Beiträge von Kaspar

    Ich gehe mal weiter im Text vor bis zur 1.Rede. Wie Knabe schon schrieb, ist es etwas untertrieben zu behaupten, auf Eros sei kein Loblied verfasst worden. Dann ein Seitenhieb auf sophistische Vielwisserei (Nutzen des Salzes), wobei man die wesentlichen Dinge vergisst.


    Vielleicht ist das folgende etwas überinterpretiert, könnte aber schon ein subtiler Hinweis auf spätere Argumente enthalten (177d):

    Zitat

    Ich denke nämlich, es muß nach der rechten Hand in der Reihe herum ein jeder von uns eine Lobrede auf den Eros halten, so schön er nur kann.


    Eros hat ja mit der Schönheit zu tun, eine Eloge auch. Nüchtern sollen die Leute sein, das haben wir erfahren, und nach der rechten Ordnung (rechtsherum) den Eros preisen. Es wird also eine rechte Ordnung der schönen Rede verlangt, so der verkürzte Sinn des Satzes. Sokrates, das wissen wir ja alle, vertritt die Position der Vernunft. Doch nun folgt eine überraschende Enthüllung des Sokrates auf den Fuß dieser Anweisung zur Geschäftsordnung:

    Zitat

    ...der ich zugebe, auf nichts anderes als auf die Liebesangelegenheiten mich zu verstehen


    Kennt man nicht Sokrates als "Vernünftler", als Dialektiker? Und plötzlich stellt er sich als alten Erotiker vor. Sokrates als Lustgreis? (Erinnert mich an die berüchtigte Fehlinterpretation der Schrift Socrates sanctus paederasta von J.M. Gesner durch Voltaire, die in Akademikerkreisen des 18.Jh. zu Heiterkeit geführt hat. :smile:)
    Sokrates stellt sich auch im Dialog Theages als Erotiker vor (128b):

    Zitat

    Ich möchte es freilich wohl, aber ich sage ja das auch selbst immer, daß ich, mit einem Wort zu sagen, nichts verstehe außer nur eine kleine Kunst, die Liebeskunst. In dieser Kunst glaube ich stärker zu sein als irgend einer sowohl von den ehemaligen als den jetzigen.


    Ähnlich im Menon 76c. Oder im Lysis 204c: "Übrigens wohl mag ich schlecht sein und wenig nutz; dieses aber ist mir so von Gott verliehen, daß ich gleich erkennen kann Liebende sowohl als Geliebte." Offenbar kommen in Sokrates zwei Charakterzüge zusammen: der Vernunft und der Erotik. Mehr nicht darüber an dieser Stelle.


    Auch wieder "phänomenologisch" die Sitzordnung des Gastmahls, von links nach rechts:
    [pre]Phaidros/? =>
    x unbekannte Pers. =>
    Pausanias/? =>
    Aristophanes/? =>
    Eryximachos/Aristodemos =>
    Agathon/Sokrates[/pre]
    Das "/" soll anzeigen, wer mit wem auf einem triclinium liegt. Später quetscht sich noch Alkibiades zwischen Agathon und Sokrates.


    Und noch eine Zusatzinfo, die nicht auf meinem Mist gewachsen ist: die päderastischen Liebschaften innerhalb dieser Gruppe! Nein, es geht nicht um Tratsch und Klatsch, sondern vielleicht um einen Zugang zur Interpretation.


    - Pausanias (Erastes) und Agathon (Eromenos):
    "Auf den nächsten Polstern um ihn her saßen Pausanias der Kerameer, und neben ihm ein noch kaum halb erwachsener Jüngling schöner und edler Natur, wie ich glaube, von Gestalt aber gewiß sehr schön, mich dünkt gehört zu haben, daß man ihn Agathon nannte, und es sollte mich nicht wundern, wenn er der Liebling des Pausanias wäre." (Prot 315c) Vlg. auch Athen. 5.216, Xen.Symp. 4, ganz deutlich: Symp 193b.


    - Eryximachos (Erastes) und Phaidros (Eromenos):
    "...Wenn jemand zu deinem Freund Eryximachos käme..." (Phaidr. 268a). Sie tauchen oft gemeinsam auf: Prot. 315c ("Um ihn herum saßen auf Bänken: Eryximachos der Sohn des Akumenos, und Phaidros der Myrrhinusier,"), Symp.177a


    - Alkibiades und Sokrates:
    "Woher erscheinst du uns, Sokrates? Oder versteht es sich von der Jagd auf des Alkibiades Schönheit?" (Prot. 309a)


    - Aristophanes: kein Liebesverhältnis, war "hetero"

    1.) Was heißt "phänomenologisch"?


    Oh, das solltest du nicht auf die Goldwaage legen, so tiefsinnig wollte ich das nicht ansetzen^^. Die Phänomenologie als philosophische Disziplin ist ja von Edmund Husserl begründet worden, und dort verwendet man das Wort in der Bedeutung von "Wesensschau", als Beschreibung von wesentlichen Eigenschaften eines Phänomens. Ich wollte also damit ausdrücken, dass ich ein paar Highlights der antiken Trinkkultur anreiße und weniger eine Erklärung. Was ich ja nicht durchgehalten habe.


    Zitat

    Ja ja, ich mag zu lästig sein, aber, Kaspar, könntest du Nietzsches "musiktreibenden Sokrates" bitte näher erläutern?


    Nein, das ist nicht lästig, sondern das trifft ja den Kern dessen, worum es in dieser Passage geht.


    Im Phaidon erzählt Sokrates, dass er begonnen habe, Musik zu treiben (60e), erst kurz vor seinem Tod. Nietzsche in seiner Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik nimmt das auf und sieht eine dionysische Tendenz des alten Sokrates, mit der er gegen seine sonst durchgehaltene Rationalität ("apollinisch") ankämpft. Hier der Auszug:

    Zitat

    Jener despotische Logiker (also Sokrates) hatte nämlich hier und da der Kunst gegenüber das Gefühl einer Lücke, einer Leere, eines halben Vorwurfs, einer vielleicht versäumten Pflicht. Öfters kam ihm, wie er im Gefängnis seinen Freunden erzählt, ein und dieselbe Traumerscheinung, die immer dasselbe sagte: »Sokrates, treibe Musik!« Er beruhigt sich bis zu seinen letzten Tagen mit der Meinung, sein Philosophieren sei die höchste Musenkunst, und glaubt nicht recht, daß eine Gottheit ihn an jene »gemeine, populäre Musik« erinnern werde. Endlich im Gefängnis versteht er sich, um sein Gewissen gänzlich zu entlasten, auch dazu, jene von ihm gering geachtete Musik zu treiben. Und in dieser Gesinnung dichtet er ein Proömium auf Apollo und bringt einige äsopische Fabeln in Verse.


    Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht sehr viel vom Ion weiß :redface: Sokrates soll Homer gelobt haben? Ist das dort nicht ironisch gemeint? Du regst mich an aber an, im hurtigen Lauf den Ion durchzulesen. Da sehe ich z.B. folgende Stelle:

    Zitat

    SOKRATES: Ich wollte wohl du sprächest wahr, Ion! Aber weise seid ihr wohl eigentlich, ihr Rhapsoden und Schauspieler, und die deren Gedichte ihr singt; ich aber rede eben nur die Wahrheit, wie es sich für einen ungelehrten Menschen schickt.


    Das trieft nun wirklich vor Hohn! Interessanterweise wird sich eine ähnliche Rede im Symp. 198d zeigen.


    Es ist richtig, S. sieht das Rhapsodentum als "gottbegeistert", aber würde er sich selbst in diese Linie stellen? Wenn nun Nietzsche darauf abzielt, dass Sokrates erst im Alter den Rausch entdeckt, dann stimmt das zumindest wegen des Phaidros nicht, und evtl. auch wegen des Ion, obwohl ich über dessen Aussage, was Sokrates selbst betrifft, nicht sicher bin. Allerdings hören wir in Symp. 176c - auch später wieder in Symp. 214a aus dem Mund des Alkibiades -, dass S. zwar viel säuft, aber niemals berauscht wird.


    Ich glaube, das ist ein schwieriges Thema, das ich nicht zufriedenstellend zu lösen vermag. Ich denke bei diesen Sachen wie dem "Rausch" immer an jene Stelle des Phaidon, wo S. vom 1.- und 2.-besten Weg (oder "Fahrt") spricht, wo es übrigens auch - und wohl nicht aus Zufall - um das Sonnenlicht geht (Phaid. 99e ff):

    Zitat

    Es bedünkte mich nämlich nach diesem, da ich aufgegeben, die Dinge zu betrachten, ich müsse mich hüten, daß mir nicht begegne, was denen begegnet, welche die Sonnenfinsternis betrachten und anschauen: Viele nämlich verderben sich die Augen, wenn sie nicht im Wasser oder sonst worin nur das Bild der Sonne anschauen. So etwas merkte ich auch und befürchtete, ich möchte ganz und gar an der Seele geblendet werden, wenn ich mit den Augen nach den Gegenständen sähe und mit jedem Sinne versuchte, sie zu treffen. Sondern mich dünkt, ich müsse zu den Gedanken meine Zuflucht nehmen und in diesen das wahre Wesen der Dinge anschauen. Doch vielleicht ähnelt das Bild auf gewisse Weise nicht so, wie ich es aufgestellt habe. Denn das möchte ich gar nicht zugeben, daß, wer das Seiende in Gedanken betrachtet, es mehr in Bildern betrachte, als wer es in den Dingen betrachtet. Also dahin wendete ich mich, und indem ich jedesmal den Gedanken zum Grunde lege, den ich für den stärksten halte, so setze ich, was mir mit diesem übereinzustimmen scheint, als wahr, es mag nun von Ursachen die Rede sein oder von was nur sonst; was aber nicht, setze ich als nicht wahr.


    Es gibt also 2 Wege, zur "Wahrheit" zu gelangen: den, in die Sonne zu schauen ("Rausch") und sich evtl. die Augen zu verderben, und den Weg der Dialektik, des besseren Arguments. Letztlich wird S. diesen letzten Weg beschreiten. Will man jedoch direkt zu den Ideen des Schönen und Guten usw. aufsteigen, wird es wohl ohne Enthusiasmus (=Gottbegeisterung und damit Ausschaltung der Vernunft) nicht gehen. Aber ich bin mir da, wie gesagt, nicht ganz sicher, inwieweit der historische Sokrates durch platonisches Gedankengut verändert wird.

    Nun doch etwas früher^^




    Ich hoffe, ich übereile mich nicht, wenn ich schon vom nächsten Abschnitt spreche.


    Von meiner Seite aus können wir weitermachen, [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2905.msg34552.html#msg34552]Punkt 3+4 von Telemachos[/url] wurden soweit interpretiert, es sei denn, Telemachos hat noch etwas einzuwenden.


    Zitat

    Gibt es über diesen Abschnitt viel zu diskutieren?


    Viel nicht, aber ein bisschen :breitgrins: Nur Überleitung ist die Sache mit dem Trinken wohl nicht, dafür spielt das Trinken am Ende des Symposiums eine zu wichtige Rolle. Ich weiß, man sollte nicht immer vor- und zurückspringen, aber, wie ich schon mal so schrieb, Platons Dialoge sollte man immer (mindestens) 2mal lesen, wie ein 2-Pass-Compiler: manches erschließt sich erst in seiner Bedeutung, wenn man seine Wiederaufnahme kennt. Oder man müsste manches einfach so stehenlassen und dann, wenn es an der Reihe ist, wieder darauf zurückkommen. Leider kann man keine gepinnte Nachrichten in Threads machen, wie ich von sandhofer erfuhr, das wäre ein nützliches Mittel: dort könnte man die "schwebenden Vorgänge" niederlegen.


    Ich gehe also ein wenig aufs Trinken ein, mehr "phänomenologisch". Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass das Trinken mit dem Eintreffen des Alkibiades (212d) eine wichtige Funktion erhält.


    Warum soll Dionysos der Schiedsrichter sein? (175e). Vlt. ein Hinweis auf den Alkibiades am Schluss, der ja volltrunken ist und am Ende die Weisheit des S. preist? Oder als Überleitung zum folgenden Punkt, wo es um das Trinken geht?


    Das Trinken spielt, wie gesagt, in diesem Dialog eine gewisse Rolle, wie ja auch die Mischung des Weines bei den Griechen und insbes. den Symposiasten zu einer Art Wissenschaft ausgeartet ist. Z.B. Hesiod schlägt 3 Teile Wasser und 1 Teil Wein vor (Erg. 595), Herodot (6.84) erzählt, Kleomenes sei wahnsinnig geworden, weil er ungemischten Wein getrunken hatte. Eubulos dichtet in seiner Tragödie "Dionysos":


    Darüber hinaus sehe ich auch eine Verbindung von Wein und Liebe, die Anakreon in seinem Gedicht an Kleobulos besingt:

    Zitat

    Bringe Wasser und bringe Wein, mein Junge, und bringe
    uns die blumigen Kränze: Ich möchte im Faustkampf mich gegen Eros versuchen.


    Oder wie Achilles Tatios in seiner Leukippe beschreibt (dies allerdings später als Platon, ca. 2. Jr. nChr.):

    Zitat

    ...denn Eros und Dionysos sind zwey gewaltige Götter; sie bemächtigen sich der Seele und setzen sie bis zur Schaamlosigkeit außer sich: Eros, indem er sie mit seinem gewöhnlichen Feuer entzündet, und Dionysos dadurch, daß er dieses durch den Wein noch mehr anfacht: denn Wein ist die Nahrung der Liebe.


    Und das ja immer wieder in der Weltliteratur, sei's bei Abu Nabis im 9.Jh. am Hof des Kalifen, oder im Schenkenbuch Goethes...


    Zurück zum Text. Man hat also viel getrunken am Abend zuvor, jetzt soll mäßig getrunken werden, so vor allem der Mediziner Eryximachos. Sokrates wird aber auch gelobt, dass er sich auf beides verstehe, das klammert sich mit Alkibiades' Feststellung, S. könne viel trinken, ohne jemals betrunken zu sein.


    Aber es leitet zum Thema des Rausches über (176d): der Rausch sei also den Menschen nachteilig, sagt Eryximachos. Das kontrastiert sehr mit der berauschten (enthusiastischen) Rede der Diotima. Es erinnert mich auch an die Struktur des Dialogs Phaidros: da wird zu Anfang die Liebe abgewehrt mit dem Argument, sie treibe zum Wahnsinn und Rausch, was jedoch S. später im Dialog umkehrt und den Wahnsinn / Rausch / Ekstase der Liebe preist (vgl. die Interpretation von J. Pieper vom "göttlichen Wahnsinn" im Phaidros).


    Ich würde das auch gerne wieder zurückbiegen auf das Thema des Wissens als Traum, den S. zu Anfang verkündet (175e), denn beide Formen erscheinen uns irrational (Traum, Rausch); sie erinnern an Kultisches, während der Verstand in Person des Eryximachos erklärt, Berauschtsein sei dem Menschen schädlich. Es geht also mit dem Trinken um nichts weniger als um den rechten Zugang zur "Wahrheit". Ich habe den Eindruck, hiermit entfernt sich Platon vom "wahren" Sokrates.


    Mit Nietzsche gefragt: haben wir hier die erste Erwähnung des "musiktreibenden Sokrates"? (Phaidon; aus dem Tragödienbuch)

    In der Tat aber scheint Platon nur im "Symposion" diese Gewohnheit zu erwähnen.


    Genau das scheint mir wichtig. Diese einsame Nachdenken ist ja ein literarischer Kniff, ob Sokrates es nun üblicherweise tat oder nicht. Es hat also innerhalb des Dialogs Symposium etwas zu bedeuten. Was dieses Nachdenken im Leben des Sokrates tatsächlich bedeutet haben mag, steht auf einem anderen Blatt.


    Zitat

    Aber ist das Gebet an die Sonne eine Pflicht?


    Das ist ein guter Einwand, ich habe das wohl ohne weiteres Nachdenken hingeschrieben. In der Tat hatte Helios keine besondere Stellung im griechischen Alltag, er war noch nicht einmal Olympier. Ein etwas unaufmerksamer Gott, dem Zeus manche Pein bereitet hat; auch in der Geschichte mit Phaeton bekleckert er sich nicht mit Ruhm. Der Sonnengott Sol Invictus wurde erst im 2. Jh. nach Chr. verehrt. Insofern war das Gebet an die Sonne wohl keine Verpflichtung, im Gegensatz zur Verehrung der Hera am heimischen Altar.


    Zitat

    aber er [Sokrates] kann sie doch belehren


    Nein, dies gerade nicht! Die gesamte Sokratische Methodik ist Mäeutik, Geburtshilfekunde. Sokrates belehrt nie, er fragt, er hinterfragt. Üblicherweise wird die Mäeutik in Elenktik und Protreptik unterteilt; dazu schön der wikipedia-Eintrag: die Elenktik zerstört ein gängiges Urteil, d.h. ist ein kritisches Geschäft, die Protreptik bemüht sich, durch Fragen an die Wahrheit heranzukommen. Aber selbst die Protreptik ist keine Lehre, geschweige denn Belehrung, sondern eine dialogische / dialektische Methode. Sehr schön wird dies im Menon gezeigt, wo ein ganz unwissender Sklave die Halbierung einer Fläche "von sich aus" erzeugt (Menon 82c-85b; eine Stelle, an der ich allerdings immer etwas grinsen muss).


    Zitat

    Haben wir aber nicht erst vor wenigen Tagen festgestellt, Platos Meinung sei, dass das Sprechen Erkenntnisse fördere?


    Richtig. Sprechen, aber nicht belehren! Die Sokratische Methode ist geradezu die Umkehrung aller Belehrung und damit auch die Umkehrung der Methodik der Sophisten. Insofern steht Sokrates einzigartig da in der Geschichte der Philosophie: er ist, insofern er gerade kein Lehrer gewesen ist (zumindest in der Platonischen Diktion), der größte Lehrer der Menschen geworden. Das wissende Nichtwissen ist davon nur ein anderer Ausdruck.


    Dazu übrigens auch sehr anschaulich die Apologie des Sokrates, wo dieses Verfahren noch einmal in aller Klarheit dargelegt wird: Apol. 23a-e und 32e-33b. (Ach, da sehe ich gerade, auch hier ist vom daimon die Rede: Apol. 31d)


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    Zum weiteren Text möchte ich später (oder morgen) antworten, je nachdem, was der Sonntag so bringt^^

    Die Anabasis wollte ich schon immer mal lesen. Pascal wäre natürlich auch sehr interessant, ich glaube aber fast, das würde mich überfordern, denn um die Aphorismen zu verstehen, muss man sich schon sehr intensiv mit Descarter Philosphie und der Pascalschen Gedankenwelt auseinandergesetzt haben.

    Im Original heißt sein Beiname "µa?a?`??" (malakos), was ich auch mit dem "Sanften" übersetzen würde. Gemoll schlägt "weich", "zart", "mild" vor, vom Tollsein und Schwärmen ist im Wörterbuch keine Rede.


    Danke, Knabe und Telemachos für die Klarstellung. Wieder ein Beispiel verwirrender Übersetzungen. Inzwischen scheint mir auch die Schleiermachersche Übersetzung nicht mehr das Nonplusultra.


    Zur Frage des Denkens als stummes Sprechen. Ich glaube, dass diese Vorstellung auch davon herrührt, dass man in der Antike laut gelesen hat, das ging auch nicht anders, denn es gab keine Satzzeichen oder Worttrennungen, so dass man laut lesen musste, um die einzelnen Wörter voneinander abzutrennen. Vom lauten Lesen zum leisen Denken ist es da nur ein Schritt. Denken als stummes Sprechen passt zumindest dort, wo Denken sprachlich vorkommt, tats. hängt auch ein ganzes Weltbild davon ab, welche grammatikalische Struktur eine Sprache hat (z.B. die Anzahl der Fälle wie ein Optativ o.ä., ob ein Verb wie "sein" existiert, ob es Konjunktive gibt, ob es relative Ortsbestimmungen gibt usw). In der Chomsky-Schule hat man kürzlich eine Tiefengrammatik sämtlicher Sprachen entdeckt, da liegt es nahe, dass auch das Denken an solche Grammatiken geknüpft ist, und zwar immer da, wo Menschen denken. Rein empirisch hat also Plato’s These etwas für sich. Vom Denken muss man allerdings das bildliche und musikalische Vorstellen unterscheiden.


    Aber ob das mit Sokrates' Versunkenheit hier im Symposium etwas zu tun hat? Meines Wissens wird ausschließlich im Symposium dieser "katatonische" Zug des Sokrates erwähnt, und zwar 174e und 220c-d (im Krieg). Auch wird eine art meditative Haltung des Sokrates in den Wolken des Aristophanes berichtet, und dieser erscheint ja auch im Symposium. Ob sich da ein Querverweis ergibt?


    Dieses Stehenbleiben hat zu einigem Rätselraten geführt. Ist es der berüchtige Sokratische daimon, mit dem er "spricht" während des Nachsinnens? Wohl kaum, denn der schlägt unmittelbar zu und gibt keine Lösungen, sondern nur Kritik (Textstelle ist mir entfallen). War Sokrates krank (katatone Schizophrenie)? Wenn dies, so hätte Plato es kaum berichtet. In der späteren Zeit wird von Pyrrhon, dem Erfinder der Skepsis, ähnliches berichtet, wo er von der sog. Epoché (Ausklammerung) getroffen wird. Hatte Sokrates eine Intuition, über die er nachbrüten musste? Aus dem Text heraus ergibt sich m.E. kein Anhaltspunkt. Es wird auch im Symposium später nicht weiter erwähnt, oder sollte ich da etwas überlesen haben? Irgendwie erscheint also diese Sache mysteriös: völlig abgetrennt vom restlichen Text und ohne näheren Sinn.


    Aber mir ist bei der Lektüre das Höhlengleichnis eingefallen: wo jener Mensch (Philosoph), der freikommt von seinen Fesseln, in die Sonne hinausgeht, von der Sonne geblendet dasteht und sich erstmal die Augen reibt:

    Zitat

    Wenn aber, fuhr ich fort, jemand ihn aus dieser Höhle mit Gewalt den rauhen und steilen Aufgang aufwärts zöge und ihn nicht losließe, bis er ihn an das Licht der Sonne herausgebracht hätte, würde er da wohl nicht Schmerzen empfunden haben, über dieses Hinaufziehen aufgebracht werden und, nachdem er an das Sonnenlicht gekommen, die Augen voll Blendung haben und also gar nichts von den Dingen sehen können, die jetzt als wirkliche ausgegeben werden?

    (Pol. 515e-516a)


    Kurz darauf wird auch auf die Runde der Gefesselten eingegangen, die sich in gegenseitigen Ehren- und Lobbezeugungen ergehen; so etwas ähnliches wie auch im Gastmahl bez. des Eros. Einen gewissen Bezug, nämlich zur Sonne, sehe ich in der Textstelle 220d:

    Zitat

    Und er blieb stehen, bis es Morgen ward und die Sonne aufging; dann verrichtete er noch sein Gebet an die Sonne und ging fort.


    Noch eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen: Aristodemos merkt das Stehenbleiben, wird von Sokrates weitergeschickt, weiter später ist er verwundert, dass Sokrates nicht hinter ihm geht. Auch das ist merkwürdig, denn er müsste doch wissen, dass Sokrates nicht hinter ihm geht! Das ist beinahe etwas gespenstisch.


    Sokrates ist, wenn überhaupt einer, derjenige, der ans Licht trat, die Sonne gesehen hat und vielleicht unwillig ist, in die Höhle zurückzukehren. Er verrichtet aber sehr wohl seine Pflichten (Gebet an die Sonne) und kommt, wenn auch später, zum Gastmahl. Dass dies tatsächlich etwas mit jenem Doxa-/Episteme-Thema der Politeia zu tun hat, wird belegt durch das anschließende Gespräch zwischen Agathon und Sokrates, wo es um die "Kübeltheorie" des Wissenserwerbs geht (ein Ausdruck von Popper), 175d, also, wo Agathon meint, die Weisheit des S. könne zu ihm überfließen, sobald er sich neben ihn lege. Der aus der Sonne kommende Philosoph sollte also seine Weisheit den Höhlen-(Andron-)Bewohnern quasi löffelweise einflößen, was aber nicht möglich ist. Übrigens, an dieser Stelle eine Wiederholung des "Zwischengeplänkels" zwischen Apollodoros und Freunde, 172f.


    Eine Kleinigkeit nur noch: Wo steht, dass Aristodemos barfuß läuft? Diese Stelle habe ich scheinbar übersehen.


    Zitat

    ein gewisser Aristodemos, ein Kydathenaier, ein kleiner Mensch, immer unbeschuht, der war bei der Gesellschaft zugegen gewesen


    (173b)


    Sokrates' Größe ist mir im Moment nicht geläufig, ich kann mir aber sehr wohl vorstellen, dass er auch recht klein war, wie Satyre eben auch. Dann ergäbe auch diese überraschende Größenangabe ("ein kleiner Mensch") einen Sinn.


    ---
    Edit:
    Ich sehe gerade, alle sind soweit glücklich, da könnten wir ja weitermachen ^^


    Es käme dann nach Telemachos' Vorschlag Punkt 3 + 4 zum Tragen. Für mich heute abend allerdings nicht mehr.

    Ja, das ist wirklich etwas verwirrend, und ich bin mit meiner Lösung auch nicht zufrieden. Daher nochmal durchgekaut.


    1. Sokrates erwähnt ein Sprichwort, das er "umdreht" bzw. "vernichtet", und zwar mit jenem Wortspiel Agathon / gut. Welches Sprichwort ist gemeint? Oder bezieht sich das auf die vorige Wendung: ...dass ein Schöner zum Schönen gehe? Ich vermute es. Aus dem Schön wird nun Gut. Das meine ich, dürfte deutlich sein, es hat auch eine klare Referenz zur kalogathia und zum Schönen / Guten bei Plato, insbes. im Staat, der in etwa zur selben Zeit entstanden ist.


    2. Nun kommt Homer ins Spiel, auch er scheint das Sprichwort "...dass ein Schöner zum Schönen geht" umzudrehen, aber anders. Denn der Menelaos wird als der Schlechtere angesehen, der dann doch eine Heldentat begeht Il 17.589, und dem es auch wichtig war, am Opfer des Agamemnon teilzunehmen (Il 2.409). Ich belasse den Homer damit.


    So, und jetzt kommen kühne Gedanken, die ganz auf meinem Mist gewachsen sind, daher mit Vorsicht zu genießen:


    Ich möchte doch noch mal auf dem Namen Aristo-demos herumreiten - mit der Gefahr der Überinterpretation, aber ich bin nun mal ein assoziativer Mensch ;). Zweifellos ist doch für Platon Sokrates ein Aristo-Demos, der Beste im Volk. Von Aristodemos wissen wir, dass er unbeschuht herumläuft, wie Sokrates üblicherweise. Doch heute trägt Sokrates Sandalen. Weiter: Sokrates hat gebadet. Aristodemos, als er ins Andron kommt, wird abgewaschen, folglich war er nicht gewaschen (175a) - obwohl das Füßewaschen üblich war bei Gastmählern; hier wird aber von Waschen gesprochen, damit er sich hinlegen könne. Sicher, man hat wohl die Füße abgewaschen, damit man das triclinium nicht beschmutzt. Sokrates wird nicht abgewaschen, zumindest wird es nicht erwähnt. Sokrates wird geladen zum Fest, Aristodemos nicht. Aber wir erfahren auch: S. sollte schon tags zuvor zum Fest kommen, ist aber entwichen (174a). Von Aristodemos erfahren wir, dass Agathon ihn gestern habe suchen lassen (174e). Und dann: sie sollen wie 2 Berater bzw Freunde als Gleiche wandeln. S. bleibt aber zurück, A. geht hin, d.h. die eigentliche Einlade-Ordnung wird gerade umgedreht.


    Ist nicht Aristodemos so etwas wie ein Schatten von Sokrates? Eine Art Sokrates, wie man ihn vor dem Gastmahl kennt? Ich habe schon mal darauf hingewiesen, dass Sokrates hier im Gastmahl etwas anders ist als man ihn sonst kennt. Auch die Erzählstruktur wird eine andere sein. Der eigentliche Stichwortgeber wird nicht Sokrates sein, sondern Diotima. S. hat gebadet, er ist besohlt (das erscheint mir nicht unwichtig!). S. bleibt denkend stehen. Nur hier im Symposion (und interessanterweise wieder am Ende in der Rede des Alkibiades) erfährt man von diesem Zug. S. bleibt stehen und redet in diesem Moment nichts, sonst disputiert er ständig. Wie Knabe schreibt:

    Zitat

    Dass für Platon zwischen Denken und Sprechen kein prinzipieller Unterschied herrscht; Denken sei ein stummes Gespräch. Mein Denken aber, scheint mir, ist nicht "dialogisch".


    Tatsächlich, meine ich: hier, an dieser Stelle, spricht S. nicht. Genauso wie 220c in der Rede des Alkibiades; das bildet eine Klammer.


    S. hat sich "irgendwie" gewandelt, auch der Dialog wird ein anderer sein als die, die man kennt. Dem steht nun Aristodemos als dessen alter Schatten an der Seite, und dennoch wandeln sie "zu zweien zugleich".


    Vielleicht sollte man sich nicht an Homer verbeißen, sondern an der Gestalt des Aristodemos, die wohl keine historische Person ist?

    Eine kurze Geschichte des Eros


    Bei Homer ist der Gott Eros noch unbekannt.


    Bei Hesiod ist er eine Urkraft: Theogonie 120-122:
    Eros zugleich, der, geschmückt vor den Ewigen allen mit Schönheit,
    Sanft auflösend, den Menschen gesamt und den ewigen Göttern
    Bändiget tief im Busen den Geist und bedachtsamen Rathschluß.


    Erstes Auftreten in der Tragödie bei Sophokles Antigone 442 und 781-800. Er nennt Eros auch das Begehren.


    In einem Gedicht von Simias von Rhodos (Flügelgedicht) wird die Doppelnatur des Eros als Ur-Kraft und doch auch Gott der Herzen jedes einzelnen ausgedrückt:


    Der "alte" Eros war wahrscheinlich bärtig, uralt, doch immer jung (dazu auch Xen.Symp. 8.1).



    Die Eltern des Eros


    Alkaios fr.13, gibt ihm Zephyr als Vater und Iris als Mutter.
    Scholiast von Theokrit 13.2 gibt eine Liste der Genealogien des Eros: Sohn der Aphrodite oder des Uranos (nach Sappho); der Nacht und des Äthers (nach Akusilaos); von Aphrodite und Ares (nach Simonides); von Zeus (nach Euripides)


    Nach Olenus von Delos war Eros der Sohn des Eileithyia, s. Paus.9.27.2:

    Zitat

    [9.27.1] XXVII. Of the gods the Thespians have from the beginning honored Love most, and they have a very ancient image of him, an unwrought stone. Who established among the Thespians the custom of worshipping Love more than any other god I do not know. He is worshipped equally by the people of Parium on the Hellespont, who were originally colonists from Erythrae in Ionia, but to-day are subject to the Romans.
    [9.27.2] Most men consider Love to be the youngest of the gods and the son of Aphrodite. But Olen the Lycian, who composed the oldest Greek hymns, says in a hymn to Eileithyia that she was the mother of Love. Later than Olen, both Pamphos and Orpheus wrote hexameter verse, and composed poems on Love, in order that they might be among those sung by the Lycomidae to accompany the ritual. I read them after conversation with a Torchbearer. Of these things I will make no further mention. Hesiod,27 or he who wrote the Theogony fathered on Hesiod, writes, I know, that Chaos was born first, and after Chaos, Earth, Tartarus and Love.
    [9.27.3] Sappho of Lesbos wrote many poems about Love, but they are not consistent. Later on Lysippus made a bronze Love for the Thespians, and previously Praxiteles one of Pentelic marble. The story of Phryne and the trick she played on Praxiteles I have related in another place.28 The first to remove the image of Love, it is said, was Gaius the Roman Emperor; Claudius, they say, sent it back to Thespiae, but Nero carried it away a second time.


    Ab dem 4. Jh.v.Chr. wird Aphrodite als Mutter des Eros genannt; bei Euripides ist Eros ist Diener der Aphrodite, s. Hippolytos 525ff. Bei den Vasenmalern erscheint Eros schon ab 460 vChr im Dienst der Aphrodite z.B. bei Lyandros, Epinetron d. National-Museums Athen, ca. 420 vChr. Ab 380 vChr wird Eros das Kind von Aphrodite auf einer Vase.


    Bei Apollonios von Rhodos Argonauten wird Eros als ungezogenes Kind geschildert (Argon. 3.114ff, 3.95ff, 3.146ff). Ab hier verwandelt sich Eros in ein Engelchen. Diese Transformation findet im 3. Jh.v.Chr. statt.


    Bei Anakreon wird Eros in der Knabenliebe eingesetzt, genau wie bei Ibykos. Bei Theognis findet dagegen keine Trennung der beiden Götter statt. Erst bei den alexandrinischen Dichter ist die Trennung "Eros => auf Jungen, Aphrodite => auf Frauen" vorherrschend: z.B. Theokrit


    Eigenschaften des Eros
    - Vögelchen, das das Nest verlässt, Anth.Pal. 12.105
    - kleiner Sklave auf der Flucht (Moschos, auch Meleager Anth.Pal. 5.177, 9.440)
    - entwaffnet und angekettet
    - als Gärtner oder Arbeiter, zwischen Rosen schlafend
    - Um 425 hat Zeuxis einen Eros mit Rosen bekränzt gemalt, dieses Bild auch in den Anakreontika.
    - ist geflügelt - ein wesentliches Merkmal. Seit wann? Ein Beleg bei Aristoph.Vögel und Scholiast hierzu 575 (S.339); auf Vasen seit ca. 460; hier auch das berühmte Flügelgedicht des von Simias von Rhodos
    - mit Pfeil (doppelter Pfeil); auch Euripides Iphigenie auf Aulis, 448ff


    Ein Auszug aus einem Kommentar zur Eros-Gestalt:
    Allerdings wird Eros auch auf den attischen Vasenbildern oft klein dargestellt, aber nicht in kindlichen Proportionen, sondern als verkleinerte Gestalt, schwebend, nach Art der entweichenden Seelen. Viel wichtiger sind für uns die Bilder des strengen Stils im Anfang des 5. Jahrhunderts, wenn Eros allein, nicht als Nebenfigur gezeichnet ist: dann ist er der geflügelte, der anmutig-herbe Jüngling. Wir kennen nur einzelne dieser Jünglingsgestalten aus der schönsten attischen Vasenmalerei des 5. Jahrhunderts. Wohl die schönste überhaupt in der Sammlung Navarra in Terranova, wiedergegeben bei Benndorf „Griechische und Sizilische Vasenbilder", IV 2. Benndorf beschließt seine Beschreibung, daß das Bild „durch seine Größe der Auffassung überrascht, welche ... kaum ihresgleichen finden dürfte. Im mythologischen Gehalt noch bedeutender ist die Trinkschale des Duris: Eros mit einem jungen Dichter zum Himmel schwebend. Der Jüngling blickt dem Gott ins Auge, Eros blickt in die Höhe. Ernst Buscher teilte mir auf meine Anfrage freundlichst mit, daß der Maler den Ganymed-Mythos gemeint habe, aber in der Zeit der menschlichen Vertiefung der Mythen. Das Aufwärts der Entführung hat wohl kein Maler so eindrucksvoll gestaltet wie Duris auf dieser Berliner Schale. Der Sendbote des Zeus entzündet das Feuer, überfällt den jugendlichen und Lernenden, entführt ihn in die oberen Regionen, ins Reich der Musen und der Dichtkunst.
    In der Platonischen Zeit ist die Verwandlung des Eros schon vorbereitet, es scheint, daß Euripides den Anstoß gab. Praxiteles gibt ihm den Bogen, aber er bildet noch ganz den schönen Jüngling und er muß wohl (wenn wir aus dem Genius von Centocelle im Vatikan und einem erhaltenen Epigramm schließen dürfen) dem Bilde des Agathon sehr nahe gekommen sein. - Erst Lysipp (oder Skopas?) bringt den Übergang zum bogenspannenden Kinde.



    Eros-Kult
    Eros war immer berühmter in der Poesie als in der Religion. Sokrates sieht ihn nicht einmal als Gott, sondern als Dämon, Plutarch wiederum als Gott.
    Es gab ein Fest namens Erotidia (oder Erotica) in Thespis, Böotien, vgl. Athen. 561E. Der Eros dort galt für alle Geschlechter. Praxiteles schuf dort eine Staute des Eros, vgl. Paus. 9.27.3.
    Eros wurde ursprünglich als Stein dargestellt, 9.27.1, s. Zitat oben.
    Eros in den Gmynasien mit Herakles und Hermes: Eros <=> Freiheit
    Eros in Heiligtümern: in Leuktra (Paus. 3.62.5), Ägina, Paus.7.26.8, Megara


    Dem Eros wurde oft der Anteros (Gegenliebe) zugesellt: symmetrische erotische Beziehung!

    Eine Fülle von Einzelthemen in diesem kleinen Abschnitt! Nur 2 davon, die IMO zusammenhängen.


    1. "um doch schön zu einem Schönen zu kommen":
    Sokrates badet sich und bindet die Sohlen unter: schön will er zum Schönen kommen. Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass sowohl die Schönheit als auch Sokrates Thema des Dialogs sind. Denn Sokrates macht sich schön, auch äußerlich, wo er doch schon innerlich schön ist. Vielleicht lernen wir ja im Text, dass auch die äußerliche Schönheit zur Schönheit sehr wohl gehört? Das mit dem Wortspiel agathon / gut ist sogar mir als Griechisch-Unkundigem aufgefallen ;) Womöglich möchte Platon ein allzu grimmiges (mir gefällt dieses Wort) Eingehen auf Philosophie und dem "Guten" durch die ironische Spielerei mit dem Namen Agathon vermeiden - obwohl Platon doch eine Rede "Über das Gute" gehalten hat.


    Zitat

    Wir bekommen eine ersten Eindruck von der Art Sokrates' durch die Information, dass er ausnahmsweise gebadet und beschuht ist. Der Grund ist klar: Ein echter Philosoph gibt nichts auf Äußerlichkeiten, sondern ist mit dem Denken beschäftigt.


    In gewisser Weise sehe ich den Sinn dieses Abschnitts gerade umgekehrt.
    Sokrates muss nicht extra eingeführt werden, er ist bekannt wie ein bunter Hund, man kennt seine Eigenarten. Was hier geschieht, ist doch gerade das Gegenteil des Üblichen: Sokrates macht sich auch äußerlich schön. Er spielt mit Begriffen der Platonischen / Sokratischen Philosophie (agathon, evtl. sogar mit dem Begriff der kalogathia). Der Leser merkt also auf: aha, hier geschieht etwas Ungewöhnliches: Sokrates macht sich schön! Warum macht er sich schön, der alte Satyr?


    2. An das Wortspiel schließt sich der Exkurs über Homer an.


    Erstmal die Textstellen bei Homer, wer's nachlesen will: Il. 2.402ff, Il. 17.588.


    Es geht also ums Eingeladenwerden, und dies in Zusammenhang mit gut/schlecht. Daran schließen sich für mich Fragen an. Aristodemos wird von S. eingeladen, kommt aber wegen des Stehenbleibens des S. allein an. D.h. der Eingeladene kommt zunächst mal nicht, der Nichteingeladene aber kommt.
    Was soll diese indirekte Einladerei? Warum ist der, der von dem Gastmahl erzählt, nicht eingeladen? Es scheint doch ein nicht unwichtiger Textteil zu sein, denn diese Nicht-Einladung des Aristodemos mit den Homer-Zitaten wird ziemlich in die Breite getrieben.
    Es fällt mir noch auf: der Name des Aristodemos: bestes Volk bzw. Bester aus dem Volk? Oder gar (vlt. nun über-intepretierend): Mischung aus Aristokratie / Demokratie (aristo-demos)?
    Auch erscheint mir eines wichtig: "Zwei wandelnd zugleich" (174d), ich glaube, das ist auch ein Homer-Zitat: es ist hier Gleichheit angesagt, Gleichheit von einem Eingeladenen und einem Nichteingeladenen, diese wandeln als Freunde. Keiner ist der Schlechtere, keiner der Bessere, daher sieht Homer das Sprichwort falsch ("misshandelt" es, 184b).


    Der Sinn dieser beiden Textstellen: das Thema wird schon eingeführt (Sokrates & Schönheit), ohne dass es der Leser weiß. Zum Eros wird man geladen oder nicht geladen, denn jeder kann dahin gelangen. In den Fragen des Eros wird ohnehin jeder als Gleicher behandelt.


    Knabe:
    Ich würde gerne die Diskussion erstmal hierauf beschränken, sonst wird's zu viel, und wir ja doch hoffentlich nicht in Eile ;) Daher lasse ich Sokrates' katatonie erstmal dahingestellt.

    Hallo zusammen,



    Ich hatte immer gedacht, diese Stelle sei etwas ironisch gemeint. [...] Apollodoros aber denkt, er sei schlecht dran, weil er über die Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten der Philosophie Bescheid weiß.


    Das kann durchaus zutreffen, so würde auch jene Stelle abgesehen von dem Nutzen, den sie mir, wie ich glaube, gewähren klarer werden (ich meine die Einschränkung "wie ich glaube"): Würde nämlich Philosophie ein festes Wissen gewähren, dann wäre dieses Wort hier fehl am Platz. Darüber hinaus könnte die Figur des Ap. als eines allzu grimmigen Nachfolgers des Sokrates von Platon aufs Korn genommen worden sein. Hierzu mehr hinein- oder herauszuinterpretieren, wäre reine Spekulation, manchmal muss man zwei Lesarten einfach stehenlassen, wenn es kein Entscheidungskriterium gibt.


    Es tut mir Leid, dass ich die Leserunde mit meinen Naivitäten etwas verzögere!


    Was wir in diesem Forum haben oder haben sollten, ist Muße und die Freude, Kleinigkeiten unter die Lupe zu nehmen. Oft entpuppen sie sich als wichtige Details, die neues Licht auf die "eigentliche" Sache werfen. Vor Jahren nahm ich an einem Hegelforum teil, wir haben sage und schreibe 1 volles Jahr gebraucht die ca. 20 Seiten der Einleitung der "Wissenschaft der Logik" von Hegel zu interpretieren! Wie Telemachos schon sagte: Philosophie findet im Gespräch statt.


    Zitat

    Ich finde es zu übertrieben; man müsste sich auch als Philosoph den Konventionen wenigstens leidlich anpassen und halbwegs bodenständig bleiben!


    Bei aller Leidenschaft: an dieser Textstelle wird wohl nicht Sokrates dargestellt bzw. karikiert, sondern Apollodoros, einem - ich nenn ihn mal so - "grimmigen" Anhänger. Sokrates selbst hat sich sehr wohl den Konventionen unterworfen, das zeigt sein Tod und die Weigerung zu fliehen, überdeutlich. Wir werden übrigens gleich sehen, dass heute Sokrates Schuhe trägt.


    Noch eine ganz kurze Anmerkung zu Ap: In 173c wird dem Apollodor von den Freunden ein Beiname gegeben. Bei Schleiermacher wird er "der Tolle" genannt, bei Susemihl "der Schwärmer", in einer uralten Reclam-Ausgabe steht "der Sanfte". Hmm. Was sagt ihr? Vom Kontext her erschiene mir "der Sanfte" am plausibelsten.


    Grüße
    Kaspar

    Zitat

    Aus Apollodoros' Aussagen in 173c - 174d werde ich noch immer nicht ganz klug.


    (Du meinst wschl. 174a und nicht d, denn das ginge weit darüber hinaus).


    Zwei Arten von Nutzen scheint es zu geben (hier scheint mir die Susemihl-Übersetzung klarer):


    (1) den Nutzen und die Freude der Philosophie, für die Apollodoros steht:

    Zitat

    Denn auch ohnehin schon bereiten mir Reden über philosophische Gegenstände, mag ich sie nun selbst vortragen oder von anderen vortragen hören, - abgesehen von dem Nutzen, den sie mir, wie ich glaube, gewähren, - die größte Freude


    (2) und geschäftlicher ("weltlicher") Nutzen, für den die Reichen und Geldleute stehen:

    Zitat

    alle anderen aber, zumal wie ihr Reichen und Geldmänner sie zu führen pflegt, erregen mir für meine Person Überdruß und gegen euch, ihr Freunde, Mitleiden, weil ihr etwas Rechtes zu schaffen glaubt und doch nur etwas ganz Nichtiges treibt.


    Von (1) glauben die Geldleute, dass dieser Nutzen wertlos ist:

    Zitat

    Vielleicht nun haltet ihr hinwiederum dafür, daß ich zu beklagen sei, und ich glaube, daß ihr den rechten Glauben habt;


    Von (2) aber weiß Apollodoros. dass der Nutzen der "Geldmänner" zu beklagen ist:

    Zitat

    von euch jedoch glaube ich dies meinerseits nicht, sondern weiß es gewiß.


    Warum aber glaubt auch Apollodoros selbst, er sei zu beklagen? Weil er Verdruss hat über die "weltlichen Reden der Geldmänner". Dem gegenüber steht Sokrates, der diesen Verdruss locker wegsteckt. Daher ist Ap. noch nicht weise.


    Zu penia / poros sage ich jetzt nichts, das kommt später und dann wird es dir klar, was ich meine und ob ich damit recht habe.

    Komödiantisch? Ich bin nicht ganz davon überzeugt. Gerade wollte ich kontern mit Petronius' Satyricon und dessen Verschachtelungen kontern, da fiel mir auf, das ist ja auch ein Schelmenroman ;) OK, vielleicht ist da auch ein komödiantischer Zug darin, schließlich finden sich komödiantische (Aristophanes) und dramatische (Alkibiades) Elemente im Gastmahl. Aber das Gastmahl will doch schon ernst genommen werden, oder? Oder meinst du, Platon möchte sich über Diotima lustig machen oder die Sache augenzwinkernd angehen? (Ich komme gleich darauf zurück.)


    Ich möchte nochmal auf die zwei Rezeptionsarten des Gastmahls eingehen:
    1. die direkte Linie, die von Di. > So. > Ar. > Ap. > Freunde (= wir Leser) geht und von Sokrates abgesichert wurde.
    2. die Gerüchte-Küche, die über verschiedenste Leute, darunter auch einen "Unbekannten", geht und bei Glaukon landet, der über den Zeitpunkt des Gastmahls entsprechend falsch unterrichtet ist. Der "Unbekannte" macht den Gerüchte-Küche anonym und unbestimmt.


    Bezugnehmend auf Telemachos' Vorschlag, es handele sich bei Platon eben um Gespräche, muss man also differenzieren: Offenbar gibt es Gespräche, die Vermutungen weitertragen, Unklares, Meinungen (2); es gibt aber auch Gespräche, die Wahres vermitteln, Wissen also, Erkenntnis, wie du schreibst (1). Diese Zweiteilung würde sich mit der Unterscheidung von Doxa und Epistemé im Staat treffen.


    Zitat

    Es ist also unwahr, wenn Christian Morgenstern sagt: Jedes Gespräch sei letzten Endes nur ein Selbstgespräch


    Tatsächlich scheint mir dieser Ausspruch die Umkehrung des bekannten Platonischen Gedankens, dass Denken ein stilles Sprechen mit sich selbst sei.


    Meine Interpretation also: Über den Eros hört man vieles, gerade so wie über das Gastmahl über den Eros. Darin gibt es sicherere und unsicherere Wege, es gibt Gerüchte, es gibt Wissen und alle möglichen Zwischenformen. Und hier, in die Gerüchteküche über Eros (bzw das erotisch-philsophische Gastmahl), da könnte ich Platons Ironie bzw das Komödiantische, wie du schreibst, verorten.

    Zitat

    Nun ja, das sind belanglose Kleinigkeiten, womit man die Zeit vielleicht nicht vergeuden sollte


    Also, ich gehe ganz gerne ins Detail, insbesondere bei einem Text, der doch so oft interpretiert wurde; vielleicht ergeben sich auf diese Weise neue Erkenntnisse? Ich bin mir auch sicher, dass bei Platon nichts "einfach so" dasteht.


    Zitat

    "APOLLODOROS - FREUNDE"


    Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass hier "ich" und "wir" durcheinander gehen. So in der Übersetzung von Susemihl:

    Zitat

    DER FREUND: ... Gewähre uns vielmehr unsere Bitte...


    Spricht der im pluralis maiestatis? Oder wohl eher als Sprecher einer Gruppe von Freunden? Das kommt mir eher so vor.


    Nochmal in Zusammenfassung aller Angaben: Apollodoros berichtet Freunden von einer Erzählung des Aristodemos d.Kleinen von einem Gastmahl bei Agathon. Die Wahrheit über den Eros wird darin von Diotima berichtet, von der wiederum Sokrates erzählt.
    Ich versuch das mal graphisch, wobei die -> , <- und
    ^
    |
    Richtungspfeile des Ansprechens darstellen sollen! :breitgrins:


    [pre]
    Freunde Glaukon <---.
    ^ ^ |
    | | Unbekannter
    | | ^
    |--------------' |
    Apollodoros <---------. Phoinix
    ^ | ^
    | | |
    |------------------+------'
    Aristodemos |
    ^ |
    | |
    | |
    Gastmahl (Agathon...Sokrates)
    ^
    |
    Diotima
    [/pre]


    Zur zeitlichen Struktur der ganzen Sache: Agathons Gastmahl: es findet 416 vChr statt, denn sein Sieg beim Tragödienwettbewerb fand 417 statt (vgl. Athen. 5.217a). Die Rede des Apollodoros wird auf ca. 400-403 geschätzt, kurz vor Sokrates' Tod. 407 ging Agathon an den makedonischen Hof, das wird 172c indirekt erwähnt. Das Gastmahl wurde von Platon um 380 geschrieben. Die meisten Teilnehmer dieses Gastmahls sind bei Abfassung des Dialogs von Platon schon tot, Aristophanes hat, glaube ich, da noch gelebt.


    Tja, und was soll das Ganze - die zeitliche und erzählerische Distanz, ich meine die vielen Zwischenstufen des Erzählens? Komödiantisch? Hmm. Folgendes fiele mir ein:
    1. sehe ich eine Vergewisserung der Glaubwürdigkeit des ganzen durch die direkte Linie Sokrates - Apollodor, die man in der Graphik schön sieht, diese bricht also die aufgebauten Indirektionen wieder auf.
    2. Warum aber diese Indirektionen? Nimmt das Gastmahl nicht an Bedeutung zu, wenn es noch über Jahre hinweg - 416 bis 380 - erzählt wird und Gerüchte darüber im Umlauf sind?
    3. Man glaubt aber (wie jener Glaukon), dass es gerade gestern stattgefunden habe. Es ist also alt wie auch - zumindest in den Köpfen der Menschen - ganz neu und aktuell.


    Zitat

    Es muss also etwas Besonderes gewesen sein.


    Das meine ich auch. Die unveränderte Wirkung bis heute bestätigt das!


    Zitat

    Wozu dient die Missstimmung über die Philosophie in 173e?


    Mein Interpretationsvorschlag (vorweggenommen): Hier geht es um die Frage der Philosophie "reich / arm": wer ist glücklicher? Könnte das ein Hinweis auf poros / penia im Diotima-Gespräch sein? Und: geht es in der Platonischen Erotik gerade nicht auch um Philosophie? Der Philosoph als der eigentiche Erotiker?


    Puh, zu viel Text - aber auch so viele Fragen! ;)



    Knabe: Ich schreibe dir eine PN, schau nach oben, drücke den Link "Nachricht", und schon siehst du meine PN^^!

    So, heute ist der 10. Dezember, also muss ich als Symposiarch wohl das Gastmahl eröffnen, so will es zumindest der Brauch. :zwinker:


    Ich weiß ja nicht, wie sich eine solche Leserunde gestaltet (die Anleitung von nimue ist da wenig hilfreich): ob da jeder liest, was ihm gerade vorschwebt, oder ob das etwas geordneter geht?


    Einen solchen Text wie das Gastmahl würde ich auf jeden Fall in Abschnitte unterteilen, deren Bedeutung und Einordnung man allerdings oft erst im 2. Durchgang versteht. Erst wenn sich alle darauf verständigt haben, dass dieser Abschnitt "klar" bzw. ausgelutscht ist, sollte man im Text fortfahren; das wäre zumindest mein Vorschlag.


    Zu den Materialien:
    Im [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2897.0.html]Materialenthread[/url] habe ich ein paar Links zum Text selbst angegeben, dann eine kurze Erläuterung zur Institution des antiken Gastmahls. Eine kurze Geschichte der griechischen "Knabenliebe" kann man via pn bei mir erhalten, und im Moment bin ich dabei, stichpunktartig eine kurze Geschichte des Gottes Eros zu erstellen.


    Der erste Abschnitt umfasst nun die Rahmenhandlung 172a-174a.


    Ein gewisser Apollodoros wird von einem Freund gebeten, über das Gastmahl bei Agathon zu berichten, er hatte aber dieser Bitte schon vor kurzem entsprochen, auf einer Fußreise von Phaleron nach Athen. Schon hier baut sich eine ziemlich komplizierte Erzählstruktur auf in verzweigten Indirektionsstufen. Eine kleine Missstimmung über die Rolle der Philosophie tritt auf, dann ist das Vorgeplänkel auch schon beendet und ab 174a beginnt der eigentliche Bericht.


    Was ist ein "paralleler Dominant-Moll-Dreiklang". Nie gehört.


    Ich habe nun doch in der wikipedia nachgeschaut, da wird die res dubia als Moll-Parallele der Dur-Dominante bezeichnet. Na, bei 4 Wortbestandteilen gibt es immerhin 24 Möglichkeiten.^^ Aber Moll-Parallele der Dur-Dominante klingt wirklich nicht schlecht.


    Was ist ein "paralleler Dominant-Moll-Dreiklang". Nie gehört.


    Du warst kurz davor, mag allerdings sein, dass es das Wort so nicht gibt, vlt. nennt man ihn auch Dominant-Parallel-Moll-Akkord? Also: Richtig, die Dominante zu C ist G, davon ist die Mollparallele e-moll. Bingo :eis:


    Der Wechsel von Tonika zu Dominant dürfte wahrscheinlich der häufigste in der Musik sein, fast jedes Volkslied und pop. Song lebt davon, vor allem jeder Marsch. Er klingt recht flach, primitiv und hölzern (in meinen Ohren). Dagegen klingt die Mollparallele der Dominant süßlich, das ist es, was mich fasziniert. Sehr gerne wird verwendet: C, e, F, G oder C, e, d, G in Abwandlung des bekannten Schemas C, G, F, G.


    Der Wechsel von Tonika zu parallelem Moll (also C-Dur, a-moll) klingt dagegen üblicherweise etwas traurig, kommt auch recht häufig vor.


    Der Wechsel von Tonika zu paralleler Moll-Subdominant (wie immer der richtige Ausdruck dafür lautet), also C-Dur, d-moll (da d-moll = Mollparallele von F-Dur = Subdominant ist), klingt dagegen relativ flach und nichtssagend.


    Das sind natürlich subjektive Eindrücke. Es würde mich interessieren, ob andere Ähnliches fühlen. Und eben: worauf solche Eindrücke, falls sie allgemein sind, eigentlich beruhen?

    Es gibt ja immer mal Fragen, die ich mich nicht zu fragen getraue, so wie jene, ob Max Bruch und Straußens Alpensinfonie etwas gemeinsam haben. Und so wieder eine, auf die nicht einmal auf eine Antwort hoffen kann. Doch hier traue ich mich, mehr als gelöscht oder verschoben wird es nicht! Obwohl wahrscheinlich meine Frage eher in ein Musikforum oder so passen würde.


    Sie lautet ganz einfach: warum in harmonischer Hinsicht die Folge von Tonika-Dur-Dreiklang und parallelem Dominant-Moll-Dreiklang so intensiv / sentimental klingt? (Beispiel: C-Dur, e-moll) Interessanterweise wird diese Folge in der "klassischen Musik" wenig verwendet, dafür in der Pop-Musik umso häufiger. Beispiele? Etwa Saltwalter von Julian Lennon, ein absolut schmalziger Song. Und 1000000 mehr.


    Warum klingt diese Akkordfolge so zart, so süß, so schmalzig? Kann überhaupt jemand verstehen, was ich meine? Ich erinnere mich, einen Freund zu diesem Thema befragt zu haben, ist schon eine Weile her, der schüttelte nur den Kopf und meinte, diese Akkordfolge läge weit auseinander, was natürlich Unsinn ist.


    Es gibt weitere Akkordfolgen, die eine unglaubliche Wirkung haben. Die berühmteste ist die Folge Tonika-Dur und Tritonus-Akkord mit verminderter Terz, der auch als Teufels-Dreiklang bekannt ist. Den trifft man in der "klassischen Musik" schon häufiger an.

    Jenseits aller Technik...


    Für mich persönlich erstelle ich (aus allen möglichen Themengebieten) so etwas Ähnliches schon seit Jahren, allerdings viel filigraner. Z.B. eine Herbstimmung, gelesen in Liese Müller, Erlebtes Leben*, S. 3412 5.Absatz. Ganz trivial schreibe ich so etwas in ein Word-Dokument, das reicht für meine Zwecke völlig.


    Das Problem einer solchen Sache: meine Interessen ändern sich, und leider, leider: gerade das, was ich jetzt suche, nämlich Schneestürme, hat mich zu der Zeit, als ich Liese Müller, Erlebtes Leben* las, gar nicht interessiert. :( Und so könnte ich gerade wieder von vorn anfangen, wie jene Anstreicher im Schloss von Hachenburg bzw. der Golden Gate Bridge.


    Im Ernst: ein solches Unterfangen müsste eine Art semantisches Netzwerk der Begrifflichkeiten aufbauen, zunächst einmal hierarchisch: Stimmungen -> Herbstimmung, Sommerstimmung, Depression usw. usf. Dann aber ein Netzwerk, weil die Knoten nicht eindeutig erreichbar sind: z.B. "Depression" sollte auch bei "seelische Krankheiten" eingeordnet werden usw. Und dann die Homonyme: Depression eben auch als Wirtschaftsflaute usw.


    Eine bestimmte literarische Passage könnte so in x verschiedenen Kontexten gesehen werden. Je nach Interpretation der Passage potenzieren sich die Kontexte. Eine Autofahrt z.B. könnte unter Automobil, Technikkritik, Technikgläubigkeit, Straßenverhältnisse, 1927, Mercedes Benz, Vision, Geschwindigkeitsrausch usw usf eingeordnet werden - je nachdem, wie man sie interpretiert.



    *Name und Titel von der Redaktion geändert.