Beiträge von xenophanes

    Hallo!


    Zitat von "sandhofer"

    Obwohl ich glaube, dass wir in der Linie Montaigne - Burton - Moritz die Ahnherren der modernen Selbstbespiegelung (sprich: Psychologie und Psychoanalyse) vor uns haben


    Ich vertrete ja ohnehin seit langem die Meinung, dass Freud bei weitem nicht so originell war, wie man gemeinhin glaubt. Auch bei Montaigne findet sich z.B. die Idee, dass das Kleinkindalter extrem prägend ist:


    Zitat

    Ich finde, daß unsere größten Laster schon in der zartesten Kindheit anfangen, die Seele zu krümmen, und daß der wichtigste Teil unserer Charakterformung daher in den Händen der Ammen liegt.
    (23. Über die Gewohnheit)


    Mit "Laster" klingt ja sogar Sexualität bereits an. Freud hat offensichtlich Montaigne plagiiert :breitgrins:


    Noch etwas zu seinen Zitaten. Im Cambridge Companion heißt es:


    Zitat

    Montaigne often reaches to antiquity to illustrate a point he is making, and it is worthwile checking the quotation in its originial context, for the Renaissance writer as often distorts the meaning as not.
    (S. 4)


    Unser Freund reisst Zitate also aus dem Zusammenhang, was mir eine annotierte Ausgabe noch dringlicher erscheinen läßt.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "Zola"


    Nur ein sehr geringer Teil seines Werkes wird von der Kritik als mittelmäßig oder eher schlecht eingestuft


    Ja, einer dieser Krititiker bin ich auch :breitgrins:


    Habe nach mehreren Büchern vor langer Zeit die Lenz-Lektüre eingestellt. Für Mittelmaß will ich keine Lesezeit verschwenden.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "Stoerte"


    Im Nachwort schreibt Stillet ja Montaigne hätte das auch nicht gemacht und zitiert Montaignes Begründung hierzu.


    Das halte ich für eine seltsame Begründung. Danach dürfte man keine einzige Klassikerausgabe mit Anmerkungen machen, denn naturgemäß gibt es keine in den Originalausgaben.


    Inzwischen bin ich im 21. Essay "Über die Macht der Phantasie" auf interessante Passagen gestoßen, in denen Montaigne über seine Beispiele schreibt:


    Zitat

    Bei meinen Untersuchungen unserer Beweggründe und Verhaltensweisen sind mir jedenfalls die erdichteten Zeugnisse, soweit sie möglich scheinen, ebenso dienlich wie die wahren. Geschehen oder nicht, in Paris oder Rom, dem Hinz oder Kunz - stets zeigen sie mir, wozu Menschen fähig sind, und das zu wissen ist mir nützlich: Ich sehe mir jedes Beispiel an und ziehe hieraus, ob Wirklichkeit oder deren Schatten, meinen Gewinn; und von den verschiedenen Lesarten, die solche Geschichten oft bieten, bediene ich mich der jeweils ungewöhnlichsten und denkwürdigsten.


    Außerdem seien historische Beispiele ungefährlicher als aktuelle:


    Zitat

    Mit einer alten Geschichte verhält es sich anders als mit einem Arzneimittel: Sie sei, wie sie will - lebensgefährlich ist sie nicht.


    CK

    Hallo Sandhofer!


    Zitat von "sandhofer"


    Auch in Kapitel 3 bleibt Montaigne recht blutig - und immer noch recht weit von sich und seinem eigenen Leben entfernt.


    Ich sehe darin eine Strategie: Wie schon erwähnt, bedient er sich seiner Bibliothek und der damals klassischen Literatur.


    Nebenbei bemerkt: Mich stört es extrem, dass in meiner Ausgabe keine Quellenangaben zu den Zitaten sind! Hat jemand eine Ausgabe, in der diese Zitate belegt sind?


    Andererseits greift er gerne zu extremen Beispielen, was meiner Meinung nach ja durchaus erkenntnisfördernd ist. Man sieht sich von einer Handlung die Extreme an und kann daraus Rückschlüsse ziehen.


    Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Montaigne Burtons "The Anatomy of Melancholy" nicht mehr gekannt haben kann, aber das wisst ihr ohnehin. Habe mir kürzlich die englische Neuausgabe gekauft, aber noch nicht gelesen. Das wäre doch auch eine nette Leserunde.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "riff-raff"

    Die Einsicht des "lebenslangen Lernens" ist heute ja längst zum Allgemeinplatz geworden - umso erstaunlicher, wenn man in einem Werk, das vor fast über 200 Jahren verfasst wurde, folgende


    Die Goethezeit war schon sehr modern. Man findet z.B. auch Klagen über die nicht mehr zu bewältigenden Neuerscheinungen. Heute ist zwar alles noch viel extremer, im Prinzip hat sich aber nicht mehr viel geändert.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"


    Was haltet ihr von Rüdiger Safranskis Büchern?


    Durchaus brauchbar meiner Meinung nach. Sehr gute Vermittlung theoretischer Sachverhalte ohne unnötig zu verflachen.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "riff-raff"


    Das kommt mir so affektiert, so künstlich vor. Haben Ehepartner wirklich je so miteinander geredet?


    Das ist doch eine wunderschöne Kunstsprache. Wenn man sich eingelesen hat, könnte man danach süchtig werden.


    Zitat von "riff-raff"


    Dieses Gefühl, dass der Roman etwas zu sehr konstruiert wirkt, macht sich gleich schon am Anfang bemerkbar, wenn bereits im allerersten Satz die vermittelnde Instanz eines allwissenden Erzählers zwischengeschaltet wird:


    Es ist sicher richtig, dass der Roman sehr genau konstruiert ist. Jedes Detail passt zum anderen, alles ist mit Bedeutung aufgeladen. Goethe hat zurecht gemeint, man müsse das Buch dreimal lesen, um es wirklich zu verstehen.


    Man muss "Die Wahlverwandschaften" als komplexes Kunstwerk verstehen. Wie bei einer Symphonie oder einem Gemälde ist hier alles durchkomponiert. Goethe zeigt hier eine enorme Kunstfertigkeit. Das darf man natürlich nicht in erster Line an heutigen Maßstäben messen, sondern muss den Roman mit anderen Werken der Zeit vergleichen. Goethe hebt hier die Romankunst auf ein neues Niveau, man denke nur auf das wilde Herumgeschreibe des Sturm und Drang.


    Hinzukommt auch, dass der Stoff nach damaligen Maßstäben ziemlich anstößig war, und das durch die "Verkünstlichung" formal relativiert wird.


    Zitat von "riff-raff"


    Ich weiss ja nicht, wie es euch ergeht, aber für mich klingt das so, als wolle Goethe explizit darauf hinweisen, dass wir es hier mit Fiktion, also etwas Erdachtem, einem Gedankenspiel und nicht mit Wirklichkeit zu tun haben.


    Ja, darauf läuft es hinaus. Das Ende wird das bestätigen. Auch der hoch symmetrische Aufbau des Romans.


    CK

    Zitat von "lebenszeichen"

    xenophanes: ach bitte, tu mich jetzt nicht als anhänger der matrix-philosophie ab. ich bin keinesfalls davon überzeugt, dass du einzig und allein meine einbildung bist.


    Das war ja auch nicht direkt auf dich bezogen. Kenne diese virtuellen Diskussionen ja schon seit Jahren, weshalb ich normalerweise gar nicht mehr daran beteilige ...


    CK

    Zitat von "Stoerte"

    Die Überlegung, es gäbe keine Wahrheit ist für mich die haarsträubenste Metaphysik ever.


    Das hat auch Platon schon sehr überzeugend widerlegt. Wäre das wahr, würde u.a. sofort jegliche Kommunikation zusammenbrechen.



    CK

    Hallo!


    Zitat von "alpha"

    Vielleicht gebe ich ja dir, xenophanes, doch recht, dass es auch in der Geisteswissenschaft so etwas wie absolute Wahrheit und somit auch Wissen (oder siehst du das als zwei unabhängige Dinge an und ich habe mich an etwas neues zu gewöhnen?) gibt :zwinker:


    Vielleicht?! :breitgrins:


    Strenggenommen vertrete ich auch nur die Meinung, dass es Sätze und Theorien gibt, wie wahrheitsnäher sind als andere. Aber angesichts überzeugter Solipsisten drücke ich mich dann vereinfacht aus, um die Botschaft rüberzubringen.
    Man muss ja deutlich werden, wenn das Gegenüber der Meinung ist, man existiere nur in der subjektiven Einbildung des anderen :breitgrins:


    CK

    Zitat von "Stoerte"


    Das ist aber auch umstritten, möcht ich mal frech als Amateur vermuten.


    Klar, es gibt ja nichts, was in der Philosophie nicht umstritten wäre.


    Ich selbst beschäftige mich seit mehr als 15 Jahren immer wieder mit Platon und kann hier nur meine Lektürefrüchte wiedergeben. Habe jetzt auch endlich angefangen, Altgriechisch zu lernen, so dass ich mir ich mir Platon in einigen Jahren auch mal im Original ansehen kann.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "Stoerte"

    In Bezug auf Sokrates spricht man gern vom Wissen des Nichtwissens. Streng sprachlich oftmals eine Unsinnigkeit.


    Auch sachlich ist das schwer zu halten. Die platonischen Dialoge enthalten eine Menge subtiler Ironie. Sokrates Dialektik hat ja zum Ziel durch gezieltes Fragen, Scheinwissen zu entlarven (erinnert teilweise an Popper). Das kann natürlich nur funktionieren, wenn man Wissen als Folie voraussetzt. Im Hintergrund winkt hier natürlich die Ideenlehre.



    CK

    Hallo!


    Zitat von "Imrahil"

    ist diese Reihe Cambridge Companion empfehlenswert und was bietet sie?


    Ich habe bisher nur gute Erfahrungen damit gemacht. Geboten werden thematische Aufsätze zum Thema. Die sind in guter angelsächsischer Manier verfasst, d.h. informativ und jargonfrei. Kaufe mir die Bände also immer gerne.


    CK

    Zitat von "lebenszeichen"

    wissen kann ich das nicht, so wie meiner meinung nach kein mensch im stande ist, irgendetwas zu wissen.


    Das ist ein beliebtes philosophisches Vorteil. Wie die meisten Vorurteile ist es falsch :zwinker:


    Ohne die Möglichkeit, etwas zu wissen, könnte kein Mensch auch nur die nächsten Stunden überleben. Von der evolutionären Karriere über ein paar Millionen Jahre einmal ganz zu schweigen.


    CK

    Hallo!


    Zitat von "sandhofer"

    Ich bin wieder zurück - mein Montaigne ist leider immer noch beim Buchbinder.


    Schön & eine wirklich originelle Ausrede :breitgrins:


    Wie gehts den anderen? Ich bin inzwischen fast bei Nr. 20. Hat niemand was zu sagen?


    CK