Beiträge von Imrahil

    Lion Feuchtwanger - J.L. Wetcheeks Amerikanisches Liederbuch
    Franz Kafka - Amerika
    Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz


    Zitat

    Cambridge Companion to Montaigne


    Hi Xenophanes, ist diese Reihe Cambridge Companion empfehlenswert und was bietet sie? Eher biographische Angaben, einen Werkkommentar (Zusammenfassung) oder spzeialisierte literaturwissenschaftliche Aufsätze zu einzelnen Themen?


    Liebe Grüsse,
    Imrahil

    Salut ihr beiden,


    Zitat

    Ich denke auch wie Du, Finsbury, dass es Feuchtwanger sehr gut gelungen ist, sich an seinen im Nachwort beschriebenen Plan, seine Menschen immer so objektiv wie möglich mit ihren guten wie schlechten Seiten zu beschreiben, zu halten.


    Ich kann mich dem nur anschliessen! Feuchtwanger zeichnet niemals Schwarz-Weiss, er weiss sowohl den an sich "Guten" Negatives, und den an sich "Schlechten" Positives abzugewinnen. Diese Schattierungen macht einerseits die Menschlichkeit der Personen aus, andererseits auch ihre Glaubwürdigkeit.


    Da Feuchtwanger das Exil ja am eigenen Leib erfahren hat - wenngleich er finanziell nie Probleme hatt, sich im Gegenteil stets wieder eine reichhaltige Privatbibliothek aufbauen konnte - konnte er sich einige Erfahrungen in seinen Roman mit einfliessen lassen. Zum Beispiel das Motiv der Albträume, S.515 im dritten Buch:
    "Solche Träume, man sei in Deutschland und verfolgt von den Nazi, suchten sie oft heim, und fast alle Emigranten erzählten ihr von ähnlichen Träumen."Oder die Auswirkungen der schlechten äusseren Umstände auf das Zwischenmenschliche am Beispiele Sepps und Annas.
    Die Beschreibung des Lageraufenhaltes Benjamins nahm Feuchtwanger seinem eigenen hingegen vorweg, Feuchtwanger war vor seiner Flucht über die Pyrenäen und dann in die USA in Frankreich ja auch in Lagern.
    Für mich ist „Exil“ das eindeutig dunkelste Buch der Wartesaal-Trilogie, ich denke an erster Linie an das tragische Ende Annas, zuvor aber noch ihren stetigen Verfall, ihre Verzweiflung und grenzenlose Müdigkeit (ihr „streaming of consciousness“ ist wahrlich literarisch von einer unheimlichen Kraft!). S.519: „Jetzt ist ihr eine Arbeitskarte wichtiger als Mozart und Beethoven zusammen.“ Das sind einfache Sätze, die aber so viel ausdrücken.


    An den Beispielen Gingolds und Heilbruns sieht man immer wieder, dass private Belange der Allgemeinheit stets vorgezogen werden. Gerade Heilbrun empfand ich ja als positive Figur, und trotzdem lässt er Sepps Entlassung zu. Am Ende siegt dann aber doch wiederum seine Anständigkeit. Heilbrun ist für mich ein Paradebeispiel der vielen innerlich zerrissenen Figuren Feuchtwangers.


    Ringseis’ Lehre des Wartens, die den Anstoss zu Trautweins Wartesaal-Sinfonie gibt ist wohl der östlichen Weisheitslehre entlehnt, mit der sich Feuchtwanger stark beschäftigte.


    Das Ende war für mich eine Stimmungslage inmitten von Ungewissheit, Qual, Triumph, Gezeichnetheit von Entbehrungen und Hoffnung. Jedenfalls bin ich sehr überzeugt von Feuchtwangers literarischen Qualitäten, seinem Auge für die prekäre zeitgeschichtliche Lage, seine Figurenkonzeptionen und seiner grossen Romananlegung der Handlung, wo jedes kleine Detail sich zum Ganzen fügt (am stärksten in „Erfolg“). Ich wäre mit Sicherheit bei einer Leserunde zu „Jud Süss“ dabei.


    Imrahil

    Hallo ihr beiden,


    Bin nun - nachdem ich noch ein anderes Buch dazwischengeschoben hatte - auch mit "Exil" zu Ende. Vermutlich muss sich auch bei mir die Lektüre noch etwas setzen.
    Feuchtwanger schrieb, dass "Exil" ein Mittelding aus (dem symbolvollen) "Erfolg" und aus (dem eher zügigeren) "Die Geschwister Oppermann" sei. Ich habe das rückblickend auch so empfunden.


    Werde mich in den nächsten Tagen noch mit einem Schlusskommentar melden und natürlich gerne weiterdiskutieren.
    Was "Transit" angeht, so hat das aber leider gerade keinen Platz, zu vieles, was mir die Uni derzeit zu lesen diktiert...
    Bin aber im Sommer oder sonst irgendwann gerne bei einer weiteren Feuchtwanger-Runde dabei, er hat ja noch vieles Interessantes geschrieben. Werde übrigens in den nächsten Wochen eine kleine Arbeit zu Feuchtwangers Gedichten "Wetcheeks Amerikanisches Liederbuch" (1928) schreiben. Der Autor hat mich irgendwie gepackt :zwinker:


    Liebe Grüsse,
    Imrahil

    Salut zusammen,


    Bin nun mit dem zweiten Buch zu Ende. Auch wenn Du schon fertig bist, finsbury, können wir ja die Diskussion noch ein wenig fortsetzen.


    Der Tod Harry Meisels bildet einen sehr dunklen Abschnitt des Romans. Zunächst wird nochmals das Künstlermilieu etwas klischiert gezeigt (kritisiert?), indem Tschernigg und Meisel sobald sie Geld haben, dieses sogleich verprassen. Es kehrt das Motiv des Sieges der Unbegabten über die Begabten wieder, indem der Begabte, das "Genie" Meisel stirbt. Als Folge zeigt sich gerade bei Trautwein ein Bild der Mutlosigkeit, Resignation und auch Verkommenheit. Auch Anna wird mehr und mehr ein psychisches und physisches Wrack. Selbst bei Wiesener herrscht Untergangsstimmung, er fürchtet sein Waterloo. Wirklich zufrieden und glücklich scheint mir keine Figur dieses Buch, vielleicht Heydebregg.


    Zu Beginn des 13.Kapitels wird noch einmal ein allgemeiner Appell aufgeworfen, dass die Nazis nicht allein mit der Vernunft, sondern auch mit dem Gefühl gewissermassen bekämpft werden müssen. Der logische und gesunde Menschenverstand - das betont Feuchtwanger unentwegt - reicht eben nicht mehr allein aus.
    "Vernunft, Sinn für Anstand, Geschmack, alles wird ausgeschaltet, wenn erst der Trieb einmal mächtig geworden ist. Das ist ja die Gleichschaltung, dass Vernunft und Anstand und GEschmack ausgeschaltet werden. Das ist unser braunes Zeitalter." (S.417).


    Was haltet ihr von der Figur Gingold? Er ist mir eigentlich gar nicht so unsympathisch, vielmehr erscheint er mir einfach blind hinsichtlich der Situation, er erkennt die Gefahren eben trotz seiner Gewieftheit nicht. Zwar hat er für die Nazi den Begriff "Urböse" parat, aber er scheint sie zunächst nicht ernst genug zu nehmen, möchte mit ihnen ein Spiel spielen. Überhaupt sind die vielen Intrigen und Ränkespiele wie auch bereits in "Erfolg" auffallend stark vertreten. Es ist ein riesiges diplomatisches, politisches GEflecht.


    Zitat

    Sepp Trautwein kopiert in die PN einen absurden Artikel, der ursprünglich im "Fränkischen Kurier" veröffentlicht worden ist. Ein Jude wurde verurteilt, da er eine Hose in SA-Farben getragen hatte. Vielleicht eine von Feuchtwanger erfundene Geschichte, die allerdings so absurd ist, dass sie sehr gut aus Nazi-Deutschland stammen könnte.


    In der Tat absurd! "Die Geschwister Oppermann" waren ja voll von solchen Berichten und Absurditäten der Nazi.


    Zitat

    Mir ist nicht ganz klar, was uns der Autor mit dieser Szene sagen möchte. Einen tieferen Sinn muß sie ja haben. Möchte Feuchtwanger hier noch etwas als "er selbst" zum Ausdruck bringen ?


    Zu der Szene Tüverlins und Wieseners: Ich denke ganz schlicht, dass Feuchtwanger so nochmals deutlich seine Verachtung jeder Person zeigen wollte, die mit den Nazi paktiert. Und da wie Du sagst Tüverlin ja ähnlich Gustav und Sepp ein alter Ego ist, bietet sich eine solche Szene an.


    Zitat

    Zu diesem Götterkreis gehört auch Loki, der Gott der List. Dass es dafür einen Extra-Gott gibt, ist im Vergleich zu anderen Mythologien auch bemerkenswert.
    Ich denke aber, im Wesentlichen bezieht sich der Begriff in der Tat auf das Nibelungenlied, in dessen Hagen die Nazis ja immer ein Paradebeispiel für nordische List gesehen haben, nicht am Anfang, sondern an Etzels Hof, als er Krimhield zugunsten der Burgunder auszutricksen versucht.


    Das hatte ich doch glatt überlesen. Vielen Dank für den Hinweis finsbury!


    Bis dann,
    Imrahil

    Salut zusammen,


    Komme nun zu Kapitel 11, Buch II. Das letzte Kapitel handelte vom "Oratorium Die Perser". Habe mir zu dieser Gelegenheit einen Aischylos-Band gekauft (kenne bisher nichts von ihm) und werde das kleine Stück bei Gelegenheit einmal lesen. Ich finde Intertextualität ohnehin etwas sehr spannendes, wenn auch oft, eigentlich nahezu immer ausufernd :zwinker:


    Interessant das mit der Klemperer-Anekdote Zola, kannst Du mir dessen Bücher gross modo empfehlen?


    Zur "nordischen List" bin ich auch noch nicht fündig geworden, werde das aber weiterverfolgen. Konntest Du noch etwas ausfindig machen Zola, oder Du Finsbury?


    Als allgemeine Beobachtung finde ich, dass es Feuchtwanger sehr gekonnt versteht, Gedanken-und Gesprächssequenzen auszuführen, dabei eben beide Seiten beleuchtet. Es hat einige starke Dialoge. Beispielsweise zwischen dem Dirigenten Riemann und Trautwein.
    Und wie er jedem Menschen etwas Gutes abgewinnen kann, so zeugt Feuchtwanger aber auch gleichermassen die Tücken und intrigante Hinterhältigkeit der MEnschen immer wieder aufs Neue auf.
    Daneben auch starke, beängstigende Bilder. z.b. S.307, Kap 6,II: Wiesener, Gehrke und Heydebregg sitzen an einem Tisch." Sie hatten viel Schicksal gemacht, die drei Herren, und werden auch in Zukunft über manche Schicksale zu befinden haben."
    Als drittes: Feuchtwanger gelingen meines Erachtens auch stets schöne Charakterbilder, reichhaltig, humorvoll und ironisch.


    Der Nationalsozialismus wird weiter als völlige Entbehrung der Vernunft betrachtet, als vulgär, vorsteinzeitlich, Unbegabte (die über die Begabten den Sieg davon tragen). Etwas pessimistisch ist es, wenn Harry Meisel anfügt, dass man die Welt nicht für dumm genug halten könne. Spricht daraus auch Verbitterungd und Resignation Feuchtwangers?
    Interessant ist wirklich auch, dass Feuchtwanger immer wieder auf den Verlust an Sprachgefühl der Nazis hinweist, auf den einziehenden Militarismus auch in der Sprache. Da fällt mir auch die Stelle mit der "Entleerungsschlacht auf dem Lokus" ein, auf die auch bereits hingewiesen wurde. Oder ein anderes Beispiel, als Raoul Spitzi seinen Altar mit den Symbolen zeigt und in "Nazideutsch" übersetzt: "Kunstbereitschaft"!


    Mir fällt auf, dass Feuchtwanger ein Faible dafür hat, immer wieder vereinzelt andere Künstler bei sich dezent einfliessen zu lassen. Friedrich Schiller (am prominentesten im Kapitel "Kabale und Liebe"; auch in "Erfolg") oder verschiedene Opern Puccinis wie "Tosca", "Madame Butterly".


    Thematischer Schwerpunkt bleibt bis jetzt meines Erachtens die Untrennbarkeit von Kunst (Musik, Literatur in diesem Falle) und Politik.


    Soweit,
    Imrahil

    Salut finsbury, salut Zola,


    Ich komme jetzt zum sechsten Kapitel des zweiten Buches. Habe übrigens nun doch noch die besagte gebundene Ausgabe vom Aufbau-Verlag (1993) erworben. Die vielen Fehler sind mir aber bislang nicht aufgefallen.


    Ein paar Leseeindrücke zum ersten Buch:
    Schon zu Beginn des Buches wird evident, dass Kunst und Politik sich zu dieser Zeit (und überhaupt?) nicht trennen lassen, sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. So muss der eigentlich unpolitische Trautwein eben doch politisch eingreifen, fühlt sich zumindest dazu gedrängt. Dies erinnert stark an die Motivik in "Erfolg".
    Und wie ihr schon festgehalten habt, anders als bei den Oppermanns sind nicht die Juden die Protagonisten und Opfer, sondern alle aus Deutschland Vertriebenen, allen voran die Trautweins und Feuchtwanger zeigt gekonnt auf, wie unterschiedlich die verschiedenen Personen auf den sozialen und ökonomischen Abstieg, auf die neue Lebenssituation im Exil reagieren. Während also Anna voller tiefen Bedauerns ist, kommt bei Sepp eher Gleichmut zum Vorschein. Bei allen schimmert aber die grosse Verunsichertheit durch. Später wird einmal erwähnt, dass Sepp nie gedacht hätte, dass eine so mit Unvernunft und Dummheit geschlagene Gruppierung wie die Nazis an die Macht kommen würden: Wie auch die Oppermanns war er, wie wohl die meisten, in dieser Hinsicht blind (ob bewusst oder unbewusst).


    Die Exilanten sind fremd, es geht ihnen wirtschaftlich schlechter und politisch sowieso. Zwar können sie ungestrafter als in Deutschland ihrem Unmut Ausdruck verleihen, diesen äussern, aber eben nur mit eingeschränkter Wirkung. Die "P.N." erreicht eben bloss diejenigen, die ohnehin schon antinationalsozialistischer Gesinnung sind. Dazu auf S. 43: „In einer toten Sprache schreibt man. Die sie verstehen, kriegen sie nicht zu lesen, und die sie zu lesen kriegen, wissen ohnedies, was man ihnen zu sagen hat.“
    Gerade in den letzten Kapiteln kommt die zunehmende Gereiztheit und aufgeladene Stimmung, der gegenseitige Unmut zum Ausdruck, bedingt durch die Ärmlichkeit, Enge und aussichtsloser politischer Situation. Die anfängliche Euphorie Sepps hat sich zunehmend in Resignation gekehrt. Doch trotz der Armut gibt es auch Personen, wie diese Ilse, welche verschwenderisch und dekadent leben, dazu auf Effekte und Vergnügen aus sind. Feuchtwanger zeichnet diese Exilanten sehr bunt, vielschichtig. Überdies spart Feuchtwanger auch nicht an Kritik an de Exilanten, zumindst erwähnt er ihren moralischen Abstieg, bedingt durch das Elend im Exil, ihre schlechten Eigenschaften treten in besonderem Masse in Erscheinung. Durch ihre Identitätslosigkeit und Fremdheit behindern sie sich gegenseitig. Auch politisch schaffen sie es nicht, sich zu formieren und zu einigen.


    Die Frage, inwieweit die Kunst die Politik beeinflussen kann, stellte sich mit Sicherheit auch Feuchtwanger selbst, so schrieb er ja z.b. „Die Geschwister Oppermann“ in Rekordzeit um eben möglichst schnell eine Wirkung herbeizuführen, aufhorchen zu lassen. Die Antworten auf diese Frage nach der Wirkung nehmen sich aber meist pessimistisch aus im Buch. Zentral aber ist, dass Feuchtwanger nichts verschweigen wollte, so lässt er auch Benjamin sagen: „Ich bin ein besessener Journalist, das ist alles. Ich kann nichts verschweigen.“ (S. 35 in meiner Ausgabe).


    Das Treiben der Nazis wird wie auch in den vorangehenden Bänden als gewaltvolle Barbarei dargestellt, als Lügenpolitik entgegen der Wahrheit, als plumpe Dummheit und Ausschalten der Vernunft. Gerade die Vernunft sieht ja Feuchtwanger als eine der wichtigsten Tugenden an, mit Vernunft versucht er zu argumentieren, aber, und das wir auch immer wieder erwähnt, nutzt die Vernunft eben im Dialog mit den „Dummen“ (den Nazis“) nichts. Oft wird ihre Lächerlichkeit (z.b. die dilettantisch schreibenden nationalsozialistischen Journalisten), auch die überzogene „Reinheit“ spielt eine Rolle.
    Trotzdem ist der Nationalsozialismus, ganz anders als noch in „Die Geschwister Oppermann“ eher eine Randerscheinung, den Grossteil nimmt das Alltagsleben im Exil ein, zumindest bis jetzt. Ich bin gespannt, was da noch kommen wird.


    Was ebenfalls ein weitergeführtes Motiv ist, ist das der Ungerechtigkeit, dem Fehlgehen der Justiz, zumindest unterschwellig, wenn es heisst: „Eine Handvoll Gewalt ist besser als ein Sack voll Recht […]. S.57. Auch das Motiv der „nordischen List“ tritt wieder auf. Woher da kommen mag? Aus den Nibelungen?


    Die Sprache gefällt mir, es sind meist treffende, stilsichere Formulierungen. Mit dem Mittel der „erlebten Rede“ gelingt es Feuchtwanger, was ihr ja auch schon mehrfach geschrieben habt, das ganze Gefühls- und Gedankenreichtum der verschiedenen Personen in all seinen Facetten aufzufächern. So kann man sich in die Personen hineinversetzen und deren Gedanken und Argumentationen meist annehmen, auch wenn sie einem nicht sympathisch sind. Dadurch wird meines Erachtens eine starke Nähe erzeugt, das Buch wirkt damit sehr authentisch.
    Oft wechselt Feuchtwanger zwischen Präteritum und Präsens. Ich denke er will mit dem Wechsel ins Präsens die Szenen verstärken, den Leser damit noch näher ins Geschehen versetzen, oder was meint ihr?


    Auf S.214 heisst es: „Nur wenige im Ausland ahnten, mit welch schauerlicher, närrischer, bis ins letzte verfeinerter und verästelter Methodik die Nazi praktische Konsequenzen aus ihren Rassentheorien zogen.“
    War man im Ausland wirklich so unaufgeklärt über das Treiben der Nazi? Ich kann mir das kaum vorstellen, da ja der Journalismus, das Nachrichtenwesen überhaupt sehr rege im Gange war. Was meint ihr?


    Zur Person Wiesener: Das stimmt, er ist wirklich unsympathisch, sehr selbstgefällig und wir von Feuchtwanger auch mit viel Ironie und Spott bedacht. Trotzdem oder gerade deswegen ist er eine sehr bereichernde, interessante Figur. Ist euch die Parallele zum Oppermann-Buch aufgefallen? Wiesener schreibt ja an einer Biographie zu Beaumarchais, erinnerte mich an Gustav, der an einer Lessing-Biographie schrieb. Das sind immer wieder so kleine Details und Motive, die Feuchtwanger jeweils über ein Buch hinaus verfolgt. Das gespannte Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Wiesener und Raoul hingegen erinnerte mich an Dr.Geyer und seinen Sohn Erich Bornhaak aus „Erfolg“, wobei dort der Sohn der Nazi war.


    Und wenn ich schon gerade bei Parallelen bin: Der junge marxistische Hanns, der Architekt lernt, russisch lernt und nach Moskau will weist einige Gemeinsamkeiten zu Kaspar Pröckl auf: Auch dieser war jung, Marxist, wollte und ging nach Moskau und hatte, neben seiner Schriftstellerei, eine technische Profession (Mechaniker?). Allerdings ist Hanns mehr der „Opfertyp“, das habt ihr auch an einer Stelle geschrieben.


    Mit Tüverlin (erst passiv), Tschernigg und Meisel (nicht zu vergessen als die Journalisten, Trautwein, Benjamin, Wiesener etc.) spielt die Literatur selbst auch wieder eine grosse thematische Rolle. Ich habe auch das Gefühl, dass sich diesbezüglich noch etwas zusammenbrauen wird.


    Soviel einmal zu Buch I, versuche so gut es geht weiter aufzuholen, aber man kann ja auch mit unterschiedlichen Leseständen diskutieren.


    Liebe Grüsse,
    Imrahil

    Hallo finsbury, hallo Zola,


    Es tut mir Leid, kann ich erst jetzt zu der Leserunde wirklich dazustossen, ich fand bisher einfach keine Zeit. Doch habe ich diese Woche mit der Lektüre von "Exil" begonnen und habe heute das erste Buch abgeschlossen. Bin jetzt zu müde und zu ungeduldig um meine ersten Eindrücke und Gedanken sowie Fragen dazu zu formulieren, werde diese aber morgen oder spätestens übermorgen nachreichen. Ich freue mich auf die Diskussion.


    Liebe Grüsse,
    Imrahil

    Hallo Klopskerl, Alpha!


    Ich stimme Alpha darin zu, dass solche Zusammenstellungen immer heikel sind und keine richtigen Antworten zulassen. Aber trotzdem haben sie wohl ihren Sinn darin, dass man als beginnender Leser der klassischen Weltliteratur ja irgendwo beginnen muss. Und dabei sind Empfehlungen wohl hilfreich. Ich denke Klopskerl geht es mehr um Leseanregungen als um eine korrekte Liste mit "den 10 besten Autoren", oder verstehe ich das falsch?


    Wenn es um "wichtige Autoren, die es zu lesen lohnt" geht, dann würde ich das Ganze einschränken. Z.b. Empfehlungen aus dem MA, oder der Russischen Literatur aus dem 19. Jhd. oder ...


    Denn natürlich könnte man solch eine Auflistung wagen Klopskerl, aber selbst wenn man vom IDealfall ausgeht und alle die eine Liste vorschlagen einen repräsentativen Überblick über die Weltliteratur haben, ja selbst dann würde es wohl kaum zwei übereinstimmende Listen geben.


    Imrahil


    P.s. Die von Dir erwähnten Autoren sind jedenfalls mit Sicherheit sehr wichtige und gute Autoren, wiewohl bzgl. Scholochows "Stillen Don" meines Wissens Plagiatsvorwürfe bestehen. Trotzdem hat er den Nobelpreis erhalten.

    Salut zusammen,


    Ich wollte euch nur mitteilen, dass ich erst in ca. einer Woche in die Leserunde miteinsteigen kann. Befinde mich im Semesterendspurt und habe da noch einiges anderes zu lesen. Lasst euch aber keinesfalls aufhalten, ich versuche dann ein wenig aufzuholen und es lässt sich ja auch bei ungleichem Lesestand diskutieren, zumal ich nicht annehme, dass ihr dieses Mammutwerk in einer Woche durchabt :zwinker:


    Also viel Spass und sorry, melde mich dann in einer Woche wieder,
    Imrahil

    Du meinst mit "Exil" :zwinker:


    Habe das Buch gestern bei zvab bestellt und heute bereits die BEstätigung vom Antiquariat haben, das Buch sollte also auch bei mir in den nächsten 2-3 Tagen vorliegen. Freue mich ebenfalls, umso mehr, dass ich gerade so richtig im Feuchtwanger-Fluss bin :smile:


    Imrahil

    Salut,


    Noch zum dritten Buch "Morgen"; es beginnt mit dem Spruch aus dem Talmud: "Es ist uns aufgetragen, am Werke zu arbeiten, aber es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden." Dies kommt immer wieder vor, wisst ihr Näheres darüber (Kontext u.a.)?


    Bisweilen hatte ich den Eindruck, dass Feuchtwanger eine leise Anklage an die anderen Europa richtete, zumindest einen Hilferuf. Denn auch dort erkennt man die Barbarei in Deutschland nicht. Es ist gewissermassen ein Appell auch ans Ausland, etwas zu unternehmen.


    Bertholds Tod war irgendwie abzusehen, zumindest musste er irgendwie am inneren Konflikt zwischen dem Druck der Aussenwelt und seinem eigenen Recht zugrunde gehen. Dass er nicht nachgegeben hat, spricht zwar für ihn, ist aber letztlich genauso wie Gustavs Rückkehr nach Deutschland irgendwie sinnlos. Die Debatte zum Schluss zwischen Heinrich, Pierre Tüverlin und Gustav war schon interessant. Folglich die Aussage, dass es klüger ist für eine Idee zu leben als zu sterben und man nur nach der Vernunft leben sollte. Gustav vertritt dann eher den Standpunkt einer emotionalen Vernunft, er fühlt sich verpflichtet etwas zu tun.
    Es kommt auch die Thematik der westlichen und der östlichen Weisheit ins Spiel, womit sich Feuchtwanger auch beschäftigt hat. So steht das westliche Handeln dem östlichen Betrachten gegenüber, welches F. bevorzugte. S.243: Gewissen hat nur der Betrachtende. Jedenfalls will Gustav -wie Feuchtwanger - "nicht schweigen" (S.299).


    Sollte man folgende Passagen kennen (wenn ja, von wem?);
    "Und liebst Du Deutschland? Frage ohne Sinn / Kann ich das lieben, was ich selber bin?" (S.241)


    Was ich mich auch fragte: Ob Feuchtwanger mit Gutwetter einen bestimmten Schriftstellerkollegen gemeint hat oder ob dieser einfach für alle die Nazis unterstützenden Autoren steht, welche F. kritisiert? Bei "Erfolg" entsprachen ja viele Figuren realen Vorbildern.


    Alles in allem halte ich "Die Geschwister Oppermann" für einen sehr treffenden Roman, der wohl wie kein anderer (zumindest mir in diesem Stadium um 1933 nicht bekannt) die Thematik des Nationalsozialismus so zeitnah und kritisch schildert. Und dies gepaart mit den literarischen Fähigkeiten des Romanciers Feuchtwanger. Warum aber "Erfolg" stilistisch schlechter sein soll - schrieb glaube ich Zola - erschliesst sich mir nicht. Ich halte "Erfolg" für ebenso brilliant.


    Leider bin ich auch über sämtliche Antiquariate im Internet und auch in Buchhandlungen nicht fündig geworden, die Ausgabe von Exil die ich suche, scheint tatsächlich vergriffen. Sollte ich nicht fündig werden in den nächsten Tagen, dann bestellte ich mir halt eine andere Ausgabe.


    So, wurde jetzt sehr lang, ihr müsst nicht antworten, aber wenn ihr z.b. Antworten auf meine Fragen habt, könnt ihr die ja posten :zwinker: Freue mich jetzt jedenfalls auf die Exil-Leserunde. Wann im Februar wollt ihr denn beginnen?


    Imrahil

    Salut zusammen,


    Habe den Roman nun doch verhältnismässig zügig zu Ende gelesen, da er - wie ihr schon mehrfach geschrieben habt - weniger überladen als "Erfolg" ist und von der Thematik, aber auch Konzeption sehr packend war. Ich möchte dazu noch ein paar Worte schreiben :zwinker:


    Hauptthema ist im zweiten Buch der endgültige Aufstieg der NSdAP, Hitler wird 1933 Reichskanzler (dass Feuchtwanger den Roman im selben Jahr schrieb ist erstaunlich und macht ihn natürlich überaus authentisch!) und die Barbarei, wie der Autor immer wieder schreibt, verdrängt die Vernunft. Das nimm zeitweise absurde Züge an, wo man als Leser innerlich verzweifelt, wenn man mitansehen muss, wie die grösste Vernunft nichts wert ist gegen die dumpfe, brutale Willkür der Nationalsozialisten. Für Feuchtwanger, der die Vernunft ja zuoberst einstufte, ein wichtiges Thema.
    Aber trotz den Szenen der Gewalt, der Barbarei, Niedergang der Humanität, des Stumpfsinnes, der Untergrabung der Kultur und wie in "Erfolg" dem völligen Ausbleiben einer gerechten Justiz sind einige Personen, allen voran eben die Oppermanns mit Blindheit geschlagen und erkennen die Lage nicht, wollen sie bisweilen nicht erkennen, wie mir scheint. Auch Feuchtwanger sagt ja zunächst in den USA "Hitler is over", bevor er aber dann doch rasch erkannte: "Hitler means war". Deswegen ist es doch interessant, dass Feuchtwanger ziemlich prophetisch seine Sichtweise aus "Erfolg" hier fortsetzt.


    Feuchtwanger macht sich ind er Tat einige Male über die mangelnde Sprachkompetenz Hitlers lustig und auch sonst zieht er das Ernste ein wenig ins Komische (z.b. der Dilletantismus der völkischen Presse), zumindest lässt sich ab und an Galgenhumor finden. Darüber hinaus ist ja Feuchtwanger trotz allem zuversichtlich, wenn er schreib (was mir gefallen hat): "Aber jede Epoche erlebt auch, dass am Ende Ulysses den Polyphem besiegt" (S. 135).


    Auffallend fand ich doch, wieviele Juden anscheinend rechtzeitig auswanderten (wenngleich relativ gesehen nur wenige)? Entspricht dies den Tatsachen? Vielleicht hat es halt damit zu tun, dass die Leute im Umfeld der Oppermanns eher betucht waren und deshalb über die notwendigen finanziellen Mittel verfügten.


    An einer Stelle denkt Martin an Hiob, wenn er den Verfall seiner Familie sieht, nur liegt hier ja keinerlei Hybris vor. Feuchtwanger zeigt schön, wie plötzlich Leute, die genauso Deutsche waren und ein gleiches Leben lebten wie die anderen, plötzlich Vaterlandsverräter und Verbrecher sind, und die anderen nicht. Und dies von einem Moment auf den anderen (beinahe zumindest). Immer wieder bei der Lektüre habe ich inne gehalten und mich gefragt wie das nur geschehen konnte. Es ist auch heute noch unbegreiflich, auch wenn man dutzende Gründe anführen kann.


    Kommentar zu dritten Buch folgt.


    Imrahil

    Salut zusammen,


    Habe mit der Lektüre "Die Geschwister Operrmann" begonnen und befinde mich nun zu Beginn des zweiten Buches "Heute".
    Das Buch ist, wie ja auch schon angemerkt wurde, zügiger von Feuchtwanger verfasst worden als "Erfolg"was sich nicht nur in der geringeren Länge des Buches sondern auch in der Konzeption niederschlägt. Es ist zwar immer noch ein sauberes Gesamtgefüge, aber gleichwohl rückt die Handlung m.E. schneller voran, vielleicht bilde ich mir dies aber auch nur ein. :zwinker:


    Es gibt in der Tat ein paar Bezüge zu Feuchtwanger: So hatte sein Grossvater ja Erfolg in Bayern mit einer Margarinefabrik, natürlich war er auch Jude und sein Grossvater wie sein Vater kamen auch aus Fürth.


    Sprachlich bedient er sich auch wie in "Erfolg" mit Freude der sogenannten Erlebten Rede, was den Leser wunderbar in die Figuren hineinblicken lässt.


    Auch hat es Ähnlichkeiten, gar Verwandtschaften mit "Erfolg": So schickten doch auch Pröckl und Tüverlin jeweils eine Postkarte an sich selbst, wie hier Gustav Oppermann.
    Des weiteren spielt auch die sogenannte "nordische List" wieder eine Rolle und selbstverständlich die Unhaltbarkeit der Justiz, welche von Politik und Wirtschaft bestimmt war.


    Der Nationalsozialismus wird als tierische, instinktive Bewegung dargestellt und das erste Buch endet ja damit, dass sich Gustav und der Rektor fast zu Tode lachen über das Buch "Mein Kampf". Eine schöne, gleichsam beklemmende Szene, weil man ja um den weiteren Verlauf der Geschichte Bescheid weiss. Ich denke es kommt hier gut zum Vorschein, dass es sehr wohl einige gab, welche die nahende Gefahr erkannten, viele sie aber gar nicht ernst nahmen und über die Nazis zunächst noch lachten.
    Feuchtwangers Glaube an die Vernunft spiegelt sich im Denken des Rektor François und Gustavs wieder.


    Eine Sache, welche ich noch nicht durchschaut habe, ist die, dass einer von Vogelsangs (Nazi-Lehrer) Schützlingen Max Weber heisst. Zufall oder klare Intention Feuchtwangers?


    Jedenfalls eine spannende, lehrreiche Lektüre, gleichsam aber auch bedrückend aufgrund dem Schicksal der Familie und dem ganzen geschichtlichen Hintergrund. Es ist, sofern ich das aus heutiger Sicht beurteilen kann, ein treffendes Bild der damaligen Zeit, z.b. stach mir sofort auch die Zeitungsflut dieser Zeit ins Auge, wo man zum Frühstück, Mittag und Abendessen jeweils eine andere Zeitung zu Gemüte führt (natürlich nicht Jedermann).


    Was "Exil" anbelangt: Habe die beiden ersten Bände der Wartesaal-Trilogie jeweils gebunden, von der Reihe "Gesammelte Werke" des Aufbau-Verlages. Leider ist "Exil" dabei vergriffen, könnt ihr mir da vielleicht weiterhelfen? Bei zvab habe ich bereits geguckt...


    Liebe Grüsse,
    Imrahil

    Hallo zusammen,


    Habe gerade gestern im Rahmen einer Filmreihe des Historischen Instituts an der hiesigen Uni "Paths of Glory" gesehen und war tief beeindruckt. Kirk Douglas in einer starken Rolle. Gerade dass der Film Schwarz-Weiss ist, macht ihn vermutlich noch eindrücklicher. Die Schlussszene, als die Soldaten, zunächst noch brummig und rauh, plötzlich gerührt in das Lied der gefangenen deutschen Frau (Kubricks Gattin!) einstimmen, ging unter die Haut.


    Zitat

    Clockwork orange und mal wieder eine Literaturverfilmung, die besser ist als ihre Vorlage...



    Die Vorlage kenne ich nicht, der Film ist schrecklich. Den sehe ich mir nicht nochmal an.


    Da muss ich widersprechen, ich halte Clockwork Orange für einen ausgezeichneten Film. Allein schon die Musik! Der Film ist zugegeben sehr überspitzt, will heissen voller Gewalt, birgt aber eine scharfe Gesellschaftskritik in sich (erinnere mich spontan an das falsche Lächeln des Politikers mit dem Patienten, von dessen "bösen Zügen" er weiss, vor den Journalisten). Es ist ein Kultfilm, wohl einer an dem sich die Geister scheiden, wie z.b. Pulp Fiction.


    Gruss,
    Imrahil

    Wie siehts aus mit der geplanten Leserunde zu "Exil"? Bin mit "Erfolg" zu Ende und auch schon im Besitz von "Die Geschwister Oppermann", werde mit dieser Lektüre aber frühestens Februar beginnen können. Wäre eine "Exil"-Runde für euch auch im März okay oder habt ihr andere Lesepläne? ;-)


    Imrahil

    Da nun ein weiteres Jahr zu Ende gegangen ist und ich den Thread "Schönstes Leseerlebnis 2004" sehr interessant und anregend fand, dachte ich mir, die Auflistung und Diskussion hier fortzusetzen.


    Meine schönsten Leseerlebnisse im Jahre 2005 waren u.a. die folgenden:


    - Dubliners (James Joyce)
    - Der Zauberberg (Thomas Mann)
    - Die Blechtrommel (Günter Grass)
    - Metamorphoses (Publius Ovidius Naso)
    - Don Karlos (Friedrich Schiller)


    Zu nennen wäre noch Lion Feuchtwanger als Schriftsteller, stecke derzeit noch in "Erfolg" und bin auch davon begeistert.


    Auf ein ertragreiches und freudvolles Lesejahr 2006!


    Imrahil