Hallo zusammen!
Hallo ateena!
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Du bestätigst mich in einer Feststellung, die ich persönlich auch schon gemacht habe: Es gibt so etwas wie das richtige Buch zur falschen Zeit. Und Schullektüre gehört fast immer dazu.
Wenn Du Leute wie Andersch, Beckett, Orwell oder Th. Mann ausserhalb der Schule kennengelernt hast, dann offenbar zu einem Zeitpunkt , der für Dich der richtige war. Ich meinerseits habe sie in der Schule kennengelernt, und kann mich noch heute für Andersch und Orwell überhaupt nicht, für Beckett nur in Massen begeistern. Th. Mann, der mich in der Schule entsetzlich gelangweilt hat, habe ich später, auf eigene Faust und mit anderen Werken, lieben gelernt.
Umgekehrt kenne ich kaum einen 'sperrigeren' Autor als Kleist - gerade und weil ich ihn im Gymnasium kennengelernt habe. Nochmals umgekehrt: S. Lenz habe ich ausserhalb der Schule gelesen, kann mich aber nicht für ihn begeistern.
Zitat
Und ich war dankbar für die Erkenntnis, daß eben nicht alle Literatur sich in der Lösung moralischer Dilemmata und der Verbreitung gesellschaftlich-politischer Weltanschauungen erschöpft. Von der Schönheit der Literatur, ihrem Klang, ihrem Schwung, ihrer Sinnlichkeit und ihrem immensen aufrührerischen Potential war nämlich in der Schule nie die Rede. Dort hätte man eher den Eindruck bekommen können, alle Literatur diene allein der Stützung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Auch da spielen wohl Zeit, Ort und Lehrer eine grosse Rolle. Wir hatten in Deutsch einen 68er, der gleichzeitig Psychoanalytiker war. Man hatte den Eindruck, die Literatur bestünde nur aus Aufruhr - innerem wie äusserem. In Französisch einen alten Existenzialisten, der keine 2 Grammatik-Regeln richtig erklären konnte, aber (mich jedenfalls) für seine Existenzialisten, v.a. Camus, zu begeistern wusste. Aber auch in dieser absurden Welt: keine 'Grundordnung'. In Englisch schliesslich einen Verwalter, der selbst G.B. Shaw zum Langweiler werden liess. Da war nicht einmal von Ethik die Rede.
Wir hatten neulich ein Klassentreffen, und ich konnte feststellen, dass andere (und wir waren ein 'humanistischer' Zug!) ganz andere Erinnerungen an die Lehrer und an die Lektüre hatten ...
Grüsse
Sandhofer