Beiträge von finsbury

    Hallo zusammen,


    danke zunächst an @ xenophanes für deine Antwort.
    Ein schönes neues österreichisches Wort habe ich gestern in der Geschichte "Katzensilber" kennen gelernt: Schloßen für Hagelkörner.


    Übrigens muss ich nun, da ich die "Bunten Steine" fast durchhabe, feststellen, dass Stifter ein Autor mit einer hohen Stilsicherheit und auch Motivbeständigkeit ist.
    In Ausbau zu meinen Vermutungen bei der Nachsommerlektüre glaube ich, dass er die schlichte Sprache mit den vielen Wiederholungen und der sehr gleichförmigen Syntax (z.B. extrem häufige Kopfstellung des Subjektes) sehr bewusst einsetzt. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es auch sehr passend, denn seine Thematik ist ja immer wieder die einzig mögliche Schlichtheit und Regelmäßigkeit des menschlichen Lebens im Angesicht der grandiosen und unbeherrschbaren Natur.
    Er wird sicher nicht mein Lieblingsschriftsteller werden, dafür ist meine emotionale Distanz zu groß, aber er fasziniert mich eben durch diese Schlichtheit und dieses geradezu verzweifelte Anschreiben gegen das Chaos.
    In Deutschland gehört er ja nicht gerade zu den Verkaufsschlagern. Wie sieht es bei euch in Österreich aus? Sind in den großen Buchhandlungen seine Werke vorrätig? Wird er regelmäßig an den Schulen gelesen?
    Verfilmt wird er ja: Es kam doch erst letztes Jahr eine Verfilmuing von "Bergkristall" heraus, wenn ich mich recht erinnere.
    Fragen über Fragen zur Stifter-Rezeption in Österreich. Freue mich über Antworten!


    HG
    finsbury

    Hallo xenophanes und stoerte,


    danke für eure Aufklärung. Allerdings habe ich mich missverständlich in meiner Frag ausgedrückt.


    Zitat von "xenophanes"


    [quote="finsbury"]Heißt "Kasten" auch "Schrank" und "Geräte", können das auch Kleinmöbel
    sein wie Garderoben, Tischchen oder Spiegel?


    Würde sagen, dass "Kasten" ziemlich synonym mit "Schrank" ist. Für Geräte und Kleinmöbel verwendet man das Wort sicher nicht.


    CK


    Ich meinte (ein Komma zu wenig! :redface: ), ob in Österreich eventuell auch Kleinmöbel als "Geräte" bezeichnet werden, weil dieses Wort im Nachsommer und auch - wenn auch nicht so oft - in den Erzählungen als Bezeichnung für Zimmerausstattungen vorkommt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass damit nur Geräte im engeren Sinne wie z.B. Spinnräder, Hobelbänke, Kaminbesteck u.Ä. gemeint ist.


    HG
    finsbury

    Hallo, ihr beiden,


    ja, so sind wir doch alle drei recht zufrieden mit diesem Bcuh und insgesamt sehen wir wohl die Trilogie als einen Höhepunkt der Romanliteratur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.


    Was unsere weitere Feuchtwangerlektüre angeht: Den Jud Süß habe ich schon gelsen und für eine Zweitlektüre im Moment nicht die rechte Lust: Mein Interesse liegt eher bei Romanen mit ähnlicherThematik.
    Die Gebrüder Lautensack würde ich daher wohl auch lesen, das hast du, Zola, ja auch vorgeschlagen.


    Ansonsten, wie gesagt, am liebsten jetzt ersmal eine kleien Feuchtwanger-PAuse und lieber Transit, vielleicht im Sommer, das wäre ja noch etwas hin.


    So, das Abendessen ruft.


    Bis bald


    finsbury

    Hallo zusammen,


    meine Lektüre dieses Werks liegt schon ein paar Jahre zurück, aber es hatte mich damals sehr beeindruckt und ich werde es sicher noch einmal lesen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man literarischen Anspruch und spannende sowie humorvolle Unterhaltung gut miteinander verbinden kann.
    Mir sind noch besonders die Szenen, die das niederländische Leben und die Reise nach Kuba im Gedächtnis geblieben.


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    unsere Leserunde zum "Nachsommer" hat mich dazu gebracht, mich weiter mit Stifter zu beschäftigen.
    Die Biographie von Wolfgang Matz (wurde oben schon erwähnt) zeigt das, was ich mir schon bei der Lektüre des Nachsommers dachte: Stifter war eine seltsame Mischung aus Ehrgeiz, Liebesbedürftigkeit und Haltlosigkeit.
    Nachdem er eine leistungsmäßig hervorragende Schulzeit in Kremsmünster verbrachte, wo er von einem Mönchslehrer sehr verständnis- und liebevoll gefördert wurde, scheiterte er später sowohl in seinen beruflichen Ambitionen wie auch in seinem privaten Lebensglück. Seine Liebesgeschichte mit Fanny Greipl ist für mich kaum nachvollziehbar: Er baut sich ständig selber Fallen auf dem Weg ins durchaus erreichbare Liebesglück und heiratet schließlich eine ungeliebte
    Geliebte. Genauso geht es mit beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten: Er lässt Bewerbungsfristen verstreichen, nimmt Einladungen nicht wahr usw.


    Psychologisch klar dagegen ist mir, dass sich so einer ein Idealmodell von Leben wie im Nachsommer errichten muss: Alles ist dort so, dass sich keine wirkliche Reibung bietet: Dort ist der Held von Anfang an behütet und vor allem geliebt und geht so auch weiter durchs Leben: Diese Geborgenheit ist es wohl, nach der sich Stifter sein Leben lang gesehnt hat.


    Nun lese ich auch die Novellen "Bunte Steine" und muss nur wieder feststellen: Solche intensiven Landschaftsschilderungen wie zum Beispiel des Steinkars in "Granit" sind mir selten bekannt geworden. Man möchte sofort hinreisen, um diese Landschaften zu sehen.


    Übrigens sind in den Erzählungen einige - wie ich glaube - "Österreichzismen", die es auch schon im Nachsommer gab, die ich aber erst jetzt richtig zu verstehen meine.


    An euch, liebe Lesefreunde aus den Alpenländern, daher eine Frage:


    Heißt "Kasten" auch "Schrank" und "Geräte", können das auch Kleinmöbel
    sein wie Garderoben, Tischchen oder Spiegel?



    HG
    finsbury

    Zitat von "alpha"

    Staune gerade über die Erzählkunst von Balzac.
    Lese "La peau de chagrin".


    Hallo alpha,


    das habe ich auch im letzten Dezember gelesen: Es ist durch das mystische Titelstück anders als viele seiner sonstigen Romane: eher romantisch als realistisch, obwohl auch hier Nuncingen und die Pariser jeunesse dorée eine wichtige Rolle spielen. Gerade am Ende, als der Held zum Eremiten wird: Das ist auch ein typisch romantisches Motiv: der Rückzug ins ländliche Idyll, der aber auch misslingen muss.


    Viel Spaß noch beim Lesen!


    HG
    finsbury

    Hallo, ihr beiden,


    so, nun hat sich die Lektüre ein bisschen gesetzt.


    Wie wir alle immer wieder erwähnen,z.B. in Bezug auf Gingold, kann man eigentlich keine Figur in dem Buch in Bausch und Bogen ablehnen. Alle haben etwas zutiefst Menschliches. Dazu gibt Feuchtwanger in seinem Nachwort einen Erklärung:

    Zitat von "Feuchtwanger"

    Der Gestalter darf sich nicht die geringste Unehrlichkeit erlauben; rücksichtlose Offfenheit wird von ihm verlangt. Gerade wenn sein Gefühl und sein Verstand einander wiedersprechen, muss er bemüht bleiben, keine der beiden Stimmen zu unterdrücken.
    Ich durfte zum Beispiel die Sympathie nicht unterdrücken, die ich für einzelne meiner Menschen spüren mochte, auch wenn meine Vernunft erkannt hatte, dass alles, was diese Menschen taten, lebten, waren, der Gesamtheit Schaden bringen musste. ... Ich durfte ferner nicht vorbeigehen an den unsympathischen Eigenheiten solcher Menschen, die mir als Gesamterscheinung nützlich und bejahenswert vorkamen.


    Ich glaube, das ist es, was Feuchtwangers Trilogie so stark macht: Im Gegensatz zu seinem Anspruch ,

    Zitat von "Feuchtwanger"

    ... weniger die Menschen und Geschehnisse als eben jene Kräfte, die, von ihnen selber nicht erkannt oder doch zumindest nicht bedacht, diese Menschen, uns also, leiteten ....


    zu schildern, bringt er eben doch die Menschen in ihrer ganzen Fülle und Widersprüchlichkeit und das hebt ihn für mich von vielen Romanschriftstellern ab, die ihre Figuren eben doch in Typolopien pressen: Ich finde, Feuchtwangers Figuren sind nur ganz selten Typen, sondern höchst individuell.


    Das Ende ist sehr offen, kann aber auch gar nicht anders sein, weil der Autor dazu eben noch nicht den zeitlichen Abstand hatte.


    Insgesamt: Manche Längen, aber, wie die beiden anderen Bände, ein sehr intensives Leseerlebnis.


    Übrigens finde ich nicht, dass die "Geschwister Oppermann" wesentlich naturalistischer geraten sind als "Exil", was F. selber und die Kritik schreiben: Beide sind für meinen Geschmack wohltuend nüchtern und entbehren positiv allzu überladene Symbolik, die mich in "Erfolg" manchmal etwas irritierte.


    Noch viel Spaß und nochmal mein Vorschlag: In nicht allzu ferner Zeit schlösse sich hier harmonisch eine Leserunde zu Anna Seghers "Transit" an. :zwinker:


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    immer noch oder wieder lese ich


    Wolfgang Matz: Adalbert Stifter oder Diese schreckliche Wendung der Dinge
    und
    Adalbert Stifter: Bunte Steine (Aus "Granit" stammt übrigens der Untertitel der obigen Biografie)


    HG
    finsbury

    Hallo alpha, lebenszeichen und alle,


    Zitat von "alpha"

    finsbury: Findest du es wirklich wichtig, dass Romane verfilmt werden? - Ich sehe keinen Zweck darin, jedenfalls keinen literarisch wertvollen. - Es sei denn, der Roman wird nur als Inspirationsquelle verwendet! - Wenn etwas Neues entsteht, das sich aus dem alten ergibt, dann ist es in Ordnung, dann ist es mehr, wie die Josephs-Legende, die Mann nacherzählte - Dagegen ist nichts einzuwenden :smile:


    Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass Literatur lebendig ist und die Kunstformen sich gegenseitig inspirieren, ob nun Musik, bildende
    Kunst oder eben auch Filme. Das heißt nicht, dass man Bücher verfilmen muss, aber einem wirklich guten Buch kann auch eine schlechte Verfilmung nicht schaden,
    genauso wenig wie einem wirklich guten Drama ein schlechte Inszenierung :breitgrins: , lebenszeichen.


    Außerdem glaube ich nicht, dass der Text nur 10% der Aufmerksamkeit des Zuschauers fesselt, weil ja schließlich auf seiner Grundlage die Schauspieler mimen, das Bühnenbild entsteht und der Regisseur Weisungen gibt.


    HG
    finsbury

    Hallo lebenszeichen,

    Zitat von "lebenszeichen"

    selbst wenn die dramatik offiziell als form der literatur gesehen wird, sollte sie das? ist sie nicht eher dem theater zugehörig?
    ich denke es doch. die schauspieler machen das stück doch erst zu dem, was es zu sein hat, zu etwas lebendigem. dass texte gestrichen und ursprüngliche vorstellungen des autors damit unwichtiger werden, liegt doch in der natur der sache. ein theaterstück sollte stoff für schauspieler sein, material, mit dem gearbeitet werden kann, darf, soll. wer immer dramatik schreibt, hat sich doch letztendlich darauf einzulassen...


    Da bin ich anderer Meinung! Natürlich sollen dramatische Texte interpretiert und auch geändert werden, aber das kann man auch mit jeder anderen form von Literatur machen, mit Romanen z. B. in Verfilmungen, mit Lyrik z.B. in Vertonungen: Literatur soll und muss leben, auch durch Veränderung.


    Dennoch finde ich, sind Dramen sprachlich aufwändig gestaltete literarische Kunstwerke, die man auch lesend genießen sollte.


    Ich zum Beispiel gehen nicht gerne ins Theater, weil ich mir gerne selbst meine Gedanken zur Textaussage mache und das Drama lieber in meinem Kopf spielen lasse. Das heißt aber nicht, dass ich Theater nicht für ungeheur wichtig halte: Es ist nun mal nur nicht eine Kunstform, der ich persönlich viel abgewinnen kann.


    Aber die Sophokles-/ Aischylos-/ Euripides-/ Goethe-/Schiller-/Shakespeare-/Moliere-/ Büchner- /Calderon-/Wedekind- usw. -dramen nur dem Theaterbetrieb zu überlassen und nicht mehr als literarische Kunstwerke anzusehen, finde ich nicht angemessen.
    Die meisten Autoren schreiben die Dramen unter anderen Gattungen und sehen sie gewiss - unabhängig von ihren Möglichkeiten für die Bühne - als originalen Ausdruck ihres sprachgestaltenden Kunstwillens.


    HG
    finsbury

    Hallo , ihr beiden,


    bin nun in Buch III, Kapitel 19.


    Wie geschrieben, die Handlung hatte an Fahrt gewonnen: Momentan beruhigt es sich wieder etwas.
    Sepp ist nun endgültig zur Musik zurückgekehrt und kann sich bei seiner "Wartesaal-Sinfonie" endlich ungehemmt und ungekünstelt als Komponist verstehen, der Großes und auch Politisches zu tönen hat.
    Hanns auf dem Weg nach Moskau, Benjamin als Chefredakteur bei der PDP, ihm zur Seite eine gewandelte Ilse, Tschernigg erschlafft und arriviert: Einiges scheint sich schon auf das Ende zuzubewegen. An ein reines Happy End glaube ich aber nicht, das würde nicht zum Charakter des Buches passen.


    Zitat von "Imrahil"


    Komme nun zu Kapitel 11, Buch II. Das letzte Kapitel handelte vom "Oratorium Die Perser". Habe mir zu dieser Gelegenheit einen Aischylos-Band gekauft (kenne bisher nichts von ihm) und werde das kleine Stück bei Gelegenheit einmal lesen.


    Das Stück habe ich vor einem Jahr zum zweiten Mal gelesen: Es ist vor allem auch deshalb eindrucksvoll, weil Aischylos hier sehr sympathisch das Seelenleben der griechischen Feinde ausbreitet und jeder Form der Selbstüberschätzung, besonders die andere Menschen ins Leid reißt, eine Absage erteilt.

    Zitat von "Imrahil"


    Als allgemeine Beobachtung finde ich, dass es Feuchtwanger sehr gekonnt versteht, Gedanken-und Gesprächssequenzen auszuführen, dabei eben beide Seiten beleuchtet.


    Dem kann ich auch immer wieder nur zustimmen.


    Interessant ist in den letzten Kapiteln das Selbstverständnis der exilierten deutschen Juden. Sie erkennen und nehmen für sich auch in Anspruch, dass sich der Hass der Dummen (Nazis) auf die geistig Überlegenen (die deutschen Juden) richtet. Das ist auch durchaus wahr, wenn man bedenkt, welch ungeheuren Beitrag sie zur Kunst und Wisssenschaft in Deutschland und weltweit beigetragen haben.
    Interessant übrigens, dass der Sänger Donald Percy alias Nath Kurland, in Kapitel 17 einen Unterschied zwischen Juden und Israelis macht und sehr wohl zu den ersten, jedoch nicht zu den anderen gehören will.
    Wisst ihr, welche unterschiedliche Bedeutungen diese beiden Begriffe in den 30er Jahren hatten? Waren die letzteren die orthodoxen Juden, die das Land ihrer Väter wieder für sich wollten?


    Ein schönes Restwochenende!
    HG
    finsbury

    Hallo Zola und Imrahil,



    Inzwischen bin ich in Buch III, Kap. 7.


    Zitat von "Zola"

    Ich kenne das Werk von Max Stirner auch nicht,


    Tja, das kommt davon, wenn man nicht nur den Inhalt, sondern auch den Nachnamen des Autors nicht kennt! :redface:

    Zitat von "Zola"


    Imrahil hat folgendes geschrieben::
    Auch das Motiv der „nordischen List“ tritt wieder auf. Woher das kommen mag? Aus den Nibelungen?



    Ich habe mal interessenhalber danach gegoogelt. Für den Begriff findet man kaum Treffer (aber z.B. einen, der auf den "Geschwister Oppermann"-Thread hier im Forum verweist )


    Die Nazis haben ja einen großen Teil der nordischen Göttermythologie - auch im Zuge ihrer Richard-Wagner-Adaption - für sich in Anspruch genommen.
    Zu diesem Götterkreis gehört auch Loki, der Gott der List. Dass es dafür einen Extra-Gott gibt, ist im Vergleich zu anderen Mythologien auch bemerkenswert.
    Ich denke aber, im Wesentlichen bezieht sich der Begriff in der Tat auf das Nibelungenlied, in dessen Hagen die Nazis ja immer ein Paradebeispiel für nordische List gesehen haben, nicht am Anfang, sondern an Etzels Hof, als er Krimhield zugunsten der Burgunder auszutricksen versucht.

    Zitat von "Imrahil"


    Mit dem Mittel der „erlebten Rede“ gelingt es Feuchtwanger, was ihr ja auch schon mehrfach geschrieben habt, das ganze Gefühls- und Gedankenreichtum der verschiedenen Personen in all seinen Facetten aufzufächern


    Hierzu finde ich ein besonders schönes Beispiel,


    Zitat von "spoiler"

    Annas "stream of consciousness", als sie sich umbringt.
    Ganz ähnlich wird das ja auch in den Oppermanns dargestellt, als sich der Sohn des Bruders von Gustav das Leben nimmt.


    Das Buch gewinnt mit Ende des zweiten Bandes wieder zunehmend an Fahrt. Durch die Neugründung der PDP wird der Konflikt mit Gingold geschürt. Sepps Zertstrittenheit zwischen der Komposition der Wartesaal-Sinfonie (endlich der Name erklärt) und dem politischen Engament nehemn die Thematik vom Anfang auf einem durch das Leid erhöhtem Niveau wieder auf.
    Übrigens finde ich die Figur des alten Ringseis ganz wunderbar: Äußerlich als schrullig und ein wenig wunderlich dargestellt, ist er eigentlich doch der einzige Weltweise, der über den Dingen steht und sie in historischem Abstand sieht.

    Zitat von "Zola"


    Zur Person Wiesener: Das stimmt, er ist wirklich unsympathisch, sehr selbstgefällig und wir von Feuchtwanger auch mit viel Ironie und Spott bedacht. Trotzdem oder gerade deswegen ist er eine sehr bereichernde, interessante Figur.


    Ich denke, dass Wiesener und Tüverlin zwei Spielarten von Feuchtwangers eigenen Charakterzügen sind.


    Sie sind beide hommes de lettre, sind beide scharfzüngig und ironisch, den Frauen und den schönen Dingen des Lebens zugeneigt und eher leicht- als schwerblütig. Vielleicht will F. hier klarmachen, in welche verschiedene Richtungen gleich veranlagte Personen gehen können, wenn ethischen Grundsätze vorhanden oder eben nicht vorhanden sind. Deshalb, Zola, glaube ich auch, ist die Begegnung beider in Südfrankreich eine Schlüsselszene: Tüverlin lehnt sein ethisch pervertiertes Alter ego ab, und der begreift das auch unbewusst.


    Bis bald


    finsbury

    Hallo Zola und Imrahil (Schön, dass du jetzt dabei bist!),

    Zitat von "Zola"

    ich habe jetzt im zweiten Buch Kapitel 20 "Die Hosen des Juden Hutzler" fertiggelesen.


    Da bin ich auch gerade!


    Zwischendrin habe ich mir ein paar Gedanken über die Personenkonstellation gemacht.
    Es fallen die zwei parallel gestalteten "Familien" auf: Trautweins auf der einen Seite und Wiesener / de Chassefierre auf der anderen Seite. F. hat eine ganze Menge getan, um diese beiden zu parallelisieren und gleichzeitig zu kontrastieren: Beide Paare haben Probleme, die i.W. auf dem Verhalten der Männer beruhen und beide Männer haben Problem mit ihren Söhnen. Während aber bei Trautweins trotz aller Missverständnisse und trotz des tragischen Ausgangs doch alles auf Güte und Liebe beruht, handelt es sich bei Wiesener /Chassefierre um einen Tanz der Eitelkeiten.


    Noch ein kleiner Rückblick: Das Kapitel II/12 trägt den Titel "Der einzige und sein Eigentum": Das ist m.W. das philosophische grundwerk von Max Weber, dessen Inhalt ich aber leieder nicht kenne. Wisst ihr, ob der Kapitelinhalt damit auch tiefergehend etwas zu tun hat?



    Manches hätte man wirklich auch ein weing kürzer fassen können. Aber momentan hoffe ich auch, Zola, dass die Spannung wieder steigt!


    Wo bist du jetzt, Imrahil?


    HG


    finsbury

    Hallo,


    ja, das ist ein netter Thread!


    Ich denke schon, dass eine Bibliothek oder lieber geordnete Büchersammlung, das klingt weniger großartig, etwas über einen selbst verrät, wenn man schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat.


    Bei mir hat es nach den Kinder- und Jugendbüchern mit den Russen angefangen, da hab ich ziemlich viel, dann kam durch Schule, Studium und eigenes Interesse sehr viel deutsche Literatur dazu, die immer noch die meistenRegalflächen besetzt. Nebenher liebe ich besonders die britisch/ irische, amerikanische, aber auch die nordischen Literaturen. Verhältnismäßig viel Französisches habe ich auch, obwohl es mir nicht so sehr liegt. Und Lateinamerika und Indien und ... .


    An Unterhaltungsliteratur habe ich am meisten Krimis, möglichst klassische Indizienkrimis , und historische Romane.


    An Sachbüchern sammele ich alles, was man als Handapparat braucht, um möglichst viel Zusätzliches über das in den literarischen Werken Dargestellte zu erfahren: Atlanten und Länderlexika, Stadtführer, Historica, Kunst- und Musikbücher.
    Daneben fröhne ich noch allem möglichen Geografischen und allem, was sich m it klassischer Musik beschäftigt.
    Ja und dann natürlich ganz viel Bibliomanisches!
    Da sind schon ein paar Bücher zusammengekommen.
    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle,


    tja, nun hat mich seit Freitag ein elendes Fieber im Griff gehalten, das gerade wieder abklingt. Dadurch ist der Feuchtwanger liegen geblieben.


    Hoffe aber, in der nächsten Woche ordentlich voranzukommen.

    Zitat von "Zola"


    Zumindest sehe ich Riemann durch Feuchtwangers Schilderung nicht ganz so negativ wie Trautwein oder die anderen Exilanten.


    Genau das meine ich auch.


    Meine Spekulationen bezüglich Harry Meisels haben sich ja ins Nichts zerschlagen. Aber so war es auch ein passender Abgang, sehr schön melodramatisch mit dem Zuspätkommen von Tüverlins enthusiastischer Zustimmung.


    Bin auch gespannt auf Gingolds weiteres Handeln. Dem realen Herausgeber, der Feuchtwanger zur Orientierung diente, konnten die Nazis, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe, am Ende doch nichts am Zeug flicken.


    HG
    finsbury

    Hallo,


    nun geht es bei mir weiter: Ich bin jetzt im 10. Kapitel des zweiten Buches angelangt und erwarte mit der Familie Trautwein die Aufführung des 'Perser'-Oratoriums. Gerade die vergangenen Kapitel zeigten wieder die sehr menschenfreundliche Gestaltungskunst Feuchtwangers: Auch wenn wir die Haltung der unterschieldichen Personen zum Teil nicht akzeptieren können, schafft der Autor es doch, uns die innere Logik der Gedankenwelt unterschiedlicher Menschen nahezubringen. Herrn Gingolds Chuzpe und Riemanns Traurigkeit inmitten seiner herausgehobenen Stellung als einziger im Deutschen Reich verbliebener Dirigent von Weltruhm gehen mir trotz innnerer Ablehnung nahe.


    Im Gingold-Kapitel (II,8) wird vom Sekretär Gingolds geschrieben, er sehe in seinem Chef einen der großen Balzacschen Bankiers: Da fiel mir erst auf, dass Feuchtwanger und Balzac durchaus Ähnlichkeiten haben: Die große Anlage der Romane, die eine ganze Welt repräsentieren sollen und die Intention der historischen Typologie, die Ausrichtung am ganz konkreten Zeitgeschehen: Das sind schon viele Gemeinsamkeiten.
    Trotz Balzacs Weltruhm lese ich Feuchtwanger lieber, weil er, wie oben erwähnt, weniger gnadenlos mit seiner Personnage ist und die Frauen nicht so stilisiert, wobei Letzteres aber sicherlich auch an den unterschiedlichen Zeitaltern liegt, in denen die beiden geschrieben haben. Anna Trautwein und Lea wirken menschlicher als die entweder schrecklich intriganten und äußerlich orientierten Gräfinnen oder herzensguten Kokotten Balzacs. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache.


    Wie weit bist du, Zola?


    Bis bald!


    HG
    finsbury