Beiträge von finsbury

    Hallo Maria und Leibgeber,




    Bie mir beziehen sich die Begriffe auf das Adjektiv "romantisch" und insofern fällt mir das Verständnis nicht schwer. "Romantisch" im Sinne von Conrad und auch so wie ich es verstehe - meine ich, bedeutet, dass man sich in unerreichbare Ideale versteigt, was natürlich die Gefahr des Scheiterns besonders in sich trägt.
    Jim ist romantisch, weil er unbedingt ein Held sein will, weshalb ihm sein gegenteiliges Handeln beim Beinaheschiffbruch so sehr an die Nieren geht.
    Stein ist eine tolle Nebenfigur - er könnte gut von Donald Sutherland gespielt werden :zwinker:.
    Die Schilderung der Atmosphäre in seinem Arbeitszimmer ist mal wieder ein Conradsches Kabinettstückchen.
    Eine zentrale Stelle ist meiner Ansicht nach diese:
    Stein sagt:
    "Wir wollen auf so viele verschiedene Weisen sein ... Er (der Mensch) möchte ein Heiliger sein und er möchte ein Teufel sein - und jedesmal, wenn er die Augen schließt, sieht er sich als prächtigen Kerl - so prächtig, wie er nie sein kann ... ."
    Ich bin jetzt in Kapitel XXX, Jim hat in Patusan Fuß gefasst und endlich stimmen sein Selbstbild und das Fremdbild überein.
    Conrad ist ein Kind seiner Zeit, trotzdem nervt mich in diesen Kapitel manchmal der gemäßigte Herrenmenschenton.
    Dir, Maria, gute Besserung, ich schalte wieder einen Gang im Lesetempo zurück.
    Leibgeber


    (Ich versuche jetzt seit zwei Wochen, was zum "Geheimagent" zu schreiben., Aber komme irgendwie zu nix ...)


    Und ich nehme mir seit einem Monat vor, etwas zu Euripides zu schreiben und komme auch nicht dazu. So isset eben.
    Literatur läuft nicht weg und Klassiker bleiben immer aktuell.


    finsbury


    Dir viel Spaß mit der weißen Garde, von der mir selbst allerdings so gut wie nichts in Erinnerung geblieben ist.


    Danke meier,


    bis dahin wird aber noch einige Zeit ins Land gehen. Ich bin aber sehr dankbar, dass ihr mich mit der Meister-Leserunde auf Bulgakow gebracht habt: Da wäre mir in meinem Leseleben doch eine ganz wichtige Nuance entgangen: Dieser satirische Wahnsinn russischer Machart und die dahinter stehenden gesellschaftlichen Entwicklungen sind mir eine wichtige Entdeckung.


    finsbury

    Hallo,


    jetzt weiß ich auch wieder, warum ich weder den Michael Kohlhaas noch Ragtime mag: Mir geht die Hutschnur hoch, wenn ich über solch unverschuldetes Unrecht lese und den vergeblichen Kampf der Protagonisten dagegen. Komischerweise kann ich mich dann nicht distanzieren, sondern bin so aufgebracht, dass ich kaum weiterlesen kann.


    finsbury

    Hallo meier,


    nichts muss dir peinlich sein, die offizielle Leserunde zum "Meister" ist ja beendet, und dies ist nur ein freiwilliger Appendix, den man auch lassen kann.
    Ich habe zuerst überhaupt nicht die konkreten Zusammenhänge zwischen den Novellen und Bulgakows Gesellschaftskritik verstanden, aber das Nachwort in der Luchterhand-Ausgabe kommt zwar sehr gesteltzt daher, ist aber sehr aufschlussreich: In Hundeherz sind wohl alle wichtigen handelnden Personen Schlüsselfiguren, der Professor ist Lenin, sein Assistent Trotzkij, der Hundemensch Scharikow ist Stalin und der Vorsitzende des Hauskommitees entspricht auch einer Person aus diesem Umkreis, die Angabe finde ich allerdings momentan nicht.
    So geht es mit den anderen Teufeliaden auch: Ihre politische Bedeutung erschloss sich mir erst nach der Lektüre dieses Nachwortes, das ich aber auch noch nicht ganz durchhabe, weil es in einer recht zähen Sprache verfasst und sehr umfangreich ist.
    Dir zunächst viel Spaß mit Homer. Wenn es mit den Teufeliaden bei dir später wird, kann sandhofer :winken: dieses Thema (die letzten 4 Beiträge mit diesem) vielleicht abtrennen und in einen allgemeinen Bulgakow-Ordner verschieben. Ich habe mir jetzt auch noch "Die weiße Garde" zugelegt, werde aber nicht so schnell dazu kommen, den Roman zu lesen.


    finsbury

    Hallo Maria und alle,


    nun sind wir wieder gleich auf. Ich habe mein dazwischengeschobenes Buch beendet und mit Kapitel XXI fortgefahren, das aber eines der zäheren ist. Den schwadronierenden Conrad, alias Marlow mag ich nicht so gern: Was man auch in einem Absatz über das Verhältnis des Menschen zu seiner Heimat sagen kann, walzt er auf mehrere Seiten aus. Dabei wird er mir auch zu schwammig.


    Ich hoffe wieder auf mehr Handlung. Durch diese wird Jims Charakter und Schicksal mir jedenfalls deutlicher. Beginne heute mit KAp. XXII, muss aber viel arbeiten, wie auch in den nächsten Tagen, werde also nicht so schnell weiterkommen.



    finsbury

    Kann man auch Werke nennen, deren Helden so populär wurden, dass sie zu halbrealen Legenden mutierten?


    Dazu fiele mir "Zorro", alias Diego de la Vega, ein, der Held im Trivialroman "The Curse of Capistrano" von Johnston McCully, dessen Robin Hood-Manier ihn zu einem Nationalhelden der mittelamerikanischen Staaten machte, den viele für eine reale Gestalt halten.


    finsbury

    Hallo,


    Kleist ist für mich vor allem ein begnadeter Verfasser von erzählender Prosa, seine verdichtete Sprache ist in seiner Zeit mit nichts zu vergleichen. Wer das "Erdbeben von Chili", "Das Bettelweib von Locarno" oder die "Marquise von O liest", wird geradezu atemlos von diesen Teilsatzkaskaden, diesen Satzungetümen, die dennoch gut verständlich sind. Vor allem die Anfangssätze sind unvergleichlich, umfassen einen großen Teil des Inhalts der jeweiligen Novelle (Marquise und Erdbeben z.B.). Als Dramatiker schätze ich ihn nicht mehr als die anderen Großen der Epoche, aber auch nicht weniger :zwinker:.


    finsbury

    Hallo,


    nur ganz schnell: Bin im XXI: Kapitel und wieder ganz atemlos wegen der großartigen Beschreibung des Atmosphärischen, die Conrad immer ungeheuer dicht gelingt. ich kenne keinen anderen Autor, der diesen "Sound" hat. Man ist immer mittendrin an den Orten, die Conrad beschreibt.
    Jims Charakter entwickelt sich allmählich immer deutlicher.


    finsbury

    Hallo Maria und Leibgeber,


    es scheint erwiesen, wie auch du, Leibgeber, schon anführtest, dass der dritte Maschinsit und der Heizer beide eine Person sind, nämlich George. Später wird über keine weitere "weiße" Person mehr berichtet, die sich auf dem Schiff befand, also ist es so.


    Maria, wie oben gesagt, ich habe ein anderes Buch zwischengeschoben. Lass dir Zeit und melde dich, wenn du aufgeholt hast.


    finsbury

    Hallo Maria und Leibgeber,


    Ich bin nicht viel weiter gekommen und habe nun Kap. XVIII abgeschlossen.


    ? wo fandest du das? Hab ich was überlesen ?
    Ich finde die Stelle, wo ihm das Patent entzogen wird, und die längere Passage mit den beiden recht ätzenden Herren Chester und Robinson.
    Übrigens eine ähnlich seltsame Abschweifung wie die mit Kapitän Brierly.


    Ja, das liegt wieder an diesem ständigen Wechsel der Zeitebenen. Ich habe jetzt eine ganze Weile suchen müssen, bis ich die Stelle wiederfand: IM XIII: Kapitel, unmittelbar nach dem Gespräch mit dem französischen Offizier, der damals bei der Patna-Rettung dabei war, erwähnt Marlow, dass er Jim in Semarang, Java, als Hafenangent bei der De Jongh-Agentur angetroffen habe.


    Nein, ich glaub nicht, dass Brierly ein Kontrast zu Jim ist.
    Eher eine Spiegelung?
    Jim, das bin ich ...


    Das habe ich oben auch schon vermutet:
    [quote author=finsbury]
    Ich glaube, dass Brierly eher eine Parallele zu Jim darstellen soll. Anscheinend hat er ja auch irgendwie Schuld auf sich geladen, an die er durch Jims Prozess erinnert wird und begeht dann Selbstmord ohne jede Erklärung, also auch ohne ein Schuldeingeständnis...[/quote]



    Ich finde die Stelle, wo ihm das Patent entzogen wird, und die längere Passage mit den beiden recht ätzenden Herren Chester und Robinson.
    Übrigens eine ähnlich seltsame Abschweifung wie die mit Kapitän Brierly.


    Vermutlich werden Jim verschiedene Gestalten zur Seite gestellt, um das Besondere seines Charakters und seiner Schicksalsbewältigung deutlich zu machen: Brierly, der sich nicht stellt, sondern den eigentlich feigen Ausweg des Selbstmordes ohne Erklärung sucht; Chester und Robinson, die schon jedes Ehrgefühl verloren haben und nur noch auf das große Geld aus sind, die daher an Jim nur wegen seiner möglichen Verfügbarkeit für ihr dreckiges Geschäft (Ich meine ihren geplanten Umgang mit den "Kulis" als so eine Art Zwangsarbeiter, nicht die Guanolieferanten :zwinker:) interessiert sind. Menschen mit Rissen und Sprüngen in ihrem Charakter und Lebensweg findet Conrad überall in den Seefahrerorten, an denen er seine Handlungen spielen lässt und hier stellt er eine Gruppe von Menschen zusammen, die auf verschiedenen Niveaus ihr Scheitern verarbeiten.


    In Kap. XVIII ist Jim bereits zum zweiten Mal weitergewandert, weil ihn die Vergangenheit verfolgt, wie der ewige Ahasver. Dabei düpiert er immer wieder Menschen, die ihn schätzen gelernt haben und sich für ihn einsetzten. Er entflieht , nachdem er den Prozess mannhaft durchgestanden hat, den Begegnungen mit seinen Schuldgefährten, aber auch der bloßen Erwähnung und Bewertung des Verhaltens der "Schiffbrüchigen": Diesen Widerspruch in seinem Charakter verstehe ich noch nicht, aber vielleicht wird das noch klarer.


    Maria, wie weit bist du? Ich mache jetzt eine kleine Lesepause, bis du dich wieder meldest.


    finsbury

    Hallo Maria,

    interessant - im 10. Kapitel wird wieder von einem Fleck gesprochen, (fauler Fleck, faule Stelle, beides kam schon öfters vor), diesmal kommen wir der Sache näher und zwar möchte Jim zurück zum selben Fleck schwimmen, von wo er vom Schiff gesprungen ist.


    Marlow fragt sich warum er zum selben Fleck zurück möchte, warum nicht gleich im Beiboot untergehen und fragt:
    "Erkennt ihr seine Bedeutung? .... Mag doch einer von euch eine andere Deutung geben."....


    Gruß,
    Maria


    Das habe ich völlig überlesen! Glaubst du, dass das auch ein Synonym für den Fleck auf der Seele sein könnte?
    Bei der oben von dir zitierten Stelle habe ich nur daran gedacht, dass Jim dorthin zurückschwimmen wollte, wo er zum Helden hätte werden können, anstatt sich unverortet und somit sinnlos direkt am Boot den Freitod zu geben.
    Ich bin jetzt im XIV. Kapitel, Jim ist inzwischen als Schiffsagent auf Vermittlung von Marlow in einem entlegenen Hafen im Osten. Dennoch - wie du, Leibgeber erhellend bemerktest - vermischen sich auch hier wieder die Zeitebenen. Nach Einblendung eines Zeugen, der das havarierte Schiff mit in den Hafen schleppte, wird wieder zurückgeblendent in das entscheidende Gespräch zwischen Jim und Marlow auf der Veranda.


    Ein Kommentar, der mich berührte:
    Die wahre Bedeutung von Verbrechen liegt darin, dass sie einen Vertrauensbruch gegenüber der Menschheitsfamilie darstellen .... . (Kap. XIV, rel. am Anfang)


    Das bringt ziemlich genau auf den Punkt, wie die meisten gegenüber Verbrechen empfinden, weil Conrad hier die Menschheit herunterbricht auf die überschaubaren Regeln, die für eine Familie gelten.


    finsbury


    Jules Verne: Zwei Jahre Ferien


    Danke schon mal für diesen Tipp! Hat sich schon für mich gelohnt, denn das ist einer der wenigen Vernes, die ich noch nicht gelesen, aber im Regal habe. Etwas Unterhaltsames für Stresszeiten, werd ich also bald lesen :zwinker:
    und wikipedia sagt: Es ist ein Schiffbruch!


    Da fällt mir gerade ein:
    Homer: Odyssee
    Vergil: Äneis


    dürfen wir auch nicht vergessen!


    finsbury

    Hallo,


    ausgehend von unserer derzeitigen Leserunde zu "Lord Jim" von Joseph Conrad habe ich einmal nachgeschaut, ob wir hier schon mal literarische Werke zum Thema gesammelt haben: Es gibt viel großartige Werke dazu, da es ja um eine Grenzerfahrung geht, die nach literarischer Verarbeitung schreit.
    Ich stelle den Thread in das Oberthema Klassische Literatur, weil die anderen übergreifenden Themen auch hier angesiedelt sind, denke aber, wir sollten auch neuere Werke nennen.


    Das fällt mir spontan ein:


    Shakespeare: Der Sturm und Was ihr wollt
    Der Klassiker an sich natürlich:
    Daniel Defoe: Robinson Crusoe
    Jonathan Swift: Gullivers Reisen
    Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands (Géricaults Floß der Medusa)
    Erik Fosnes Hansen: Choral am Ende der Reise
    Yann Martell: Schiffbruch mit Tiger


    Bestimmt habe ich in meinem Leseleben noch viel mehr zum Thema gelesen, aber es fällt mir momentan nicht ein.
    Wer nennt weitere Schiffbruchsepen und -dramen für die Salzwassermomente in uns?


    finsbury

    Hallo Leibgeber,



    Ganz so sehr der nautischen Literatur wie du war ich zwar nicht ergeben, aber so erinnere ich auch. Was mich an dieser Passage, auf die ich in der von dir zitierten Stelle einging, nur so irritiert, ist eben, dass durch die Zeitdehnung der Eindruck vermittelt wird, dass man - abgesehen davon, dass die verantwortlichen Offiziere bis zuletzt die Verantwortung tragen - doch etwas hätte tun können, und Jim schneidet ja auch, bevor er springt und sich entzieht, in der Tat die die Rettungsboote haltenden Seile durch: Bei sechs übrig gebliebenen Booten ist das immerhin auch eine zeitaufwändige Handlung.
    Aber du deutest ja schon an: Uns werden wohl noch die einen oder anderen Lichter aufgehen ...


    finsbury