Beiträge von Manjula

    Guten Morgen,


    mal wieder eine Zwischenmeldung. Ich bin in Kapitel 56 angelangt und finde die Entwicklung der Parallelaktion sehr amüsant. Diotimas Vorschläge in Kapitel 44 erinnern mich fatal an die Handlungsweise der heutigen Politiker: erst mal 2,3 oder auch 10 Ausschüsse bilden, dann wird das ganze schon laufen. Und in Kapitel 56 wird dann beschrieben, wie es läuft:


    Zitat

    Ein Apparat war da, und weil er da war, musste er arbeiten, und weil er arbeitete, begann er zu laufen, und wenn ein Automobil in einem weiten Feld zu laufen beginnt, und es säße selbst niemand am Steuer, so wird es doch einen bestimmten, sogar sehr eindrucksvollen und besonderen Weg zurücklegen.


    Tja, nur wohin? Zur Asservation wahrscheinlich :zwinker:


    Musil greift auch wieder das Thema der immer komplizierter werdenden Welt auf, z.B. als er Walter in Kap. 54 klagen lässt, es gebe keine Bildung mehr im Goetheschen Sinn. Oder in Kapitel 49 in Arnheims Aussagen über die Kunst: „Allgemeine Zerrissenheit, Extreme ohne Zusammenhang.“ Und mit diesen Worten beschreibt Musil eine Welt, die fast 100 Jahre von uns entfernt ist – faszinierend.


    Sehr gut finde ich auch die plastischen Beschreibungen, z.B. von Fischels Eheleben in Kapitel 51:


    Zitat

    Gemeinsame Schlafräume aber bringen einen Mann, wenn sie verfinstert sind, in die Lage eines Schauspielers, der vor einem unsichtbaren Parkett die dankbare, aber schon stark abgespielte Rolle eines Helden darstellen muss, der einen fauchenden Löwen vorzaubert. Seit Jahren hatte sich Leos dunkler Zuschauerraum dabei weder den leisesten Applaus noch das geringste Zeichen von Ablehnung entschlüpfen lassen…


    Welch elegante und gleichzeitig bissige Schilderung eines eingeschlafenen Ehelebens.


    Und diese Stelle in Kapitel 45 hat mir auch sehr gefallen:


    Zitat

    Man kann stehn oder gehn, wie man will, das Wesentliche ist nicht, was man vor sich hat, sieht, hört, will, angreift, bewältigt. Es liegt als Horizont, als Halbkreis voraus, aber die Enden dieses Halbkreises verbindet eine Sehne, und die Ebene dieser Sehne geht mitten durch die Welt hindurch. … Und da er (der Mensch) durchs Leben dringt und Gelebtes hinter sich lässt, bilden das noch zu Lebende und das Gelebte eine Wand, und sein Weg gleicht schließlich dem eines Wurms im Holz, der sich beliebig winden, ja auch zurückwenden kann, aber immer den leeren Raum hinter sich lässt.


    Mir gefallen diese immer wieder zwischen die eigentliche Handlung eingestreuten Gedanken, die viel Stoff zum Nach-Denken geben. Ich bin mir schon fast sicher, dass dies ein Buch ist, das ich alle paar Jahre wieder lesen und immer wieder Neues entdecken kann.


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo zusammen,


    ja, Imrahil, meinen ersten Eindruck von der leichten Lesbarkeit musste ich auch revidieren. Der Text ist sehr dicht und komplex. Die Konzentration, die ich ihm schenken muss, lohnt sich aber!


    Ich bin zwischenzeitlich im 43. Kapitel angekommen. Die Geschichte um die Parallelaktion gewinnt langsam an Kontur; es ist natürlich schon etwas spaßig, dass ausgerechnet ein Preuße hier den entscheidenden Schwung verleihen soll. Die Spannungen im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn werden bisher nur angedeutet, ich bin gespannt, ob und wie diese weiter dargestellt werden. Was mich an der Parallelaktion etwas wundert, ist, dass keiner der Beteiligten in Erwägung zieht, dass der Kaiser das Jubiläumsjahr evtl. nicht erleben könnte - er war ja nicht gerade der Jüngste. Ich bin jedenfalls sehr neugierig, was die weitere Handlung angeht.


    Zitat von "Imrahil"

    Trotzdem werden MoE, Ulsysses und A la recherche du temps perdue von Proust in Kanones und literaturwissenschaftlichen Texten stets in einem Atemzug genannt. Was Musil angeht, halte ich die hohe Meinung bisher für berechtigt. Allein die vielen geistreichen Gedanken, Beobachtungen und Formulierungen die der Text enthält, gerade die Stelle über den Geist im 40.Kapitel finde ich hervorragend.


    Ulysses habe ich auch noch nicht gelesen, aber die Leserunde zu "In Swanns Welt" ist bei mir noch ganz frisch. Der Stil ist mE nicht vergleichbar, aber beide Autoren überraschen und begeistern mich mit ihrer Sprachgewalt. Was mir an Musil besonders gefällt, sind die bissigen Stellen, die er ab und an einstreut, wie z.B.


    Zitat

    Es ist ja sehr natürlich, zu denken, dass der Mensch, der sich von fachlich gebildeten Ärzten behandeln lässt, wenn er krank ist, und nicht von Schafhirten, keinen Grund hat, wenn er gesund ist, sich von hirtenähnlichen Schwätzern behandeln zu lassen, wie er es in seinen öffentlichen Angelegenheiten tut...


    oder über Graf Leinsdorf:


    Zitat

    [er war] zeitlebens gehindert, in einem Buch etwas anderes zu erkennen als Übereinstimmung oder irrende Abweichung von seinen eigenen Grundsätzen...


    Und noch ein Zitat:


    Zitat

    Diotimas Gesellschaften waren berühmt dafür, dass man dort an großen Tagen auf Menschen stieß, mit denen man kein Wort wechseln konnnte, weil sie in irgendeinem Fach zu bekannt waren, um mit ihnen über die letzten Neuigkeiten zu sprechen, während man den Namen des Wissenbezirks, in dem ihr Weltruhm lag, in vielen Fällen noch nie gehört hatte.


    Also ist es offensichtlich Augenwischerei zu glauben, die Welt sei erst in letzter Zeit so kompliziert und undurchschaubar geworden :zwinker:


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    den Stil in "Combray" habe ich auch als "dichter" empfunden als im dritten Teil. Im ersten Teil war es für mich, als könnte ich die Eindrücke sehen, riechen, schmecken...das war in "Ortsnamen..." nicht so intensiv. Trotzdem hat mir auch dieser Teil sehr gut gefallen. Wenn ich auch wohl einiges überlesen habe - die Stelle mit den Flieder-Tauben war mir nicht aufgefallen. Aber das macht ja den Austausch in einer Leserunde so schön :smile:


    Den zweiten Band würde auch gern gemeinsam mit Euch lesen und werfe als Termin einfach mal den März in die Runde - wie sieht es bei Euch aus?


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    Bloom, Du hast schon die ersten beiden Teile gelesen? :ohnmacht: Und ich war schon stolz, bis Seite 79 gekommen zu sein. Zu Deinem Eintrag kann ich deshalb leider noch nicht viel sagen, außer: er macht mich umso neugieriger auf das Buch.


    Na, ich poste trotzdem mal meine bisherigen Eindrücke. Die Handlung baut sich bis jetzt ganz langsam auf (wenn es denn eine gibt - Deinem Eintrag nach eher nicht :zwinker:). Welche Position die vorgestellten Personen wie Clarisse, Walter, Bonadea und Moosbrugger einnehmen, ist noch unklar. Der Text liest sich jedoch flüssig und gefällt mir bisher gut. Ich habe nicht das Gefühl, ein "altes" Buch zu lesen, an einigen Stellen zeigen sich erstaunliche Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen: bei der Schilderung, wie die Presse Moosbruggers brutales Vergehen aufnimmt, musste ich z.B. an die betroffen-sensationsheischende Berichterstattung über Kindstötungen, Kampusch etc. denken.


    Ich lese übrigens die Ausgabe aus dem Rowohltverlag.


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    hier ein paar Materialien:


    - ein Vortrag auf der Homepage der Humboldtgesellschaft zum MoE
    - eine Rezension von Milan Kundera
    - und zum Schluss noch der wikipedia-Eintrag (bewusst am Schluss, denn darüber steht "Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf bitte mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung" :zwinker:


    sandhofer: danke fürs Eröffnen


    Grüße
    Manjula

    Hallo zusammen,


    ja, der dritte Teil unterscheidet sich wieder ganz stark von dem zweiten. Die Landschaftsschilderungen sind sehr intensiv; das Wort „Bilderflut“ trifft es genau.


    Und dann wieder eine so ausschließliche, fast wahnhafte Liebe. Und wieder ist es unklar, welche Gefühle die Geliebte hegt. Anscheinend kann Marcel aber das fast Wahnhafte seiner Gefühle besser begreifen als Swann: z.B. als er beim Ausbleiben seiner Großmutter einen Verkehrsunfall vermutet, diesen aber vor allem deshalb schrecklich findet, weil er dann einige Zeit nicht in die Champs-Elysées gehen könnte: hier merkt er, dass das nicht „normal“ sein kann und findet zu der Erkenntnis „Man liebt niemanden mehr, wenn man liebt“.


    Später beschreibt er, wie seine Liebe quasi spiralenartig wächst: „da man stets den Wunsch hat, für seine Leidenschaft eine Begründung zu finden und glücklich ist, in dem Wesen, das man liebt, Vorzüge zu erkennen (…) und sich diese, indem man sie nachbildet, zu eigen und zu neuen Gründen seiner Liebe macht…“ Er redet sich ja quasi die guten Eigenschaften von Gilberte ein, um sich eben wegen dieser noch stärker in sie zu verlieben. Seine Liebe wächst also aus ihm selbst und hat mit der „Geliebten“ gar nicht so viel zu tun; sie ist eher seine Projektionsfläche (wie bei Swann). JMaria, Du hast damit:


    Zitat

    Eine Liebe von Swann. Nicht DIE, sondern EINE ... viel zu unbestimmt und sozusagen ist der Partner garnicht wichtig in dem Buch, außer um diese Liebe zu erklären.


    dasselbe gemeint, oder?


    Jedenfalls hat mich dieser Teil sehr gefesselt und ich bin deshalb sehr schnell am Ende angekommen. Und was für ein schöner Satz auf der letzten Seite: „…mich verstehen lehrten, welcher Widersinn darin liegt, wenn man die Bilder der Erinnerung in der Wirklichkeit sucht, wo immer der Reiz ihnen fehlen muss, der im Gedächtnis wohnt und mit den Sinnen nicht wahrgenommen werden kann.“


    Schön.


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo Zefira,


    vielen Dank für den Link, ich habe mir Eure Diskussion ausgedruckt und werde sie dann parallel zur Lektüre lesen. Beim ersten Überfliegen habe ich gesehen, dass der Zugang einigen Teilnehmern nicht so leicht fiel, das hat mich schon mal beruhigt.


    Falls Du Lust auf den SUB-Wettbewerb hast, die Anmeldefrist läuft bis 31.12. :zwinker:


    Schönen Sonntag noch.


    Liebe Grüße
    Manjula

    Hallo zusammen,


    von Margriet de Moor habe ich "Erst grau dann weiß dann blau" im Regal stehen. Ich habe es vor Jahren angefangen und abgebrochen, weil ich einfach keinen Zugang gefunden habe. Im Rahmen des SUB-Wettbewerbs im Großen Forum werde ich dieses Buch jetzt nochmal angreifen. Hat es jemand unter Euch schon gelesen, und wie fandet Ihr es?


    Schöne Grüße
    Manjula


    Dann haben wir vielleicht einen Mitleser mehr? :smile:


    Sehr interessant, Deine Anmerkungen zum Satzspiegel. Ich habe den MoE auch schon einmal abgebrochen und könnte im Nachhinein gar nicht sagen warum. Vielleicht lag es ja tatsächlich am Buchsatz. Nun, das wird ja nächstes Jahr festgestellt.


    Grüße & ein schönes Wochenende
    Manjula

    Hallo zusammen,


    fürs Protokoll: dann beginnen wir am 01.01.2007 und Teilnehmer sind Imrahil, Bloom, giesbert als Zaungast und meine Wenigkeit, richtig? Weitere Mitleser sind natürlich willkommen.


    Sehr schön, ich bin schon sehr gespannt auf diese Leserunde.


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo Imrahil,


    im Dezember wird es bei mir nichts mehr, aber im Januar könnte ich anfangen. Kommt Dir das entgegen? Bloom, wie sieht es bei Dir aus?


    Ich freue mich schon auf die gemeinsame Lektüre :smile:


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    ich bin inzwischen an der Stelle angelangt, an der Swann von dem Spaziergang mit Odette, Napoleon III. und Marcels Großvater träumt.


    Es wird immer eindringlicher geschildert, wie sehr Swann Odette verfallen ist. Es widerstrebt mir immer noch, diese Besessenheit Liebe zu nennen, aber es ist auf jeden Fall ein so starkes Gefühl, wie es wohl viele Menschen nie kennen lernen. Swann hat nichts anderes mehr im Kopf als Odette, seine alten Freunde sind ihm nur noch wertvoll, wenn sie ihm etwas von ihr erzählen können, selbst Prostituierte fragt er nach ihr aus. Auch der Erzähler spricht von „krankhaften Gefühlen“ Swanns. Ich finde diese Schilderungen faszinierend – wie quälend muss eine solche Liebe sein.


    Besonders deutlich kommt das in der Szene mit Odettes „Frauengeschichten“ heraus. Die ausweichenden Antworten Odettes sind eine Qual für ihn, aber er kann es nicht lassen, weiter zu fragen. Ihre Erwiderung „ich weiß es nicht mehr, vielleicht, vor sehr langer Zeit einmal…zwei- oder dreimal vielleicht“ ist aber auch mehr als merkwürdig. Auch wenn sie sehr viele Beziehungen hatte und – wenn die Gerüchte stimmen – auch in Stundenhotels geht, ist ein intimes Erlebnis mit einer Frau doch wohl trotzdem etwas Außergewöhnliches, das man nicht „halb vergisst“. Oder wollte sie ihn nur eifersüchtig machen?


    Odette ist für mich sowieso nach wie vor ein schwer fassbarer Charakter. Eine Eigenschaft, die ihr mehrfach zugeschrieben wird, ist ihre geringe Intelligenz (die Stelle, an der M. Verdurin sich darüber lustig macht, dass Swann versucht, sich mit ihr über Musik zu unterhalten, fand ich recht bissig); ansonsten wird sie aber nur verschwommen beschrieben. Selbst ob die Gerüchte über sie wahr sind, erfährt man nicht mit Sicherheit.


    Wo ich im Buch stecken geblieben bin, sieht es übrigens so aus, als könne sich Swann von Odette lösen – ich kann es aber nicht glauben.


    Die Sprache finde ich immer noch wunderbar, deshalb zum Schluss noch einige Zitate, die mir besonders gefallen haben:


    Zitat

    Man weiß nicht, wie glücklich man ist. Man ist nie so unglücklich, wie man glaubt.


    Und später:


    Zitat

    …er sagte sich, dass man sein Unglück nicht kennt und niemals so glücklich ist, wie man glaubt.


    Und vor der Befragung Odettes bzgl. ihrer Frauengeschichten:


    Zitat

    Er sah schweigend zu, wie ihre Liebe starb.


    Einfach schön.


    JMaria: ja, diese unterschiedlichen Zeitlinien sind mir auch aufgefallen. Generell empfinde ich den Stil in "Eine Liebe von Swann" ganz anders: in "Combray" kam mir alles eher verschwommen und träumerisch vor, während hier exakt und manchmal auch ein bißchen zynisch (z.B. die Beschreibung der Gäste auf der musikalischen Soiree) dargestellt wird. Gefällt mir beides gut.


    Zitat von "A. Prometheus"

    Wenn wir die alltägliche Durchschnittlichkeit überwinden, wenden wir uns zu den "großen Dingen und Gefühlen" hin (was immer das ist...?!), und hierin finden wir Genuss aber auch die Entdeckung des Leidens (Leidenschaft).


    Diese Beschreibung würde ja auch auf Swann passen, Leiden hat er ja genug entdeckt. Mal sehen, ob auch bei ihm daraus Kunst erwächst.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    ich bin gestern an einer sehr schönen Stelle angelangt, die mich richtig mitgerissen hat: Swann ist auf einer musikalischen Soirée und eigentlich nicht mit dem Herzen bei der Sache, da wird plötzlich "seine" Vinteuilmelodie gespielt. Plötzlich bricht in ihm auf, wie schön der Beginn seiner Affaire war und sehr Odette abgekühlt ist. Proust schildert das so bewegend und anrührend, das war für mich bis jetzt der Höhepunkt in diesem sehr schönen Buch.


    Zitat von "JMaria"


    Der Onkel:
    könnt ihr euch noch an die Szene in "Combray" erinnern, als der kleine Marcel seinen Onkel besuchte und dort eine "Dame" traf über die er nicht sprechen durfte? Das müßte ja dann bereits Odette gewesen sein!


    Ja, das dachte ich mir auch. Ich habe dann nochmal zurückgeblättert, dort steht nicht eindeutig, dass sie es war, oder? Aber ich glaube es auch. Was haltet Ihr eigentlich davon, dass Odette behauptet, der Onkel habe sie mit Gewalt nehmen wollen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das stimmen soll; andererseits hat Odette es nicht (mehr) nötig, Swann eifersüchtig zu machen.


    An welcher Stelle im Buch befindet Ihr Euch denn momentan?


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    Wochenende – Lesezeit: ich bin nun an der Stelle angekommen, an der Swann sich mit Marcels Onkel trifft und ihn bittet, seinen Einfluss zu Swanns Gunsten bei Odette geltend zu machen. Swanns Beziehung zu Odette hat mehr und mehr etwas Zwanghaftes angenommen, ein paar Seiten vorher wird er ja auch mit einem Morphinisten oder einem Lungenkranken verglichen. Tatsächlich hat ja sein Verhalten etwas an Sucht erinnerndes, z.B. als er sich fest vornimmt, Odette einige Zeit nicht zu sehen, aber vor sich selbst dann völlig einleuchtende Gründe findet (eine Wagenfarbe!), warum diese Pause jetzt unterbrochen werden muss („Ja, ich habe mir vorgenommen, nicht mehr zu trinken. Aber gestern hatte Opa Namenstag…“).


    Ich weiß auch nicht recht, ob „Liebe“ der richtige Begriff für Swanns Gefühle ist und habe mal zurückgeblättert und zwei Stellen gefunden, an denen diese beschrieben werden:


    Zitat

    Von allen Arten der Erzeugung von Liebe, von allen Wirkkräften zur Verbreitung dieser heiligen Raserei, ist sicher eine der zuverlässigsten der Sturm einer großen Erregung, der uns manchmal erfasst. Dann fällt das Los unweigerlich auf die Person, mit der wir im Augenblick gerade gern zusammen sind, und auf einmal lieben wir sie.

    (Als er Odette im nächtlichen Paris sucht)


    Das heißt doch, dass seine „Liebe“ recht zufällig auf Odette fiel. Wäre sein Arbeitermädchen nicht auffindbar gewesen, hätte sich dann so heftig in sie verliebt – oder?


    Zitat

    Tatsächlich wäre er manchmal, wenn es irgendwo spät geworden war, lieber unmittelbar nach Hause gegangen, ohne erst die lange Fahrt zu machen; er hätte dann eben Odette erst am nächsten Tag gesehen; aber die bloße Tatsache, dass er sich zu ungewöhnlicher Stunde die Mühe machte, zu ihr zu gehen, und sich dabei vorstellte, wie seine Freunde sagten: „Er hat jetzt gar keine Zeit, offenbar ist da eine Frau, die ihn zwingt, immer noch zu ihr zu kommen, wenn es auch noch so spät am Abend ist“, gab ihm das Gefühl, dass er das Leben der Männer führte, in deren Dasein eine Liebesaffäre eine Rolle spielt…

    (gleich nach der Cattleya-Episode)


    Das klingt für mich so, als ob er eher in die Idee der Liebe verliebt sei, nicht so sehr in Odette. Und besonders gefällt ihm sich vorzustellen, dass andere ihm eine leidenschaftliche Liebe zuschreiben. Ich kann mir nicht helfen, das klingt schon wieder so teeniehaft :zwinker:


    Übrigens wird an mehreren Stellen erwähnt, dass Odette ihn nicht nur nicht liebt, sondern an seiner Gesellschaft oft nicht einmal Freude hat; und dass er das auch weiß. Eigentlich sollte das doch sehr quälend sein, zu wissen, dass die eigene Liebe nicht einmal ansatzweise erwidert wird. Aber davon erfährt man nichts.


    Odette nimmt auch Geld von ihm bzw. fordert es sogar; für einen Urlaub mit den Verdurins und Forcheville – ganz schön dreist. Typisch aber, dass Swann es sich so zurechtdenkt, dass er durch die Zahlung sogar über den Konkurrenten triumphieren kann.


    Ich finde es faszinierend, wie Proust es schafft, dem Thema Liebe immer wieder neue Facetten abzugewinnen. Es passiert ja eigentlich nicht viel (die Szene mit den Fensterläden war einsamer Spannungshöhepunkt :zwinker: ), aber mir ist bisher noch keine Seite langweilig geworden. Und die Sprache ist einmalig schön (ich bereue, dass mein Französisch nicht für das Original ausreicht), besonders dieser Satz gefällt mir gut:


    Zitat

    Ach! in diesen ersten Zeiten einer Liebe sprießen die Küsse ganz von allein! Sie wuchern so dicht einer am andern auf; man hätte ebensoviel Mühe, die Küsse, die man sich in einer Stunde gibt, zu zählen, als wolle man die Zahl der Blumen auf einer Maienwiese ermitteln.


    JMaria: Vielen Dank für die biographischen Details. Proust scheint ja einige persönliche Umstände im Buch verarbeitet zu haben.


    Zitat

    klingt alles traurig und morbide. Da ging doch irgendwas in seinem Leben schief. Auf der anderen Seite hätte er vielleicht sein Werk nicht schreiben können, wenn alles 'normal' bei ihm gewesen wäre. *grübel*


    Ich frage mich oft, wieviele großartige Werke es nicht gäbe, wenn die Künstler rundum glücklich und gesund gewesen wären. Ist es tatsächlich so, dass Leiden zur Kunst führt? Hm...



    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo Jay,


    vielen Dank für diese schöne Buchvorstellung. Von Elizabeth von Arnim habe ich bisher nur "Die Reisegesellschaft" gelesen, aber Dein Bericht macht mir Lust auf mehr. Mal sehen, ob unsere Bücherei die "Christine" hat.


    Liebe Grüße
    Manjula

    Hallo,


    bekommt man von Jokers eigentlich eine Mitteilung, wenn eine Bestellung nicht mehr lieferbar ist? Ich habe bisher nur kommentarlos den Katalog erhalten. Darf ich da noch hoffen?


    Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    beim "Mann ohne Eigenschaften" wäre ich auf jeden Fall dabei. Den habe ich vor Jahren mal angefangen, bin aber nicht weit gekommen.


    Broch sagt mir leider nichts, klingt aber interessant. Je nach Zeitpunkt würde ich dann auch ganz gern teilnehmen.


    Grüße :smile:
    Manjula