Beiträge von finsbury

    Ich bin jetzt auch im zweiten Teil angelangt, wo anscheinend zunächst mal die Perspektive zu den Petljurow- Angehörigen wechselt.

    Mir gefällt Bulgakows Szeneriebeschreibung sehr: Der nächtliche Glanz des alten Gymnasiums als Militärquartier, die unheimliche Dunklheit des Terrassenparks setzt sich auch in meinen Augen zu einem expressionistischen Film, mehr als zu einem Theaterstück, zusammen. Aber dem Inhalt zu folgen ist nicht einfach, da hast du Recht, klaus.

    Und nicht nur, weil der Autor die Kenntnis de verwickelten politischen und militärischen Verhältnisse voraussetzt, sondern auch, weil er die Leser, zusammen mit seinen Romanfiguren, absichtlich verwirrt, wie an der Schlussszene des ersten Teils deutlich wird, als der Oberst verkündet, die Division habe sich aufzulösen, ohne dies zu erklären und erst nach Studzinskis empörtem Versuch, eine Verhaftung zu veranlassen, mit der Wahrheit herausrückt. Und wer jetzt eigentlich die drei waren, die in dem dunklen Park gewartet haben, ist mir nicht klar geworden.

    Nun noch eine kurze Fortsetzung zu meinen Leseeindrücken: Tatsächlich lichtet sich der politische Nebel und man durchschaut so manches, wobei viele Dinge bisher auch verborgen bleiben, z.B dass die deutsche Besatzungsarmee dieses Hetman-Amt geschaffen und mit einer ihr zusagenden Lokalgröße, der die alten Strukturen verkörpert.

    Interessant sind auch die expressionistischen Elemente in der Schilderung und die ständige Hyperbel z.B. bei der Beschreibung der STADT. Warum schreibt der Autor nie Kiew und das Wort groß? Die Stadt wird dadurch zur Zentralmetapher.

    Ja, aber manchmal muss man ja auch auf inhaltliche Fakten verweisen, um den Überbau zu verstehen. Wir haben jedenfalls kein Problem hier damit.
    Ich bin heute Nacht bis S. 90, Beginn Kapitel 6 gekommen. Auch mich hat der Traum Alexejs zum Lachen gereizt, mit diesem Gottesbild hätte ich auch weniger Probleme als mit dem kirchlich vorgeschriebenen. Und ansonsten gilt in diesem Himmel für Jeden Glücklichwerden nach eigener Fasson: Der Soldat führt sein Soldatenleben weiter - hoffentlich ohne Krieg aber mit Tross und Frauen.

    Kann jetzt gerade nicht weiterschreiben Reisevorbereitungen ...

    Ich lese die gleiche Ausgabe wie b.a.t. und muss deshalb auch viel surfen: Bei speziellen Fragen können wir uns ja dann an dich wenden, klaus.
    Ich wäre übrigens auch nicht dabei, wenn es nicht "Die weiße Garde" geworden wäre, weil ich Bulgakows "Meister ..." und die "Teufeliaden" vor nicht allzu vielen Jahren gelesen habe.

    Bulgakows ironischer Ton ist schon immer sehr schön und auch das Interieur beschreibt er sehr liebevoll. Mir hat die Schilderung des Vermieters, sowohl mit seiner Verstecktaktik als auch der genervten Reaktion auf die Sause bei den Turbins viel Spaß gemacht. Ich muss heute und morgen recht viel erledigen, danach fahren wir auf Verwandtenbesuch und dann noch ein paar Tage zum Erholen, hoffe ich komme aber auch weiterhin voran und kann entsprechend posten. Nach dem ersten Schock über die vielen, mir zunächst unverständlichen politischen Anspielungen bin ich jetzt sehr froh, dass wir diesen interessanten Roman zusammen lesen. Ich bin auf S. 62 der Luchterhand-Ausgabe-

    Talberg ist eindeutig ein Hetman.

    Myschlajewski und die Turbins sind ebenso Hetmans und fürchten die Erstürmung der Stadt durch die Petljura.

    Alexej Turbin, der Arzt ist wohl Bulgakow sehr ähnlich.


    Die Bolschewiken sind noch nicht so weit vorgedrungen, die kämpfen noch in Russland.

    zunächst mal vielen Dank für die erhellende Zusammenstellung. Aber die Turbins lehnen Talbergs Hetman- Abzeichen ab, anscheinend trauen sie dem Skoropadski nicht (Kap. 2 als Talberg eintrifft).

    Ja, ein komplizierter, unübersichtlicher Anfang. Ich habe mir gerade erstmal ein Hörspiel ergoogelt und gehört, das von Kiew 1918 handelt und das mir etwas mehr Aufschluss über die ganze Situation damals gegeben hat, die übrigens wohl bis heute ihre Auswirkungen hat und auch in den jetzigen Krieg hineinreicht.
    Ich finde die politischen Zugehörigkeiten sehr schwierig zu verstehen. Alle sind bis jetzt einig in ihrer Ablehnung Petljuras, aber ansonsten verstehe ich nicht, wer wozu gehört. Der Mann Jelenas, Hauptmann Talberg arbeitet bei irgendeinem Generalstab, des Hetmans vielleicht? Der älteste Sohn, Alexej, ist im Sommer, kurz vor dem Tod der Mutter, aus dem Krieg heimgekehrt, als Angehöriger noch der zaristischen oder schon der Roten Armee? Der Jüngste, Nikolka, trägt die Unteroffiziersabzeichen eines Infanteriebataillons, und der halb erfrorene Leutnant und Hausfreund Myschlajewski kämpft unter irgendeinem Obersten, der seine Leute im Stich lässt, aber gegen wen?

    Schön wird die Wohnung und die Atmosphäre dort geschildert, man kann sich dort sofort hineinfühlen, und die Krakeleien auf den Ofenfliesen spiegeln die unübersichtlichen politischen Verhältnisse und auch die Verwirrungen, die diese anscheinend nicht nur beim Leser, sondern auch in den Hirnen der jungen Bewohner anrichten.

    Danke für die Rückmeldung, Lauterbach. Das klingt schon recht interessant. Im Moment lese ich ja noch Zuckmayers Autobiografie "Als wär's ein Stück von mir" und die ist sehr interessant und auch unterhaltsam geschrieben. Das macht Lust auf mehr autobiografische Werke, und Walser schließt zeitlich ja recht gut daran an.

    Ich habe gestern mit "Ein springender Brunnen" von Martin Walser begonnen, ein sehr dicht geschriebener Text. Da beschreibt er seine Kinder- und Jugendlichenzeit in Wasserburg am Bodensee.

    Vielen Dank, Lauterbach, für diese Erinnerung. Ich mache dieses Jahr ein paar Tage Urlaub in Wasserburg und hatte mir schon überlegt, einen ungelesenen Walser mitzunehmen. Den genannten habe ich nicht, aber der passt ja wie die Faust aufs Auge: wird besorgt! Wie ist er denn so, abgesehen von "dicht geschrieben"?

    Ich sehe die digitale Sicherung auch nicht als so obsolet an wie der Autor des interessanten Artikels - vielen Dank für den Link, giesbert. Es bleibt nur zu hoffen, dass die jeweiligen Interessengesellschaften der klassischen Autoren sich dafür engagieren, dass die großen Ausgaben in digitaler Form seriös gesichert werden.

    Das größere Problem ist, wie sandhofer erwähnt und auch im Artikel steht, dass klassische Literatur keine große Lobby in unserem Lande hat und wir uns nicht in der Breite auf unsere Autoren zurückbeziehen. Mir fällt das immer besonders im Vergleich zu den Briten auf, die sich in ihren Filmen, Serien, in ihrer Musik, allen möglichen anderen kulturellen Äußerungen und natürlich besonders auch der zeitgenössischen Belletristik auch der leichteren Art, immer wieder auf ihre Größen beziehen. Da erschließen sich viele kulturelle Äußerungen erst, wenn man selbst ein bisschen Ahnung von der britischen Literatur hat, und ich merke immer, wieviel mir doch entgeht, weil ich nicht so intensiv dort verortet bin.

    Bei uns passiert das viel seltener, vermutlich, weil die Kulturschaffenden davon ausgehen, dass die wenigsten Leute die Anspielungen verstehen. Ein Teufelskreislauf, der dazu führt, dass auch nicht die Neugier darauf geweckt wird, in die Klassiker zu gucken.


    Was im Moment an den Unis in den Germanistik-Seminaren so getrieben wird, weiß ich leider nicht, aber Kanonpflege wird zumindest nicht in so breit sichtbarer Form betrieben, das sich ein größerer medialer Niederschlag dazu ereignet. Schade!

    Sehr schön,

    danke für die herrlichen Zitate. Ich war in Kindheit und früher Jugend auch ein großer Fan und habe mehr als die Hälfte seiner Bücher gelesen.

    Ich habe heute mit "Mit Blick aufs Meer" von Elizabeth Strout angefangen. Sie hat 2009 dafür den Pulitzerpreis bekommen.

    Mal schauen ob das Buch hält, was der Preis verspricht.


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    Das habe ich vor Jahren gelesen, fand ich ganz nett, gut zu lesen, hat mich aber nicht nachhaltig beeindruckt. War wahrscheinlich einfach auch nicht mein Genre.

    Es fällt auf, dass Seume auf der einen Seite bescheiden scheint (das Schreiben sei seine Sache nicht), auf der anderen Seite wohl außergewöhnlich begabt war und damit dann doch nicht hinter dem Berg hält.

    Vielen Dank für deine ausführliche Stellungnahme. Das klingt lohnend. Was du im hier Zitierten geschrieben hast, ist mir auchsehr stark im "Spaziergang" aufgefallen.

    Bei mir hat sich die Liebe zur Musik und eben auch zur klassischen Musik seit der frühen Jugend entwickelt. Zu vielen klassischen Stücken bin ich über Filme gekommen.

    Den ersten Satz kann ich nur bestätigen: Mein Vater war ein großer Klassik-Liebhaber und hat viele tausend Meter Tonband klassischer Musik aus dem Radio aufgenommen. So lief bei uns eigentlich immer in fast jedem Zimmer Klassik. In meiner frühen Erwachsenenzeit musste ich dann erstmal ein bisschen U-Musik nachholen, bin aber schon seit vielen Jahrzehnten wieder bei der Klassik verankert.
    Wobei ich mich epochal eher zurück entwickele: Filmmusik spielt bei mir selten eine Rolle, dagegen liegen meine Hörschwerpunkte inzwischen vorwiegend bei Barock und Frühklassik, einfach weil es da durch viele WIederentdeckung und Ersteinspielungen eine Menge Schönes zu entdecken gibt, zuletzt zum Beispiel die Flötenkonzerte von August Eberhard Müller, einem Zeitgenossen Goethes.