Hallo Hubert und alle,
das Wort "Altgläubige" - dachte ich -sei eine Bezeichnung für Juden, die hoffentlich nicht diskriminierend ist, jedenfalls von mir nicht so gemeint war. Ich wollte nur eine sprachliche Abwechslung erzielen. Jetzt habe ich aber bei Wikipedia gelesen, dass so eine christliche Richtung genannt wird. In meiner Erinnerung hatte ich, dass man damit die Gläubigen bezeichnet, die sich allein auf das Alte Testament beziehen.
Vielen Dank für deine Informationen, besonders zu den Schneidern und Schustern. Wieder was Interessantes dazu gelernt!
Zitat von "Hubert"
Daraus folgt, dass die reichen Sommerfrischler aus der grünen Villa keine Juden sind, was auch im Text bestätigt wird, wenn z.B. gefragt wird: „Wo ist der Jude?“, das fragt man ja nicht wenn man selbst Jude ist. Es werden also nicht die sozialen Unterschiede innerhalb der jüdischen Gesellschaft geschildert, sondern die zwischen Juden und Nichtjuden.
Im ersten Kapitel, wo Tewje die beiden Frauen zur grünen Villa fährt, reden diese ihn mit Reb Tewje an, würden Nichtjuden so eine Anrede benutzen? Außerdem beschreibt Tewje an einer Stelle:
Ich schaue meine Fahrgäste an: sie sehen wirklich wie Weibsbilder aus; die eine hat ein seidenes Tuch auf dem Kopfe, und die andere eine Perücke ...
Das ist doch eine jüdische Tradition, dass die Frauen ihr eigenes Haar abrasieren mussten und darüber eine Perücke trugen. Steht so auch in den Schtetl- Unterlagen aus dem Materialienordner.
An einer anderen Stelle prostet er dem Hausherrn zu - der ein Käppchen trögt - und sagt:
Gebe Gott ... dass ihr immer reicht bleibt und und viel Freuden erlebt. Juden ... sollen immer Juden bleiben. Gott gebe Ihnen aber ... Gesundheit und Kraft, um alle Plagen und Leiden zu ertragen.
Entweder hat hier das Lektorat versagt und das "Ihnen" muss eigentlich klein geschrieben werden oder es muss sich der Spruch doch auf den Hausherrn beziehen. Aber den Widerspruch mit der Aussage "Wo ist der Jude?" sehe ich auch. Vielleicht bietet deine Übersetzung, die von jemand anderem stammt, genaueren Aufschluss.
Dass jedenfalls einige der Sommerfrischler auf jeden Fall Juden sind, wird im Kapitel "Sprinze" deutlich, denn da wird geschildert, dass viele reiche Juden wegen der Pogrome in vielen russischen Städten dorthin gezogen sind und Tewjes Tochter Sprinze wird Gegenstand der Leidenschaft eines reichen jungen Mannes jüdischen Geblütes.
Wie du siehst, bin ich jetzt wieder relativ weit mit dem Lesen gekommen und befinde mich in Kapitel VII "Tewje fährt ins Heilige Land". Ich kann aber wieder Lesepause machen, damit du aufholst, aber vielleicht bist du sogar schon weiter. Der Text liest sich sehr leicht weg.
Mir gefällt das Buch seit dem vierten Kapitel besser, weil mehr zeit- und kulturgeschichtliche Bezüge dazu kommen.
Hodels Aufbruch nach Sibirien ließ mich an Dostojevskij denken, der ja auch dorthin musste. Auch in Tolstois "Auferstehung", das ich vor einiger Zeit las, geht es um diesen Themenkreis.
Es ist interessant, dass Tewje alle seine Töchter nach einigem Klagen in ihrer Partnerentscheidung unterstützt, nur bei Chawe, die einen Christen heiratet, folgt er trotz großer innerer Trauer unnachgiebig der Tradition, sie für tot zu erklären.
Übrigens gibt es in dem 7. Kapitel, wie mir gerade einfällt, einen Hinweis darauf, dass die reichen Juden in Kiew wohnen dürfen, denn Tewje verheiratet seine jüngste Tochter Bejlke mit einem reichen jüdischen Bauunternehmer und Kriegslieferanten in Jehupez.
Was mich merkwürdig anmutet, ist, dass Tewje bis auf seine konsequente Haltung gegenüber dem Christentum alle möglichen politischen und wirtschaftlichen Spielarten kommentarlos hinnimmt. Hodel heiratet einen Revolutionär und Bejlke opfert sich für die Altersversorgung ihres Vaters und nimmt einen Waffenlieferanten, der ja vermutlich auf diese Weise die Regierung und nicht die Revolutionäre unterstützt.
Bis bald
finsbury