Beiträge von giesbert

    Ludvig Holbergs ›Der politische Kannengießer‹ habe ich jetzt auch gelesen. Das ist Holbergs erstes Stück, das 1722 erstmals ausgeführt wurde und, wenn ich das richtig sehe, nicht nur seinerzeit sehr populär war. Thematisch ähnelt es dem ›Jeppe vom Berge‹, hier wie dort wird jemanden durch eine Scharade vorgegaukelt, er sei zu einer Machtposition aufgestiegen, für die er sich immer geeignet hielt, um daran zu scheitern. Anders als beim eher derben Jeppe wird die Hauptfigur hier aber geläutert, und es gibt ein Happy End.


    Der Kannengießer Hermann, durch die Lektüre politischer Bücher wirr im Kopf geworden und sich für Höhere bestimmt haltend, veranstaltet mit anderen Handwerken ein regelmäßiges "Collegium politicum", bei dem sich die Mitglieder mit albernen Phrasen und absurden Ideen mit der Politik ihrer Stadt beschäftigen (nebenbei: das Stück spielt in Hamburg) und natürlich alles besser wissen als die Verantwortlichen. Übersetzen wir Collegium politicum einfach mal mit Stammtisch. Holberg nutzt die Schilderung eines Stammtisch-Treffens für burleske Szenen. Regieanweisung für den Schluss des 2. Aktes: "Alle anderen ergreifen Partei. Die Sitzung endet mit einer Prügelei."


    Durch seine politischen Ambitionen von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten verkommt sein Handwerksbetrieb und steht vor dem Konkurs. Hermanns "politischer Sparren" ist stadtbekannt, einige Bürger erlauben sich den Spaß, ihm vorzugaukeln, er sei Bürgermeister geworden, was Hermann auch sofort glaubt. Seine Frau und sein Lehrling Heinrich werden gleich größenwahnsinnig, versuchen sich im vornehmen Benehmen, was natürlich völlig abstrus gerät und Anlass für diverse komische Szenen ist. Man trägt Hermann nun einige besonders verzwickte Rechtsstreitigkeiten vor, die ihn erkennen lassen, dass das alles nicht so einfach ist, wie er sich das gedacht hat; als er glaubt, gar eine schwere diplomatische Krise heraufbeschworen zu haben, verzweifelt er vollends und will sich das Leben nehmen. Da klärt ihn rechtzeitig der Wagenmeister Anton – der in einem Wirtshaus zufällig mitbekommen hat, welchen Spaß man sich mit dem Kannengießer erlaubt hat – über den Sachverhalt auf. Hermann ist geheilt, alles wird gut, und Anton bekommt die Tochter Hermanns. Die Werbung Antons um die Tochter Engelke bildet die Klammer des Stücks. Es beginnt damit, das Anton von Hermann abgewiesen wird ("Drum wünsch ich mir auch einen Schwiegersohn, der was von Politik versteht"), und endet damit, dass der genesende Hermann seinen Segen gibt. Das Stück hat eine Reihe recht witziger Szenen, die ich mir, etwas modernisiert, durchaus auf einer Volkstheaterbühne vorstellen kann.


    Goethe hat für sein Stück ›Die Aufgeregten‹ (1793 – hübscher Titel, aber Stück kenne ich (noch) nicht ;-)) auf den Kannengießer zurückgegriffen, "kannengießern" kommt einem gelegentlich als Bezeichnung für "politisierendes Stammtischgeschwätz" unter, bei Arno Schmidt z.B.: "… und alle=3 Schmutzbärte kannegießertn dann über Tém’m, von den’n das mindeste noch ›De Gål‹ war".


    Die Übersetzung von Robert Prutz bei Gutenberg ist auch die Grundlage meiner Übersetzung (Reclam, 1959), ist aber wohl gekürzt; in meiner Fassung sind jedenfalls einige Passagen in [eckigen Klammern] ergänzt worden.

    nur mit einer stinkenden Unterführung ehrt.

    Die Paul-Heyse-Unterführung in der Nähe des Hauptbahnhofs ist aber auch wirklich das Grauen ;-). Von Pleschinski kenne ich nur ein, zwei frühe Sachen, die seinerzeit bei Haffmans erschienen sind, die fand ich sehr amüsant und unterhaltsam. Dann hab ich ihn völlig aus den Augen verloren. (Mir fiel jetzt neben Pest & Moor und dem Holzvulkan noch Der Schleiftrog ein - aber der ist von Hermann Kinder, den ich auch aus den Augen verloren habe, seufz). - Von Paul Heyse hab ich mal im Studium ein paar Novellen gelesen, aber an die habe ich überhaupt keine Erinnerungen mehr. Und ich habe auch nicht vor, ihm nocheinmal eine Chance zu geben - aber Pleschinski merk ich mir mal vor.

    Ich hab jetzt auch noch eine Arbeitspause genutzt und den nächsten Text von meiner Liste gelesen: Oscar Wilde, ›Ein idealer Ehemann‹.


    Das Stück ist zwar recht turbulent und witzig, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es heute noch auf der Bühne funktioniert (aber das will nicht viel heißen ;-)). Nicht nur, weil das Stück eine nungut "Moral" hat (nämlich ein sagenwirmal Hohelied auf die Liebe), die zwar deutlich ironisch gebrochen wird, aber doch da ist ("Ernst und seine tiefere Bedeutung" ist davon erfreulicherweise völlig frei - das ist lieber geistreich als moralisch), sondern weil es auch viele ironischer Spitzen gibt, die man eigentlich nur durch die Anmerkungen versteht, z.B.:


    Die Anmerkung:

    Zitat

    Im Originaltext: "I have never read a Blue Book. I prefer books … in yellow covers". Als "Blaubücher" wurden die traditionell in blaues Papier eingeschlagenen Regierungsakten bezeichnet, während gelbe Umschläge charakteristisch für frivole französische Romane waren. 'The Yellow Book' hieß auch eine 1894–1897 erschienene Viertelsjahrschrift in Buchform, die von Aubrey Beardsley und Henry Harland herausgegeben wurde.


    Zum Yellow Book gibt es auch einen Wikipedia-Eintrag (zu Beardsley natürlich auch, falls den jemand nicht kennen sollte ;-)), "Gelb" war jedenfalls im ausgehenden 19. Jahrhundert in England eine eindeutige Signalfarbe, die sich dem heutigen Leser / Zuschauer wohl nicht mehr erschließt.


    Anspielungen dieser Art gibt es zahlreiche in dem Stück.


    Ich hab das Stück übrigens in zwei Übersetzungen. Einmal in der von Bernd Eilert (die ich gelesen habe), einmal in der von Hans Wollschläger, in der es überhaupt keine Anmerkungen und auch kein Nachwort gibt. Da wird diese Passage folgendermaßen übersetzt:


    Hätte ich Wollschlägers Übersetzung gelesen, hätte ich diese Stelle überhaupt nicht verstanden - und nicht nur die nicht.


    Erstaunlich ausführlich sind Wildes Regieanweisungen zu den einzelnen Personen, in denen er quasi ein psychologisches Kurzporträt entwirft, etwa:

    Zitat

    Mrs. Marchmont und Lady Basildon, zwei auffallend hübsche Frauen, sitzen nebeneinander auf einem Sofa im Stil Ludwig des XVI. Sie wirken beide auf kostbare Art zerbrechlich. Die Affektiertheit ihrer Manieren wirkt auf gezielte Weise charmant. Watteau hätte sie gewiß gern gemalt.

    Die Anweisungen beim ersten Auftreten der Hauptfiguren sind noch wesentlich ausführlicher, aber da bin ich jetzt zu faul, die abzuschreiben ;-).

    Ich bin jetzt endlich dazu gekommen, ein weiteres Stück von meiner Liste zu lesen: Ludvig Holberg, ›Jeppe vom Berge‹ (1722). Das Stück ist auch heute noch recht populär, wird wohl noch gelegentlich gespielt, es gibt eine Verfilmung (Dänemark, 1981), eine Hörspielfassung von 1949.


    Das Stück variiert das Thema "König für einen Tag": Der versoffene Bauer Jeppe schläft auf einem Misthaufen seinen Rausch aus und wird, weil's dem Baron zu langweilig ist, von den Dienern des Baron ins Schloss gebracht und in feine Kleider gesteckt. Aus seinem Rausch aufgewacht wird ihm vorgeschwindelt, er sei der Baron, was Jeppe auch bald glaubt und sich ratzfatz zu einem tyrannischen Herrscher aufschwingt, der gleich mal ein paar Lakaien aufhängen will. Da er dabei aber gleichzeitig säuft wie ein Loch, schläft er bald wieder ein. Er wird in seine alten Kleider gesteckt und auf den Misthaufen zurückgebracht. Dort erwacht er, wird dann (ebenfalls vom Baron und seinen Dienern) scheinbar vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt (weil er sich in das Schloss des Barons eingeschlichen habe). Als letzten Wunsch möchte Jeppe ordentlich Branntwein, den er, zusammen mit einem Schlaftrunk, auch bekommt. Man redet ihm ein, dass der Branntwein vergiftet sei und hängt den Schlafenden scheinbar an den Galgen. Dort wacht er auf, seine gehässige Frau Nille erscheint, verprügelt Jeppe (was sie im ersten Akt schon ausgiebig getan hat), der Baron geht dazwischen, verurteilt Jeppe zum Leben und alles ist wieder so wie zuvor. Am Schluss gibt der Baron noch allerlei Sinnsprüche zum Besten, so à la Die Gesellschaftsordnung ist von Gott weislich eingerichtet, sollte nicht auf den Kopf gestellt werden, und wer zu schnell aufsteigt, der wird zum Tyrannen.


    Naja. Ich weiß nicht, wie das Stück heute inszeniert wird oder was der Film daraus gemacht hat, aber man kann das problemlos gegen den Strich bürsten und etwa den Baron, der im Stück eher unangetastet bleibt, und mit ihm den Adel als Sadisten darstellen – das ist ja schon ein seltsamer Spaß, den er sich da erlaubt –, Jeppe als (durchaus auch schuldiges) Opfer der Umstände, dem nicht nur vom Baron, sondern eigentlich von allen übel mitgespielt wird.


    Das Stück ist übrigens recht derb, Jeppe spricht einigermaßen Klartext.

    Ein komischer Zufall, weshalb ich gedacht habe, den Beitrag dann doch einzustellen

    Danke für den Beitrag und den Link auf das wirklich schöne Bild – aber "Zufall" würde ich das nicht nennen: Das sorgfältige Ausformulieren einer Frage und der unternommenen Lösungsversuche ist (zumindest für mich) eine wichtige Lösungsstrategie. Es ist ja eher selten so, dass man auf eine Frage praktisch sofort die Antwort findet, das Ausformulieren hilft dann dabei, auf Lösungswege zu kommen, die einem zuvor nicht eingefallen sind (wie hier den Namen mal in Kyrillisch zu schreiben). Das nennt man dann wohl "Nachdenken" ;-).

    Salambo hab ich so mit 17, 18 gelesen. Davon weiß ich nichts mehr, außer, dass ich ziemlich begeistert war (ob mir das heute noch gefallen würde, weiß ich nicht). Aber eine Anekdote fällt mir dazu ein: In den ersten Semestern an der Uni hab ich mich gelegentlich in fachfremde Veranstaltungen gesetzt, einmal auch bei den Romanisten in ein Flaubert-Seminar. Da fragte der Prof zu Beginn, ob jemand Salambo gelesen hätte. In meinem jugendlichen Leichtsinn zeigte ich auf - und war der einzige von gut 30 Teilnehmern. Oha. Glücklicherweise stellte der Prof dann keine Fragen mehr, das wäre peinlich für mich geworden - die Lektüre lag damals schon drei, vier Jahre zurück und ich wusste praktisch nichts mehr von dem Roman ;-).

    Ich bin meiner Leseliste immer noch untreu und habe nach "Abend mit Goldrand" jetzt dann doch erstmal die "Julia" von Schmidt begonnen. Die Erstlektüre liegt arg lang zurück, das muss ich mal auffrischen.

    Ah, danke, das wir neu. Gleich mal den Link speichern.


    Ich bin meiner Leseliste übrigens untreu geworden und lese derzeit Arno Schmidt "Abend mit Goldrand" weiter (und hab ein paar Asterix-Bände eingeschoben ;-))

    Nach Iffland und Freytag wollte ich mal was wirklich Gutes lesen und griff zu Oscar Wildes "Ernst – und seine tiefere Bedeutung" (The Importance of Being Earnest"). Ich wurde nicht enttäuscht. Von Wilde kannte ich bislang nur etwas Prosa (also den Dorian Gray und die Märchen) und ein paar Essays, keine Dramen.


    "Ernst" gehört mit Abstand zum witzigsten und komischsten, was ich bislang gelesen habe. Eine ungemein temporeiche Verwechslungs- und Verwirrungskomödie mit vielen eleganten Sticheleien gegen die viktorianischen Ideale. Das würde ich wirklich sehr gern auf der Bühne sehen, das muss ein sehr großer Spaß sein. (Die Stichelei geht schon im Titel los, aber dazu müsste ich größere Passagen aus dem Nachwort abtippen, dazu bin ich jetzt zu faul ;-).)


    Gelesen habe ich die Übersetzung von Bernd Eilert (Haffmans, Zürich 1999), der wohl als einziger Übersetzer auf Wildes ursprüngliche Fassung in vier Akten zurückgreift. Das Stück wurde bei seiner UA am 14.2.1895 (auf Wunsch des Intendanten und Regisseurs George Alexander) auf drei Akte gekürzt, 1899 erschien diese Fassung im Druck, und alle dt. Übersetzungen haben sich daran gehalten.


    Wilde selbst scheint seine ursprüngliche Fassung bevorzug zu haben. Nach einer Probe soll er gesagt haben:

    Zitat

    Ja, das Stück ist ganz gut. Ich entsinne mich, einmal selbst etwas Ähnliches geschrieben zu haben, und das war sogar noch brillanter.

    Der Übersetzer merkt noch an:

    Zitat

    Im Vierakter treten nicht bloß zwei zusätzliche Figuren auf, von denen zumindest eine zum komischen Verwirrspiel erheblich beiträgt, der unterschlagene Akt enthält auch noch ein paar Schlenker, die so abwegig sind, daß sie jeden Versuch einer Psychologisierung vereiteln sollten.

    Wie man an dieser Anmerkung wohl schon merkt, darf man von dem Stück keinen Realismus oder glaubwürdige Figuren erwarten, bekommt dafür aber sehr viel Wortwitz und absurde Handlungen. (In seiner Ironie und Verspottung sozialer Konventionen und viktorianischen Benimm- und Verhaltensregeln ist es natürlich "realistisch".)


    Jedenfalls eine nachdrückliche Empfehlung, das Stück sollte man kennen.

    Also Ifflands "Der Komet" muss niemand lesen. Das Stück ist ausschließlich erwähnenswert, weil Schmidt es in "Kaff auch Mare Crisium" von Schulkindern aufführen lässt. Was, wenn man das Stück mal gelesen hat, mehr als unwahrscheinlich ist (nicht nur, dass eine Laienbühne das aufführt, sondern dass es überhaupt irgendjemand aufführt). Schmidt zitiert auch nur klug ausgewählte Sätze, die zum Gesamtgefüge von "Kaff" passen. (Es geht um den Buchbinder Balder, dem ein Scharlatan eingeredet hat, dass ein Komet die Erde zerstören werde, damit der Scharlatan die Tochter und das Geld Balders bekommt.)


    Dann stand Gustav Freytags "Die Journalisten" auf dem Programm. Das Personenverzeichnis beginnt mit:


    Oberst a.D. Berg

    Ida, seine Tochter

    Adelheid Runeck

    Senden, Gutsbesitzer

    Professor Oldendorf, Redakteur


    … und da war eigentlich schon klar, worum es in dem Stück geht: Dass der Herr Professor die Tochter des Generals bekommt. Bekommt er auch. Ein fürchterliches Stück, aber ein seinerzeit (UA: 8.12.1852) sehr erfolgreiches. Interessant für die Entwicklung der dt. Literatur nach 1848, aber ansonsten kann ich davon nur abraten. Und den gar nicht mal so latenten Antisemitismus möchte ich gar nicht erst erwähnen.

    So, nach dem Stück ist vor dem Stück: Als nächstes war dann Ifflands "Die Jäger" an der Reihe, ein "Ländliches Sittengemälde in fünf Aufzügen". Zu Iffland heißt es in der Wikipedia:

    Zitat

    Als Dramatiker ist er in der Sittenschilderung am bedeutendsten; seine Stücke zeigen weniger moralisierende Breite als vielmehr eine außerordentliche Bühnen- und Menschenkenntnis und eine gemütlich-sittliche Tendenz.

    Das verquollenen Deutsch deutet auf eine Quelle so um 1950 hin ;-), aber es trifft auf "Die Jäger" jedenfalls so halbwegs zu: Es gibt jede Menge "gemütlich-sittliche" Szenen aus dem Haushalt der Oberförsters, moralisiert wird zwar gehörig, aber jetzt nicht so breit ausgewalzt. Allerdings werden die üblichen bürgerlichen Ideale gefeiert und gepriesen, dieser "Glück im Winkel"-Quatsch und das Gesellschaftsbild/-ideal ist schon arg gruselig.


    Da gibt es auf der einen Seite die Familie des Oberförsters mit dem Oberförster als gottgewollter oberster Instanz (und der nicht umsonst Oberförster ist), seiner Frau, die sich um Küche, Garten und Hochzeiten kümmert, deren ungestümen Sohn Anton, der sittsamen Pflegetochter und Waise Friederike und dem treuen Diener Rudolph. Auf der anderen Seite steht der arrogante und korrupte Amtmann (übrigens von Iffland gespielt), seine zickige und eingebildete Tochter Kordelchen und der (nur namentlich auftauchende) Sohn Peter; eine "Frau Amtmann" wird, wenn ich das richtig sehe, nicht einmal erwähnt: Die Familie des Amtmanns ist also gewissermaßen schon von Haus aus beschädigt.


    Beide Familien haben mehr oder weniger sprechende Namen: Der Oberförster heißt "Warberger", der Amtmann "von Zeck". Dazwischen steht der verschlagene und intrigante Matthes, der zu Beginn des Dramas noch Diener beim Oberförster ist, sein Dienstverhältnis aber bereits gekündigt hat und zum Amtmann wechselt. Zudem gibt es Personal dazwischen: Bauern, einen Schulzen, Wirtin, Bedienung und Gäste in einem Gasthaus, Jägerburschen.


    Anton liebt Friederike, sie liebt ihn, die Mutter aber hätte gern Anton mit Kordelchen und Friederike mit Peter verkuppelt. Die Oberförsterin ist gegen die Heirat von Anton und Friederike, da sie unterschiedliche Konfessionen haben, aber der Oberförster und der Pastor reden ihr gut zu und natürlich lässt sie sich überzeugen. Anton hat von Umstimmung seiner Mutter allerdings nichts mitbekommen, rennt davon und will unter die Soldaten. Angeblich aber soll er den Matthes ermordet haben, Anton wird festgenommen, es gibt ein paar sehr sentimentale Szenen, in denen der Oberförster, die Oberförsterin, Friederike und der Pastor versuchen, den Amtmann – der die Anklageschrift bewusst boshaft abgefasst hat, weil der Oberförster zuvor einem Korruptionsversuch aufrecht widerstanden hat – umzustimmen, dann klärt sich der angebliche Mord auf (Matthes ist nur verwundet und es war auch nicht Anton, sondern der alte Diener Fritz (den Matthes aus seiner Stellung gemobbt hat und der jetzt vor dem finanziellen Ruin steht) und die bürgerliche Familie des Oberförsters ist wieder heil.


    Die Sittsamkeit Friederikes wird übrigens u.a. dadurch illustriert, dass sie nach zweijährigem Aufenthalt aus der Stadt zurück kommt, und die Fragen von Kordelchen nach der neuesten Mode etc. nicht zu beantworten weiß ;-).


    Iffland war generell ein sehr erfolgreicher und einflussreicher Autor (er und Kotzebue haben praktisch das Bühnengeschehen der Zeit – also Ende 18./Anfang 19. Jahrhunderts – bestimmt), die "Jäger" waren wohl eines seiner erfolgreichsten Stücke überhaupt. Im Nachwort des Reclam-Heftes heißt es:

    Zitat

    Am Berliner Theater stammt mehr als ein Drittel des Repertoires der Jahre 1790 bis 1830 aus Ifflands und Kotzebues Feder, und in dem Zeitraum von 1786 bis 1885, also bis nach dem Kulturkampf, den Gründerjahren und den Sozialistengesetzen, werden 'Die Jäger', freilich mit abnehmender Häufigkeit, 160-mal gegeben.

    Warum das Stück übrigens "Die Jäger" heißt, erschließt sich mir nicht so recht: Jagd & Jäger tauchen nur am Rand auf, und als äh "Gattungsbegriff" (mir fällt auf die Schnelle nichts besseres ein ;-)) für die ideale Oberförsterfamilie scheint mir der Titel auch nicht wirklich zu taugen.


    Abweichend von meiner Leseliste schieb ich jetzt noch rasch von Iffland "Der Komet" dazwischen, das ist "Eine Posse in Einem Aufzug", also sehr kurz, und für Schmidts "Kaff auch Mare Crisium" nicht ganz unwichtig.

    Interessant, wie modern die Technik wirkt, so zeitgebunden die satirischen Seitenhiebe auch sein mögen. Die Idee von der Welt als Theater ist zwar fast so alt wie das Theater selbst, aber dies in eine Inszenierung hineinzubringen, und auch immer das Medium selbst zu thematisieren erscheint wirklich sehr modern.

    Tieck hatte natürlich Vorbilder, im Nachwort meiner Ausgabe der "Verkehrten Welt" wird auf Aristophanes verwiesen oder auf Holbergs "Ulysses von Ithacia", das ich nicht kenne, aber in dem anscheinend auch der Dichter auftritt und für Verwirrung sorgt. Das Stück muss dann abgebrochen werden, weil die Kostümverleiher auf die Bühne kommen und die Kostüme zurückverlangen.


    Gleichzeitig haben Tiecks Stücke aber auch weitergewirkt, etwa bis zu Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor" oder Anoulihs "Die Grotte". Das ist übrigens ein tolles Stück, Anoulih zieht da alle bühnenwirksamen Register, ganz großartiges Boulevard-Theater. Im besagten Nachwort wird Anoulih als "moderner Kotzebue" tituliert, was ich etwas ungerecht finde - dass Anoulih keine Angst vor effektvollen Szenen und Dialogen hat, ist imho kein Argument gegen seine Stücke, das fulminante "Der arme Bitos oder das Dinner der Köpfe" fällt mir da ein (jetzt wollte ich kurz mal nach der richtigen Schreibweise googlen und bin dabei über einen zeitgenössischen Artikel bei Spiegel online vom 14.11.1956 gestolpert - lesenswert).


    Und bei Pirandello fällt mir immer der hübsche Vierzeiler von Karl Kraus ein:


    Ein schaler Witz zwischen Schein und Sein,

    Rosinen schmecken nach Kuchen.

    Der Autor aber bildet sich ein,

    daß sechs Personen ihn suchen.


    Aufführen ließen sich der "Kater" und die "Verkehrte Welt" heute durchaus, aber sie müssten wohl gründlich überarbeitet werden, dazu ist die Satire in den Stücken einfach zu zeitgebunden. Der "Zerbino" ist dagegen wohl gar nicht erst für die Bühne gedacht gewesen (und imho auch als Lesedrama misslungen).

    Gombrowicz’ "Besessnen" hab ich auch im Regel stehen und allen Anschein nach auch irgendwann mal gelesen (das dtv-Taschenbuch zeigt jedenfalls eindeutige Lektürespuren) – aber daran hab ich selbst mit deinen Anmerkungen und dem Klappentext nur sehr, sehr undeutliche Erinnerungen. Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich ihn ziemlich lustig fand …


    Tja.


    Ich hab derweil meine Leseliste um ein Stück erweitert, das ich auch gleich gelesen habe: Ludwig Tieck, "Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Geschmack, gewissermassen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers." Das Stück (1799) wird immer zusammen mit dem "Kater" (1797) und der "Verkehrten Welt" (1798) genannt, also dachte ich mir, liest du das halt auch.


    Thematisch ist es ähnlich, aber programmatischer. Es geht, grob gesagt, um "Poesie" vs. "Aufklärung" bzw. "Romantik" vs. "Rationalismus": Die ungefähre Haupthandlung: Prinz Zerbino ist von der "Poesie" befallen, die Krankheit greift schon im Palast um sich (die Bediensteten fangen an zu schwärmen und reden, zu ihrem eigenen Erschrecken, in Versen), der Zauberer Polykomikus behandelt den Prinzen und verschreibt eine "Reise nach dem guten Geschmack". Der Prinz bricht auf, trifft unterwegs allerlei Volk, gerät an eine allegorische Schmiede und eine allegorische Mühle (die unbrauchbares Zeug von sich geben und auch veralbert werden), kommt in den Garten der Poesie (wo er Dante, Ariost, Cervantes etc trifft), wird aber nicht geheilt, gerät in Wahnsinn und will das Stück zurückdrehen, schiebt die Kulissen szenenweise zurück, der Verfasser tritt auf und versucht, ihn zu beruhigen, Zerbino wird in den Kerker geworfen, schwört dort der Poesie ab und bekennt sich zur Aufklärung. Dazu kommen verschiedene Nebenhandlungen (Schäfer, Waldbruder, unglücklich Liebende, die allesamt ihr Happy End finden und noch ein paar weitere Figuren & Szenen mehr), die aber allesamt eher skizziert als ausgeführt sind und nur lose zusammenhängen. Zudem tritt das Wetter, die Vegetation und auch das Mobiliar als handelnde Personen auf, es gibt ein satirisches Marionetten-Theater, einige Figuren reflektieren über ihre Rolle, die ihnen der Verfasser vorgeschrieben hat. Ein "Stück im Stück" wie der "Kater" oder "Die verkehrte Welt" ist es allerdings nicht.


    Das sechs (!) Akte werden von einem "Jäger" verbunden, der als Prolog, Chorus und Epilog auftreten muss:

    Das Stück hat seine amüsanten Passagen und eine ganze Reihe satirischer Spitzen gegen den Literaturbetrieb (Wielands "Oberon" und "Don Sylvio" werden etwa als flache Kopien von Ariost und Cervantes kritisiert), aber im Großen & Ganzen ist das ein ziemlicher Murks und vor allem viel zu lang und chaotisch. Nimmt man den "Kater" als Maßstab, ist "Die verkehrte Welt" rd. 1,3 mal, der "Zerbino" satte 3,4 mal so lang und hat eine Unmenge an Personal (also ein klassisches Lesedrama, das sich praktisch nicht aufführen lässt, was beim "Kater" und der "verkehrten Welt" ja durchaus geht und gelegentlich auch gemacht wurde). Die Verse des nunja "poetischen Teils" sind obendrein oft sehr dünn-dämliches Geplätscher – ich hab diese Passagen gegen Ende dann nur noch überflogen, das wurde mir entschieden zu doof.


    "Gewissermaßen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers" ist der "Zerbino" insofern, als das Stück an dem Königshof seinen Anfang nimmt, an dem im "Kater" der Bauerssohn Gottlieb mit Unterstützung des Katers Hinze landet und schließlich die Prinzessin heiratet. Einiges Personal aus dem Kater tritt auch hier wieder auf, der Kater selbst ist königlicher Berater "Hinze von Hinzenfeld" mit von der Partie.

    So, Tiecks "Verkehrte Welt" hab ich jetzt auch gelesen. Er geht da noch einen Schritt weiter als beim "Kater".


    Der Vorhang geht auf; das Theater stellt ein Theater vor


    heißt die erste Regieanweisung und Tieck setzt dann immer noch eins drauf und gelangt zum Theater im Theater im Theater im Theater (wenn ich mich da jetzt nicht verzählt habe). Was das Publikum auf der ersten Ebene erst recht verwirrt:

    Zitat

    SCÄVOLA. Es ist gar zu toll. Seht, Leute, wir sitzen hier als Zuschauer und sehn ein Stück; in jenem Stück sitzen wieder Zuschauer und sehn ein Stück, und in jenem dritten Stück wird jenen dritten Akteurs wieder ein Stück vorgespielt.

    […]

    DER ANDRE. Nun denkt euch, Leute, wie es möglich ist, daß wir wieder Akteurs in irgendeinem Stücke wären, und einer sähe nun das Zeug so alles durcheinander! Das wäre doch die Konfusion aller Konfusionen.

    Dabei hat das nunja "Hauptstück" diesmal tatsächlich so etwas wie eine Handlung: Der Darsteller des Scaramuz hat auf seine Rolle keine Lust mehr und will lieber den Apollo spielen, er übernimmt den Parnaß und kommerzialisiert ihn, Apollo wird Schäfer, am Ende gibt's eine Rebellion, man stürzt den König Scaramuz und Apollo übernimmt wieder.


    Das wird alles in einem ständigen Wechsel der Rollen und Ebenen präsentiert (wobei Scaramuz sich zeitweillg für einen echten König hält), Grünhelm, eine Figur aus dem Publikum, will auch mal was erleben und steigt auf die Bühne (und begeht am Ende Selbstmord, indem er wieder ins Publikum springt, weil er keine Lust auf Krieg & Revolution hat), Pierrot will dagegen nicht mehr auf die Bühne und begibt sich ins Publikum usw.


    Insgesamt ein ziemliches Durcheinander mit sehr viel Theaterdonner und Tricks (natürlich taucht auch der Maschinist auf, sowohl als Maschinist wie als Schauspieler, der den Maschinisten spielt) und es gibt wieder jede Menge satirische Spitzen gegen die Literatur und das Theatergeschehen um 1790 und Anspielungen auf die frz. Revolution, Sottisen gegen Kirche & Regierung.


    Die verschiedenen Bezüge waren wohl schon kurz nach der Entstehung des Stücks anscheinend erklärungsbedürftig waren, hat Tieck doch in späteren Bearbeitungen (~1815) einiges umgeschrieben und konkretisiert:

    Zitat

    In diesen … Fällen wurde, auf Kosten von Leichtigkeit und Kürze, so etwas wie ein Sachkommentar eingearbeitet, den die zeitliche Distanz offenbar schon damals notwendig gemacht hatte

    heißt es da im Materialien-Teil meiner Ausgabe (de Gruyter, Berlin 1964).


    Das Stück beginnt mit dem Epilog und endet mit dem Prolog, der dann verwundert feststellt, dass niemand mehr im Theater ist:

    Zitat

    PROLOGUS. […] Doch ich sehe soeben, es ist kein Zuschauer da, der diesen so notwendigen Prologus anhören könnte.

    ZUSCHAUER. Wir sitzen hinter der Gardine, Herr Prologus, beim Herrn Skaramuz.

    PROLOGUS. So will ich also auch zu ihm gehn. Ich empfehle mich. – (Er verbeugt sich sehr ehrerbietig gegen die leeren Bänke und geht ab).

    GRÜNHELM. Nun ist der ganze Prolog an mich gerichtet gewesen, der ich eine der Hauptpersonen im Stücke selber war, und doch ist er mich gar nicht gewahr geworden, und doch bin ich hier der einzige Mensch! Es ist immer sehr wunderbar, und verdient wohl eine Untersuchung der Philosophen. – Aber ich tue wohl gut, nach Hause zu gehn, und meiner wirklichen Frau von meinen wunderbaren Begebenheiten diesseit und jenseit der Lampen zu erzählen, denn die Verbindung mit der Thalia war nur eine Komödienheirat. (Er geht.)

    Nachtrag: Scaramuz ist übrigens praktisch zeitlos:

    Zitat

    SKARAMUZ (nachdenkend). Die Regierung ist nunmehr in der schönsten Verfassung. Man kann nicht mehr Verstand haben, als ich besitze, und ich denke gewiß noch zu niedrig von mir. Bescheidenheit ist mein vorzüglichster Fehler, den ich mir mit der Zeit noch ganz abgewöhnen muß. – Manchmal schwindelt mir vor mir selber, wenn ich meine Größe ermesse; dann möcht ich den Hofpoeten wohl ein Buch in Dialogen von mir schreiben lassen. Aber der Hofpoet schreibt nicht erhaben genug.

    So, den ersten Punkt meiner Leseliste kann ich schon mal abhaken, das erste Stück hab ich gestern gelesen: Tieck, Der gestiefelte Kater. – Ein Theaterstück, das ich mir nur schwer auf der Bühne vorstellen kann (und wenn, dann als ziemlich temporeiches Durcheinander). Es gibt keine "Handlung", die sich irgendwie "entwickelt", statt dessen gibt es einen wilden Mix der Meta-Ebenen, ein satirisches Feuerwerk über den Literatur- bzw. Theaterbetrieb um 1790, den Publikumsgeschmack, die Literaturkritik usw. Eine Inszenierung steht zudem vor dem Problem, dass zwar einerseits "nichts passiert", andererseits aber viel Theatermaschinerie aufgeboten werden muss (in einer Szene erscheint unvermittelt eine pompöses Kulisse aus der "Zauberflöte", die großen Applaus bekommt und nach "Da capo!"-Rufen aus dem Publikum (das zum Stück gehört) noch einmal, gänzlich ohne Akteure, gezeigt wird, um tosenden Beifall zu bekommen).


    Ziemlich lustig, aber für die heutige Bühne müsste man das wohl stark überarbeiten und aktualisieren. Sätze und Szenen, die um 1790 witzig waren, sind das heute ja nur noch mit relativ viel historischem Wissen, ansonsten verpuffen die Scherze und satirischen Spitzen. Ich muss mir mal die Bearbeitung von Tankred Dorst besorgen.