Ludvig Holbergs ›Der politische Kannengießer‹ habe ich jetzt auch gelesen. Das ist Holbergs erstes Stück, das 1722 erstmals ausgeführt wurde und, wenn ich das richtig sehe, nicht nur seinerzeit sehr populär war. Thematisch ähnelt es dem ›Jeppe vom Berge‹, hier wie dort wird jemanden durch eine Scharade vorgegaukelt, er sei zu einer Machtposition aufgestiegen, für die er sich immer geeignet hielt, um daran zu scheitern. Anders als beim eher derben Jeppe wird die Hauptfigur hier aber geläutert, und es gibt ein Happy End.
Der Kannengießer Hermann, durch die Lektüre politischer Bücher wirr im Kopf geworden und sich für Höhere bestimmt haltend, veranstaltet mit anderen Handwerken ein regelmäßiges "Collegium politicum", bei dem sich die Mitglieder mit albernen Phrasen und absurden Ideen mit der Politik ihrer Stadt beschäftigen (nebenbei: das Stück spielt in Hamburg) und natürlich alles besser wissen als die Verantwortlichen. Übersetzen wir Collegium politicum einfach mal mit Stammtisch. Holberg nutzt die Schilderung eines Stammtisch-Treffens für burleske Szenen. Regieanweisung für den Schluss des 2. Aktes: "Alle anderen ergreifen Partei. Die Sitzung endet mit einer Prügelei."
Durch seine politischen Ambitionen von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten verkommt sein Handwerksbetrieb und steht vor dem Konkurs. Hermanns "politischer Sparren" ist stadtbekannt, einige Bürger erlauben sich den Spaß, ihm vorzugaukeln, er sei Bürgermeister geworden, was Hermann auch sofort glaubt. Seine Frau und sein Lehrling Heinrich werden gleich größenwahnsinnig, versuchen sich im vornehmen Benehmen, was natürlich völlig abstrus gerät und Anlass für diverse komische Szenen ist. Man trägt Hermann nun einige besonders verzwickte Rechtsstreitigkeiten vor, die ihn erkennen lassen, dass das alles nicht so einfach ist, wie er sich das gedacht hat; als er glaubt, gar eine schwere diplomatische Krise heraufbeschworen zu haben, verzweifelt er vollends und will sich das Leben nehmen. Da klärt ihn rechtzeitig der Wagenmeister Anton – der in einem Wirtshaus zufällig mitbekommen hat, welchen Spaß man sich mit dem Kannengießer erlaubt hat – über den Sachverhalt auf. Hermann ist geheilt, alles wird gut, und Anton bekommt die Tochter Hermanns. Die Werbung Antons um die Tochter Engelke bildet die Klammer des Stücks. Es beginnt damit, das Anton von Hermann abgewiesen wird ("Drum wünsch ich mir auch einen Schwiegersohn, der was von Politik versteht"), und endet damit, dass der genesende Hermann seinen Segen gibt. Das Stück hat eine Reihe recht witziger Szenen, die ich mir, etwas modernisiert, durchaus auf einer Volkstheaterbühne vorstellen kann.
Goethe hat für sein Stück ›Die Aufgeregten‹ (1793 – hübscher Titel, aber Stück kenne ich (noch) nicht ;-)) auf den Kannengießer zurückgegriffen, "kannengießern" kommt einem gelegentlich als Bezeichnung für "politisierendes Stammtischgeschwätz" unter, bei Arno Schmidt z.B.: "… und alle=3 Schmutzbärte kannegießertn dann über Tém’m, von den’n das mindeste noch ›De Gål‹ war".
Die Übersetzung von Robert Prutz bei Gutenberg ist auch die Grundlage meiner Übersetzung (Reclam, 1959), ist aber wohl gekürzt; in meiner Fassung sind jedenfalls einige Passagen in [eckigen Klammern] ergänzt worden.