Ich nehme mal den alten Thread wieder auf ...
Ich habe letzte Woche zwei Romane von H. C. Andersen gelesen: Der Improvisator und Die beiden Baroninnen. Es war mir ja nicht bewusst, dass Andersen zu Lebzeiten und praktisch noch im ganzen 19. Jahrhundert in Dänemark, England und Deutschland ein äusserst beliebter Romancier war. Zu Recht?
Schwierig zu sagen. Der Improvisator, Andersens erster Roman, der ihn auch berühmt machte, ist ein typisches Produkt der späten Romantik. Voll Sentimentalität und religösen Schnickschnacks, selbst die katholisierende Tendenz fehlt nicht, schreibt doch Andersen aus der Perspektive eines römischen Waisenkindes, das um ein Haar Priester geworden wäre. Ansonsten fehlen die üblichen Verwicklungen nicht: Zwei Busenfreunde, die dieselbe Frau lieben, die blinde Waise, die dämonisch-verführerische Frau, der Held, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann - alles da. Und auch, dass zum Schluss dem Helden die Entscheidung abgenommen wird, indem der Autor die eine Frau sterben lässt, fehlt nicht. Handlungsort: Rom und Italien, sind nicht schlecht geschildert - immerhin war Andersen im Gegensatz zu Eichendorff auch da gewesen! Alles in allem ein typisch epigonales Werk, das sich flüssig weglesen lässt und auch kein wirkliches Ärgernis in sich birgt, aber nur für den eingefleischten Andersen-Fan ein "Must".
Die beiden Baroninnen hingegen ist ein Spätwerk Andersens. Nun beschreibt er Land und Leute Dänemarks. Anstelle des Ich-Erzählers seines Erstlings tritt nun der allwissende Erzähler in der dritten Person - eine Allwissenheit, mit der Andersen durchaus auch zu spielen versteht, wenn er ganz offen sagt, dass das, was sich nun ereigne, erst später erzählt werde, weil das so zum Spannungsaufbau beitrage. Sicher plätschert die Geschichte nach wie vor etwas vor sich hin; wirkliche Wende- oder Höhepunkte sind nicht auszumachen. Und auch vom Inhalt her haben wir wenig anderes vor uns als eine Liebesgeschichte. Doch Andersen wirft hie und da kleine Spitzen gegen Land und Leute ein, kleine ironische Glanzlichter, die das Buch durchaus lesenswert machen. Nicht erste Sahne, aber zweite schon ;).
Kennt jemand von Euch den Romancier Andersen?