hat so präzise und genau Großkompositionen aus Wörtern gefügt wie er. Zu zeigen, was die Sophokleische Kunst leistet, d.h. wie das reine Sprachkunstwerk die Welt und ihre Deutung heute wie damals verändern kann, das ist das Ziel dieser Lektüreübung. Wozu auch würden wir sonst antike Texte lesen?


    Ich gehe zunächst mal auf die relative Unbekanntheit des Stückes ein. Im Nachwort der Reclam-Ausgabe schreibt der Übersetzer Walther Kraus einiges darüber:
    Neben dem nichtssagenden Titel sind die Gründe wohl vor allem literarische und strukturelle Eigenschaften des Dramas.
    Von Schlegel stammt beispielsweise die Auffassung, daß das Werk "an Wert so tief unter den übrigen auf uns gekommenen des Sophokles steht", daß er vermutete, es stamme gar nicht von ihm. Dieses harte Urteil kann ich nicht überhauptnicht teilen.


    Zum Nachteil des Stückes hat man auch angeführt, daß es in zwei ungleiche Teile zerfällt, deren jeder seine eigene Hauptperson hat, so daß man von einem "Helden", der die Einheit der Tragödie begründete, nicht reden kann.
    Deianeira beherrscht drei Viertel des Spiels und hat hier zweifellos die Eigenschaften, die nach Aristoteles den tragischen Helden ausmachen. Aber im letzten Viertel wird ihr ihr Recht offenbar verweigert. Herakles tritt an ihre Stelle, doch ... er scheint, wenigstens bei den heutigen Lesern, nicht diejenige Sympathie zu finden, die nötig ist, damit man an seinem Schicksal, mit ihm leidend und für ihn fürchtend, Anteil nimmt. Einen grobschlächtigen Sinnen- und Kraftmenschen hat man ihn genannt, nicht sympathisch, ja sogar abstoßend gefunden und ein großer Philologe und Humanist ist so weit gegangen, den Titel des "besten Mannes", der Herakles zweimal im Stück verliehen wird, als von Sophokles ironisch gemeint zu verstehen.


    Soweit Walther Kraus. Er führt danach aus, daß das Herakles-Bild der Sophokles-Zeit ein vollkommen anderes war, Herakles als vielbewunderter, verehrter, volkstümlicher Held tatsächlich als "bester aller Männer" galt. Dies ist für den heutigen Leser nur anhand "Die Trachinierinnen" nicht nachvollziehbar, da seine Verfehlungen darin ihn eher unsympathisch machen. Aber, wie gesagt, Sophokles' Absicht war das nicht, er hatte selbst einen starken persönlichen Bezug zu diesem Heroen: Es wird berichtet, daß ihn eine Traumerscheinung des Herakles einen von der Akropolis gestohlenen Goldenen Kranz hat finden lassen. Von der Belohnung soll er ein Heiligtum des Herakles Menytes gestiftet haben.


    Unumstritten ist aber, daß Sophokles mit Deianeira eine herausragende tragische Figur geschaffen hat. Schiller dazu: "wie individuell ... und doch wie tief menschlich, wie ewig wahr und allgemein".


    Herakles scheitert schließlich an seinem zu wenig entwickelten, "unreifen" Bezug zum Weiblichen, was aber vielen griechischen Sagenhelden anhaftete (man erinnere sich an Iason und Medea oder an Theseus und Ariadne). Deianeira tut mit ihrer Reaktion (so verständlich sie sein mag) das Übrige. Im Reclam-Schauspielführer steht: "Das Stück scheint unter dem Einfluß des Euripides zu stehen mit seiner Schilderung von Leidenschaften um ihrer selbst willen."
    Ist es ein "Eifersuchts-Drama"? Nietzsche dazu: "Die Trachinierinnen, keine Eifersuchtstragödie. Der Liebeszauber wird zum Unglück. Die Liebe verblendet das Weib zu einer dummen That. Die Vernichtung aus Liebe."
    Aber auch das ist nur ein Aspekt der Tragödie.


    Warum hat Sophokles keine Andeutung auf Herakles' bevorstehende Apotheose ins Drama eingebunden? Er kann diesen Fortgang des Herakles-Mythos als dem Publikum bekannt vorausgesetzt haben. Ich denke, er wollte bewußt vor allem die menschliche Seite des Herakles in den Vordergrund stellen und auch das Werk tragisch enden lassen.


    Was den Gesichtspunkt der Theodizee betrifft, den man im Schlußwort „Nichts von alledem, das nicht Zeus ist“ erblicken mag, muß man eher aus dem Gottes- und Menschenbild der Sophokles-Zeit heraus mit der deutung ansetzen. Den Begriff "Theodizee" beispielsweise gibt es ja erst seit Leibni(t)z.
    Ich denke, es wird sich lohnen, irgendwann in einem Exkurs auf den Umgang mit dieser Fragestellung in der Antike einzugehen, besonders auf den Begriff der "tragischen Schuld" und die Bedeutung der Orakelsprüche.


    Auch zur altgriechischen Dramentheorie, wie sie in der "Poetik" des Aristoteles beschrieben ist, werde ich noch etwas schreiben. Mit diesem Wissen ist der Zugang zu Sophokles' Werk leichter.


    Zu guter letzt möchte ich noch auf das mir selbst unbekannte Werk "Die Frauen von Trachis" von Ezra Pound hinweisen, ein Nachdichtung des Sophokles-Werks in der Moderne.


    Als nächstes Werk werde ich hier irgendwann "Philoktet" vorstellen.

    Hallo, Finsbury!


    Zitat


    gerade habe ich die wiederholte Lektüre der "Antigone" des Sophokles beendet. Ein großartiges Werk!


    Ja, wahrhaftig! :klatschen: Für mich eines der ganz großen Werke der Literaturgeschichte. Hoffentlich kommt Dir "Die Trachinierinnen" direkt danach nicht zu "unbedeutsam" vor, was es natürlich nicht ist. :smile:


    Zitat


    Nachdem ich mich längere Zeit mit Aischylos beschäftigt hatte, wirkt Sophokles ungeheuer modern und zwar sowohl in seinen Inhalten (z.B. der großartige Chor über die Größe und Gefährdung des Menschen) als auch in der Ausformung seiner Charaktere: Die Menschen erhalten individuelle Züge, würden durchaus auch in ein Shakespeare-Stück passen.


    Unglaublich! Genau meine Meinung, sowohl bezüglich Aischylos, als auch bezüglich Shakespeare!
    Sophokles und Shakespeare sind für mich ohnehin die Größten! :bang:


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Dietrich!


    Schön, hier noch jemanden zu treffen, der auch Mathematik studiert hat. Ich bin allerdings noch dabei.


    Du hast viele Werke gelesen, die ich auch irgendwann mal lesen möchte. Dein Lesetempo ist beeindruckend. Allein an der Ilias hatte ich fast ein halbes Jahr geknabbert.


    Wie kommt es, daß Du in der Antike Sophokles übersprungen hast? (das ist der, der meinen Avatar ziert)


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Alpha!


    Ich bemerke Deine Frage erst jetzt und empfehle Dir auch die Lektüre von "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" von Calvino. Auch wenn er nicht 100%ig Deine Kriterien erfüllen sollte, ist er ein großes Lese-Vergnügen und der "durchgeknallteste" Roman, den ich je gelesen habe. Auf jedenfall lesenswert!


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo, Leila!


    Interessant! Diesen "Richard III."-Film kenne ich noch nicht. Mit L. Olivier kenne ich nur den berühmten "Hamlet".


    Ich hatte allerdings mal die ersten zwei Minuten des "Richard III."-Films von 1995 mit I. McKellen gesehen. In der ersten Szene ist ein Panzer durch eine Hauswand gefahren, und dann trat Richard in Nazi-Uniform auf (wie einige andere auch). Dann war ich breits bedient...


    Viele Grüße,
    Pius.

    Hallo!


    In diesem Thema soll über Verfilmungen von Shakespeare-Dramen diskutiert werden. Ich kenne da so einige, will aber erst mal abwarten, welche Filme von anderen genannt werden. Es wäre schön, wenn Ihr zu jedem Film schreiben könntet, warum ihr ihn für eine (sehr) gelungene Verfilmung haltet oder für eine (sehr) mißlungene.
    Na gut, ich nenne schon mal meinen Favoriten in dieser Film-Spate, zu dem ich noch ausführlicher etwas schreiben werde: Es ist "Heinrich V." von und mit Kenneth Brenagh.


    Viele Grüße,
    Pius.

    DIE TRACHINIERINNEN:


    Diese Sophokles-Tragödie habe ich gerade erst zum ersten mal gelesen. Sie ist hierzulande auch unter dem Titel "Der Tod des Herakles" bekannt - oder auch nicht bekannt.
    Sie ist in der Reclam-Universalbibliothek als Nr. 670 erhältlich.


    Die Datierung dieses Werkes ist sehr schwierig. Die meisten sind inzwischen der Ansicht, daß es vor "Antigone" entstanden sein muß. Wahrscheinlich ist es aber nach "Ajax" entstanden, vielleicht aber doch das älteste überlieferte Sophokles-Drama.


    Zum INHALT (teilweise dem Reclam-Schauspielführer entnommen):


    Deianeira erwartet in Trachis mit Sorge ihren Gatten Herakles, der zu neuen Taten ausgezogen ist und von dem sie seit fünfzehn Monaten nichts gehört hat. Herakles ist nämlich prophezeit worden, daß dies seine letzten Heldentaten sein werden und zu genau der Zeit, zu der das Drama spielt, seine ihm auferlegten Mühen ein Ende haben werden. Sahen Herakles und Deianeira den Orakelspruch zunächst als Zeichen eines bevorstehenden glücklichen Lebensabends, so fürchtet sie nun, daß der Spruch durch Herakles' Tod in erfüllung gehen könnte.
    Eben will ihr gemeinsamer Sohn Hyllos auf Deianeiras Geheiß ausziehen, ihn zu suchen, als der Bote Lichas die frohe Botschaft überbringt, daß Herakles auf der Rückkehr begriffen ist. Die Kriegsbeute schickt er in Gestalt der schönen Jungen Iole voraus. Diese ist jedoch mehr als das, wie Deianeira alsbald zu ihrem Kummer erfahren muß. Sie ist die neue Geliebte und Verlobte des Herakles.
    Deianeira hat derartige Situationen während ihrer Ehe mit Herakles schon mehrfach erlebt und gewährt Iole zunächst großzügig Unterhalt. Sie will aber Herakles nicht kampflos aufgeben und schließlich schreitet sie zur Tat, sich erinnernd an folgendes:
    Einst wurde sie vom Zentauren Nessos über einen Fluß getragen, dieser vergriff sich aber an ihr und wurde daher von Herakles mit einem vergifteten Pfeil erlegt. Der sterbende Nessos vertraute Deianeira, da sie die letzte war, die er trug, an, daß das aus seiner Wunde strömende Blut ein Liebes-Zaubermittel sei. Sie solle es auffangen und im Dunkeln aufbewahren. Denn wenn Herakles damit in Berührung käme, würde er keine andere Frau mehr lieben.
    Deianeira holt das aufbewahrte Blut des Nessos hervor und bestreicht damit das Festgewand, das sie Herakles zum Willkommen entgegensendet, in der Hoffnung, daß es den Gatten aufs Neue in Liebe zu ihr entflammen würde.
    Kaum hat sie es Lichas mit auf den Weg gegeben, erfaßt sie Zweifel und Furcht, daß Nessos sie betrogen haben könnte, um sich an erakles zu rächen - doch diese Gedanken kommen ihr zu spät: Schon bringt Hyllos die furchtbare Kunde, daß das Gewand sich in die Haut des Helden eingebrannt hat, sobald es mit Licht in Berührung kam, und ihn nach und nach unter entsetzlichen Qualen verzehrt.
    In wilder Verzweiflung tötet sich Deianeira daraufhin selbst.
    Herakles ist außer sich vor Wut und Schmerz und tötet zuerst Lichas, der ihm das Gewand überbracht hat. Dann läßt er sich auf einer Bahre nach Trachis tragen, voll Zorn auf seine Gattin. Dort berichtet ihm Hyllos genau, was Deianeira getan hat und daß sie sich aus Schuldgefühl umgebracht hat.
    Herakles kann ihr verzeihen und sieht den alten Orakelspruch bestätigt, daß kein Lebender ihn jemals töten könne - dies blieb dem schon lange toten Nessos vorbehalten.
    Der sterbende Herakles befiehlt dem Sohn, Iole zu heiraten und ihn selbst zur Verbrennung auf das Oita-Gebirge zu bringen.
    Das Schlußwort in dieser Tragödie hat der Chor (bestehend aus den Frauen von Trachis, nach denen das Werk benannt ist) : "Und nichts in alledem, was nicht Zeus ist."


    In meinem nächsten Beitrag werde ich dann Kommentare zu dem Stück (be)schreiben.