Beiträge von Manjula

    Hallo zusammen,



    Hallo Manjula,


    vielleicht hat sich Marcel passiv verhalten, weil man es als "Gefangener" nicht anders kennt. Man sitzt seine Zeit ab und beobachtet höchstens die Mitgefangenen ohne Einfluß zu nehmen. Ob im nächsten Band es ähnlich gehalten wird, dass nicht nur Albertine flüchtig (Die Flüchtige) ist, sondern auch Marcel, Charlus usw. ?


    [/quote]


    das klingt schlüssig. Eigentlich ist Marcel ja während des gesamten Bands passiv geblieben. Seine einzigen Aktivitäten zielten ja darauf, Albertine einzugrenzen. Kann es sein, dass er viel mehr "gefangen" ist als sie?


    Ich habe das Buch nun auch beendet. Je mehr es auf den Schluss zugeht, um so öfters ist vom Tod die Rede. Einmal beschreibt er die schlafende Albertine wie eine Leiche auf dem Totenbett, ein andermal denkt er beim Aussprechen des Wortes "Tod" spontan an den Tod Albertines. Eine recht morbide Stimmung.


    Weiter beschäftigt ihn die Unmöglichkeit der Liebe allgemein und dem Zusammenleben mit Albertine im Speziellen: Verspürt er Zuneigung zu ihr, macht seine Eifersucht ihm das Leben zur Hölle; schafft er es aber, die Eifersucht zurückzudrängen, wird sie ihm so langweilig, dass er sie nicht mehr sehen mag. Hier ist dann doch ein Unterschied zu Swann: Er war doch zunächst durchgängig eifersüchtig, hat es dann aber doch geschafft, mit Odette zusammen zu leben.


    Sehr schön fand ich, wie Maria, die vielen Anspielungen auf die früheren Bände: die Großmutter, Eulalie, der Tee und die Madeleines, der Weißdornbusch, Combray allgemein (wenn es allerdings auch durch die Gedankenverbindung zu Mademoiselle Vinteuil getrübt wird), ...Insgesamt habe ich auch diesen Band sehr gerne (wenn auch langsam) gelesen; er war allerdings deutlich schwermütiger als die bisherigen.


    Eine Frage habe ich jetzt noch:


    Zitat

    Was es mit dem Begriff „hintenherum“ auf sich hat, glaube ich auch nicht an die Interpretation des Erzählers.


    Diese Formulierung kommt in meiner Ausgabe nicht vor (oder habe ich sie überlesen?). War es in dem Zusammenhang, als Marcel Albertine Geld anbietet, damit sie Verdurins einladen kann? Hier antwortet Albertine in meiner Übersetzung, wenn sie schon Geld hätte, sei es ihr lieber "ich wäre einmal frei und könnte es mir besorgen...", woraufhin sie den Satz abbricht und Marcel zutiefst verwirrt.


    Ich wünsche Euch eine schöne Woche!


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    ich bin zwar noch nicht fertig, aber doch ein ganzes Stück weitergekommen. Mme Verdurins Intrige, mit der sie Morel und Charlus auseinander bringt, ist ziemlich hinterhältig, zeigt aber, wie gut sie die beiden einschätzen kann, z.B. indem sie das Kreuz der Ehrenlegion erwähnt, das Charlus dann auch prompt anspricht oder indem sie Morels niedrige Herkunft thematisiert (die sie natürlich gar nicht stört!). Was ich hier interessant fand, war, dass Marcel zwar großes Mitleid für Charlus empfindet, aber keinen Versuch macht, die Szene zu vermeiden oder ihn bzw. Morel über die Intrige aufzuklären. Sieht er sich hier als reinen Beobachter und will die Handlung nicht beeinflussen? Oder hat er erst im nachhinein erkannt, welche Auswirkungen dieser Bruch auf Charlus hatte?


    Ziemlich witzig fand ich die Szene, in der Charlus über den Anteil der Homosexuellen spricht und diesen dann auf 70% schätzt.


    Zitat

    Das nun verlaufende Gespräch fand ich persönlich als ein weiterer Höhepunkt. Richtig spannend, wie sich Albertines Gefühle überschlagen. Vor Ärger verwendet sie Slang (in die Suppe spucken). Ähnlich wie mit dem vielen lesen von Büchern; sie bedient sich ja aus Marcels Bibliothek. Daraus schließe ich, dass sie ihrem Liebsten nicht langweilig werden möchte und so bemüht sie sich, ihm und der Gesellschaft ebenbürtig zu werden. So auch die Aufdeckung der Lüge, dass sie Mademoiselle Vinteuil durch ihre mütterliche Freundin näher kennt. Doch ich sehe ein einsames Mädchen, mit gewisser Raffinesse, das sich wichtig machen wollte, interessant erscheinen wollte, vorgibt mehr von Musik zu verstehen als eigentlich der Fall ist

    .


    Ja, dieses Gespräch las sich richtig rasant. Die vielen Lügen, die hier aufgedeckt werden - oder werden sie nur durch neue Lügen ersetzt? Nur an der Stelle, als sie sich selbst unterbricht (...es mir besorgen...) kann man ja sicher davon ausgehen, dass sie die Wahrheit sagt.


    Zitat

    Zwar sollte man sich in Erinnerung rufen, dass wir Albertine nur als der Perspektive des Erzählers sehen, doch ich hungere regelrecht nach ein paar kleinen Hinweisen um einen Hauch von Albertine erhaschen zu können. Manchmal zeigt sich ein kleiner Hinweis, finde ich


    Albertine bleibt in gewisser Hinsicht blaß, eine Projektion der Gefühle von Marcel. Aber ich wüsste auch gern mehr über ihre Sicht der Dinge.


    Ich werde diese Woche sicher fertig werden und bin gespannt, wie mein endgültiger Eindruck der Gefangenen aussieht.


    Schöne Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    ja, besonders das zweite passt für mich auch zu Albertines "schwerer Schönheit". Schöne Bilder!


    Dass es bei Dir wieder schneller voran geht, gibt mir Hoffnung :zwinker: Mir geht es momentan so, dass mir das Buch sehr viel Stoff zum Nachdenken gibt, so dass ich es oft zur Seite lege, um über die einzelnen Szenen nachzugrübeln. Das Gespräch zwischen Charlus und Mme de Mortemart fand ich z.B. sehr aufschlussreich. Zum einen ist es recht witzig (als er Elianes Aufforderung, an sie zu denken, wörtlich nimmt; die tanzenden Tees), andererseits lässt es auch ziemlich tief blicken, wie ichbezogen und intrigant "die Gesellschaft" ist: Charlus benutzt Mme Verdurin nur als Vehikel für seinen Protegé, wobei es nicht die Musik ist, die ihn ihm wertvoll macht; auch Mme de Mortemart interessiert sich für Morel lediglich aus Prestigegründen; sie findet nichts dabei, Mme de Valcourt nicht einzuladen und danach anzulügen...Interessant fand ich auch die Reaktion des Peruaners, der ihren Blick auf sich bezieht, und sich für eine nur eingebildete Kränkung heftig an ihr rächen will. Die Rache, die er sich ausdenkt, klingt zwar lachhaft, wäre aber doch geeignet, Mme de Mortemart gesellschaftlich unmöglich zu machen. Kaum zu glauben, wie sehr die handelnden Personen um sich selbst kreisen.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Morgen,


    irgendwie komme ich zur Zeit nicht so recht vorwärts, ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert.


    Die Parallelen Musik - Dichtung sind mir beim Lesen auch aufgefallen. Marcel beschreibt ja auch, dass Vinteuil sich immer wieder "erneuert" und nie altmodisch werden kann. Wohl ein Traum auch für jeden Schriftsteller.



    In Bezug auf den Titel gibt es sehr viele Gefangene in diesem Band: Albertine, Marcel, Mme Verdurin, Charlus ... Ist nicht jeder irgendwie gefangen in seinen Vorstellungen und dem Bild, das man von sich selbst hat ?


    Stimmt, sehr schlüssiger Gedanke.


    Viele Grüße
    Manjula


    Ich muss zugeben, dass es mir bei diesem Band sehr schwer fällt, meine Gedanken zu ordnen und sozusagen im Lesefluss zu bleiben. Ob es daran liegt, dass nicht wirklich etwas passiert oder daran, dass Proust diesen Band nicht mehr redigieren konnte ? Merkt ihr etwas entsprechendes ?


    Hallo zusammen,


    ja, das geht mir auch so. Schwer zu sagen, woran es liegt. Sicher ist dieser Band im Vergleich zu den vorigen noch etwas handlungsärmer, aber ich glaube, dass das nicht der Hauptgrund ist. Auch bisher gab es ja Passagen, in denen über viele Seiten so gut wie gar nichts geschieht und die ich trotzdem sehr flüssig lesen konnte. Vielleicht - das fällt mir eben erst ein - ist aber dieser Stil auch bewusst als Symbol für den Zustand des Erzählers gewählt? Auch er macht ja den Eindruck des Stillstands; bei seiner Arbeit macht er keine Fortschritte und die Beziehung zu Albertine dreht sich ja auch mehr oder weniger im Kreis. Ich werde mal darauf achten, ob sich der Stil wieder ändert, wenn sich auch sein Leben ändert.


    Sehr interessant finde ich übrigens die Entwicklung, die Charlus im Lauf des Werks macht. Am Anfang stellt er sich für Marcel als kühner, etwas grausamer Frauenheld dar. Dieses Bild bekommt immer mehr Risse, und die Szene vor dem Empfang bei Mme Verdurin zeigt ihn als alternden, etwas "tuckigen" (sorry, aber mir fällt gerade kein besserer Ausdruck ein) Homosexuellen, der sich kaum noch im Griff hat. Der Erzähler bedauert - da er ihn für sehr talentiert hält - , dass Charlus nicht Schriftsteller wurde, sonder sein Leben mit "glänzenden Festen und fragwürdigen Zerstreuungen" verplempert. Eigentlich beschreibt er sich damit selbst. Die Gedanken über Charlus als Schrifsteller sind in meiner Ausgabe übrigens als lange Fußnote gedruckt, bei Euch auch? Mir kommt es eher wie ein Teil des Textes vor, nicht als Kommentar.


    Grinsen musste ich bei der Beschreibung von Mme Verdurin:


    Zitat

    ...ihrem schönen Blick, der, von der Gewöhnung an Debussy stärker umschattet, als es durch den dauernden Gebrauch von Kokain je hätte geschehen können...


    Euch noch einen schönen Sonntag!


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    ich bin auch an der Stelle über Bergottes Tod angekommen. Marcel berichtet relativ kühl darüber, gibt ja auch zu, dass er in den letzten Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm hatte. Obwohl er ja früher sein Idol war. Vielleicht ein Zeichen, dass er seine schriftstellerischen für seine gesellschaftlichen Ambitionen hintangestellt hat. Interessant an dieser Szene fand ich, dass der Erzähler, der ja sonst jedes Wort von Albertine anzweifelt, bzgl. seines Todeszeitpunkts eher ihr glaubt als verschiedenen Zeitungen. Eine etwas verquere Sicht auf die Wirklichkeit, oder?


    Überhaupt beschäftigt ihn das Thema Lüge sehr. Albertine lügt sowieso ständig, Gisele lügt anders als sie, die gesamte kleine Schar hat sich gegenüber ihm der Lüge verschworen...Amüsant war hier der kleine Ausflug in die Verlagswelt, wo sich nach Auffassung des Erzählers alle Verlagsmitglieder verschwören, den Autor im Dunkeln zu lassen. Und auch die Politik lässt er nicht ungeschoren:


    Zitat

    Proklamiert zu haben (als Führer einer politischen Partei oder was sonst immer), dass es abscheulich ist zu lügen, zwingt in der Mehrzahl der Fälle dazu, mehr als die anderen zu lügen, ohne dass man deswegen die feierliche Maske oder die erhabene Tiara der Gesinnungstreue ablegen darf.


    oder andersrum gesagt: ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.


    Zitat

    Besonders betroffen machten mich die Gedanken über Krankheit und die Krankheiten, die durch die Medizin hervorgerufen werden


    Ja, das ging mir auch so, insbesondere als er sagt, dass die natürlichen Krankheiten geheilt werden können, die "medizinischen" aber nicht. Ein erschreckender Gedanke.


    Zitat

    Die Ausführlichkeit mit dem Marcel erzählt, wie er nun den Dialekt zwischen Francoise und ihrer Tochter versteht, die sie bisher als Geheimsprache benutzten, fand ich irgendwie bedeutungsvoll; kann es aber nicht erklären. *seufz

    *


    Ich glaube, dass auch die Sprache eines der zentralen Themen der "Suche" ist. In einem der vorigen Bände wurde beschrieben, wie allein durch die Betonung eines Namens klar wird, ob der Sprechende zur "Gesellschaft" gehört oder nicht. Die Sprache kann also Aufschluss über die Gesellschaftsschicht geben (und das sehr unbarmherzig, denn anders als Kleidung, Armut, Herkunftsort usw. kann man sie nur schwer ablegen), sie kann aber auch ein Schutzschirm sein gegenüber denen, die sie nicht verstehen. Dass Marcel diesen Schutzschirm durchbricht, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass er auch gesellschaftliche Schranken in Frage stellen könnte (Charlus z.B. hätte sich sicher geweigert, einen Dienstbotendialekt zu lernen. Hm, so richtig kann ich es nicht erklären, aber auch mir kommt diese Szene wichtig vor.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    die Stelle mit der Schnecke ist wirklich sehr interessant und aufschlussreich. Überhaupt empfinde ich die Aufzählung der Lebensmittel als sehr poetisch, aber auch symbolhaft. Allein diese Szene könnte man schon seitenlang interpretieren.


    ...
    Dass man nichts über Albertines Inneres erfährt, weist auf einen erzählerischen Standpunkt rein aus der Sicht des Erzählers hin, was sehr konsequent durchgehalten wird. ...


    Nachdem Du darauf hingewiesen hast, fiel es mir auch auf: ja, man erfährt nie Albertines Sicht der Dinge. Es wäre sogar möglich, dass die Sünden oder Begehrlichkeiten, die er ihr andichtet, reine Phantasie sind. Irgendwie hat es etwas Beklemmendes, eine Person so "seziert" zu sehen, ohne dass sie die Chance hat, ihren Standpunkt darzulegen.


    Albertines verhinderter Besuch des Trocadero (Steffi, vielen Dank für die Bilder - sehr schön!) zeigt ja mal wieder die Kontrollwut von Marcel. Interessant, dass sowohl Francoise als auch Albertine, beides eigentlich Frauen mit durchaus eigener Meinung, ihm so widerspruchslos gehorchen.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    dass Marcel felsenfest von Albertines Unehrlichkeit überzeugt ist, ist mir auch aufgefallen. Bis jetzt hat er sie doch noch nicht bei einer Lüge ertappt, oder? Und Francoises Meinung über sie kann er ja nicht ernsthaft als Maßstab nehmen, er erwähnt ja selbst, dass sie Leonie oft genug Lügengeschichten erzählt hat. Ganz allgemein finde ich die Haltung Marcels gegenüber Albertine zunehmend unsympathisch. Besonders unangenehm aufgefallen ist mir das in der Szene mit der schlafenden Albertine, als er sagt:


    Zitat

    Nur ihr Atem wurde durch jede meiner Berührungen verändert, als wäre sie ein Instrument, auf dem ich spielen und dem ich verschiedene Modulationen entlocken konnte...


    Es kommt mir vor, als ob er sie als seelenloses Ding sieht, das nur durch ihn, den Künstler, belebt werden kann. Wenn sie schläft, glaubt er, Macht über sie ausüben zu können; er bezeichnet ihren Schlaf auch als "Auslöschen ihres sonstigen Lebens". Andererseits sagt er an anderer Stelle:


    Zitat

    Man liebt nur, was man noch nicht vollkommen besitzt.


    Mir erscheint das ziemlich gequält: Entzieht sie sich ihm, ist sie begehrenswert. Könnte er aber seine Qualen beenden und sie "besitzen", wäre sie nicht mehr interessant für ihn. Ich fühle mich wieder an Swann erinnert und bin gespannt, ob sich in der weiteren Geschichte noch mehr Parallelen auftun.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    und es geht weiter mit Marcels Obsession...Er kann es nicht einmal ertragen, Albertine einkaufen gehen zu lassen; sie könnte ja durch einen der vielen Ausgänge entwischen. Er erkennt auch deutlich, dass es ihm weniger um das Zusammensein mit Albertine geht als darum, sie von allen anderen fern zu halten:


    Zitat

    ...das Vergnügen, Albertine mit mir in meiner Wohnung zu haben, war viel weniger für mich ein positives Vergnügen, als dass es vielmehr darin bestand, dieser Welt , in der jeder seine Freude an ihr hätte haben können, dies junge Blüte entzogen zu haben...


    Es geht mir wie schon häufig in diesem Werk: ich bin beeindruckt von der Intensität, die Proust hier schildert, aber gleichzeitig froh, so etwas nie erlebt zu haben.


    Gut gefallen hat mir auch dieser Satz:


    Zitat

    Im übrigen ist die Liebe ein unheilbares Leiden wie jene Krankheitsveranlagungen, bei denen rheumatische Anfälle nur kurze Zeit Ruhe geben, um Migränen Platz zu machen, die schließlich einen geradezu epileptoiden Charakter erhalten.


    Sehr bissig.


    Ich stehe nun kurz vor Albertines geplantem Besuch bei Verdurins, den Marcel um jeden Preis verhindern will.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    das ist ja wirklich eine merkwürdige Übersetzung. In meiner Ausgabe heißt es im weiteren Gossengeruch statt Fäkaliengeruch; payer wird aber auch hier mit spendieren übersetzt (wenn auch in Anführungszeichen).


    Marcels Verhältnis zu Albertine empfinde ich als sehr merkwürdig und widersprüchlich: einerseits kann sie ihn nicht mehr reizen, dennoch denkt er an eine Heirat. Und seine Eifersucht! Krankhaft ist ja noch ein zu schwaches Wort. Er liefert aber eine sehr schöne Analyse dazu:


    Zitat

    Sobald die Eifersucht erkannt ist, wird sie von der, auf die sie sich bezieht, als ein Mißtrauen ausgelegt, welches zur Täuschung berechtigt.


    In einem Satz den Teufelskreis der Eifersucht und die Qualen für beide Seiten niedergelegt.


    Die Passagen über die schlafende Albertine fand ich auch sehr poetisch. Er nutzt ja ihre "Abwesenheit" aber schamlos aus :zwinker:


    Worüber ich noch gegrübelt habe: was bringt Albertine eigentlich dazu, seine Eifersucht und Einschränkungen auf sich zu nehmen? An einer Stelle wird ja geschildert, dass sie den Luxus genießt, den er ihr bieten kann, aber ob das alles ist?


    Und endlich kam die Stelle, in der der Name "Marcel" genannt wird. Sehr raffiniert.


    Schöne Restpfingsten!


    Manjula

    Hallo Maria und Steffi,


    die Ichbezogenheit zu Beginn ist mir auch aufgefallen, alles dreht sich um ihn: Albertine muss sich komplett seinen Bedürfnissen unterordnen, Francoise nimmt in allem Rücksicht und seine Mutter wagt nicht einmal, Albertines Einzug zu kritisieren, aus Angst, sie könne Marcel Gewissensbisse verursachen. Kann es sein, dass er hier ziemlich in Watte gepackt wird? Seine Manie, Albertine zu kontrollieren, obwohl sie ihm angeblich gleichgültig ist :rollen:, erinnert mich wieder mal an Swann und Odette.


    Die Beschreibung von Marcels Tagesanfang fand ich auch sehr schön.


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo enigma,


    ich habe Dein Posting erst jetzt gesehen. Die damals geplante Leserunde hat dann im Literaturschock-Forum stattgefunden, und zwar hier. Ich fand das Buch ziemlich verstörend, aber es hat einen starken Eindruck hinterlassen.


    Viel Spaß beim Lesen!


    Schöne Grüße
    Manjula

    Hallo Steffi und Maria,


    dann schließe ich mich mal an: ich bin gestern auch fertig geworden. Sodom und Gomorrha kam mir auch "schneller" als die anderen Bände vor. Vielleicht tragen dazu die Dialogszenen bei, z.B. auf den Empfängen bei Mme Verdurin. Ich finde es sehr interessant, dass jeder Band seinen eigenen Stil aufweist und sie doch ein harmonisches Ganzes bilden.



    Cottard als Sekundanten und fällt schier in Ohnmacht als Charlus seine Hand nimmt und streichelt. Die Szene im Wirtshaus ist köstlich. *g*


    Das fand ich auch herrlich. Überhaupt läuft Proust bei Szenen mit Charlus zu Hochform auf, z.B. als er ihn als so einzigartig schildert, dass er eigentlich ein eigenes Satzzeichen benötigen würde :zwinker:


    Weiterhin hektisch bleibt Marcels Liebesleben: er liebt Albertine - er will mir ihr brechen - er wartet sehnsüchtig auf Andrée (die er mit dem gleichen Trick wie Albertine umgarnen will!) - er ist entschlossen, Albertine nicht zu heiraten - er ist hochgradig eifersüchtig auf Mlle Vinteuil - er will Albertine heiraten...Und es scheinen immer wieder Erinnerungen an Gilberte, Rachel und Odette auf, wieder ein Hinweis, dass es mit Albertine nicht klappen wird.


    Die Bedeutung der Zeit in diesem Roman hat mich übrigens noch länger beschäftigt. Immerhin war sie ja Proust so wichtig, dass sie im Titel auftaucht, der ja auch doppeldeutig ist: "verlorene Zeit" im Sinne von "vergangen, verflogen" oder auch vergeudete Zeit im Sinn von "was habe ich heute nur den ganzen Tag gemacht!". Die erste Bedeutung lag mir spontan näher, da Marcel ja als alter Mann auf seine Jugendzeit zurückblickt. Andererseits könnte er ja auch zu dem Schluss kommen, dass z.B. dieser lange Sommer in Balbec mit Gesellschaften, Zug- und Autofahrten, Essenseinladungen usw. eigentlich vergeudet war, da er seinem früheren Ziel, dem Schreiben, keinen Schritt näher gekommen ist. Ich bin gespannt, wie am Ende sein Resümee aussehen wird.


    Euch noch ein schönes Osterwochenende!


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo zusammen,


    ja, die neue Schnelligkeit und auch höhere Flexibilität, die das Automobil bieten, scheinen Proust beeindruckt zu haben und ich finde, er hat das auch gekonnt umgesetzt. Im Gegensatz dazu steht ja der Zug, der "blindschleichenhaft weiterkriecht". Andererseits bietet er aber die Möglichkeit zu gesellschaftlichen Kontakten, die Marcel ja auch sehr wichtig sind.


    Wie er zu Albertine steht, ist mir etwas rätselhaft. Er betont zwar, dass er aufgehört habe, sie zu lieben und entschlossen sei, mit ihr zu brechen, aber dennoch beschäftigt sie seine Gedanken und wehe, er kann sie nicht unter Kontrolle haben. Ähnlich wie bei Swann und Odette, wobei mir Albertine doch mehr Zuneigung zu haben scheint als Odette. Die detaillierten Beschreibungen ihrer Kleidung und Accessoires finde ich übrigens sehr schön, gerade dieses Kleid mit den Regenbogenärmeln würde ich sehr gerne einmal sehen.



    könnt ihr euch noch in Combray daran erinnern, dass es zwei verschiedene Wege zum Haus der Eltern des Protagonisten gab? (oder war es zum Haus der Tante?) Zu jedem Weg gab es andere Eindrücke.


    Ich glaube, es waren die zwei Spazierwege, die die Familie wechselweise benutzte. Ich habe gerade nochmal in unserer ersten Leserunde nachgeschaut, damals hattest Du geschrieben:

    Zitat

    Was mir noch so auffiel:
    es gibt oft den Hinweis auf die Zahl "Zwei":


    -Zwei Wege um die Kirche herum.
    -Zwei Seiten um Combray, die die Familie nehmen kann, um einen Spaziergang zu machen. Sie gehen dazu aus verschiedenen Pforten hinaus.
    -Zwei Kilometer von Balbec in der Normandie, wo die Familie Urlaub machen möchte, lebt die Schwester von Herrn Legrandin.
    -Die Tochter des Herrn Vinteuils, die wie ein Junge aussah, errötet wenn sie spricht und es schien als ob eine empfindlichere Schwester in ihr zu tage kam.


    Auch hier hat die zwei schon eine Rolle gespielt. Mir kommt es immer mehr so vor, dass Proust so viele Kunstgriffe, Wiederaufnahme und Bezüge in seinem Werk versteckt hat, dass man sie erst bei einer wiederholten Lektüre zumindest teilweise entdecken kann.


    Mit Morel wurde übrigens ein Charakter eingeführt, der dem Titel Sodom und Gomorrha alle Ehre macht. Nicht nur, dass er Charlus schamlos ausnützt, jetzt kommt auch noch der Prinz von Guermantes ins Spiel. Sehr amüsant zu lesen.


    Bei mir sind es noch etwa 70 Seiten; ich denke auch, dass ich bis Ostern fertig sein werde.


    Schönen Sonntag noch!
    Manjula

    Guten Abend,


    die Passage mit den Fäkalien musste ich zweimal lesen, um mir sicher zu sein, dass ich hier nicht etwas komplett falsch verstehe. Aber richtig, das ist eine Verbindung zu dem Toilettenhäuschen.


    Sehr interessant fand ich die Anspielung auf die Eulenburg-Affäre. Ich muss gestehen, dass ich davon vorher noch nie gehört hatte, aber es war ja wohl ein Skandal mit weitreichenden Folgen. Und zu Prousts Zeiten noch relativ aktuell. Aus unserer Sicht liest sich das ja alles recht historisch, aber damals waren diese Ereignisse, wie auch die Dreyfusaffäre, noch ganz im Bewusstsein der Leser.


    Schmunzeln musste ich, als Mme. Verdurin von den "Damen" spricht. Und gleich danach darauf hinweist, dass die Räume von Charlus und Morel "schalldicht" sind.


    Viele Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    ich habe nun die längste Gesellschaftsszene hinter mir; wobei sie mir sehr kurzweilig vorkam, erst beim Zurückblättern merkt man, dass sie doch recht umfangreich ist. Das Abendessen bei den Guermantes im dritten Teil erschien mir viel länger (Euch auch, oder?). Ein weiteres Zeichen, dass die Guermantes auf dem absteigenden Ast sind? Jedenfalls war hier wieder einiges zum Schmunzeln:


    - Cottard: "mehr Glück als ...Ferdinand"
    - dem enthusiastischen Marcel rät er zu Beruhigungsmitteln oder Stricken


    Mit Charlus' Brief an Aimé kommt ein weiterer biblischer Bezug ("zum dritten Mal verleugnet"), den ich allerdings gerade im Bezug auf Charlus recht waghalsig finde. Überhaupt ist der Brief ja dermaßen theatralisch, das passt wieder zu der Zylinderszene im vorigen Band. Und warum tastet er Marcel auf dem Empfang die Muskeln ab (was eine deutsche Sitte sein soll)?


    Morel scheint ja ein vielversprechender Charakter zu sein, zumindest macht folgende Stelle neugierig:


    Zitat

    ...dass er Männer und Frauen hinreichend liebte, um jedem Geschlecht mit Hilfe der Dinge Vergnügen zu bereiten, die er an dem anderen erprobt, das wird sich später zeigen.


    Überhaupt spielt er öfters auf die Zukunft an. An einer Stelle wird deutlich, dass er im Augenblick des Schreibens bereits alt und hinfällig ist.


    Viele Grüße
    Manjula

    Hallo zusammen,


    der zweite Teil von Sodom und Gomorrha ist tatsächlich handlungsbetonter. Es tauchen auch wieder alte Bekannte auf wie z.B. Nissim Bernard, der mit seinem Zusammenstoß mit "Tomate Nr.2" für eine sehr amüsante Szene sorgt, die noch auf die Spitze getrieben wird dadurch, dass er sogar völlig Fremden von dem Genuss von Tomaten abrät. Herrlich.


    Auch der Kreis um Mme Verdurin kommt wieder zum Vorschein, wobei dessen Ansehen sich anscheinend erheblich verbessert hat. Parallel dazu der gesellschaftliche und persönliche Aufstieg von Cottard, der sich jetzt als "Fürst der Wissenschaft" sieht und für seine früher lächerlichen Wortspiele jetzt geschätzt wird. Saniette andererseits hatte dieses Glück nicht.


    Mir gefällt es, dass Proust keine Figur "verliert" und auch Themen immer wieder aufgreift, wie z.B. die Sonate von Vinteuil. Zuerst hatte sie den Beginn der Liebe von Swann begleitet, dann wurde ihm beim erneuten Hören das Ende derselben bewusst - und jetzt wird damit die Nachricht seines eigenen Tods eingeleitet. Diese Anordnung finde ich sehr berührend.


    Auch Odette wird wieder öfter erwähnt. Albertine wird mit ihr verglichen; aus verschiedenen Andeutungen lässt ja ahnen, dass ihre Beziehung zum Erzähler ähnlich unglücklich verlaufen wird wie die von Odette und Swann. Hier fand ich die Schlussfolgerung interessant, die Marcel nach der Aussprache mit Albertine zieht: Er hätte sich gleich danach von ihr trennen sollen, um die Liebe, die er in diesem Augenblick erfahren hat, zu konservieren und nicht durch spätere Enttäuschungen zerstören zu lassen. Also besser die Chance auf Liebe ausschlagen, damit man neben den Höhen auch die unvermeidlichen Tiefen nicht erleben muss?



    Marcel setzt die Sprache und die Lüge sehr manipulativ ein. Ist ein unangenehmer und labiler Zug in seinem Wesen.


    Ja, das dachte ich mir auch, als er Albertine von seiner angeblichen Liebe zu Andrée erzählt und sie unter Druck setzt.


    Heiter und bissig fand ich die Schilderungen des "kleinen Kreises". Ich steige eben mit den Herrschaften aus dem Zug (tatsächlich wie eine Pilgerfahrt :smile:)und freue mich auf weitere amüsante Szenen.


    Liebe Grüße
    Manjula

    Guten Abend,


    die Gedanken zur Sprache sind sehr interessant. "Ein vollendetes Instrument der Lüge" - das gibt doch sehr zu denken.



    Bei diesem Sprachskeptizismus stelle ich es mir sehr schwer vor, so ein umfangreiches Werk zu schreiben. Oder evtl. gerade ?


    Vielleicht wurde das Werk so umfangreich, weil er allen Facetten der Sprache gerecht werden wollte?


    In der Begegnung mit den Cambremers wird klar, dass Sprache außerdem ein Mittel der Abgrenzung ist: wie jemand Uzès oder Rohan ausspricht, lässt erkennen, zu welcher gesellschaftlichen Schicht er gehört.


    Daneben war die Szene aber auch recht boshaft: wie ausführlich Proust den Schnurrbart, das Speicheln und den völlig durchweichten Schleier der alten Marquise beschreibt! Und die Schwiegertochter kommt nicht besser weg: arrogant, ohne große Kenntnisse zu haben, dazu leicht beeinflussbar (zu Marcel ist sie überfreundlich, nur weil er die Guermantes kennt; den vorher verhassten Chopin akzeptiert sie, nachdem Marcel erzählt, er sei der Favorit Debussys...).


    Etwas unwohl war mir an der Stelle über die Epoche der Hast, von der eine Verbindung zum Krieg der Zukunft, der nur 14 Tage dauern soll, gezogen wird.


    Liebe Grüße
    Manjula