Salut finsbury, salut Zola,
Ich komme jetzt zum sechsten Kapitel des zweiten Buches. Habe übrigens nun doch noch die besagte gebundene Ausgabe vom Aufbau-Verlag (1993) erworben. Die vielen Fehler sind mir aber bislang nicht aufgefallen.
Ein paar Leseeindrücke zum ersten Buch:
Schon zu Beginn des Buches wird evident, dass Kunst und Politik sich zu dieser Zeit (und überhaupt?) nicht trennen lassen, sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. So muss der eigentlich unpolitische Trautwein eben doch politisch eingreifen, fühlt sich zumindest dazu gedrängt. Dies erinnert stark an die Motivik in "Erfolg".
Und wie ihr schon festgehalten habt, anders als bei den Oppermanns sind nicht die Juden die Protagonisten und Opfer, sondern alle aus Deutschland Vertriebenen, allen voran die Trautweins und Feuchtwanger zeigt gekonnt auf, wie unterschiedlich die verschiedenen Personen auf den sozialen und ökonomischen Abstieg, auf die neue Lebenssituation im Exil reagieren. Während also Anna voller tiefen Bedauerns ist, kommt bei Sepp eher Gleichmut zum Vorschein. Bei allen schimmert aber die grosse Verunsichertheit durch. Später wird einmal erwähnt, dass Sepp nie gedacht hätte, dass eine so mit Unvernunft und Dummheit geschlagene Gruppierung wie die Nazis an die Macht kommen würden: Wie auch die Oppermanns war er, wie wohl die meisten, in dieser Hinsicht blind (ob bewusst oder unbewusst).
Die Exilanten sind fremd, es geht ihnen wirtschaftlich schlechter und politisch sowieso. Zwar können sie ungestrafter als in Deutschland ihrem Unmut Ausdruck verleihen, diesen äussern, aber eben nur mit eingeschränkter Wirkung. Die "P.N." erreicht eben bloss diejenigen, die ohnehin schon antinationalsozialistischer Gesinnung sind. Dazu auf S. 43: „In einer toten Sprache schreibt man. Die sie verstehen, kriegen sie nicht zu lesen, und die sie zu lesen kriegen, wissen ohnedies, was man ihnen zu sagen hat.“
Gerade in den letzten Kapiteln kommt die zunehmende Gereiztheit und aufgeladene Stimmung, der gegenseitige Unmut zum Ausdruck, bedingt durch die Ärmlichkeit, Enge und aussichtsloser politischer Situation. Die anfängliche Euphorie Sepps hat sich zunehmend in Resignation gekehrt. Doch trotz der Armut gibt es auch Personen, wie diese Ilse, welche verschwenderisch und dekadent leben, dazu auf Effekte und Vergnügen aus sind. Feuchtwanger zeichnet diese Exilanten sehr bunt, vielschichtig. Überdies spart Feuchtwanger auch nicht an Kritik an de Exilanten, zumindst erwähnt er ihren moralischen Abstieg, bedingt durch das Elend im Exil, ihre schlechten Eigenschaften treten in besonderem Masse in Erscheinung. Durch ihre Identitätslosigkeit und Fremdheit behindern sie sich gegenseitig. Auch politisch schaffen sie es nicht, sich zu formieren und zu einigen.
Die Frage, inwieweit die Kunst die Politik beeinflussen kann, stellte sich mit Sicherheit auch Feuchtwanger selbst, so schrieb er ja z.b. „Die Geschwister Oppermann“ in Rekordzeit um eben möglichst schnell eine Wirkung herbeizuführen, aufhorchen zu lassen. Die Antworten auf diese Frage nach der Wirkung nehmen sich aber meist pessimistisch aus im Buch. Zentral aber ist, dass Feuchtwanger nichts verschweigen wollte, so lässt er auch Benjamin sagen: „Ich bin ein besessener Journalist, das ist alles. Ich kann nichts verschweigen.“ (S. 35 in meiner Ausgabe).
Das Treiben der Nazis wird wie auch in den vorangehenden Bänden als gewaltvolle Barbarei dargestellt, als Lügenpolitik entgegen der Wahrheit, als plumpe Dummheit und Ausschalten der Vernunft. Gerade die Vernunft sieht ja Feuchtwanger als eine der wichtigsten Tugenden an, mit Vernunft versucht er zu argumentieren, aber, und das wir auch immer wieder erwähnt, nutzt die Vernunft eben im Dialog mit den „Dummen“ (den Nazis“) nichts. Oft wird ihre Lächerlichkeit (z.b. die dilettantisch schreibenden nationalsozialistischen Journalisten), auch die überzogene „Reinheit“ spielt eine Rolle.
Trotzdem ist der Nationalsozialismus, ganz anders als noch in „Die Geschwister Oppermann“ eher eine Randerscheinung, den Grossteil nimmt das Alltagsleben im Exil ein, zumindest bis jetzt. Ich bin gespannt, was da noch kommen wird.
Was ebenfalls ein weitergeführtes Motiv ist, ist das der Ungerechtigkeit, dem Fehlgehen der Justiz, zumindest unterschwellig, wenn es heisst: „Eine Handvoll Gewalt ist besser als ein Sack voll Recht […]. S.57. Auch das Motiv der „nordischen List“ tritt wieder auf. Woher da kommen mag? Aus den Nibelungen?
Die Sprache gefällt mir, es sind meist treffende, stilsichere Formulierungen. Mit dem Mittel der „erlebten Rede“ gelingt es Feuchtwanger, was ihr ja auch schon mehrfach geschrieben habt, das ganze Gefühls- und Gedankenreichtum der verschiedenen Personen in all seinen Facetten aufzufächern. So kann man sich in die Personen hineinversetzen und deren Gedanken und Argumentationen meist annehmen, auch wenn sie einem nicht sympathisch sind. Dadurch wird meines Erachtens eine starke Nähe erzeugt, das Buch wirkt damit sehr authentisch.
Oft wechselt Feuchtwanger zwischen Präteritum und Präsens. Ich denke er will mit dem Wechsel ins Präsens die Szenen verstärken, den Leser damit noch näher ins Geschehen versetzen, oder was meint ihr?
Auf S.214 heisst es: „Nur wenige im Ausland ahnten, mit welch schauerlicher, närrischer, bis ins letzte verfeinerter und verästelter Methodik die Nazi praktische Konsequenzen aus ihren Rassentheorien zogen.“
War man im Ausland wirklich so unaufgeklärt über das Treiben der Nazi? Ich kann mir das kaum vorstellen, da ja der Journalismus, das Nachrichtenwesen überhaupt sehr rege im Gange war. Was meint ihr?
Zur Person Wiesener: Das stimmt, er ist wirklich unsympathisch, sehr selbstgefällig und wir von Feuchtwanger auch mit viel Ironie und Spott bedacht. Trotzdem oder gerade deswegen ist er eine sehr bereichernde, interessante Figur. Ist euch die Parallele zum Oppermann-Buch aufgefallen? Wiesener schreibt ja an einer Biographie zu Beaumarchais, erinnerte mich an Gustav, der an einer Lessing-Biographie schrieb. Das sind immer wieder so kleine Details und Motive, die Feuchtwanger jeweils über ein Buch hinaus verfolgt. Das gespannte Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Wiesener und Raoul hingegen erinnerte mich an Dr.Geyer und seinen Sohn Erich Bornhaak aus „Erfolg“, wobei dort der Sohn der Nazi war.
Und wenn ich schon gerade bei Parallelen bin: Der junge marxistische Hanns, der Architekt lernt, russisch lernt und nach Moskau will weist einige Gemeinsamkeiten zu Kaspar Pröckl auf: Auch dieser war jung, Marxist, wollte und ging nach Moskau und hatte, neben seiner Schriftstellerei, eine technische Profession (Mechaniker?). Allerdings ist Hanns mehr der „Opfertyp“, das habt ihr auch an einer Stelle geschrieben.
Mit Tüverlin (erst passiv), Tschernigg und Meisel (nicht zu vergessen als die Journalisten, Trautwein, Benjamin, Wiesener etc.) spielt die Literatur selbst auch wieder eine grosse thematische Rolle. Ich habe auch das Gefühl, dass sich diesbezüglich noch etwas zusammenbrauen wird.
Soviel einmal zu Buch I, versuche so gut es geht weiter aufzuholen, aber man kann ja auch mit unterschiedlichen Leseständen diskutieren.
Liebe Grüsse,
Imrahil