Bevor ich mich an ein weiteres, etwas schwierigeres Unterfangen von meiner diesjährigen Wettbewerbsliste mache, erhole mich bei einem Roman von Barbara Pym, einer wiederentdeckten britischen Autorin der 30er bis 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. In ihren Romanen geht es immer um alleinstehende oder wenig glücklich verheiratete Frauen, die im Verlaufe der Romanhandlung auch niemals ihr "Glück" finden, sondern scharf beobachten, was in ihrer Umgebung geschieht. Das klingt sehr langweilig und eingeengt, ist es aber überhaupt nicht. Die britische Mittelschicht dieser Jahrzehnte wird sehr genau analysiert und ironisch gebrochen dargestellt. Die stoische Haltung der Protagonistinnen, die sich lieber bescheiden, als ihre Ansprüche an sich selbst zurückzunehmen, trägt diese Romane.
Meine jetzige Lektüre ist "Ein Glas voll Segen ", leider nur noch antiquarisch zu erhalten.
Beiträge von finsbury
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Habe gerade im Rahmen der September-Leserunde von Literaturschock einen Einakter von Brecht gelesen: Er treibt einen Teufel aus.
Ich kann nicht sagen, dass ich verstanden habe, was dahinter steckt.
Ein Junge will ein Mädchen auf dem Hof von dessen Eltern verführen, die Eltern kommen immer dazwischen, weil sie vor allem um ihren eigenen Ruf besorgt sind. Der Vater greift schließlich zu drastischen Mitteln und treibt Tochter und Liebhaber aus der Kammer aufs Dach, mit dem Erfolg, dass nun die Dorfhonoratioren, Pfarrer, Bürgermeister, den Skandal deutlich auf dem Tablett, dem Dach, präsentiert sehen und sich entsprechend schadenfroh amüsieren. Häh?
Eher etwas fürs Komödienstadel als für Brecht. Aber vielleicht blieb mir der tiefere Sinn verborgen. -
Vielleicht wäre es tatsächlich gut, den Thread zu Shakespeare abzutrennen. Ich bin noch nicht dazu gekommen (und habe momentan auch ein arbeitsreiches Wochenende) , dir, Volker, auf deine PM zu antworten. Aber ich denke, wir können das wirklich hier offiziell machen, nichts, was uns in unserer Freude an klassischer Literatur bestärkt, ist hier überflüssig.
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Schade, dass Zefira und Karamzin nicht nochmal eingestiegen sind. Ich bin ja eigentlich kein satinfaktionsfähiger Partner für Dich. Gehe mehr punktuell und anekdotenmäßig an die ernste Aufgabe ran.
Was ich mich manchmal frage, ist, ob Schiller bei aller Sprach- und Formulierungskunst mit Shakespeare mithalten kann oder ob der ihm doch "über ist". Etwa Naturgenie versus begabtes strebendes Talent.
Na, du bist vielleicht gut! Ich habe zwar eine germanistische Ausbildung, bin aber damit beruflich nur im weitesten Sinne befasst, dilettiere hier nur so her. Und Satisfaktion musst du mir auch nicht geben!
Wir sind hier ja nur alle am Text interessiert und das meiste, was einem dazu einfällt, ist auf seine Weise interessant.
Thekla und Max sind natürlich blutleer, das sehe ich auch so. Sind ideale Helden immer! Die Bösewichte und vor allem die gebrochenen Charaktere sind die interessantesten, denn in ihnen spiegeln sich wohl die meisten von uns.
Shakespeare!!!!Du spielst mit der Ausführung "Naturgenie vs. strebendes Talent" vermutlich auf Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung an, wobei Goethe dann die Rolle des naiven Naturtalents und Schiller die des hart arbeitenden Sentimentalischen zufällt, grob vereinfacht gesagt.
Aber Shakespeare steht für mich, - auch wenn ich ihn im Original nicht lesen kann, aber wir haben ja tolle Übersetzungen aus dem klassischen und romantischen Zeitalter- weit über Schiller. Bei Goethe bin ich da etwas vorsichtiger, der ist ein Gesamtkunstwerk in Werk und Leben. Aber ich würde ich sagen, Shakespeare ist das Genie für alle, weil er die Gabe besessen hat, in allerschönster, leicht wirkender und dennoch tiefgründiger Sprache und mit Humor (!!) Dramen zu schreiben, die heute noch den tollsten Stoff für Verfilmungen, Adaptionen und moderne Inszenierungen bieten. Unsere Klassiker wirken dagegen doch oft arg zopfig, und ich sehe jetzt nicht, dass Egmont und Maria Stuart, Don Carlos und der Goetz ständig dazu reizen, von Theater und Film neu entdeckt zu werden.
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Bin krimimäßig unterwegs. Bald läuft ja die neue Staffel von "Babylon Berlin" an, von der ich die ersten beiden ganz ansprechend fand. Daher lese ich jetzt den zweiten Band von Volker Kutscher um Gereon Rath: Der stumme Tod. Könnte man durchaus auch auf unsere Liste der Krimiempfehlungen für Klassikerfans setzen.
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Dass du dich noch so gut an diese literarische Auseinandersetzung erinnern kannst, knappe 70 Jahre später, Volker, bewunderswert! Mein Gesprächsgedächtnis reicht höchstens bis in meine Pubertät, die Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, zurück.
Sicher kann man das so sehen wie dein Vater, aber der Text ist wohl an dieser Stelle gesichert und außerdem hat Schiller die Antithese sicher bewusst gesetzt und nicht den Vergleich.
Auch ich bin nun fertig mit der Lektüre. Der fünfte Akt zeigt mal wieder, dass Wallenstein eher Anlass, nicht unbedingt Kern des Dramas ist: Es geht mehr um die Ausführung des Mordes und dann die entsetzten oder geheuchelten Reaktionen der Täter, Mittäter und Anstifter als um Wallenstein selbst, der für mich in diesem Drama sowieso nicht die alles überstrahlende Figur ist, sondern eher eine Verdichtung von Verantwortung(slosigkeit), politischem Kalkül, Egoismus, Genialität und Emotionalität. Ähnlich und unterschiedlich kombiniert zeigen sich auch die Eigenschaften der Personen um ihn herum. Nur wenige kommen ohne Kratzer aus der Sache, Max und Thekla vielleicht (wobei die ja eher passiv ist), Gordon, der aber auch zuerst der Ermordung zugestimmt hat und später noch versucht zu retten, was zu retten ist. Aber alle anderen laden Schuld auf sich, und zwar oft auch im menschlich-allzumenschlichen Bereich: Treue bricht, wenn die Belohnung in weite Ferne rückt, ein Machtmensch wie Wallenstein darf sich sowieso nicht auf sie verlassen.
Besonders abscheulich lässt Schiller den Octavio erscheinen, der, obwohl er Buttler zum Mord aufgehetzt hat, diesen nun vor allen verurteilt. Er hätte nach der Szene II, 6 sehr wohl wissen müssen, was Buttler plante, denn der hat ja kein Blatt vor den Mund genommen.
Gerade weil die Akteure hier doch so typisch menschliche Schwächen zeigen und ihre Handlungsweisen sich leider auf die Machtzentren zu allen Epochen und überall übertragen lassen, finde ich, dass wir hier einen echten Klassiker gelesen haben, der bei allen heute etwas lächerlichen theatralischen Elementen seine überzeitliche Bedeutung erhält, durch eine wunderbare Sprache beeindruckt und mit geschliffenen Sentenzen glänzt. -
Na ja, das sehe ich zum Teil ein bisschen anders: Ich finde es gerade einen ganz raffinierten Schachzug Schillers, dass er Maxens Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit unterstreicht, indem dieser sich weigert, angetrunken ein wichtiges Dokument zu unterzeichnen. Dass er dadurch Wallensteins Trick auffliegen lässt, habe ich nicht umsonst dramatische - und zwar ganz bewusst gesetzte - Ironie genannt. Max ist für mich der eigentlich ideale Held des Dramas, der dreifach enttäuscht wird, von seinem Vater und seinem Vorbild Wallenstein durch deren entgegengesetzten Verrat und durch die Verweigerung von Theklas Hand, die verbunden ist mit einer Verhöhnung der dem Schwiegervater in spe nicht ausreichenden gesellschaftlichen Stellung der Piccolominis.
Dass Wallenstein Max laufen lässt, sehe ich überhaupt nicht als unglaubwürdig: Maxens Soldaten sind ja rund um die Festung versammelt und fordern die Herausgabe ihres Obersten. Würde W. ihn zurückhalten, müsste er mit einem Aufstand und Angriff rechnen.
Ich muss jetzt noch den 5. Akt lesen, dann kann ich Theklas Verhalten abschließend bewerten. Wie du, @Voker aber auch sagst, gehören alle drei Wallenstein-Teile, aber besonders der letzte zu dem sprachlich Schönsten, was Schiller uns geschenkt hat. -
Da nicht für ... 😉 Welche Zweifel hast du denn?
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Hier schreiben wir zum Gipfel der Trilogie - "Wallensteins Tod" -, am 20.4.1799 in Weimar uraufgeführt.
Der Cliffhanger, mit dem "Die Piccolomini" aufhörten, wird nicht direkt aufgenommen. Erst im zweiten Aufzug kommt es zu dem Gespräch zwischen Max und Wallenstein.
Aber was für ein erster Aufzug! Schiller at his best! Mir gefällt an diesem Drama gerade das, vor dessen Bewältigung Schiller lange zurückschreckte, sodass er den Beginn der Arbeit am Drama immer weiter herausschob. Es gibt hier keinen richtigen Helden im Sinne einer nahezu idealen Person (vielleicht bis auf Max Piccolomini), Politik, Kriegsgeschehen und Intrigen bestimmen die Handlung, der historische Hintergrund ist komplex, das Personal sehr groß. Schwierig, daraus einen Knaller für die Bühne zu formen. Aber Schiller schafft das. Durch die hinzugefügte Liebesgeschichte wird die Emotionalität etwas stärker einbezogen, auch durch Max' Gefühle.Hier, im dritten Teil, stehen zunächst die Politik und die Intrige im Vordergrund. Wallensteins geheimer Vermittler zu den Sachsen und Schweden, Sesin, ist von den Kaiserlichen gefangengenommen worden, sodass Wallensteins doppeltes Spiel aufgeflogen ist. Er muss nun Farbe bekennen. In einem großen Monolog (I.4) wird ihm klar, dass sein Spiel mit dem Feuer, seine Machtträume und auch Unternehmungen, Verhandlungen ihn nun in eine Situation geführt haben, wo kaum ein Ausweg möglich scheint, als den offenen Bruch mit dem Kaiser zu vollziehen:
Der UnschuldDes unverführten Willens mir bewusst,
gab ich der Laune Raum, der Leidenschaft -
Kühn war das Wort, weil es die Tat nicht war.
...
So hab ich
mit eignem Netz verderblich mich umstrickt,
Und nur Gewalttat kann es reißend lösen.
Kaum jemals wird Hybris sprachlich so schön und auch so menschlich, allzu menschlich geschildert. Wallenstein ist ein Machtmensch und wird von seinen eigenen Träumen verführt. Eigentlich lebt er noch in dem traditionellen System der überkommenen Verpflichtungen, sieht aber - auch durch die entmenschlichenden und entpflichtenden Kriegshandlungen, die er selbst aufs Grausamste gestaltet, indem er das Land den Söldnerkrieg bezahlen lässt, neue, vorher nie geahnte Möglichkeiten für sich, den aus einfachem Adel emporgestiegenen Feldherrn. Wäre es möglich, König von Böhmen zu werden? Vor sich selbst zum Teil ehrlich, versucht er dann wieder sich als Retter des Reiches, der Reichsidee aufzuspielen, will die Schweden auch als mögliche Bündnispartner nicht dauerhaft auf deutschem Territorium dulden. Er ist so widersprüchlich, wie es viele Machtmenschen sind und auch so irrational, wie sein Sternenglauben beweist, der ihn vom rechtzeitigen Handeln abhält. Mir erscheint dieser Wallenstein gerade im Moment, wo viele Staaten von solchen selbstverliebten Despoten regiert werden, unglaublich aktuell.
Eine grandiose Szene finde ich auch I,7: Wallenstein will Gräfin Tersky, seine Schwägerin, nicht sprechen lassen, da dieses "kein Geschäft für Weiber" sei. Aber dann ist es gerade sie, die - im Gegensatz zu Illo und Tersky, ihn endlich überzeugt, handeln zu müssen. Auf der einen Seite ein Schachzug dramatischer Ironie, fällt Gräfin Tersky auch die klassische Rolle der Eva mit der Schlange zu , die Wallenstein endgültig dazu verführt, vom Kaiser abzufallen. -
Die "Piccolomini" (das klingt ein bisschen nach Fußballbildchen zum Einkleben) habe ich jetzt durch. Sie werden durch die Intrige Wallensteins und seiner engsten Gefolgsleute Illo und Terzky bestimmt, die den anderen Söldnerführern ein gefälschtes Dokument vorlegen, eben den oben erwähnten Pilsener Schluss, allerdings ohne die Klausel zur übergeordneten Kaisertreue.
Die war wohl auch im Originaldokument nicht enthalten, allerdings gab es einige Tage später einen zweiten, relativierenden Pilsener Schluss, als die Getreuen merkten, dass immer mehr absprangen. Mal sehen, vielleicht kommt der ja im dritten Dramenteil zur Sprache.
Neben Wallensteins Intrige liegt der Schwerpunkt, dem Titel entsprechend, zunächst auf dem jungen Max Piccolomini, der mit Wallensteins Tochter Thekla zu einem Liebeseinverständnis gekommen und außerdem ein glühender Verehrer des Feldherren ist und später auf dessen Auseinandersetzung mit seinem Vater.
Die dramatische Ironie gestaltet Schiller ganz raffiniert, indem es gerade Max ist, der die Fälschung des Dokuments auffliegen lässt, weil er sich weigert, mit trunkenem Kopf zu unterschreiben und damit den besoffenen Illo zu gefährlichen Ausplaudereien verleitet.
Max Piccolomini scheint die zweite tragische Gestalt im Drama zu werden: Seine Verehrung von Wallenstein verbietet es ihm, an dessen Intrige zu glauben, seine Sohnesliebe will nicht glauben, dass sein Vater das Vertrauen des Feldherren hintertreibt. Mit einem echten Cliffhanger - auf dessen Auflösung die damaligen Theaterzuschauer allerdings viel länger warten mussten als die heutigen Seriengucker - endet das Drama: Max will zu Wallenstein, ihm die Geheimpläne des Kaisers und die Beteiligung des Octavio mitteilen und hören, was der Friedberger zu seiner eigenen Intrige zu sagen hat. -
Ich muss sagen, dass ich etwas Schwierigkeiten hatte, das Drama im historischen Geschehen zu verorten. Das Kindler Literaturlexikon, meine erste Konsultation bei klassischer Lektüre, befand es nicht für nötig, dem Drama ein historisches Ereignis zuzuordnen. Kann sein, dass ich es in @Karamzins detaillierten Ausführungen zum Background überlesen habe, jetzt jedenfalls habe ich erst herausgefunden, dass das mit der Handlung der Teile 1 und 2 korrespondierende wirkliche Ereignis der sogenannte "Pilsener Schluss" vom 13. Januar 1634 ist. Wallenstein lässt zu diesem Zeitpunkt seine Offiziere in sein Winterquartier rufen, um einen Eid auf ihn zu leisten und ein Dokument unterzeichnen zu lassen, dass sich die Feldherren vollständig - mit Leib und Leben - zur Verfügung stellen, was natürlich ein Riesen-Affront gegenüber dem Kaiser ist.
Im zweiten Aufzug wird diese Versammlung vorbereitet, und Wallenstein trifft mit dem Gesandten Questenberg zusammen. Im Gegensatz zum Schillerschen Questenberg war wohl der historische kaiserliche Gesandte eher als Vermittler zwischen Kaiser und Wallenstein tätig und von der Persönlichkeit des letzteren sehr beeindruckt (lt. Wikipedia).
Wallenstein selbst thematisiert zum ersten Mal selbst seine Sternengläubigkeit, als er dem ihm ergebenen Illo, der Angst hat, dass der richtige Zeitpunkt zum Handeln ungenützt vergeht, abspricht, die Rätsel der Sterne zu verstehen. Er stößt auch sonst die Leute gerne vor den Kopf, wenn er seinem Schwager Terzky gegenüber sagt:Und woher weißt du, dass ich ihn nicht wirklich
Zum Besten habe? Dass ich nicht euch alle
Zum Besten habe? Kennst du mich so gut?
Schon verwunderlich, dass seine Gefolgsleute ihm trotz solchen Tons und solcher Aussagen ergeben sind. Aber andere Zeiten ... -
„Titos Brille“ habe ich vor einigen Jahren gelesen. Es war eine unterhaltsame, aber keine seichte Lektüre. Habe dann auch das Folgebuch gelesen, das etwas schwächer ausgefallen ist.
Als "seicht" würde ich das Buch auch wahrlich nicht bezeichnen. Dem steht schon die Thematik entgegen. Die Autorin versteht es aber, Schweres dennoch gut lesbar darzubieten.
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Neben dem "Wallenstein" unter der Woche - weil weniger Konzentration erfordernd, besser mit der Arbeit kompatibel -:
Adriana Altaras: Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie [kaufen='9783596193042'][/kaufen]
Eine Biografie der jüdisch-kroatischen Familie der Autorin. Sehr bewegend, dabei mit leichter Hand geschrieben. Mit dem Temperament von Altaras komme ich nicht so gut zurecht, aber ansonsten ein wirklich interessanter Einblick in europäische Schicksale des 20. Jahrhunderts. -
Auch ich danke dir herzlich für die vielen interessanten Details.
Zu den Perücken (#16) habe ich aber auch noch was hinzuzufügen. Ich stolperte beim Lesen auch darüber, weil ich aus meinen Lektüren zum Dreißigjährigen Krieg auch nur die kernigen Mannsbilder in der - wie ich finde - recht kleidsamen Tracht des frühen 17. Jahrhunderts im Schmuck ihrer eigenen Haare kannte. Aber in der GEO Epoche zum Thema sind auch zwei Abbildungen, die unmittelbar nach oder während des Friedensschlusses entstanden sind, die Perückenträger zeigen.
Joachim von Sandrart: Friedensmahl zu Nürnberg, 1649. Hier trägt auf jeden Fall der prachtvoll gewandete Gastgeber aus Schweden im rechten Bildvordergrund eine Perücke, wenn auch noch nicht gepudert.
Und der vorher zu den Verhandlungen entsandte französische Gesandte Henri II von Bourbon-Orléans trägt auch eine schon ziemlich aufgemotzte Perücke, wenn auch nicht solche gräulichen "Kunstwerke" wie die Schickeria am Hof seines Verwandten Ludwig, dem Sonnenkönig in Versailles. Und ob die Herren auf diesem Gemälde eines Balles von 1635 wohl wirklich alle so wallendes Haupthaar haben? -
HIer kann zum zweiten Teil der Dramentrilogie "Die Piccolomini" geschrieben werden.
Momentan bin ich beruflich sehr eingespannt, wodurch sich meine Lesezeit wohl eher aufs Wochenende beschränkt. Unter der Woche bleibt nur Platz für leichteren Stoff.
Dennoch habe ich am Sonntag/Montag noch den ersten Akt/Aufzug der "Piccolomini" beenden können. Hier haben wir es wieder mit einer klassischen Konstellation zu tun: Aus den Augen anderer, diesmal höher gestellter Adliger, wird der dramatische Konflikt angedeutet, um den es in Folge wohl gehen wird. Wallensteins eigenständige Kriegsführung, seine riesige Armee, sieht der Kaiserhof in Wien als Bedrohung der eigenen Macht, die alte "Perücke" (siehe Zitat im "Lager") Questenberg eilt nach Pilsen, um Wallensteins Macht zu überprüfen und Bundesgenossen zu gewinnen. Indem Schiller Octavio Piccolomini zu einem solchen macht und seinen Sohn als großen Fan Wallensteins und Verehrer seiner Tochter aufbaut, ranzen die Konfliktparteien besonders heftig aneinander, das ist hier schon vorauszusehen und zu -lesen. Im zweiten Teil kommt Wallenstein, zunächst im privaten Bereich seiner Familie selbst zu Wort, auch hier ein klassischer Aufbau, dem "Botenbericht" im antiken Drama folgt im zweiten Akt die Verschärfung und Konkretisierung des dramatischen Konflikts und die Stellungnahme des Helden dazu. -
Ja, die Dichte an sprichwörtlich gewordenen Formulierungen: Da schlägt in der deutschen Sprache niemand den Schiller, vielleicht kommt Luther noch nah dran. Im Büchmann hinten im Namenverzeichnis ist sein Teil bei den Deutschen am größten. Und innerhalb dessen allein für die drei Wallenstein-Teile und den Prolog an die zehn Seiten. Auch der zweite Teil, "Die Piccolomini" beginnt sofort mit einem inzwischen geflügelten Wort: Spät kommt ihr, doch ihr kommt, sagt Illo zu Isolani.
Volker, was du da schreibst über die Möglichkeit deines persönlichen Rückblicks in die Geschichte finde ich faszinierend: Da öffnen sich immer Augen in die Vergangenheit.
Mein Onkel (wäre inzwischen über 110 Jahre alt) , der Bruder meiner Mutter, konnte sich wiederum noch an einen Großonkel erinnern , der beim deutsch-französischen Krieg von 1870/71 mitgekämpft hat: Da überlief es mich immer, wie weit teilweise persönlich vermittelte Erinnerungen zurückreichen können. -
Da stimme ich dir zu, Zefira. Es ist vielleicht auch eher eine Marketing-Strategie, die sich Bailey's da ausgedacht hat. Die anderen Namen von der Liste kenne ich außer George Sand übrigens gar nicht. Da wäre vielleicht das eine oder andere für mich noch zu entdecken.
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Ja, du hast natürlich Recht, ich habe die Stelle noch einmal gelesen, man muss das "die" als "diese" lesen in Abgrenzung zu den anderen, viel länger überdauernden Künsten.
Mit dem "Lager" bin ich nun fertig, man könnte es aber auch nochmal lesen. Es ist sehr verwirrend, die Rollen, die zumeist jeweils mit den Waffengattungen verknüpft sind, auseinanderzuhalten: erster Kürassier, zweiter Arkebusier, Dragoner, dann die Jäger, der Trompeter und Wachtmeister, das fordert schon sehr aufmerksames Lesen.
Denn es gibt durchaus unterschiedliche Charaktere, die die Einstellung zum Söldnerleben spiegeln:
Der erste Jäger (unreflektiert) und der erste Kürassier teilen sich in die Einschätzung, dass sie hauptsächlich Spaß haben wollen, da sie ja schließlich den Kopf hinhalten. Das Morden und Vergewaltigen sehen sie als normal, Vergewaltigungen werden z.T. als Affairen verniedlicht.
Dennoch ist der erste Kürassier in seinem Kopf etwas weiter: Er erkennt das Kalkül dieses Krieges und leitet daraus ein Leben und Lebenlassen ab. So rettet er das Leben des Bauern, als dieser beim Falschspiel erwischt wird (11. At.) und drückt seine Einstellung auch unmissverständlich aus:
Kamerad, die Zeiten sind schwer,
Das Schwert ist nicht bei der Waage mehr; (eine tolle Metapher finde ich, die heute noch für die meisten kriegerischen Konflikte gilt)
Aber so mags mir keiner verdenken,
Dass ich mich lieber zum Schwert will lenken.Kann ich im Krieg mich doch menschlich fassen,
Aber nicht auf mir trommeln lassen. (11. At.)Der erste Arkebusier dagegen versucht das Leid der Landbevölkerung begreiflich zu machen, unterliegt aber dem größeren rhetorischen Geschick des ersten Kürassiers.
Aber ungeachtet ihrer unterschiedlichen Einstellung zum Töten und Plündern sind sie alle der Meinung, dass sie unter Wallenstein eine größere Möglichkeit eingeschränkter Freiheit haben als unter anderen Kriegsherren, egal ob Protestanten oder Katholiken. Besonders die direkten kaiserlichen Einflussnahmen lehnen sie ab und wollen sich nicht aufteilen und für andere Kriegsregionen einteilen lassen. Zum Ende kommt dann Max Piccolomini ins Spiel, dessen Tapferkeit schon vorher erwähnt wurde. Ihn wollen sie als Vermittler ihrer Petition, unter der Führung Wallensteins zusammenzubleiben, gewinnen.
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Zum Prolog,
zunächst mal ganz herzlichen Dank, Karamzin, für deine ausführlichen Anmerkungen, die weit über das hinausgehen, was meine Hanser-Ausgabe zur Verfügung stellt.
Die Magdeburger "Bluthochzeit", von Tilly, dem bekannten General des Dreißigjährigen Krieges so genannt, ist eigentlich die völlige Zerstörung und Plünderung Magdeburgs durch Tillys Söldner. Weil die Stadt sich aber dem Protestantismus verschrieben hatte und sich schon Jahrzehnte lang gegen kaiserliche Tribute wehrte, sah Tilly diesen Überfall als eine symbolische Unterjochung (wie wohl damals vielen eine Hochzeit erschien) der Magdeburger Jungfrau, dem Symbol im Wappenschild der Stadt, durch den Kaiser. Laut GEO Epoche war Magdeburg zu diesem Zeitpunkt eine der der bevölkerungsreichsten und prosperierendsten Städte des Kaiserreiches, wessen ich mir überhaupt nicht bewusst war.
Was ich im Prolog noch nicht verstanden habe, ist die von dir, Karamzin, zitierte Stelle über die Kunst, warum hier diese Betonung?
Soll das bedeuten, dass damit die Kunst an sich, nicht andere Bedeutungen gemeint sind, oder ist es ein Hinweis auf die spätere Erwähnung der Kunst, wo ebenfalls der Artikel hervorgehoben wird:
Denn jedes Äußerste führt sie, die alles begrenzt und bindet, zur Natur zurück,
Sie sieht den Menschen in des Lebens DrangUnd wälzt die größte Hälfte seiner Schuld
Den unglückseligen Gestirnen zu.
Dieser Passage vorweg geht der Hinweis auf den undurchschaubaren Charakter des historischen Wallensteins, was ich so verstehe, dass wir dieses Drama so sehen / bzw. lesen sollen, indem wir begreifen, dass wir es nicht mit einer historischen Person, sondern einem tragischen Helden zu tun haben werden, der zumeist an dem inneren Widerspruch der äußeren Umstände scheitert.
Wallensteins Lager
Dieser Teil der Dramentrilogie ist im Knittelvers verfasst, einem freien Versmaß, dessen Vers-Enden sich nur im Paarreim reimen müssen, was aber bei Schiller auch nicht immer zutrifft. Schiller benutzt den Knittel-Vers in diesem ersten Teil, um die rauen Stimmen der Söldner und anderen Fußvolks auch in der Versform zu unterstützen. Zudem ist der Knittelvers das beliebteste Versmaß der Jahrhunderte vor und während des Dreißigjährigen Krieges. In den beiden anderen Teilen wechselt der Autor dann zu jambischen Versen, um die Tragik des Dargestellten zu betonen. Man könnte also fast sagen, dass das "Lager" der Buffo-Teil der Trilogie ist, wozu auch die farbigen Typen passen, die hier zur Darstellung kommen. Dass die Bauern die größten Opfer im Dreißigjährigen Krieg darbringen mussten, ist bekannt. Zusätzlich zu dem, was Karamzin oben ausführt, kommt noch, dass vielen der geschädigten Bauern gar nichts anderes übrig blieb, als sich selbst für die Heere anwerben zu lassen. So wird es wohl zu engen Verquickungen zwischen Landbevölkerung und Söldnern gekommen sein: Diejenigen, deren Heimat und Broterwerb zerstört worden war, verwüsteten an anderer Stelle die Lebensgrundlage ihrer Standesgenossen.
Weiterhin bemerkenswert ist, dass das "Lager" im Gegensatz zu den anderen beiden Teilen, keine Aufzüge, sondern nur Auftritte hat, also auch hier weniger Regelhaftigkeit aufweist, was zu den obigen Beobachtungen passt. -
Nein, sandhofer, in meiner Ausgabe heißt er Heinrich, und ich habe aus Versehen die englische Form verwendet
. Ich habe bei den Namen die französischen Formen bis auf Karl benutzt. Die Übersetzerin meiner Ausgabe, wie bei dir, Zefira, Christine Höppner, hält das sehr uneinheitlich. Die Frauen dürfen ihre französischen Namen behalten, die Männernamen werden übersetzt, bis auf Henri. Bei Karl habe ich es auch dabei belassen, weil die Franzosen und wir da auf der gleichen Tradition der Karolinger fußen, aber gerade der französische Henri ist ja ein ganz wichtiger Königsname mit vielen bedeutenden Vertretern, gerade auch Henri IV.