Beiträge von finsbury

    Hallo Leibgeber und Maria,


    Dass Marlow und Stein auch mal wie Jim waren - als auctoriale Annahme, glaube ich nicht: Marlow stellt ja immer wieder heraus, dass er Jim als ganz singulär empfindet, eben durch diese seelische Katastrophe, dass er als geborener Held im Selbstbild in die Welt einstieg als ein Feigling. Das fängt ja schon als Junge auf dem Schulschiff an. Schon da findet er nicht schnell genug den Weg, um sich in einer Rettungssituation zu bewähren. Und so geht es immer weiter, bis die "Lord"-Existenz die scheinbare Wende bringt, aber nur als sogenanntes Retardierendes Moment, als verzögernder 4.Akt, bevor es schließlich in die finale Katastrophe geht.


    finsbury

    Jeder liest ein Buch anders.
    Ich hab's nicht als Moralisiererei empfunden.


    Ich wäre interessiert, zu wissen, auf welche Passagen ihr euch bezieht.


    Das ist nur meine Meinung. Maria hat sich dazu meines Wissens nicht geäußert*.



    Natürlich ist es der Erzähler, nicht der Autor, der moralisiert, aber dazu hätten ja auch ein paar Beispiele gereicht und nicht solche langen redundanten Passagen.
    Das erinnert mich an eine weibliche Nebenperson in Dickens "Nicolas Nickleby", die auf naiv-dreiste Art von sich selbst überzeugt ist. Auch das ist am Anfang interesant (und lustig), aber auf die Dauer nervt es.
    Steins Moralisierungen finde ich oka, eben dadurch, dass die Moral durch die Handlung deutlich wird.



    Ich auch. Das hat mir das Lesen nicht getrübt. Übrigens halte ich, wie ich schon sagte, die Lektüre dieses Romans trotz meines "Meckerns" für einen der wichtigsten und großartigsten Lektüre diesen Jahres.


    finsbury


    * Während ich dies hier schrieb, dann doch! :winken:

    Auch John le Carres Bücher? Auch "Enigma" von Robert Harris?


    John le Carré lese ich in der Tat nicht gern. Robert Harris aber schon, da hast du Recht. Den Roman hatte ich vergessen. Er ist aber gut durchstrukturiert und die Handlung ist verständlich - selbst für Intrigen- und Spionageunbegabte wie mich.


    finsbury


    ich lese "Der Friedhof in Prag" von Umberto Eco. Es gefällt mir, nach 240 Seiten, besser als "Baudolino".


    Bisher habe ich immer alle Eco-Romane gelesen, die auf Deutsch erschienen sind. Wenn sie auch unterschiedlich gut sind, fand ich ihre Themen doch immer interessant. Da der "Friedhof von Prag" Spionage zum Thema hat, wie ich las, ist er der erste, der mich nicht interessiert. Spionagegeschichten fand ich bisher immer verwirrend und langweilig. Wie ist es denn mit Ecos Spionagegeschichte? Steigt man da überhaupt durch?


    Heute morgen angefangen und bisher für sehr schön befunden:


    Jan Christophersen: Schneetage hier
    Der Roman spielt zwischen den Jahren 1978/79 während des großen Schneesturms. In einem Wirtshaus an der Grenze zu Dänemark bricht der Wirt todkrank zusammen, und sein Ziehsohn erinnert sich zurück an die Zeit nach dem Krieg und entdeckt die Hintergründe seines eigenen Schicksals (den letzten Teilsatz formuliere ich nach den Infos auf dem Waschzettel, ich bin erst auf S. 60).
    Bisher toll und dicht formuliert und ganz nah an der Landschaft dort.


    finsbury

    Hallo,


    lese gerade einen zeitgenössischen Roman über den Niedergang einer internationalen Zeitschrift in Rom und deren Beschäftigte. Angenehm zu lesen und ein Einblick in die Zeitungswelt, der recht authentisch wirkt.


    Tom Rachman: Die Unperfekten hier


    finsbury

    Hallo Maria,



    ich gehe ja, wenn möglich, auch lieber in eine Buchhandlung, jedoch finden sich manchmal tolle Schnäppchen im Netz. So im Moment die edle Edition Maritim, manche Bände sind heruntergesetzt auf 5,99 Euro:


    Taifun / Almayers Wahn
    [kaufen='978-3892255819'][/kaufen]


    Genau die habe ich gestern in meinenEinkaufskorb bei amazon getan, nachdem ich meine Chancen bedacht hatte, noch vor den Feiertagen eine nicht-virtuelle Buchhandlung aufzusuchen. Freu mich schon drauf, vor allem weil auch "Almayers Wahn" in dem Band enthalten ist, den ich auch noch lesen wollte.


    finsbury

    Danke für den Tipp, Maria!
    steht auf meiner Anschaffungsliste für den nächsten Buchhandlungsbesuch! Hoffentlich nicht so viele moralische Ergüsse wie in "Lord Jim"?!


    finsbury

    Interessanter Artikel - danke, Maria!


    Ich füge noch einen Autor hinzu. Felix Timmermans (1886 - 1947), ein Flame.
    Habe vor einiger Zeit vom Krabbeltisch "Dämmerungen des Todes" mitgenommen, eine Sammlung fünf literarischer Gruselgeschichten, aber noch nicht gelesen.


    finsbury

    danke für die Lorbeeren und Rückgabe derselben an euch: die Bedeutung der Farbe Weiß an Jim hätte ich ohne dich, Maria, überlesen, und du, Leibgeber, hast unsere Runde durch deine Lektüreerinnerungen und Recherchen sehr bereichert.
    Das ist ja das Schöne an diesen Leserunden, dass man erstens zu mehreren viel mehr erkennt und dass man zweitens selber auch intensiver liest, weil man sich darüber austauscht.


    finsbruy

    Hallo,


    da ist aber wirklich was zusammengekommen! Sogar in der Bibel wird der Gefahren des Meeres, nicht nur bei Jona und dem Wal gedacht! Danke für diesen Hinweis, montaigne.
    Und allen anderen auch.
    Hoffentlich kommt noch ein bisschen was zusammen.


    finsbury

    Hallo,


    nun bin ich auch durch und das Ende hat sich wirklich nochmal richtig gelohnt! Wie Jim dann schließlich abdankt, das ist äußerst konsequent und gerade deshalb bitter: Weil er die Schuld für Browns 2. Überfall, bie dem sein Freund Dain Waris getötet wird, auf sich nimmt, lässt er sich von dem trauerblinden Doramin hinrichten und gerade damit lässt er wieder ihm anvertraute Menschen im Stich. Eine wegen seines Charakters und Vorlebens ausweglose Situation, ein tragischer Konflikt, ein romantischer Held: Hier hat Conrad alle Register gezogen.
    Auch von der Motivik her ist der Roman stark strukuriert: Dreimal springt Jim, und dreimal scheitert er: vom Pilgerschiff, aus dem Boot nach Patusan, wo er zunächst reüssiert, aber gerade dadurch das letzte Scheitern vorausbestimmt: Er springt zum dritten Mal aus dem Boot auf die Sandbank am Priel gegenüber Brown und lässt sich aufgrund seines "weißen" Ehrenkodexes von dem Piraten verschaukeln, womit er unbewusst den Tod der ihm Anvertrauten vorausbestimmt.
    Alles in allem ein toller Roman, dem das Streichen von 50 Seiten Redundanzen moralischer Ergüsse noch mehr Wucht verliehen hätten.
    Vielen Dank für die vielen schönen Beobachtungen und Anmerkungen, Maria und Leibgeber!


    finsbury

    1989 las ich eine Prosaübersetzung der "Aeneis" von Volker Ebersbach, die im alten Aufbau-Verlag erschienen war. Sie ist sehr flüssig und leicht lesbar, enthält zudem ein ausführliches Nachwort des Übersetzers und ein umfangreiches Namensregister mit Erklärungen.
    Inwiefern die Übersetzung dem lateinischen Original nahekommt, kann ich nicht beurteilen.


    finsbury

    Danke für deine ausführliche Darstellung dieses faszinierenden Malers, Montaigne.
    Dass gleich drei Ausstellungen gleichzeitig auf deutschsprachigem Boden stattfinden, ist ja sehr außergewöhnlich. Leider habe ich keine Gelegenheit, vor Ablauf der Fristen eine der Ausstellungen zu besuchen.


    finsbury

    Hallo Maria, Leibgeber und alle,


    hatte letzte Woche weder Zeit zum Lesen noch zum Posten, entschuldigt!
    Ich bin auch noch nicht durch, denn durch das letzte Drittel quäle ich mich zunehmend. Conrad ist überwältigend in der Schilderung von Atmosphäre, aber dieses eingehende und sich oft wiederholende Nachspüren moralischer Gewissensbisse und seelischer Befindlichkeiten bei Jim und auch seiner Gefährtin
    nervt mich.
    Nun bin ich im 37. Kapitel angekommen, Marlow ist bei Stein zu Besuch und trifft Jims Angestellte und auch das "Mädchen". Heißt es in der englischen Ausgabe auch immer "Mädchen"? Ich finde das etwas verniedlichend und unpassend zu ihrer schwermütigen Persönlichkeit.
    Auf eine Metapher im Patusan-Teil möchte ich jedoch noch eingehen, jedenfalls glaube ich, dass es eine Metapher ist:
    Das Gebirgsmassiv mit den zwei Gipfeln, getrennt durch eine tiefe Schlucht, durch die der Mondschein zwischen Geäst fällt, wirkt in Kapitel 34 auf mich wie ein Bild für das Trennende zwischen Jim und seiner Partnerin, die Schuld, in die er sich verstrickt hat und für die er anscheinend immer noch nicht genug gebüßt hat, trennt ihn von ihr und sie ist sich sicher, dass er sie eines Tages verlassen wird: Dieses Gestrüpp trennt sie, trotz des Mondscheins, der vielleicht ihre Liebe symbolisiert. Klingt kitschig, aber diese Deutung drängt sich mir auf, da die Naturbeschreibung unmittelbar hinter dem seitenlangen Memorieren der beiderseitigen Gefühle kommt und bevor das Gespräch mit Cornelius beginnt, einem weiteren Störenfried im Paradies, wie du, Maria, oben bemerktest.
    Nun hoffe ich, in den nächsten Tagen trotz der anstehenden Arbeit Zeit für den Rest zu finden.
    In einem Buch habe ich übrigens gelesen, dass es für Jim ein reales Vorbild gab:
    Von Singapur war tatsächlich am 17. Juli 1880 ein Dampfer unter britischer Flagge mit tausend Pilgern nach Mekka aufgebrochen und im Sturm leck geschlagen. Dabei retteten sich die europäischen Offiziere und ließen die Passagiere auf dem havarierten Schiff zurück. Der Kapitän und seine Kumpane gaben sich im nächsten Hafen als einzige Überlebende aus und meldeten Versicherungsanspruch an; Währenddessen wurde die "Jeddah" von einem anderen Schiff aufgebracht und in Sicherheit gebracht. Die Schuldigen verloren ihre Offizierspatente. Unter ihnen war der 1.Offizier Augustine Podmore Williams, den Conrad drei Jahre später kennen lernte.


    finsbury

    Hallo Leibgeber,


    Orlando Figes, Nataschas Tanz.
    Breitwandgemälde russischer Kultur, aucb wenn Mr. Figes die erst mit Peter dem Großen beginnen lässt.
    Liest sich gut weg.
    Gefällt mir.


    Das Buch schmückt auch schon lange mein Sachbuchregal. Ich wartete darauf, mal wieder russische Literatur zu lesen und dies dann begleitend. Spätestens bei der Dostojevskij-Leserunde im nächsten Jahr wird es dann soweit sein. Danke für die Erinnerung.
    finsbury

    Hallo Maria,


    schön, ab morgen steige ich auch wieder ein.
    Hoffentlich geht es dir bald etwas besser!


    Wenn Selbstbild und Fremdbild übereinstimmen, heißt das noch lange nicht, dass man so "gut" ist. Ich meine damit, dass die Patusaner seine Taten als heldenhaft oder vorbildlich empfinden, und das steigert natürlich sein Selbstwertgefühl.
    Das mit der weißne Kleidung ist interessant, wieder ein Detail, das mir entging.


    finsbury


    gerade habe ich die traurige Nachricht im Radio gehört, dass Christa Wolf 82jährig in Berlin verstorben ist.


    Die wirkliche Bedeutung von Christa Wolf wird sich erst zeigen, wenn die tagespolitischen Diskussionen um ihre Person abgeklungen sind. Sie ist eine widersprüchliche, aber immer reflektierende Autorin gewesen, und ich glaube, dass wir noch viel aus ihrem Werk lernen können.
    Mein liebstes Buch: Wie bei Sir Thomas: Kein Ort. Nirgends
    Aber ich muss auch noch ganz viel von ihr lesen.


    finsbury