Hallo Bloom,
das ist nett von Dir, dass Du mir noch Gesellschaft leistest :smile: Sorry, dass ich mich solange nicht gemeldet habe.
Das "Riesenhuhn" war für die Handlung völlig unwichtig, ich fand nur den Ausdruck in Zusammenhang mit der hochgestochenen Diotima ganz witzig.
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Clarissa ist aus meiner Sicht die „Parallelaktion“ zum Lustmörder. Sie ist eine Lustmörderin, jedoch nicht im Sinne, dass sie aus Lust mordet, sondern sie mordet ihre eigene Lust. Erkennbar ist das auch in ihrer Faszination, an dem Kranken, in dem sie sich spiegelt. Sie wäre aber keine Frau, wenn sie sich nicht vergewissern müsste, dass sie für Männer attraktiv ist, und sie erprobt das an dem Mann von dem sie erwarten kann, dass er ihr widersteht, weil Ulrich als MoE über den Dingen schwebt und auch als Freund ihres Mannes gewisse Hemmungen hat. Ihn kann sie gefahrlos bewundern, während sie andere Männer, die sich zu ihr hingezogen fühlen, verachtet.
Deine Charakterisierung von Clarisse finde ich schlüssig. Ihre Faszination für den Wahnsinn kommt in den späteren Kapiteln noch sehr deutlich zum Ausdruck; sie schafft es ja auch tatsächlich, Moosbrugger in der Anstalt zu besuchen. Interessant fand ich hier, dass Musil sie wiederholt als "auf dem Weg in den Wahnsinn" bezeichnet; ansonsten lässt er ja alles recht wolkig und den Leser seine eigenen Schlüsse ziehen.
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Ulrich und Gerda; Geschwisterliebe ist natürlich ein Tabu, soweit mir bekannt ist, auch heute noch strafbar, wenn sie sich sexuell ausdrückt. Verstanden habe ich die Beziehung in MoE nicht. Gerda ist bei allem Anspruch auf Selbstständigkeit unsicher und leichtsinnig in ihren Entschlüssen, was sich in der überstürzten Heirat ausdrückte. Bestimmt durch ihren autokratischen Vater könnte es sein, dass sie in Ulrich eine Vaterfigur sieht und Ulrich mit gleichem Hintergrund eine Beschützerrolle spielt. Zu Psychoanalytiker eigene ich aber nicht und was ich geschrieben habe ist mehr oder minder zusammen gesponnen. Vielleicht können andere aus dem Forum zur Aufklärung beitragen oder die Debatte anheizen.
Ich glaube, dass Gerda zu den Personen gehört, von denen man in den fehlenden Kapiteln noch sehr viel mehr erfahren hätte. Aber auch dann wäre es natürlich schwierig, ihr Handeln einzuschätzen. Auf mich macht sie jedenfalls auch einen sehr unsicheren und unglücklichen Eindruck.
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Die Bemerkung von StephenDedalus habe ich übrigens auch nicht verstanden.
Das beruhigt mich, mir ging es nämlich genauso.
So, und jetzt meine Erfolgsmeldung: ich habe den MoE in der Zwischenzeit beendet. Bis zum Schluss habe ich allerdings auch nicht gelesen; nach "Agathes Traum" (in meiner Ausgabe die Seite 1509) wurde mir das Ganze dann doch zu fragmentarisch und stückhaft.
Ein Fazit zu diesem Buch fällt mir schwer. Ich habe sicher schon einige Werke nicht verstanden, aber es ist mir nie so deutlich geworden wie bei diesem. Das Buch erscheint mir wie ein Mosaik, bei dem nicht nur einige Teile fehlen, sondern (mir jedenfalls) auch noch der Hintergrund; ich merke zwar, dass Musil hier Geschichte, Psychologie, Mystik... verwebt, aber um es einordnen zu können, fehlt mir schlicht das Hintergrundwissen.
Trotzdem bereue ich nicht, den MoE gelesen zu haben, denn viele Stellen werden mir noch lange zu denken geben; auch hat mir der Stil sehr gefallen, Sätze wie "...die Landschaft war grün und kühl mit blutigen Streifen; die Welt war noch immer niedrig und reichte Clarisse, die auf einer kleinen Anhöhe stand, nur bis an die Knöchel." oder "Ein geräuschloser Strom leichten Blütenschnees schwebte, von einer abgeblühten Baumgruppe kommend, durch den Sonnenschein, und der Atem, der ihn trug, war so sanft, dass sich kein Blatt regte." sind poetisch schön. Und nicht zuletzt waren auch die immer wieder aufblitzenden Seitenhiebe auf die Gesellschaft, Kakanien, den Adel... sehr amüsant.
Sehr bedauerlich, dass Musil den MoE nicht beenden konnte. Es würde mich schon sehr interessieren, wie er ihn hätte enden lassen, was auch Clarisses Wahnsinn geworden wäre, wie sich Ulrich und Agathe weiterentwickelt hätten, wie die Parallelaktion endgültig versandet wäre, wie der Krieg die Geschichte beeinflusst hätte (eines der fragmentarischen Kapitel spielt ja tatsächlich schon während des Kriegs - ich hatte immer gedacht, dass dieser im MoE gar nicht auftaucht).
Trotzdem: ein sehr lohnendes Buch. Und eins, das (zumindest in Teilen) schon fest auf der Wiederleseliste steht.
Liebe Grüße
Manjula