Heute abend vielleicht drei Bemerkungen:
finsbury und andere
Goethe und die Freimaurerei
Bei der Schilderung der "Turmgesellschaft" in "Wilhelm Meisters Lehrjahren" (1796) wird deutlich, dass die freimaurerische Phase Goethes hinter ihm lag und er das geheimnistuerische Gebaren der Freimaurer an mehreren Stellen nunmehr (selbst-)ironisch betrachtete.
Nachdem Goethe am 23. Juli 1780 als Lehrling in die Weimarer Loge "Anna Amalia" (!) aufgenommen worden war, war er ab 1783 de facto Leiter der Weimarer Regierung. Am 11. Februar 1783 unterschrieb er nach Herzog Ernst von Sachsen-Gotha und Karl August von Sachsen-Weimar den Antrag zur Aufnahme in die Geheimgesellschaft der Illuminaten, die der Aufklärer Adam Weishaupt in Bayern gegründet hatte, die nach jesuitischem Vorbild mit strenger Geheimhaltung aufgebaut war und etliche Herrscher deutscher Kleinstaaten dazu anhielt, eine neue Organisation der politischen Geschäfte auf aufklärerischer Grundlage herbeizuführen. In Bayern wurden die Illuminaten 1784 verboten, zu denen auch der bekannte Freiherr von Knigge gehörte. Als ihr Führer Adam Weishaupt in die Länder der sächsischen Herzöge emigrierte, verweigerten ihm Goethe und Karl August 1785 eine Professur in Jena und zogen sich wieder von maurerischer Betätigung zurück. Daniel Wilson stellte die Hypothese auf ("Geheimräte gegen Geheimbünde", 1991), dass Karl August und Goethe als Obrigkeit mit ihrem Eintritt in den Illuminatenbund die Untergrundtätigkeit der Freimaurer überwachen wollten, doch wurde diese These von den meisten Forschern zurückgewiesen. Die Unterschrift Goethes vom 11.2. 1783 tauchte in der so genannten "Schwedenkiste" mit Freimaurerakten, die nach 1945 nach Moskau gelangt war, in dem Organ des russischen Geheimdienstes "Sovershenno sekretno" (Vollständig geheim), Nr. 4 (47), 1993, S. 11, als "Sensation" auf, doch war sie der Forschung schon seit 1889 bekannt; bloß wollte man eben lange Zeit nichts von freimaurerischer Betätigung Goethes hören (Nazizeit, DDR). Die deutsche Archivarin Renate Endler (erst Merseburg, dann Berlin-Dahlem) machte die Akten der Forschung allgemein zugänglich.
Vgl. Helmut Keiler (Hg.): Querelen um die Schwedenkiste Band X in Moskau. Archivsignatur 1412 (1) 5432. Giessen 1994.
Zu Südtirol und dem Eisacktal
So sehr heute diese wunderschöne Landschaft zum Anziehungspunkt für den Tourismus geworden ist (Kafka suchte Heilung im Kurort Meran), so sehr suchten die Italien-Reisenden möglichst schnell durch Bozen und weiter nach Süden durchzukommen, und Meran wurde als völlig unbekannt, abseits von der Hauptstraße liegend, beiseite gelassen. Im Etschtal drohten noch Fiebersümpfe. Man lese die Schilderungen der Italienreisenden, Goethes selbst. Erst die Aussicht auf den Gardasee ließ die Reisenden spüren: jetzt erst sind wir in Italien.
Und nun noch etwas, was bestimmt nicht in den Kommentaren steht, weil eine direkte Verbindung unmöglich nachweisbar ist, wenngleich die Idee umgesetzt wurde: sprechende Wände, belehrende Bildergalerien. Eine Bekannte machte mich darauf aufmerksam, dass sie bereits in Campanellas Utopie "Der Sonnenstaat" als Hilfsmittel der Bildung zu finden sind. Mit General Graf Friedrich zu Anhalt (1732-1794), einem Enkel des "Alten Dessauers" und entferntem Verwandten der Kaiserin Katharina der Großen, waren um 1783/84 die Hoffnungen zahlreicher Aufklärer verbunden, den humanistisch gebildeten, bei Militärs und Zivilisten wegen seiner Hilfsbereitschaft und seines Humors überaus beliebten Anhalt als politisch-militärisch führende Persönlichkeit in Mitteldeutschland zwischen Preußen und Österreich zu sehen. Der alternde Preußenkönig Friedrich II. beleidigte ihn, seinen einstigen Generaladjutanten. Anhalt, der mit Immanuel Kant in Königsberg zu Tisch gesessen und am "Philantropin" in Dessau geweilt hatte, ging in kursächsische Dienste, traf 1778 und 1781 amtlich mit Goethe zusammen, schließlich wandte er sich nach Russland. Er leitete das Landkadettenkorps in St. Petersburg, sein Nachfolger wurde Michail Kutuzov, der russische Oberbefehlshaber 1812 (Tolstoj: "Krieg und Frieden"). Generalleutnant F. von Anhalt zog den Dramatiker Friedrich Maximilian Klinger als engen Helfer dorthin; Jacob Michael Reinhold Lenz wandte sich von Moskau aus ebenfalls an Anhalt um Unterstützung. Und jetzt kommt es: in dieser Erziehungsanstalt schuf er eine "Sprechende Wand" sowohl im "Erholungssaal" der jungen Kadetten (Alter 6 - 20 Jahre), als auch auf der Außenmauer, die er in zwei Büchern 1790 und 1791 vorstellte: "La salle de recreation" und "La muraille parlante".
Schon um 1800 machten sich die Petersburger lustig über den "deutschen Pedanten" und seine "sprechende Wand", auf der sich Sprichwörter, die Lehren des weisen Konfuzius, Montaignes, Voltaires und vieler anderer Geistesgrößen wiederfanden. Das pädagogische Verfahren aber war Goethe durchaus geläufig.
Es müsste mal einer eine Biographie dieses Friedrich zu Anhalt schreiben, der die Französische Revolution begrüßte und Zeitungen aus dem revolutionären Paris in seinem "Erholungssaal" auslegte, mit seinem Fortgang nach Russland allerdings der germanistischen Forschung entschwand. :zwinker: