Der Merseburger Bücherberg
Ohne Soforthilfe drohen Sodanns 500 000 Bücher zu verschimmeln - Aber welches Projekt wäre da zu unterstützen und warum?
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Doch Sodann fehlt noch etwas anderes: ein schlüssiger Plan nämlich, der für mehr taugt als dafür, einen spontanen, von sittlichen und sentimentalen Appellen überreich begleiteten Alleingang zu rechtfertigen. Ein Plan nämlich, der das Projekt "Peter-Sodann-Bibliothek" für die Gesamtgesellschaft überhaupt nützlich machen könnte. Fehlt dieser Plan, nützt alles Geld der Welt nichts.
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Eine Präsenzbibliothek sämtlicher DDR-Bücher schwebe ihm vor, antwortet Peter Sodann auf Nachfrage, eine Leihbibliothek, in die sein Enkel gehen könnte, um zu begreifen, was die DDR gewesen wäre. Aber welcher Nachgeborene soll sich in einen Sessel setzen, um jene Massen-Literatur zu lesen, die schon zu DDR-Zeiten aus guten Gründen kaum jemanden interessierte?
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Aber die DDR war nicht nur ein "Leseland", sondern auch ein "Ausleseland", in dem Bücher zensiert, verboten und geschreddert wurden. Bleibt das unerwähnt, ist man sofort in einer Gemengelage, in der sachliche und ideologische Inhalte sich unkenntlich vermengen.
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Irgendwann fragt Michael Fernau: "Wieviele Bücher ,Einführung in die Sozialistische Produktion' soll man denn eigentlich aufheben?" So geht es hier um zwei Fragen im Kern: Wie könnte eine DDR-Präsenzbibliothek ein sinnvolles Unternehmen sein? Und: Darf man Bücher auch entsorgen? Selbstverständlich, sagt Fernau: Bibliotheken werfen seit 150 Jahren Bücher weg. Das dürfe man nicht "moralinsauer", sondern müsse man sachlich bewerten.
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Aber man pflegt hierzulande ein repressiv kulturreligiöses Verhältnis zum Buch: ein zielgenaues Instrument zur Erzeugung von schlechtem Gewissen.
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Wenn denn diese Sammlung Sinn machen soll, dann müsste systematisch und nicht zufällig erworben werden, vor allem die Titel der späten 40er und 50er Jahre, die kaum in Nachlässen zu finden sind. Die Sammlung müsste ein dokumentarisch-wissenschaftliches und nicht ein seelsorgerisches, sentimentales Projekt sein.
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Während heute die DDR-Literatur ein Comeback ungeahnten Ausmaßes erlebt mit Nachlass-Ausgaben (Werner Bräunig: "Rummelplatz"), Editionen ("Die Verschwiegene DDR-Bibliothek"), Verlagsgründungen ("Aurora" eigens für Werke von Peter Hacks), plaudert der Sodann-Zirkel ganz selbstverzückt weltentrückt.
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