Beiträge von giesbert


    Es ist ja ursprünglicher und älter Literatur zu hören als zu lesen ...


    Alter verleiht Kulturtechniken nicht zwangsläufig auch Dignität.


    Ich höre sehr gern Hörspiele und lasse mir bislang eher ungern vorlesen (es gibt ein paar Ausnahmen, Qualtinger zB, abe die bestätigen letztlich nur die Regel).


    Irgendwann, schon im letzten Drittel, merkte ich, dass ich den Faden verloren hatte, insbesondere auch mit der Masse an Namen nicht mehr zu Rande kam.


    macht nichts, da geht es Dir nicht besser als Barral, von dem es gegen Ende mal heißt, er hätte schon längst den Überblick über die Zahl seiner Kinder verloren. Da hilft der Stammbaum ein wenig, aber nicht wirklich viel. Wer wirklich wissen wil, wer zu welchem Namen gehört, der wird ums Notizenmachen nicht herumkommen.


    Ansonsten kann man sich dem Erzählfluss auch willig anvertrauen und der doch eher neurotischen Vorstellung, partout alles verstehen und behalten zu wollen / zu müssen, entspannt valet sagen. Das, was man zum Verständnis braucht, das behält man schon, keine Sorge. Man sollte seinem UBW trauen, das weiß in diesen Dingen mehr als man selbst. (Solange man keine unüberwindbaren Widerstände gegen den Text entwckelt, versteht sich.)


    An solchen Büchern lernt man recht eigentlich lesen.

    .
    Allerdings - der Tipp für Zartbesaitete :zwinker: - von unglaublicher Brutalität.


    Faulkner wollte es wissen und hat es auf eine Reißer angelegt. Glücklicherweise war er einfach zu gut, als dass er einen bloßen Reißer hätte schreiben können. Witzigerweise hab ich nicht die brutale Maiskolbenszene in Erinnerung, sondern die Schilderung, wie ein älterer Mann sich morgens Eier mit Speck brutschelt.


    Hammett dürfte ein ziemlich unterschätzter Autoren sein. Ich empfehle dringend "Rote Ernte". Ein selten guter Einstieg:


    Zitat

    Der erste, von dem ich's hörte, war ein rothaariger Strolch namens Hikey Dewey im "Großen Schiff" in Butte gewesen. Bei dem hieß Peaceville stur immer nur Pissville. Da er aber statt Fusel auch Fussel sagte, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, was er dem Namen der Stadt angetan hatte. Später fiel mir bei anderen, die es nicht so eilig mit ihren Silben hatten, die gleiche Aussprache auf. Ich sah immer noch nichts weiter darin als jene umwerfende Art von Humor, die aus einem Professor eine Brotfresser macht. Erst ein paar Jahre später, als ich selbst nach Peaceville kam, ging mir ein Licht auf.


    Der Klappentext zitiert aus André Gides Tagebuch: "Die 'Rote Ernte' von Dashiel Hammett gelesen ... mit an Bewunderung grenzender Verblüffung."


    Nee, so hat mich noch kein Buch angeschmiert.


    Ah, die berühmte Dusch-Szene in Dallas ;-) Wenn den Autoren überhaupt nichts mehr einfällt, dann ist das halt einfach nur ein Traum / Wahnvorstellung etc.


    Jüngste Zeitverschwendung und daher auch abgebrochen: Jewgeni Samjatin, "Wir" (das hätte ich mit 16 vielleicht noch gut gefunden, heute ertrage ich das nicht mehr. Was für ein plattes und kreuzblödes Zeug!) und P. D. James, Was gut und böse ist, auf S. 88 von gut 500 aufgehört. Langweilig, hölzern und von einer generellen Beschreibungsunfähigkeit. Wen man sowas liest, dann weiß man erst, was man an den überschaubaren Büchern von Agatha Christie hat ;-)


    Durchgelesen aber Zeitverschwendung: "Die Firma" von Grisham. Ein dummer Roman. Mit einer stockreaktionären Moral. Fürchterlich.

    Und zack, schon bestellt:


    Zitat

    [ex libris Volk und Welt -]
    Musil, Robert:
    Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. / Rolf Schneider: Die problematisierte Wirklichkeit. Leben und Werk Robert Musils. Versuch einer Interpretation. (Kommentarband)
    Preis: EUR 29,50
    Berlin: Volk und Welt, 1975. 1. Aufl. 4 Bände (komplett). 8°. 854, 481, 735, 140 S. Originalleinen mit Originalumschlag. (Gut erhalten.);


    Meine Ausgabe scheint lesefreundlicher zu sein


    Definitiv. Die Zeilen sind in der Rowohlt-Ausgabe ca. 10 Zeichen länger, die Seitenfüllung um ca. 10 Zeilen höher. Da werd ich mich wohl mal nach Volk & Welt-Ausgabe umsehen müssen 8-)


    thx!

    (ich hab den Roman übrigens ziemlich entnervt nach ca. 200 Seiten abgebrochen. Müsste ich mal nachgucken, wo das Lesebändchen ist).


    S. 430 / 431. Immerhin, fast die Hälfte. -- aber kaum les ich rein, weiß ich, warum ich aufgehört habe:


    Zitat

    Witiko ritt an der Kirche vorüber in der Richtung gegen Morgen von dem Hügel abwärts.


    Und die Dialoge erst! Grauenhaft, ganz und gar grauenhaft. Auf einer Meta-Ebene finde ich das ja interessant - Privatsprachen etc. - aber als Lektüre? Ne, wirklich nicht.


    Ich habe eine dreibändige Ausgabe Lizenzausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1975 (DDR). Kann über Lesefreundlichkeit aber noch nichts aussagen.


    Aber Du könntest mir sagen, wie die erste und letzt Zeile der zweiten Seite lautet. Dann kann ich ungefähr die Seitenfüllung abschätzen.


    Es ist recht eigentlich eine Schande, wie schlecht Rowohlt dieses Buch gesetzt hat.


    Ich "ertappe" mich dabei, wie ich hinter jedem Satz und Absatz mehr vermute.


    Und das sicherlich nicht zu Unrecht ;-)



    Ich hab gestern das Kapitel "Wölfin und Löwe" gelesen, mit dem Turnier, das in diesem katastrophalen "Kringel" endet.
    Gigantisch - was für eine Vision!


    ja, das scheint mir ein zentrales Motiv des gesamten Romans zu sein. Ob es solche "Kringel" wirklich gegeben hat, hab ich mich bei der Lektüre auch gefragt, bin aber bei meinen sehr zaghaften Recherchen nicht fündig geworden. Aber das heißt nichts.

    Und eben musste ich den Bart kürzen. Anstatt ihn einfach zu Dostojewskij-Format wuchern zu lassen. So viel verschwendete Zeit. :breitgrins:


    btw - Arno Schmidt war vom elektrischen Rasierer hellauf begeistert. Irgendwo in den Briefen (glaub ich) findet sich die Notiz, dass, wäre er Lyriker, er für Braun Reklame machen würde "Seit ich mich mit Braun rasiere, schreibe ich ein Gedicht mehr pro Tag".


    (Wobei mir einfällt, dass "Rasur" (und Waschen, Körperpflege ...) mal als Motiv in Schmidts Werk verfolgt werden müsste, das ist fast schon eine Art basso continuo)

    Eine ganz banale Frage zum Satzspiegel.


    Ich hab hier die zweibändige, gebunden Sonderausgabe (31.-40. Tausend 1983). Band I (erstes und zweites Buch) hat 1040 Seiten und einen für mich unlesbaren Satzspiegel. Ich hab es 2x versucht und habe es 2x nach rund 150 Seiten abgebrochen. Das pack ich nicht.


    Zur Orientierung: Die erste Seite endet mit der Zeile "man bei etwas so viel Verwickelterem, wie es eine Stadt ist, in der man"


    Gibt es noch eine lesefreundlicher gesetzte Ausgabe?


    Aber wer sagt, daß es so weiter geht wie bisher? Ich bemerke, daß zunehmendes Alter einen wegen Müdigkeit usw. langsamer lesen läßt. Gesundheit ist bei diesen Überlegungen vorausgesetzt; darf man sie aber voraussetzen...?


    Nach einer überraschenden Woche Krankenhaus kann ich (45) versichern: Nein, darf man nicht.


    Und: Ich lese einiges noch mal, das ich schon mit 20-30 gelesen habe. Aber ich halte auch nichts davon, Lesen als Leistungssport zu betrachten in dem man "sein Pensum" schaffen muss.


    Übrigens hat auch Hans Wollschläger einmal vorgerechnet, wie knapp bemessen die Lebens- und damit die Lesezeit ist:


    mit nichts muß der Gute Leser so geizen und haushalten wie mit seinen Lesestunden. Sie sind, selbst wenn ihm nicht durch einen verödenden Ernährungsberuf die meisten Lebensstunden überhaupt gestohlen bleiben, ganz überaus begrenzt; ja, man fürchtet sich fast, einmal ganz genau hinzusehen, wie begrenzt sie sind. Es hilft aber nichts; wir müssen auch das hier tun. Goethe las im Alter - mit derjenigen hochtrainierten Technik des diagonalen Aufnehmens, die man sich durch lebenslanges Lesen erwerben kann - täglich zwei Oktavbändchen -: wir wollen ihn als unerreichbare Ausnahme auch hier gelten lassen und für den Guten Leser eins pro Tag ansetzen - und ihm auch gern noch einen Pflichtrabatt einräumen, nämlich die Sonn- und Feiertage: da schafft er denn rund 300 im Jahr. Und schon zieht sich die ihm lebensmögliche Zahl wie eine finstere Wolke zusammen: bei einem 50-jährigen Leserleben (auch der Gute Leser soll ein paar Jugendjahre geschenkt bekommen, damit er in Ruhe die unerläßlichen Dummheiten machen kann) - bei einem 50-jährigen Leserleben also hat er die Chance, grad mal 15.000 Bücher zu erblicken: - das ist nicht mehr als der Bestand so mancher privater Leser-Bibliothek, z. B. meiner hier, deren Kleinheit und Enge mich alle Wochen neu bedrückt, und es ist, verglichen mit der Zahl der Fixsterne [gemeint sind grosso modo die Klassiker], zum Erschrecken wenig. Denn schon die Literatur der eigennen Sprache nimmt diese 15.000 ja voll in Anspruch: - was tut man mit den großen umliegenden Literaturen, ja mit den fernliegenden? Der Weltgeist hat sich in den vier Millennien seit dem Enuma elisch in Quantitäten verwirklicht, die selbst von einem exzessiven, monomanischen Leserleben nicht mehr zu fassen sind; man muß sich einschränken, prinzipiell und immer mehr: - wehe, ich werde in die Grube fahren, ohne etwa von der chinesischen Literatur viel mehr zu wissen, als der Chinese von der deutschenweiß: daß nämlich W. v. Eschenbach, P. Handke und H. Heine darin angesehene Namen sind! Arno Schmidt hat mit seinen gelegentlichen Seufzern, daß bald mir Bücher in der Welt sein werden als Augen, sie zu lesen, denn auch gar nicht das allgemeine Übel gemeint, sondern das spezielle: es sind in der Welt längst mehr große Gute Bücher als Augen Guter Leser! (Von Sternen und Schnuppen I, 27 f.)


    Wir wissen aus Schmidts Goethepreis-Rede (???) dass er ein harter, ausdauernder Literaturarbeiter war. Vielleicht ging er von seinem Pensum aus und verlangte von seinen Mitmenschen das Gleiche.


    Sagen wir mal (ich hab keine Lust, Schmidts Vokabular ("Arbeit", "Pensum" etc) zu übernehmen): er hatte einige nahezu beängstigend zwanghafte Züge. Und er hat mehr oder weniger jeden verachtet, der weniger "leistete" hat als er.


    Aber das meinte ich gar nicht. Sondern dass auch zu Schmidts Lebzeiten die Vorstellung, dass ein Arbeiter (a) einen "sinnigen Kollegen" habe könnte, der ihm, ausgerechnet, Stifters Witiko empfiehlt und dass dieser Arbeiter dann auch brav (b) den Witiko liest. Und das noch (c) in 3 Wochen. Das ist ein hochgradig absurdes Szenario.


    Wenn dieser Arbeiter überhaupt etwas gelesen hat, dann vielleicht Jerry Cotton. Und der sinnige Kollege hat vielleicht Simmel empfohlen. Oder Edgar Wallace.


    Vielleicht wollte Schmidt mit der Stelle auch nur dem Leser ein schlechtes Gewissen machen, der den Witiko nicht gelesen hat bzw. sehr viel länger als 3 Wochen dafür gebraucht hat (ich hab den Roman übrigens ziemlich entnervt nach ca. 200 Seiten abgebrochen. Müsste ich mal nachgucken, wo das Lesebändchen ist).


    ... der Mann, tagsüber im Büro, oder hinter Pflug Schraubstock, druckst, selbst bei bestem Willen, 3 Wochen lang über’m ‹WITIKO›, den ihm ein sinniger Kollege empfahl ...


    bei solchen Stellen frag ich mich immer, ob Schmidt hier einen Witz machen wollte oder tatsächlich so, sagenwirmal: weltfremd war. Das ist derart meilenweit an der sozialen Realität vorbei, dass man nur noch den Kopf schütteln kann.


    Was die Lesestatistik angeht: Da führe ich leider nur sehr unzulänglich Buch. Aber wenn ich Schnitt im Jahr auf 25-40 Bände komme, dann ist das sehr viel.

    Das ist ein hübsches Buch für Bücherliebhaber:


    Rick Gekoski: Eine Nacht mit Lolita. Begegnungen mit Büchern und Menschen. Berlin: Claassen / Ullstein Buchverlage 2006. 202 Seiten. Leinen, Lesebändchen. 16,90


    Und als Begründung kann man den Klappentext bei Amazon zitieren, der stimmt:


    Zitat

    Bücher erzählen nicht nur großartige Geschichten, es lassen sich auch wunderbare Geschichten über Bücher erzählen. Das weiß niemand besser als Rick Gekoski, Buchhändler und Sammler aus Leidenschaft. Täglich begegnet er berühmten Autoren und großen Werken der Weltliteratur: Mit Graham Greene verbringt er zum Beispiel einen feuchtfröhlichen Abend im Londoner Ritz und ersteht am Ende dessen Erstausgabe von Lolita. An der Seite von Salman Rushdie muss er feststellen, dass er leider nicht zum Helden geboren wurde. Und der menschenscheue J. D. Salinger nötigt den notorischen Plauderer Gekoski auf seine ganz eigene Weise zur Diskretion. Das Leben als Büchernarr und Raritätensammler bietet reichlich Stoff für Anekdoten, aber auch Anlass, sich über literarische Vorlieben Gedanken zu machen. Beides bringt Gekoski meisterhaft zusammen, und so hat er einen sehr persönlichen Literaturkanon verfasst, der Lust aufs Weiterlesen, Wiederlesen und Entdecken macht.

    Das erste Kapitel fand ich sehr unübersichtlich: Vieles versteht man erst beim Weiterlesen. Nun bin ich ca. auf Seite 100 und kann mich an dem ungewöhnlichen Stil und der Dichte des Beschreibens erfreuen.


    yep, das ist eine wohl typische Erfahrung bei der ersten Lektüre: großflächig unverständlich, aber auf rätselhafte Weise faszinierend. Bis man sich eingelesen hat. Aber keine Sorge, einen Überblick, wie man ihn aus den üblichen historischen Romanen gewöhnt ist, die einem alles schön ordentlich als Schauspiel auf der Guckkastenbühne zeigen und erklären, gewinnt man nie. Es kommen immer wieder seitenlange, atemlose Beschreibungen, in denen einem der Auor Namen, Handlungsfäden und Dialogfetzen nur so um die Ohren haut und es einem erst später dämmert, dass da mal eben ein ein Jahrzehnt auf ein paar Seiten abgehandelt wurde. Die Verwirrung und Orientierungslosigkeit des Lesers ist natürlich Absicht. Warum sollte es ihm etwa in völlig unübersichtlichen Kriegswirren anders gehen als dem Personal des Romans?

    Habe ich gerade gemacht, bzw. dreifach gemacht und mir scheint, es gibt diese Schreibvariante im Deutschen sehr wohl?


    Seufz. Fürs Protokoll: ich gehöre nicht zu den Rechtschreibstalinisten.


    Wenn ich zum Nachschlagen eines Wortes rate, dann eher, damit du die Bedeutung des Wortes dir vergegenwärtigst.


    Nur weil Person X auf Person Y eine Laudatio hält, kann man Person Y nicht als Protegé von Person X bezeichnen. Das ist einfach das falsche Wort am falschen Platz. Ganz egal, wie es geschrieben wird.


    Beispiel: Als Jürgen Habermas 2001 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekam, wünscht er sich, dass Jan Philipp Reemtsma die Laudatio halten möge, was dieser auch getan hat. Ohne, dass Habermas damit zum Protegé Reemtsmas geworden wäre.