Beiträge von finsbury

    Hallo,


    immer noch glaube ich, dass es um Pogrome zu Beginn der Achtziger Jahre geht: Leider findet man im Internet keine genaue Auflistung der Orte, aber es heißt z.B.

    Zitat von http://www.gra.ch/lang-de/gra-glossar/181

    Ab Ostern 1881 flammten in ganz Südrussland antijüdische Ausschreitungen auf, die sich bis 1882 hinzogen und sich auf die nördlichen und baltischen Teile Russlands ausdehnten.


    Das erscheint mir wahrscheinlicher, als dass Scholem Alejchem noche einmal viele Kapitel überarbeitet haben sollte.
    Ich lese ab heute Nacht nun auch zu Ende, habe aber nicht viel Zeit.


    finsbury

    Laut wikipedia wurden die acht Episoden zwischen 1894 und 1916 geschrieben. Von einem Erscheinen 1894 ist mir nichts gekannt. Wo hast Du das her? Sicher ist, dass das achte Kapitel 1916 geschrieben wurde, das heißt aber nicht, dass die ersten sieben Kapitel 1894 geschrieben wurden. Ich bin z.B. davon überzeugt, dass wenn das sechste Kapitel damit beginnt, dass sich Tewje und Reb Scholem Alejchem seit einem Schock Jahre nicht gesehen haben, auch zwischen dem Schreiben des fünften und des sechsten Kapitels ein Schock Jahre lag.


    In der Inselausgabe steht als Nachweis am Ende (Zu dieser Ausgabe):
    Der Titel der Originalausgabe lautet Tewje der Milchiger, erstmals erschienen 1894. Das nachgetragene Kapitel VIII. erschien erstmals 1914.


    Da der Obertitel das Schräggedruckte ist, gehe ich davon aus, dass alle sieben vorher erschienenen Episoden
    in der Ausgabe von 1894 enthalten sind. Auch im Kindler ist 1894 als Ersterschinungsdatum des "Romans" angegeben.


    Zitat von Hubert

    Ich habe das so verstanden, dass man als Jude sich höchstens illegal in Kiew aufhalten konnte, was natürlich mit hohen Kosten verbunden war, weil von Illegalen z.B. höhere Mieten verlangt wurden und nicht so, dass man sich ein Ansiedlungsrecht erkaufen konnte.


    Wie oben schon angeführt, wohnt der reiche Ehemann von Bejlke in Jehupez( Insel-Taschenausgabe S. 216 f).


    Du bist jetzt in die Karthausen-Leserunde involviert. Kann ich dann zu Ende lesen oder soll ich noch ein bisschen zuwarten, damit du mit beiden Lektüren zurandekommst?


    Schöne Arbeitswoche allen


    finsbury

    Hallo,


    muss mich kurz korrigieren: ich habe doch Anmerkungen, da ich ja die gleiche Insel-Großschriftausgabe lese wie du.
    Jetzt habe ich die Stelle mit der Anmerkung zu Kiew auch nochmal gelesen und diese bringt ja die Erklärung, warum die reichen Juden doch in Kiew wohnten:

    Zitat von Anmerkung S. 29 _Inseltaschenbuch

    Jehupez (Kiew) liegt außerhalb des 'Ansiedlungsgebietes für Juden'. Der Aufenthalt in dieser Stadt war wohl praktisch möglich, aber mit großen Schiweirgkeiten und Kosten verbunden.


    Damit ist klar, dass sich die reichen Juden mit guten wirtschaftlichen und politischen Kontakten wohl doch in Kiew ansiedeln konnten.


    finsbury

    Ist das aber nicht seltsam, dass Tewje der ja ohne Zweifel auf seinem Wagen eingeschlafen war, jetzt seine Tochter sieht, in gleicher Kleidung als er sie zuletzt gesehen hat und wie kommt diese allein in den Wald und zufällig zu der Zeit als Tewje da entlang fährt?


    Da hast du sicherlich Recht, auch das Auftauchen Chawes erst zur Rechten, dann zur Linken des Wagens spricht dafür. Der Autor gestaltet aber die Erzählsituation so, als schilderte Tewje diese Scholem Alejchem als wirklich passiert :
    Glaubt ihr vielleicht, ich selbst hatte keine Lust, den Kopf zu wenden und einen Blick, einen einzigen dorthin zu werfen, wo sie gestanden hatte?
    Später erzählt er auch, dass er niemandem etwas von der Begegnung erzählt hätte.
    Vielleicht will der Autor diese Stelle aber auch absichtlich zwischen Fantasie und Wirklichkeit oszillieren lassen, um Tewjes seelische Anspannung zu untermalen.


    Nun zu zeitgeschichtlichen Fragen:
    Du berichtest oben von dem Pogrom von Kischinau von 1904. Der Roman erschien aber schon 1894, zumindest die ersten sieben Kapitel, in denen bereits auf Pogrome Bezug genommen wird. Ich habe jetzt nochmal im Wiki nachgelesen, da steht, dass es auch zwischen 1881 und 1884 Pogrome gab, unter anderem
    in Jekaterinoslaw, das auch im 6. Kapitel erwähnt wird. Allerdings Kischinau, Odessa und Rostow nicht, die auch dort aufgezählt werden.
    Außerdem wird im Wiki berichtet:

    Zitat von wikipedia: Geschichte der Juden in Russland


    Aufgrund dieser Ergebnisse wurden im Mai 1882 die Zeitweiligen Gesetze erlassen, welche den Juden verboten, sich außerhalb von Städten und Kleinstädten niederzulassen (siehe Maigesetze (Russland)).


    Das widerspricht ja nun wieder genau dem, was wir über das Aufenthaltsverbot von Juden in Kiew erfahren haben. ??
    Leider hat meine Ausgabe keinerlei Anmerkungen außer einem kleinen Verzeichnis jiddischer Wörter. Steht in deinen Anmerkungen irgendwo, auf welchen realen Zeitraum sich die Handlung bezieht? Dann könnte man genauer nachsuchen, auf welche Dinge sich Tewje genau bezieht.



    finsbury


    die Begegnunt mit seiner Tochter im Wald, als Chawe versucht seinen Wagen anzuhalten, Tewje aber dem Pferd die Peitsche gibt, ist die real oder findet die nur in seinen Gedanken statt?


    Hallo Hubert,


    diese Frage hat sich mir gar nicht gestellt, ich habe diese Begegnung als real wahrgenommen. Muss zum Frühstück, später mehr.


    finsbury

    Hallo Hubert und alle,


    das Wort "Altgläubige" - dachte ich -sei eine Bezeichnung für Juden, die hoffentlich nicht diskriminierend ist, jedenfalls von mir nicht so gemeint war. Ich wollte nur eine sprachliche Abwechslung erzielen. Jetzt habe ich aber bei Wikipedia gelesen, dass so eine christliche Richtung genannt wird. In meiner Erinnerung hatte ich, dass man damit die Gläubigen bezeichnet, die sich allein auf das Alte Testament beziehen.


    Vielen Dank für deine Informationen, besonders zu den Schneidern und Schustern. Wieder was Interessantes dazu gelernt!


    Zitat von "Hubert"

    Daraus folgt, dass die reichen Sommerfrischler aus der grünen Villa keine Juden sind, was auch im Text bestätigt wird, wenn z.B. gefragt wird: „Wo ist der Jude?“, das fragt man ja nicht wenn man selbst Jude ist. Es werden also nicht die sozialen Unterschiede innerhalb der jüdischen Gesellschaft geschildert, sondern die zwischen Juden und Nichtjuden.


    Im ersten Kapitel, wo Tewje die beiden Frauen zur grünen Villa fährt, reden diese ihn mit Reb Tewje an, würden Nichtjuden so eine Anrede benutzen? Außerdem beschreibt Tewje an einer Stelle:
    Ich schaue meine Fahrgäste an: sie sehen wirklich wie Weibsbilder aus; die eine hat ein seidenes Tuch auf dem Kopfe, und die andere eine Perücke ...
    Das ist doch eine jüdische Tradition, dass die Frauen ihr eigenes Haar abrasieren mussten und darüber eine Perücke trugen. Steht so auch in den Schtetl- Unterlagen aus dem Materialienordner.
    An einer anderen Stelle prostet er dem Hausherrn zu - der ein Käppchen trögt - und sagt:
    Gebe Gott ... dass ihr immer reicht bleibt und und viel Freuden erlebt. Juden ... sollen immer Juden bleiben. Gott gebe Ihnen aber ... Gesundheit und Kraft, um alle Plagen und Leiden zu ertragen.
    Entweder hat hier das Lektorat versagt und das "Ihnen" muss eigentlich klein geschrieben werden oder es muss sich der Spruch doch auf den Hausherrn beziehen. Aber den Widerspruch mit der Aussage "Wo ist der Jude?" sehe ich auch. Vielleicht bietet deine Übersetzung, die von jemand anderem stammt, genaueren Aufschluss.
    Dass jedenfalls einige der Sommerfrischler auf jeden Fall Juden sind, wird im Kapitel "Sprinze" deutlich, denn da wird geschildert, dass viele reiche Juden wegen der Pogrome in vielen russischen Städten dorthin gezogen sind und Tewjes Tochter Sprinze wird Gegenstand der Leidenschaft eines reichen jungen Mannes jüdischen Geblütes.


    Wie du siehst, bin ich jetzt wieder relativ weit mit dem Lesen gekommen und befinde mich in Kapitel VII "Tewje fährt ins Heilige Land". Ich kann aber wieder Lesepause machen, damit du aufholst, aber vielleicht bist du sogar schon weiter. Der Text liest sich sehr leicht weg.


    Mir gefällt das Buch seit dem vierten Kapitel besser, weil mehr zeit- und kulturgeschichtliche Bezüge dazu kommen.
    Hodels Aufbruch nach Sibirien ließ mich an Dostojevskij denken, der ja auch dorthin musste. Auch in Tolstois "Auferstehung", das ich vor einiger Zeit las, geht es um diesen Themenkreis.


    Es ist interessant, dass Tewje alle seine Töchter nach einigem Klagen in ihrer Partnerentscheidung unterstützt, nur bei Chawe, die einen Christen heiratet, folgt er trotz großer innerer Trauer unnachgiebig der Tradition, sie für tot zu erklären.
    Übrigens gibt es in dem 7. Kapitel, wie mir gerade einfällt, einen Hinweis darauf, dass die reichen Juden in Kiew wohnen dürfen, denn Tewje verheiratet seine jüngste Tochter Bejlke mit einem reichen jüdischen Bauunternehmer und Kriegslieferanten in Jehupez.
    Was mich merkwürdig anmutet, ist, dass Tewje bis auf seine konsequente Haltung gegenüber dem Christentum alle möglichen politischen und wirtschaftlichen Spielarten kommentarlos hinnimmt. Hodel heiratet einen Revolutionär und Bejlke opfert sich für die Altersversorgung ihres Vaters und nimmt einen Waffenlieferanten, der ja vermutlich auf diese Weise die Regierung und nicht die Revolutionäre unterstützt.


    Bis bald


    finsbury

    Hallo Hubert,


    nur ganz kurz, da keine Zeit. Ich habe am Wochenende so viel gelesen, weil ich unter der Woche nicht dazu komme. Also kannst du dich jetzt erstmal vom Lesestress erholen, ich komm bis Freitag nicht weiter.
    Mit der Ähnlichkeit zu Hiob meinte ich eher die Gottergebenheit neben dem Angenervtsein von GOttes Zumutungen, die ich beim biblischen Hiob auch meine herausgelesen zu haben.


    Für die bibliografischen Hinweise herzlichen Dank: ich bin es zufrieden, keine gekürzte Ausgabe zu lesen.


    Bis denne


    finsbury

    Nachdem ich die Materialien durchgesehen, die du, Hubert, dankenswerter Weise in dem Materialienordner verlinkt hast, bin ich etwas verwirrt:
    Bei der Manesse-Ausgabe steht dabei, sie sei die erste vollständige Ausgabe, und sie hat auch etwa siebzig Seiten mehr als meine Insel-Ausgabe. In der letzteren steht aber nichts von Kürzungen und das VIII. Kapitel: "Zieh fort" ist auch enthalten.
    Nun, ich zähle mal die drei Kapitel auf, die ich bisher gelesen habe: I "Der Haupttreffer", II "Ein Hereinfall", III "Kinder von heute". Ob innerhalb der Kapitel etwas fehlt, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.


    Der Roman bzw. die Folge von Erzählungen liest sich leicht, aber so recht vom Hocker holt mich der Text bisher nicht. Allerdings folgen wohl auch noch die Kapitel mit den interessanteren Zeitbezügen.


    Bisher ist es eine humoristische und menschenfreundliche Schilderung der Erlebnisse Tewjes, die man noch nicht als echte Schicksalschläge bezeichnen kann. Im zweiten Kapitel verliert er das Geld, das er im ersten Kapitel unverhofft erhielt, aber behält die Kühe und damit seine bessere Lebensgrundlage gegenüber dem Anfang der Geschichte. Im dritten Kapitel verweigert die Tochter Zeitel die Ehe mit dem viel älteren, aber wohlhabenden Fleischer von Anatevka und bekommt einen armen Schneider, der gesellschaftlich anscheinend unter Tewjes Familie steht. Schuster und Schneider waren wohl besonders schlecht angesehen im Schtetl, warum auch immer. Tewje nimmt nach einigen Klagen an seinen Gott alles schnell und gutmütig hin.
    Das Ganze wird gemütlich, mit vielen Dialogpassagen erzählt, wobei die farbigsten diejenigen mit seiner Frau Golde sind. Aberglaube spielt eine Rolle: Tote soll man fein säuberlich von den Lebenden trennen, sonst kommen sie über einen. Die ständig wiederkehrende Erwähnung Brodskijs, eines damaligen real existierenden Zuckerindustriellen, soll wohl den größtmöglichen Kontrast zu dem Leben der armen Juden im Schtetl immer wieder vor Augen führen.
    Interessant auch die großen sozialen Unterschiede innerhalb der jüdischen Gesellschaft: In Kiew (= Jehupez) leben viele reiche Altgläubige, die ihre Sommerfrische in Bojberik verbringen, während die armen Schlucker aus den Schtetln wie zum Beispiel Menachem Mendl, der Tewjes Geld durchbringt, dort nur illegal leben können. Ganz verstanden habe ich das nicht ... .
    So, nun geht es an den Schreibtisch und heute wird es wohl nicht mehr viel mit der Lektüre. Einen angenehmen Restsonntag und eine ebensolche Arbeitswoche wünscht


    finsbury

    Hallo Hubert und alle,


    eine gemütliche Leserunde käme mir sehr entgegen, weil ich erst heute Nacht dazu kam, die ersten Seiten zu lesen und dann fielen mir auch schon die Augen zu. Auch dieser Abend bleibt nicht frei und das Wochenende wird auch nicht viel Raum bieten.


    Nun aber zu unserem Text: Ich habe bei Zweitausendeins aus der Krabbelkiste eine Insel-Taschenbuchausgabe nach der gebundenen AUsgabe von 1960. Die Übersetzung ist von Alexander Eliasberg, das letzte Kapitel, das wohl erst 1914 veröffentlicht wurde, übersetzte Max Reich.


    Dass Tewje ein Nachfahr des biblischen Hiobs ist, drängt sich direkt am Anfang auf. Das Gottvertrauen vor dem Hintergrund von Armut und Schicksal passen. Interessant, dass es ohne Rahmenhandlung losgeht: Wie er Scholem Alejchem kennen gelernt hat, wird gar nicht erzählt, sondern nur die Erzählsituation an sich vorgestellt.


    Bis bald


    finsbury

    Hallo Hubert,


    entschuldige, dass ich mich so spät melde, aber im Moment regiert wieder fast ausschließlich der Job. Das gilt auch noch für dieses Wochenende und bis Donnerstag nächster Woche: Könnten wir also um vier Tage verschieben auf Donnerstag?


    Sonst muss ich etwas später einsteigen und das ist bei zwei Lesern vermutlich nicht so prickelnd.


    finsbury

    Danke Maria,


    dann werde ich mal den "Eisvogel" auf meine Anschaffungsliste setzen. Das klingt auch vom Thema her recht interessant.


    finsbury

    Hallo,


    nun bin ich fertig mit dem Roman und insgesamt sehr beeindruckt. Besonders die Szenen mit Christian bei der NVA waren sehr bedrückend und intensiv. Beim Ende ging mir allerdings die Metaphernhäufung auf den Geist. Da erschlägt ein Stilmittel das nächste und ich kann unmöglich die im Einzelnen oft durchaus gelungenen Wendungen schätzen, weil sie sich gegenseitig zukleistern.
    Welches weitere Tellkamp-Werk ist denn nicht ganz so überladen mit derlei Fingerübungen?


    finsbury

    Mir hat die Sendung überhaupt nicht gefallen, und ich muss sandhofer Recht geben, wenn er sagt, dass Jane Austen keine Frauenliteratur ist: Natürlich geht es um den weiblichen Lebenskreis der damaligen Zeit, das war ja wohl auch kaum anders möglich: Aber Austens Romane sind große Gesellschaftsromane, mit der feingeschliffensten Ironie, die ich kenne und die selbst in Übersetzungen noch herauskommt. Im Deutschen würde ihr am ehesten Jean Paul entsprechen.
    Die Sendung hat AUsten in eine Ecke gerückt, nach dem Prinzip gehobene Chicklit für Frauen und Männer wissen dann endlich, wie Frauen ticken. Puuuh!
    Die ganze Aufmachung war auch so hölzern und primitiv und die Expertin hatte tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten in der AUsstrahlung mit Frau EU_FDP.


    finsbury


    PS: DIe TV-Verfilmung fand ich übrigens auch nicht sehr gelungen: Sie war eine bis in Einzelheiten ausgewalzte schlechte Kopie der Version mit Emma Thompson, aber noch weniger satirisch.

    Hallo Hubert,


    hiermit bestätige ich nochmal die Einlösung meiner Wettschuld. Hoffen wir, dass sich noch andere zu uns gesellen und warten wegen des Termins etwas ab. Ansonsten kann ich ab Mitte / Ende Juni eigentlich jederzeit einsteigen bis auf einige Urlaubswochen im August.


    finsbury

    Hallo Tom und André,


    auch mich würde diese Erzählung interessieren. Allerdings ist der August weniger gut für mich, da ich die ersten drei Wochen verreist bin. Es müsste dann Ende August sein. ich könnte aber auch früher, da ich im Moment nur noch das letzte Drittel in Tellkamps "Turm" zu lesen habe und noch nicht festgelegt habe, wie ich fortfahre.


    finsbury