Beiträge von xenophanes


    Aber beizeiten werde ich darauf zurückkommen, Literaturkritik und -wissenschaft fein säuberlich zentrifugieren (lassen!), ästhetische Grundsätze ohne subjektiven Einschlag über die Texte breiten (lassen!) und dann endlich eine Begründung für das jetzt mit Gewissheit Geahnte kennen. So irgendwie :-).


    Hört sich nach einer Lebensaufgabe an :breitgrins:



    CK

    Bruckner gefunden in Titel:
    Sa, 26.08. arte
    22:35 Uhr Celibidache probt Bruckner


    "Die Partitur hatte er im Kopf, nicht auf dem Dirigentenpult. Alles ruhte allein auf seiner Geistesgegenwart: Für den aus Rumänien stammende Dirigenten Sergiu Celibidache war jede Probe 'eine Stunde Null', wie der Filmemacher Jan Schmidt-Garre in einem Nachruf schreibt.
    Das Porträt zeigt Sergiu Celibidache bei der Probe mit den Münchner Philharmonikern und in Interviewausschnitten von 1988. Das Orchester hat sich Bruckners neunte Sinfonie vorgenommen, ein Schlüsselstück für den Komponisten, der nach dem Adagio dieser Sinfonie kein Werk mehr vollendete. Ein Schlüsselstück auch für Celibidache, der die späten Sinfonien Bruckners in seinen letzten Jahren immer wieder einstudierte und sie mit den Münchner Philharmonikern in Gastspielen auf der ganzen Welt vorstellte.
    In diesem Film geht es um Celibidache, den Orchestererzieher, um die konzentrierte Zusammenarbeit eines eingespielten Teams. Celibidache hatte seit 1979 nur noch die Münchner Philharmoniker dirigiert und das Orchester nach seinen Vorstellungen geformt. Gab es in den ersten Jahren noch heftige Auseinandersetzungen auf den Proben mit oft scharfen Tönen, so herrscht in diesem Dokument der Ton sachlichen, fast freundschaftlichen Einvernehmens vor. Man hat ein gemeinsames Ziel, dem alles Persönliche untergeordnet ist. Eindrucksvoll präzise nimmt das Orchester die Anregungen Celibidaches auf. Eindrucksvoll auch der Scharfsinn des damals 78-jährigen Dirigenten, der jede einzelne Stimme, jede Achtelpause im Kopf hat.
    'Eine Probe ist nicht Musik. Eine Probe ist eine Summe von unzähligen 'Neins'. Nicht so schnell! Nicht über dem Fagott! Nicht so laut! Nicht so flau!' erklärt er im Interview. Für Celibidache gibt es Billionen solcher Verneinungen, aber nur ein Ja. "

    Hallo!



    Aber mal ehrlich, jeder hat doch irgendeinen Klassiker, der zwar objektiv gut ist, mit dem man selbst nichts oder nicht viel anfangen kann, oder?


    Klar. Man sollte als Germanist aber meiner Meinung nach ein Anwalt der Literatur sein und versuchen seinem Umfeld die entsprechenden Vorzüge von Klassikern zu erklären als sie abzuwerten. Das Unverständnis ist ja ohnehin hinreichend weit verbreitet ...


    Ich selbst lese den Werther durchaus gerne. Finde das Buch entwickelt einen gewissen Sog und es ist auch sehr sorgfältig komponiert (Metaphorik, Symbolik etc.).


    CK

    Hallo!


    Ich studiere auch Germanistik, und kann mit dem Buch auch rein gar nichts anfangen. Ich konnte zu keinem Zeitpunkt mit dem Protagonisten mitfühlen, genau weil er so ein "weinerlicher Weichling" ist. Ich habe damals meinem Deutschlehrer die Frage gestellt, was


    Wenn du wirklich Germanistik studierst, solltest du eigentlich schon zu Beginn gelernt haben, dass es bei einer literaturwissenschaftlichen Lektüre völlig belanglos ist, ob man subjektiv mitfühlen kann. Es geht um die ästhetischen und strukturellen Qualitäten des Romans oder um den literatur- und geistesgeschichtlichen Kontext. Ein Literaturstudium sollte es einem nicht nur ermöglichen zwischen objektiven Gegebenheiten und subjektiven Vorlieben zu unterscheiden, sondern dann auch zugunsten der Objektivität Urteile zu fällen.


    Nimm mal ein anderes Fach und stell dir vor ein Botanikstudent schreibt: Ich studiere Botanik aber diese Blume gefällt mir nicht, weil sie blau ist. Das mag ein akzeptables subjektives Urteil sein, hat aber nichts mit Botanik zu tun.


    CK

    Hallo!



    Oh ja ich habe sehr gelitten als ich das buch gelesen habe - schrecklich (ja ich bin germanist und hasse das buch trotzdem). dieser weinerliche weichling und dann schafft er es nichtmal sich ordentlich umzubringen und lässt den leser weitere 30 seiten leiden auf denen er stirbt.


    Das ist aber eine ziemlich "ungermanistische" Meinung. Vergleicht man den Werther mit anderen deutschen Büchern der Zeit, liegen die positiven Unterschiede doch auf der Hand. Nicht zu reden von den literaturgeschichtlichen Einflüssen ...


    Ich lese den Roman jedenfalls immer wieder mal gerne.


    CK

    "Als die Generation geboren wurde, der ich angehöre, fand sie die Welt ohne Stützen für Leute mit Hirn und Herz vor."
    (Pessoa, Das Buch der Unruhe)

    Donald M. Frame: Montaigne. A Biography
    (Hamish Hamilton)


    Seit März beschäftigt mich nun Montaigne. Den vorläufigen Abschluss dieses Lektüreschwerpunkts markiert die vorzügliche Biographie des Donald M. Frame. Erschienen in den sechziger Jahren und als Standardwerk von der Encyclopeadia Britannica empfohlen.
    Das Buch ist im besten Sinne "gelehrt". Ausgehend von der Quellenlage rekonstruiert Frame das Leben des Montaigne. Die teils spärlichen Quellen werden solide abgeklopft und so manche biographische Spekulation als Wunschdenken aufgedeckt. Die Biographie beginnt mit der Rekonstruktion des Stammbaums. Die Familie mütterlicherseits war eine angesehene konvertierte jüdische Familie, die ursprünglich aus Spanien stammte. Kennt man das brutale Schicksal der spanischen Juden, so erhalten Montaignes Plädoyers gegen Folter und für Toleranz eine zusätzliche historische Basis.
    Montaignes Vater war ein ungewöhnlich feinfühliger und verständnisvoller Mensch, was Frame folgendermaßen kommentiert:


    Among the fathers of great man there are so many caricatures, the self-rightous tyrant, the hypersensitive intellectual, the disorderly drunkard, that it is a rare pleasure tom come accross one sound and able, kind and firm, one who truly deserved his son. Such a one was Pierre de Montaigne.
    [S. 15]


    Die ersten Kapitel beschäftigen sich chronologisch mit Familie, Kindheit und den ersten politischen Erfahrungen des jungen Montaigne im Parlamentsrat von Bordeaux. Ausführlich wird seine prägende Freundschaft mit La Boetie beschrieben. Das erste große intellektuelle Unterfangen war die Übersetzung der "Theologia Naturalis" des Raymond Sebond. Bei der Lektüre der "Essais" hatte ich ein kleineres theologisches Traktat vor Augen. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine knapp tausendseitige Abhandung und damit eine herausragende Übersetzungsleistung.
    Frame handelt die "Essais" in mehreren eingeschobenen Kapitel ab und zwar mit einer bemerkenswerten Brillanz. Besonders anregend ist seine Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung Montaignes von den ersten frühen und kurzen Kapiteln bis hin zu den langen Texten der Selbstvergewisserung am Ende seines zurecht berühmten Buches. Dabei bleibt der Biograph nahe beim Text und verliert sich an keiner Stelle in hermeneutischen Spekulationen.
    Philologisch interessant sind seine Ausführungen zur Überarbeitung aller Essais kurz vor Montaignes Tod. Einiges wird verschärft und zugespitzt, anderes wird bewusst nicht angetastet, obwohl von Montaigne als veraltet empfunden. Bei einer Lektüre der "Essais" sollte man sich jedenfalls immer vor Augen halten, dass der späte Montaigne den frühen gelegentlich redigierte.
    Frame schildert die Reisen und die Montaignes Zeit als Bürgermeister. Obwohl unmittelbare Zeitgeschichte nicht zu kurz kommt, wünscht man sich bei der Lektüre ab und zu einen größeren Blick auf das Geschehen. Die französische Geschichte des 16. Jahrhunderts sollte man deshalb einigermaßen präsent haben.

    Hallo!


    Ich habe inzwischen etwa die Hälfte von Donald M. Frames vorzüglicher Biographie gelesen. Auf Britannica-Buchempfehlungen ist offenbar Verlass :zwinker:


    Werde nach Abschluss der Lektüre mehr darüber schreiben. Verblüfft hat mich aber doch, dass das von Montaigne übersetzte Werk Raymond Sebonds knapp 1000 Seiten hat. Ich hatte mir bisher immer ein kleineres Traktat vorgestellt. Eine beachtliche Übersetzungsleistung also.


    CK