Ach ja, anna, schön, Deine Ausführungen zum Stopfkuchen. Wie wir das von dir gewohnt sind: treffend, fundiert , aber mit leichter Feder!
Zitat von Autor: Anna Magdalena« am: Gestern um 01:18 »
….erst nach mehrmaligen Lesen ganz durchschaubare(n) Erzählstruktur…
Wenn du die ersten hundert Seiten gelesen hast, und du ja wahrscheinlich auch, montaigne, greife ich nicht vor, wenn ich folgende selbstreferentielle Äußerung Eduards zitiere:
Zitat von Raabe: Stopfkuchen
Da sitzt ein sonderbarer Herr auf dem guten Schiff „Hagebucher“ und sonderbar ist’s von ihm im hohen Grade, grade auf dem hohen Meer den Versuch zu wiederholen, das Leben mit einem Fingerhut ausschöpfen zu wollen!...
Das umreißt ziemlich genau die Erzählsituation: Eduard versucht auf seiner Heimreise nach Südafrika das aufzuschreiben und zu verstehen, was er bei seinem Besuch in seiner Heimatstadt erlebt und erfahren hat, um zu Hause, wie er an anderer Stelle sagt, in Ruhe weiter darüber nachdenken zu können. In erster Linie ist es natürlich das, was er im Laufe eines Tages beim Schulkameraden Stopfkuchen erlebt und was dieser von sich, seiner Frau, seinem Schwiegervater und der roten Schanze etc erzählt hat, wobei dem Leser allmählich schwant, welche Bedeutung das ganze für ihn, den Ich-Erzähler, hat und was es ihm über das Leben allgemein sagt, denn nicht ohne Grund kommt Eduard das Niederschreiben des Erlebten wie ein erneutes „Leben- ausschöpfen- wollen“ vor.
Zitat von Autor: Anna Magdalena« am: Gestern um 01:18 »
… dass der Roman zwei Erzähler hat…
Wenn schon die erzählenden Personen innerhalb der Ich-Erzählung als Erzähler mitgezählt werden :zwinker:, dann sind es vier und nicht zwei, denn neben Stopfkuchen kommt auch seine Frau zu Wort und erzählt aus ihrer Sicht und später noch ein vierter wichtiger Beteiligter an der Geschichte, dessen ausführliche Erzählung allerdings wiederum von Stopfkuchen referiert wird (also eine Erzählung in der Erzählung in der Erzählung). Diese in einander verschachtelten Erzählungen werden von der Rahmenerzählung (Heimreise Eduards nach Südafrika) wie von einer Nussschale umschlossen. Es wird quasi gleichzeitig in zwei Richtungen erzählt: In der Rahmenerzählung vom zentralen Geschehen und seinem Ort weg, wenn auch im Reiseverlauf immer wieder Entsprechungen (ein Brand, ein Unwetter etc ) Verbindung zur eigentlichen Erzählung herstellen, und in der Binnenerzählung wird quasi in konzentrischen Kreisen zum Kern hin erzählt… Im ganzen eine wunderbar mit dem Inhalt harmonierende in sich geschlossene Form.
Zitat von Autor: Anna Magdalena« am: Gestern um 01:18 »
…der humane Blick auf die Welt und der Humor erinnern mich an Fontane, nur scheint mir Raabes Ironie etwas schärfer zu sein….
Ja, Raabes Ironie und Humor gefallen mir auch sehr. Sein „humaner Blick auf die Welt“ drückt sich mMn besonders darin aus, dass der ehemals ausgegrenzte, tolpatschige Schulversager sich als umsichtig, selbstbewußt und tatkräftig entpuppt und an seinem Wirkungsort an Fähigkeiten dem Erfolgsmenschen Eduard, der sich in der weiten Welt bewährt und ein Vermögen erworben hat, zu dessen großer Verwunderung in nichts nachsteht…. So ähnlich wie die Verwandlung, die sein Aschenputtel Valentine durchgemacht hat …
Zitat von Autor: Anna Magdalena« am: Gestern um 01:18 »
„Stopfkuchen“ funktioniert auch als Kriminalroman
Wobei Raabe auch hier souverän und ironisch mit dem Genre spielt, indem er suspense nicht durch krampfhafte pseudowahrscheinliche Zufälle herstellt, die die Auflösung verzögern, sondern indem er Stopfkuchen, als er gedrängt wird, nun endlich mit dem Täter rauszurücken, ganz direkt mehrere Male sinngemäß sagen lässt: Lasst uns erstmal mit der Idylle fortfahren! Was er dann auch tut.
Zitat von Autor: Anna Magdalena« am: Gestern um 01:18 »
Den Begriff "Stopfkuchen" kenne ich gar nicht, aber natürlich den Blechkuchen.
Neige inzwischen zu der Ansicht, dass das doch eher ein familienspezifischer Begriff ist. Bin zwar im tiefsten Niedersachsen aufgewachsen, aber der soundtrack meiner Kinheit und frühen Jugend war durchsetzt vom ostpreußischen bzw. Danziger Idiom meiner Großmutter und meiner Eltern. Es kann gut sein, dass das ein osteuropäischer Ausdruck für besagten Kuchen ist. Oder aber es hat mit Raabe zu tun und war ein Scherzwort meiner Eltern. Meine Schwester hab ich mal ganz unvoreingenommen nach ihren Assoziationen befragt. Ihr fiel auch gleich der Backblechkuchen ein. An das Buch konnte sie sich nicht erinnern. Sie meinte aber auch, es sei ein nur in unserer Familie gängiger Begriff. 