Hier [im „Zauberring“] zum ersten Mal betritt Fouqué das Gebiet des eigentlichen »Ritterromans«, des romantischen und damals so beliebten Mittelalters. Aber unter den Händen des Melancholikers wird etwas ganz anderes daraus, als bisher die Gebilde Cramers, oder der Naubert, oder auch Goethes Götz: es wird das Bild der Welt überhaupt.
Einer labyrinthisch verworrenen Welt, an deren Außenrändern wilde Länder und Völker als Übergang zum Chaos lauern. Im Süden die staubdunstende Wüste mit giftigem Zeug; im Norden in eisigen Felsklüften und verflochtenen struppigen Wäldern heidnische Zauberfinnen; im Westen wellt sich das graue Meer. Und die Söhne des Herrn Hugh, Eines nur in vielfacher Brechung, dringen durch die Gänge des Labyrinthes, fallen aus nach allen Richtungen, verwirren sich im »Wald der Welt«, wie es Fouqué später einmal formuliert. Das sollte man bei der Lektüre des Buches nie vergessen, daß es, ähnlich wie die ‹Insel Felsenburg›, ein Weltbild gibt; nur, daß bei Fouqué das strahlende, fast mythisch beruhigende Gegenbild der seligen Insel fehlt. (Noch einmal nur, in den »4 Brüdern«, ist ihm Ähnliches gelungen).
Die harmloseren Zeitgenossen erfreuen sich vielfach an der scheinbar gobelinbunten Manier, ohne die tiefe Schwermut, ohne das Gefühl der absoluten Exponiertheit zu empfinden; Einer erfreut sich sogar an dem »Christentum« des Werkes!
[…]
Fouqués Weltbild ist durchaus dämonisch, und wenn er im Leben nicht religiös genug sich gebärden kann – in echter Furcht vor dem Tode und der Hölle zumeist – ordnet sich in seinen Dichtungen die Weiße Lehre in einen größeren Rahmen ein: den der Zaubermittel gegen Angst und Unheil überhaupt. Fouqué ist gar kein Christ.
[…]
Der »Zauberring« ist ein bedeutendes Buch, und nicht nur sprachlich voll großer zahlreicher Schönheiten; bewundernswert auch die Kunst, mit der zwar die Haupterzählung auf einen kleinen, obwohl wandernden Ort fixiert wird, eben so weit der nähere »Gesichtskreis« geht – aber um diesen Ort wehen Wiesen, Lichter blinken aus fernen Waldbergen, Wege winden sich in einsamere Täler – immer bleibt im Unterbewußtsein des Lesers dieses »inselhafte« Gefühl wach, immer weiß er um die stark akzentuierte Landschaft hinter der Haupterzählung; immer regt der Dichter katalysatorisch die Phantasie des über dem Text Träumenden an.
(Arno Schmidt, Fouque und einige seiner Zeitgenossen, III/2, S. 203 ff.)