Beiträge von elahub

    Hallo


    Zur Erinnerung ... am 25. Mai 2003 schrieb Hubert die sagenhaften und schicksalsschweren Worte:



    Zitat

    John Updike und John Irving: ist das schon Literatur?


    Oh Hubert!!!!! :grmpf:



    Ich kenne zwar John Updike nicht aber wohl John Irving!!!


    Naja, wir leben ja in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht ... :breitgrins:



    :winken:


    Daniela

    Hallo Hubert


    Vielen vielen Dank für die interessanten Links zu den Bronté Geschwistern; ich habe gerade erst einen verfolgt, den mit dem Photo der Soldaten und mein Vorhaben, endlich mal Jane Eyre zu lesen, das ich nach der Lektüre der zwölf vom Dachboden (ja wirklich, es ist dieser Titel!) gefasst hatte, wurde noch verstärkt.


    :winken:


    Daniela

    Hallo Hubert


    Zitat

    ...Tolstoi, unter literarischen Geschichtspunkten höher einschätzen


    Es kann sogar sein, dass Du Recht hast. Diese literarischen Gesichtspunkte kann man ja wohl festlegen und die Bedeutung Tolstois, damals schon und auch heute noch, ist ja offensichtlich und das gestehe ich ihm auch zu.
    Krieg und Frieden z. B. kenne ich nur als Film und der ist schon etwas sehr Besonderes, so dass ich das Buch wohl auch noch mal lesen werde.
    Anna Karenina, die ich kenne, ist ja damals schon ein großer gesellschaftlicher Roman gewesen .. all das unbestritten.


    Bei Dostojewski ist es so, dass er mir direkt ins Herz geht, wenn ich es mal so ausdrücken darf.
    Ich habe mit Schuld und Sühne angefangen und musste seitdem einfach alles von ihm lesen; es ist so, dass mich nicht nur seine Romane gefangen haben, sondern der Autor selbst - ich denke, um mal eine Brücke zu einem anderen Thread zu schlagen, seine Kunst hätte sich keinen anderen Künstler suchen können.


    Was mein Lieblingsbuch angeht - das ist nicht Schuld und Sühne; ich habe vor einigen Jahren dieses Buch in der neuen Übersetzung geschenkt bekommen und noch nicht angerührt, zu düstere Erinnerungen?


    "Am meisten mehrmals :zwinker: " gelesen habe ich die Brüder Karamasow; dieses Buch ist wirklich Weltklasse, finde ich.
    Selbst, wer keine russische Literatur mag, muss das wohl zugeben.
    Außerdem beinhalten sie "Der Großinquisitor".


    Ebenfalls sehr liebe ich das Büchlein "Der Traum eines lächerlichen Menschen", den auch in der Hinsicht "Unbedarfte" gut lesen können.


    Und last but not least "Der Idiot" - ich denke, hier schreibt der Dichter teilweise über sich selbst bzw. er hätte den Helden nicht so gut ohne seine eigene Geschichte beschreiben können.


    :winken:


    Daniela

    Zitat

    Verfasst am: 22.Dezember 2003 - 01:55



    Zitat

    Verfasst am: 22.Dezember 2003 - 03:38



    Um Himmels Willen ... wann schlaft Ihr denn?? :breitgrins: :breitgrins:



    :winken:


    Daniela

    Hallo


    Zitat

    Sich gedanklich, nicht nur gefühlsmäßig, mit den Romanfiguren beschäftigen – ist das nicht schon Analyse?


    Hubert - sollen wir so weit gehen und Analyse definieren? Ich habe einfach daran gedacht, wie wir in meiner Schulzeit (lang ist's her !!) vorgegangen sind. Gab es da eine bestimmte Technik - ich weiß es schon nicht mehr. Hängengeblieben ist bei mir nur, dass sich manchmal überraschende Perspektiven aufgetan haben, dass ich andererseits aber auch immer das Gefühl hatte, etwas, das ein schönes und sinnvolles Ganzes bildet, auseinanderzupflücken.


    Dass die Figuren "gedanklich" Teil meines täglichen Lebens werden, soll eigentlich nur heißen, dass ich nicht mit ihnen spreche :zwinker:
    Ich bin noch nicht so weit und werde es hoffentlich nie sein, dass ich wirklich mit Iwan diskutiere ...


    Es gibt einige Gestalten, die mich auch Jahre später immer noch oft beschäftigen.


    Vielleicht sollte ich auch mal Effi Briest lesen?


    :winken:


    Daniela

    Hallo Heidi
    Auch ich habe dieses Büchlein vor einiger Zeit verschlungen und kann Deine Ansicht nur bestätigen.
    Was mich besonders gefesselt hat ist die Art von Tolstoi, über eben diese Kleinigkeiten, die eigentlich nichts sind und die jeder kennt, zu schreiben - zu schreiben, als wenn etwas Besonderes passieren würde ...
    und so können wir erkennen, dass es eben sehr wohl besonders ist, wie es jemand geht, warum es ihm schlechter geht, wie die anderen dazu stehen ....
    und obercool ist doch die werte Gattin des Iwan Iljitsch, oder??? :zwinker:

    Hallo ..


    Wenn ich lese (Romane und insbesondere Klassiker), denke ich nicht darüber nach und analysiere auch nicht.
    Während der Zeit, in der ich lese, werden die Figuren (gedanklich) Teil meines täglichen Lebens - ich überlege, wie es wohl weitergeht, bin traurig oder sauer, wenn jemand sich blöd verhält, bange mit Anna Karenina :zwinker: ....
    und auch wenn das Buch beendet ist, beschäftigt es mich meist noch lange .. so dass ich immer eine Pause brauche, bevor ich mir ein anderes Werk vornehme.
    Allerdings gibt es zu vielen Romanen ganz gute "Nachworte" und die nehme ich auch immer mit - dort kann man oft ganz interessante Erklärungen finden, warum der Autor ....


    :winken:


    Daniela

    Hallo - Ich bin nun schon ein paar Tage hier, habe aber erst jetzt entdeckt, dass einige von Euch sich schon so schön vorgestellt haben - das möchte ich auch kurz tun:
    Ich bin 40 Jahre alt, arbeite in einer Stahlgießerei als Fremdsprachenkorrespondentin (ich hasse diese Berufsbezeichnung!!) und widme mich ansonsten meiner Familie, Haus und HOf .....
    Ich interessiere mich für Menschen, Tiere, Sprachen und Lesen Lesen Lesen, wann immer ich 10 Minuten habe.
    Für meine sprachliche Weiterbildung lese ich auch öfters mal "auswärtse" Bücher, ein Grund mehr, weshalb andere sagen, dass meine Lektüren zu hochtrabend seien.
    Meine Lieblingsautoren sind F. Dostojewski, John Irving und Umberto Eco, ansonsten lese ich, was sich aus Büchern ergibt oder was mir empfohlen wird (nicht immer!!) - ganz anders als Ulrich Plenzdorf :zwinker:
    Bis immer mal wieder ....
    :winken:
    Daniela

    Hallo - ich lese gerade "Le voyage au bout de la nuit" von Céline, auf französisch. Da ich Sprachen liebe, lese ich öfters mal was auf französisch oder englisch (an türkisch oder holländisch habe ich mich noch nicht gewagt :zwinker: ).
    Dieses Buch ist genial - ich habe so etwas noch nie gelesen. Seit längerer Zeit bereue ich, dass ich mir am Anfang nur immer kleine Häppchen gegönnt habe; es ist doch leichter zu verstehen und auch zu behalten, wenn größere Abschnitte am Stück gelesen werden denke ich - die Erfahrung habe ich jedenfalls im Urlaub gemacht.
    Da in Deutschland wohl nur wenige Leute Céline kennen, hoffe ich, hier vielleicht jemand zu finden.
    Ich habe jetzt gehört, dass es seit kurzer Zeit eine deutsche Übersetzung dieses Buches gibt - ich halte es eigentlich für unmöglich, das Buch zu übersetzen, so dass der Erzählstil beibehalten bleibt - kennt vielleicht jemand zufällig die Übersetzung und kann etwas dazu sagen?


    :winken:


    Daniela

    „Sehen Sie, vor Weihnachten haben alle so viel zu tun“, meinte Barb Wiggin, die ungeduldig darauf wartete, endlich mit der Probe für das Krippenspiel anfangen zu können – sie wollte uns zukünftigen Esel und Tauben nicht länger warten lassen. Ich konnte Owens Ärger über Barb Wiggin schon im Voraus spüren.
    Barb Wiggin scherte sich nicht um seine Feindseligkeit und begann – wie auch das heilige Ereignis selbst – mit dem Verkündigungsengel. „Wir alle wissen ja schon, wer unser Engel des Herrn ist“, sagte sie.
    „Ich jedenfalls nicht“, meinte Owen trocken.
    „Aber Owen!“ rief Barb Wiggin.
    „Schicken Sie jemand anders in die Luft“, entgegnete der. „Vielleicht können die Hirten auch einfach nur so auf die „Lichtsäule“ starren. In der Bibel steht, der Engel des Herrn erschien den Hirten – und nicht der ganzen Gemeinde. Und nehmen sie jemanden mit einer Stimme, über die nicht alle lachen.“ Hier hielt er inne, und alle lachten.
    „Aber ... Owen“, sagte Barb Wiggin.
    „Nein, lass ihn, Barbara“, sagte Mr. Wiggin. „Wenn Owen keine Lust mehr hat, den Engel zu spielen, dann sollten wir seinen Wunsch respektieren – wir leben schließlich in einer Demokratie“, fügte er wenig überzeugend hinzu. Die Exstewardess funkelte ihren Exfliegergemahl an, als habe er soeben unter akutem Sauerstoffmangel gesprochen und gedacht.
    „Und noch was“, fuhr Owen fort. „Josef sollte nicht grinsen.“
    „Ganz gewiss nicht“, stimmte ihm der Rector herzlich zu. Mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass wir in all den Jahren immer einen grinsenden Josef hatten.“
    „Und wer wäre deiner Meinung nach ein guter Josef, Owen?“ fragte Barb Wiggin ohne die Freundlichkeit einer Stewardess.
    Owen deutete auf mich; so schweigsam aus der Menge herausgehoben zu werden, noch dazu von Owens unbestrittener Autorität, ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen – in späteren Jahren dachte ich daran, dass ich von einem Auserwählten auserwählt worden war. Doch an diesem zweiten Adventssonntag, im Hauptschiff der Christ Church, war ich wütend auf Owen – nachdem sich meine Nackenhaare wieder gelegt hatten. Denn was ist das für eine langweilige Role; Josef – dieser glück-lose Mitläufer, der Statist, das fünfte Rad am Wagen.
    „Normalerweise wählen wir erst eine Maria aus“, meinte Barb Wiggin. „Und dann lassen wir Maria sich ihren Josef aussuchen.“
    „Nun“, gab Rev. Dudley Wiggin zurück, „dann lassen wir dieses Jahr eben Josef sich seine Maria aussuchen.! Nur keine Angst vor Veränderungen!“ fügte er herzlich hinzu, doch seine Frau ignorierte ihn.
    „Normalerweise fangen wir mit dem Engel an“, sagte Barb Wiggin. „Wir haben immer noch keinen Engel. Jetzt stehen wir da, haben einen Josef und noch keine Maria und noch keinen Engel!“ sagte sie. (Stewardessen sind ordentlich Leute, die sich am liebsten an einem vertrauten Schema orientieren.)
    „Also gut, wer möchte dieses Jahr in der Luft schweben?“ fragte der Rektor. „Erzähl ein bisschen, wie das Ganze von oben aussieht, Owen.“
    „Manchmal wird man von dem Apparat so gedreht, dass man mit dem Kopf in der falschen Richtung hängt“, warnte er seine potentiellen Nachfolger. „Manchmal schneidet der Gürtel ins Fleisch.“
    „Dem kann bestimmt abgeholfen werden“, meinte der Rector.
    „Und wenn man aus der „Lichtsäule“ rauskommt, ist es ganz schön dunkel dort oben“, fuhr Owen fort.
    Niemand meldete sich für die Rolle des Engels.
    „Und man muss sich einen ganz schön langen Text merken“, fügte er noch hinzu. „Ihr wisst ja: „Fürchtet Euch nicht; siehe, ich verkündige Euch große Freude .... denn Euch ist ... der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids ...“
    „Ist ja gut, Owen, das wissen wir schon“, unterbrach ihn Barb Wiggin.
    „Das ist gar nicht so einfach“, sagte Owen.
    „Vielleicht sollten wir zuerst unsere Maria auswählen, und dann zum Engel zurückkommen?“ schlug Rev. Mr. Wiggin vor.
    Barb Wiggin stand händeringend da.
    Doch wenn sie dachten, ich sei so dumm, mir meine Maria auszusuchen, dann konnten sie lange warten; das konnte ja nur schief gehen – wenn ich die Maria aussuchte. Denn was würden sie über mich und das Mädchen denken, das ich auswählte? Und was würden die Mädchen, die ich NICHT auswählte, von mir denken?
    „Mary Beth Baird war noch nie die Maria”, meinte Owen, “so wäre Mary Maria.“
    „JOSEF sucht Maria aus!“ sagte Barb Wiggin.
    „War ja nur ein Vorschlag“, meinte Owen.
    Doch wie konnte ich Mary Beth Baird die Rolle verwehren, nachdem sie ihr schon angeboten worden war? Mary Beth Baird war ein kräftiges, gesundes Ding, scheu, ungeschickt und nicht gerade eine Schönheit.
    „Ich war schon dreimal eine Taube“, nuschelte sie.
    „Dazu wollte ich sowieso noch was sagen“, sagte Owen. „Kein Mensch weiß, dass das Tauben sein sollen!“
    „Immer langsam – eins nach dem anderen“, unterbrach ihn Dudley Wiggin.
    „Erst soll Josef seine Maria aussuchen!“ sagte Barb Wiggin.
    „Mit Mary Beth wäre ich einverstanden“, sagte ich.
    „Also, Mary ist Maria!“ Mr. Wiggin war erleichtert. Mary Beth Baird bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Barb Wiggin bedeckte ebenfalls ihr Gesicht.
    „Und jetzt weiter, was ist mit den Tauben, Owen?“ fragte der Rector.
    „Einen Moment noch!“ keifte Barb Wiggin. „Zuerst will ich einen Engel.“
    Ehemalige Könige und Hirten saßen schweigend da; ehemalige Esel meldeten sich nicht – und die Esel bestanden aus zwei Teilen; der hintere Teil eines Esels bekam das Krippenspiel niemals zu sehen. Selbst die ehemaligen Hinterteile der Esel meldeten sich nicht für die Rolle des Engels. Selbst die ehemaligen Tauben ließen sich nicht aufscheuchen, die Rolle zu ergattern.
    „Der Engel ist doch sooo wichtig“, sagte der Rector. „Wir haben einen ganz besonderen Apparat, nur um ihn hochzuheben und herunter -zulassen, und - eine Zeitlang - hat der Engel die „Lichtsäule“ ganz für sich alleine. Alle Augen sind auf ihn gerichtet!“
    Der Gedanke, dass alle Augen auf den Engel gerichtet waren, ließ den Kindern in der Christ Church diese Rolle nicht eben verlockend erscheinen. Im hinteren Teil des Kirchenschiffes saß der pummelige Harold Crosby, der durch die Nähe zu dem riesigen Gemälde „Die Berufung der zwölf Apostel“ noch unbedeutender erschien als sonst, ja der völlig unscheinbar wirkte vor dieser Darstellung, wie Jesus seine Jünger auswählt. Nur selten waren alle Augen auf den dicken Harold Crosby gerichtet, der nicht so grotesk war, dass man ihn verspottete – oder auch nur wahrnahm – immerhin jedoch so blöde, dass er stets zurückgewiesen wurde, wenn er den kleinsten Versuch unternahm, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Also hielt sich Harold Crosby zurück. Er saß immer ganz hinten, er stand immer am Ende der Reihe, er redete nur, wenn er angesprochen wurde; er wollte in Ruhe gelassen werden, und meistens wurde er das auch. Schon seit mehreren Jahren spielte er perfekt das Hinterteil eines Esels; es war mit Sicherheit die einzige Rolle, die er haben wollte. Ich konnte sehen, dass er nervös war, weil Mr. Wiggins Forderung nach einem Engel mit allgemeinem Schweigen beantwortet wrude; vielleicht kam sich Harold Crosby angesichts des in seiner unmittelbaren Nähe hoch aufragenden Abbildes der Jünger etwas unpassend vor, oder vielleicht fürchtete er, dass der Rector – da sich keine Freiwilligen meldeten – bei seiner Suche nach dem Engel auf die weniger mutigen Kinder zurückgreifen würde, und (Gott behüte) was war, wenn Mr. Wiggin ihn auswählte?
    Harold Crosby lehnte sich mit seinem Stuhl zurück und schloss die Augen; entweder hatte er diese Art, sich zu verstecken, einem Strauß abgeschaut, oder er dachte, wenn es so aussah, als schlafe er, dann würde niemand von ihm verlangen, mehr als das Hinterteil eines Esels zu sein.
    „Irgend jemand muss den Engel spielen!“ sagte Barb Wiggin drohend. Da kippte Harold Crosby rücklings mit seinem Stuhl um; er machte alles nur noch schlimmer, als er versuchte, sein Gleichgewicht zu halten – indem er nach dem Rahmen des riesigen Bildes griff; dann ließ er von dem Gedanken ab, sich unter den Jüngern Christi zu begraben, und ließ sich einfach fallen. Wie die meisten Dinge, die Harold Crosby passierten, war auch dieser Sturz vor allem deshalb so erstaunlich, weil er sich so tolpatschig abspielte, und nicht, weil er besonders spektakulär gewesen wäre. Jedenfalls, nur der Rector besaß so wenig Einfühlungsvermögen, Harold Crosbys Unbeholfenheit mit einer freiwilligen Meldung zu verwechseln.
    „Gut, Harold, mein Junge!“ sagte der Rector. „Tapferer Kerl!“
    „Was?“ fragte Harold Crosby.
    “Jetzt haben wir unseren Engel”, sagte Mr. Wiggin fröhlich.
    „Was kommt als nächstes?“
    „Ich bin aber nicht schwindelfrei“, wandte Harold Crosby ein.
    „Um so tapferer von Dir!“ gab der Rector zurück. „Dies ist eine hervorragende Gelegenheit, sich den eigenen Ängsten zu stellen.“
    „Aber der Kran“, meinte Barb Wiggin. „Der Apparat ...“
    setzte sie an, doch der Rector brachte sie mit einer mahnenden Geste zum Schweigen. Du willst doch wohl nicht, dass sich der arme Junge wegen seines Gewichts schämen muss, besagte der Blick, den der Rector seiner Frau zuwarf, die Drähte und die Halterung machen das schon mit. Barb Wiggin funkelte ihren Mann an.
    „Und das mit den Tauben“, sagte Owen, und Barb Wiggin schloss die Augen; sie lehnte sich zwar nicht in ihrem Stuhl zurück, klammerte sich aber mit beiden Händen am Sitz fest.
    „Ach ja, Owen, was war mit den Tauben?“ griff Rector Wiggin die Frage auf.
    „Sie sehen aus, als kämen sie von einem anderen Stern“, erklärte Owen. „Kein Mensch weiß, was sie darstellen sollen.“
    „Es sind TAUBEN!“ sagte Barb Wiggin. „Jeder weiß doch wohl, was Tauben sind!“
    „Es sind Monstertauben!“ gab Owen zurück. „Sie sind halb so groß wie ein Esel. Was für eine Art Vogel soll das sein? Ein Vogel vom Mars? Sie jagen einem richtig Angst ein.“
    „Nicht jeder kann ein König oder Esel oder ein Hirte sein, Owen“, gab der Rector zu bedenken.
    „Aber niemand ist klein genug für eine Taube“, widersprach Owen, „und außerdem weiß kein Mensch, was die ganzen Papierstreifen sollen.“
    „Das sind FEDERN!“ stieß Barb Wiggin hervor.
    „Die Tauben sehen aus wie Ungetüme“, sagte Owen unbeirrbar. „Als hätten sie einen Stromschlag abgekriegt.“
    „Na ja, vielleicht waren ja noch andere Tiere an der Krippe“, überlegte Mr. Wiggin.
    „Ach, und du willst wohl die Kostüme machen?“ fragte Barb Wiggin ihn.
    „Immer mit der Ruhe“, erwiderte ihr Mann.
    „Kühe passen gut zu Eseln“, schlug Owen vor.
    „Kühe?“ fragte der Rector. „Nun ja, warum nicht?“
    „Und wer macht die Kuhkostüme?“ fragte Barb Wiggin.
    „Ich mach sie!“ sagte Mary Beth Baird. Sie hatte sich noch nie für etwas gemeldet; ganz offensichtlich hatte ihre Auserwählung zur Jungfrau Maria schlummernde Kräfte in ihr freigesetzt – hatte ihr zu dem Glauben verholfen, sie könne Wunder vollbringen oder zumindest Kuhkostüme nähen.
    „Gut, Mary!“ sagte der Rector.
    Doch Barb Wiggin und Harold Crosby schlossen die Augen; Harold schien es nicht gut zu gehen – er schien sich gleich übergeben zu müssen, und sein Gesicht nahm die limonengrüne Farbe des Grases zu Füßen der Jünger Jesu an, die drohend über ihm schwebten.
    „Eine Sache noch“, sagte Owen Meany. Wir wandten uns ihm zu. „Das Jesuskind“, sagte er, und wir Kinder nickten beifällig.
    „Was ist mit dem Jesuskind?“ fragte Barb Wiggin.
    „Die ganzen Babies“, meinte Owen. „Nur, damit eins in der Krippe liegt, das nicht schreit – brauchen wir wirklich die ganzen Babies?“
    „Aber so steht es doch im Lied“, belehrte ihn der Rector. „Vom kleinen Herrn Jesus ertönet kein Laut.“
    „Ja, schon“, gab Owen zu. „Aber die ganzen Babies – von denen ertönen jede Menge Laute, sogar die Zuschauer hören es. Und die ganzen Erwachsenen!“ fuhr er fort. „All die großen Leute, die die Babies hin- und herreichen. Sie sind so groß – sie sehen einfach lächerlich aus. Wir sehen neben denen lächerlich aus.“
    „Kennst Du denn ein Baby, das nicht schreit?“ fragte ihn Barb Wiggin – und natürlich wusste sie, sobald sie die Frage gestellt hatte .... dass er sie drangekriegt hatte.
    „Ich kenne jemanden, der in die Krippe passt“, sagte Owen. „Jemanden, der so klein ist, dass er wie ein Baby aussieht“, meinte er. „Jemanden, der so alt ist, dass er nicht mehr schreit.“
    Mary Beth Baird konnte sich nicht mehr beherrschen! „Owen kann das Jesuskind spielen!“ schrie sie. Owen Meany lächelte und zuckte mit den Schultern.
    „Jedenfalls passe ich in die Krippe“, sagte er bescheiden.
    Harold Crosby konnte sich auch nicht mehr halten; er übergab sich. Er übergab sich so oft, dass kaum jemand darauf achtete, und schon gar nicht jetzt, da Owen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit besaß.
    „Und außerdem können wir ihn hochheben!“ Mary Beth Baird war ganz aufgeregt.
    „Das Jesuskind wurde noch nie hochgehoben!“ entgegnete Barb Wiggin.
    „Na ja, ich meine, wenn wir müssen, wenn uns danach ist“, sagte Mary Beth Baird.
    „Also, wenn alle wollen, dass ich es mache, dann gut“, sagte Owen.
    „Ja!“ riefen die Könige und die Hirten.
    „Owen soll es machen!“ sagten die Esel und die Kühe – die ehemaligen Tauben.
    Die Entscheidung wurde mit allgemeiner Begeisterung aufgenommen, doch Barb Wiggin sah Owen an, als müsse sie ihre Meinung, wie „goldig“ Owen war, noch einmal überdenken, und der Rector beobachtete Owen mit einer Ehrfurcht, die überhaupt nicht zu einem Expiloten passte. Rev. Mr. Wiggin, ein Veteran in Sachen Krippenspiel, sah Owen Meany mit tiefem Respekt an – als habe er das Christuskind schon hundertmal kommen und gehen sehen, sei aber noch nie einem Jesuskind begegnet, das sich so trefflich für die Rolle eignete.
    Schon bei der zweiten Probe des Krippenspiels beschloss Owen, dass die Krippe, in die er – nur knapp – passte, unnötig war. Dudley Wiggin stützte seine Ansicht über das Verhalten des Jesuskindes auf das Weihnachtslied „In einem armen Stalle“, das nur zwei Strophen hat.
    Dieses Lied war der Grund für die Ansicht von Rev. Mr. Wiggin, dass der Kleine Herr Jesus keinen Laut von sich geben dürfe.


    Die Kü – he, sie mu-hen, das Kind-lein, es schaut
    Doch vom Klei-nen Herrn Je-sus er-tö-net kein Laut.


    Wenn Mr. Wiggin solchen Wert auf die zweite Strophe von „In einem armen Stalle“ legte, argumentierte Owen, sollten wir uns auch nach der ersten Strophe richten.
    „Da steht doch gar nichts von einer Krippe, warum brauchen wir dann eine?“ fragte Owen. Ganz offensichtlich fand er die Krippe zu beengend. „In einem armen Stalle, da lieget gar froh/der kleine Herr Jesus, auf Heu und auf Stroh!“ sang er.
    So bekam Owen wieder einmal seinen Willen; „auf Heu und auf Stroh“ würde er liegen, und sogleich begann er, das Heu auf der Bühne so zusammenzulegen, dass er es garantiert bequem hatte und genügend hoch und nach vorn geneigt liegen würde – so dass ihn auch wirklich jeder im Publikum sehen konnte.
    „Und noch was“, gab Owen uns einen weiteren Ratschlag. „Ist Euch aufgefallen, wie das Lied geht: die Kühe, sie muhen“ “? Ist doch gut, dass wir Kühe haben, die Tauben könnten nicht so schön „muhen“.“
    Wenn das wirklich Kühe waren, die wir da hatten, dann brauchte man genauso viel Vorstellungskraft wie vorher bei den Tauben, um sie als solche zu erkennen. Mary Beth Baird mochte zwar durch die Beförderung zur Jungfrau Maria inspiriert worden sein, die Kuhkostüme zu nähen, doch bei der konkreten Herstellung dieser Kostüme hatte ihr die Heilige Mutter göttlichen Rat und göttliche Hilfe versagt. Mary Beth Baird schien alle möglichen Vorstellungen von Weihnachten durcheinandergebracht zu haben; ihre Kühe hatten keine Hörner, sondern Geweihe – richtiggehende Gestelle, die eher zu Rentieren passten, an die Mary Beth möglicherweise sogar gedacht hatte. Schlimmer noch, die Geweihe waren weich, das heißt, sie bestanden aus schlaffem Material, und deshalb fielen diese „Hörner“ den Kühen ständig ins Gesicht – und versperrten ihnen damit die ohnehin schon eingeschränkte Sicht, wodurch noch mehr Verwirrung als sonst auf der Bühne entstand: Kühe trampelten aufeinander, Kühe stießen mit Eseln zusammen, Kühe rempelten Könige und Hirten an.
    „Diese Kühe, wenn das welche sein sollen“, bemerkte Barb Wiggin, „sollten an ihrem Ort bleiben und NICHT herumlaufen – keinen Schritt. Wir wollen ja nicht, dass sie auf das Jesuskind trampeln, oder?“ Ein irres Leuchten in ihren Augen schien darauf hinzudeuten, dass sie es als eine Art göttliches Ereignis betrachten würde, wenn auf dem Jesuskind herumgetrampelt würde, doch Owen, der sowieso ständig Angst hatten, dass man auf ihn trat – besonders jetzt, da er ausgestreckt und hilflos im Heu lag – stimmte ihren Bedenken wegen der Kühe zu.
    „Ihr Kühe, merkt Euch eins. Ihr sollt „muhen“, und nicht rumtrampeln.“
    „Ich will weder muhende noch trampelnde Kühe haben“, sagte Barb Wiggin. „Ich will die Lieder hören können, und das Evangelium. Ich will kein „Muhen“.“
    „Letztes Jahr haben Sie aber die Tauben gurren lassen“, erinnerte Owen sie.
    „Dies ist aber nicht letztes Jahr“, gab Barb Wiggin zurück.
    „Langsam, immer mit der Ruhe“, beschwichtigte sie der Rector.



    ....




    Allen, die nicht wissen, aus welchem genialen Meisterwerk und (künftigem) Klassiker dieser Ausschnitt stammt, werde ich es gern verraten :zwinker:


    Nimue - ich hoffe, Du bist mir nicht böse, dass ich soviel Platz beansprucht habe; Du kannst den Text ja nach Weihnachten gern wieder löschen ....
    :breitgrins:


    :winken:


    Daniela

    Hallo - Ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr meine "russische Leseperiode" und lese immer wieder andere und immer wieder neu Dostojewski - dank ihm auch schon zwei Tolstoi und ich habe mir die Toten Seelen von Gogol vorgenommen.
    Aber demnächst werde ich wohl mal Dr. Schiwago lesen, im Geiste immer die Augen von Omar Sharif vor Augen. Bin mal gespannt, wie nach dem Film das Buch bei mir ankommt.
    In umgekehrter Reihenfolge bin ich meist enttäuscht.


    :winken:


    Daniela

    Hallo - habt Ihr noch vor, einen "Jugendklassiker" nochmal zu lesen? Bei Tom Sawyer wäre ich dabei. Ich habe das Buch geliebt, die Filme (in meiner Jugend mit Marc di Napoli als Huckleberry Finn, nicht die Neuverfilmung) ebenfalls.
    Vor einigen Wochen wollte ich das Buch mit meinen Kindern lesen (9+12Jahre alt) - sie waren nicht sonderlich interessiert ....


    Ich habe damals auch die Schatzinsel gelesen, das muss wohl aber die Erwachsenenausgabe gewesen sein: )
    Ansonsten Angélique!! Ich glaube alle neun Bände die wir hatten - das war zwar alles nicht sehr jugendlich, hat mich aber trotzdem gefesselt.


    Eines der interessantesten Bücher - in meiner Schulzeit Pflichtlektüre - war Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger.


    Auch den würde ich jederzeit nochmal lesen.
    :winken:
    Daniela

    Hallo
    Mir ist sogar selbst noch ein "Einfluss" von Werther eingefallen ... einige Jahre nach Erscheinen der Leiden des jungen Werther hat sich Ulrich Plenzdorf inspirieren lassen und ihm sind die "Neuen Leiden des jungen Werther" eingefallen.
    So kann Literatur auch Literatur beeinflussen :zwinker:


    :winken:
    Daniela

    Hallo Maria


    Der Herr Fontane spricht mir aus der Seele - wenn ich lese, und zwar fast ausschließlich Romane, tauche ich immer ab in die beschriebene Welt. Deswegen brauche ich auch einzigartige Bücher, nicht diese "ich habe alle Elizabeth George gelesen ..." - es sind große Geschichten, die mich fesseln und wenn ich neben meiner Arbeit und auch Nicht-Arbeit Zeit zum Nachdenken habe, drehen sich meine Gedanken um die aktuelle Geschichte, die ich lese. Deshalb auch kann ich nicht, wie offensichtlich so viele, mehrere Bücher gleichzeitig lesen und schon gar nicht "quer", dann lasse ich es lieber.
    Und wenn ein Buch beendet ist, brauche ich fast immer einige Tage Pause, bevor ich das nächste beginnen kann.
    liebe Grüße
    :winken:
    Daniela

    Hallo - ich bin erstaunt, dass diese Diskussionsrunde so lange Pause gemacht hat .. es ist doch vielleicht die interessanteste Frage im Zusammenhang mit Literatur.
    Abgesehen von dem Einfluss einiger für mich wichtiger Bücher auf mich persönlich ist mir sofort Goethes Werther eingefallen. Als wir ihn damals in der Schule lesen mussten, wofür ich sehr dankbar bin, hat unsere Lehrerin uns erklärt, dass das Buch seinerzeit eine enorme Wirkung hatte ... Wertheranhänger überall, die ihm nacheiferten ... ich habe jetzt nochmal nachgelesen und Folgendes gefunden:
    "Nach der Veröffentlichung des "Werther" gab es eine Selbstmordwelle im Stil Werthers. "
    (Dies haben Schüler nach der Lektüre u. a. ausgearbeitet) ..wenn das kein Einfluss ist : )
    :winken:
    Daniela

    Hallo - der große John Irving hat in seinem größten Buch ( :smile: ) Owen Meany über Tess geschrieben und zwar in Person des besten Freundes von Owen Meany, der (erwachsen) nach Kanada gezogen und Lehrer geworden ist, an einer Mädchen High School, wenn ich es jetzt noch richtig in Erinnerung habe. Die Girlies an der Schule mussten/durften Tess als Lektüre lesen und besagter Lehrer fand diesen Stoff eigentlich zu schwer für die Jugendlichen.


    :winken:
    Daniela

    Hallo ... für mich immer wieder Dostojewski, wobei ich denke, die Bezeichnung "Romancier" ist zu flach für ihn.
    Aus der langen langen Liste von Sandhofer kenne ich nicht viele ... von Tolstoi habe ich nur Iwan Iljitsch und Anna Karenina gelesen, beides wahre Meisterwerke.
    :winken:
    Daniela