Beiträge von uhu

    Wir waren im Januar in Venedig. An einem leicht regnerischen, nebligen Sonntag sind wir nach San Michele hinausgefahren, der Friedhofsinsel. Die Stimmung passte sehr gut zu einem Friedhofsbesuch. Nach einem langen Spaziergang haben wir in einem abgelegenen Teil schliesslich die Gräber von Ezra Pound und seiner Partnerin gefunden. Mehr zufällig sind wir dabei praktisch über das Grab von Joseph Brodsky gestolpert, den ich bislang nur dem Namen nach kannte. Zur Zeit lese ich Watermark, Brodskys wunderbare Liebeserklärung an Venedig mit vielen sehr scharfsinnigen Beobachtungen über die Stadt, die Brodsky so ausgezeichnet in dichterische Worte zu fassen vermag. Hier eine Kostprobe:


    "In winter you wake up in the city, especially on Sundays, to the chiming of its innumerable bells, as though behind your gauze curtains a gigantic china teaset were vibrating on a silver tray in the pearl-gray sky."


    Schönen Abend!


    Uhu

    Ich kann diese Interpretation gut nachvollziehen. Für "Aggressivität" und "Sozialität" liesse sich wohl auch Logos und Eros oder einfach männlich und weiblich setzen.


    Zu ähnlichen Schlüssen betr. das Sonnenlicht kommt Irene Gerber-Münch in ihrem Buch Goethes Faust - Eine tiefenpsychologische Studie über den Mythos des modernen Menschen: Die Konfrontation mit dem ewigen Wissen, für welches symbolisch die Sonne steht, birgt die Gefahr der Inflation in sich. Hier bewahrheitet sich Mephistos Aussage in Vers 2050: "Dir wird gewiss einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!" Sodann ist die Abkehr nicht nur negativ (i.S. der Abwendung vom Licht) zu verstehen, sondern (mit der Sonne im Rücken, V. 4715) auch positiv, in der Hinwendung zum eigenen Schatten.

    Schade, dass der Jung-Thread abgerissen ist. Ich nehme ihn hiermit wieder auf.


    Als Jung-Einstieg würde ich fast eher noch das folgende Werk von Jolande Jacobi, einer anderen Schülerin von Jung, empfehlen: Die Psychologie von C.G. Jung, erhältlich als Fischer-Taschenbuch. Jung schreibt in seinem Geleitwort dazu:


    "Damit ist eine Synopsis zustande gekommen, die alle wesentlichen Punkte umfasst oder wenigstens berührt, sodass es dem Leser ermöglicht ist [...], sich auf kürzestem Wege über alles Wünschenswerte zu orientieren."


    Jacobi schreibt sodann in Komplex Archetypus Symbol über drei Grundbegriffe der Jung'schen Tiefenpsychologie. Dieses Werk ist aber m.W. nur noch antiquarisch erhältlich.

    Ich bin beim Stöbern auf diesen Thread gestossen und ich masse mir nicht an, die Frage nach den zehn wichtigsten Autoren der Weltliteratur beantworten zu können (oder auch nur zu wollen): "... das ist ein zu weites Feld".


    Informativ zumindest für die westliche Hemisphäre: Harold Bloom, The Western Canon - The Books and School of the Ages (wenn auch nach meiner Meinung etwas zu sehr auf den angelsächsischen Bereich ausgerichtet).


    Hallo !


    Ich muß sagen, dass ich ziemlich enttäuscht war ...


    Die Bilder, die Fitzgerald im "Gatsby" benutzt, sind ziemlich eindeutig und auch das vordergründige Thema "Liebe vs. Geld" beeindruckte mich nicht sonderlich. Schade fand ich auch, dass eben nur ein sehr begrenzter Ausschnitt dieser Generation bzw. dieses Lebensgefühls beschrieben werden. Vielleicht ist aber auch die Kälte, die mich etwas abgeschreckt hat, beabsichtigt und spiegelt das damalige Lebensgefühl wider ?


    Ich kann die Enttäuschung bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, auch wenn mich das Buch vollständig in Bann geschlagen hat, als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal las.


    Für mich ist das Buch auch heute noch ein gutes Zeitzeugnis, mit Brillanz geschrieben. Allerdings ist es richtig, dass sich dieses Werk einem bestimmten Teil der betreffenden Generation, nämlich den Reichen und den Schönen widmet. Das erweckt z.T. den Eindruck einer Verherrlichung (und ist vielleicht auch so gemeint). Es ist m.E. für einen Autor aber legitim, sich auf einen Ausschnitt zu beschränken, v.a. bei einem doch recht kurzen Werk. Dass andere Probleme dieser Generation nicht zur Sprache kommen, darf man Fitzgerald meiner Meinung nach nicht vorwerfen. Es gibt andere Autoren, die diese Lücke füllen, z.B. Steinbeck (dessen Grapes of Wrath, an das ich gerade gedacht habe, zugegebenermassen zeitlich an die Roaring Twenties des Gatsby anschliesst).


    Uhu

    Ich habe Die Insel zufolge der hier gewalteten Diskussion wieder aus dem Büchergestell genommen. Ich fand das Buch schon schwer verdaulich, als ich es vor ein paar Jahren zum ersten Mal las. Und es geht mir heute nicht besser. Bei diesem Werk habe ich nun Mühe mit der Komposition und der "Aus- und Weitschweifigkeit". Bin aber erst auf Seite 58 und will noch etwas durchhalten.

    Kein Problem, die Diskussion ist ja vom eigentlichen Thema meinetwegen etwas abgekommen.


    Die Aussage der zitierten Rezension, das "Verschwinden" der geheimnissvollen Portugiesin schade der Architektur des Buches, kann ich nicht nachvollziehen. Die Frau ist ein Katalysator, mehr nicht. Sie gibt den Ausschlag für Gregorius' Wegfahren und Ausbrechen. Sie gibt ihm ein Ziel.


    Uhu

    Ich gehe nicht früher raus. Ich gehe gar nicht mehr erst hin!


    Niemand käme auf die Idee, die Mona Lisa mit Leuchtfarben zu übermalen, damit sie in einem "zeitgerechten" Look daherkommt. Nur die Regisseure glauben, Stücke bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln und verändern zu dürfen, um sie heutigen Verhältnissen anzupassen und eine eigene Botschaft rüberzubringen. Ich brauche in "Romeo und Julia" nicht eine Bettszene statt einer Balkonszene. Ich habe mich daher aufs Lesen verlegt.

    Die Frage lässt sich immer stellen, aber beantworten lässt sie sich in vielen Fällen nicht oder nur mit: "Banales." ... :winken:


    Ein doch recht pauschales Urteil, wenn es auf Eco gemünzt sein sollte. Ich finde die Story gut, auch das historische Umfeld gut erfasst und in die Geschichte integriert, Ecos Charakterdarstellungen vortrefflich und der Aufbau der geheimnisvollen Bibliothek genial (wenn auch von Borges inspiriert).


    Aber vergessen wir nicht: in der Populärkultur (kurz: Pop) ist es noch nicht so lange her, dass Lieder prinzipiell eingedeutscht wurden. Es gibt ja sogar noch die frühen Beatles auf Deutsch ...


    Ob die heutige Tendenz besser ist? :?:


    Eingedeutschte Pop-Texte? Beatles in deutsch (wenn man das denn deutsch nennen will)? :angst: Da ist mir die neue Tendenz eindeutig lieber. Abgesehen davon: "noch nicht so lange her" ist für die Beatles doch schon an die 50 Jahre!


    Uhu

    Es ist eigentlich erstaunlich, wie wir leichthin eine Übersetzung als "gegeben" hinnehmen, obwohl (und vielleicht gerade weil) wir keine Ahnung haben, wie gut die Übersetzung an den Originaltext herankommt. Ein Beispiel: ich habe im Zusammenhang mit mehreren Japanreisen in letzter Zeit einiges an japanischer Literatur gelesen. Seit ich ein bisschen mehr über diese Sprache weiss, v.a. wie grundsätzlich anders sie aufgebaut ist als Sprachen, die ich kenne, beschleicht mich manchmal schon ein etwas mulmiges Gefühl, wenn ich ein Werk eines japanischen Autors deutsch lese.


    Ich gehe davon aus, dass ein Übersetzer, der sich frisch an ein neues Werk wagt, versucht, ein besseres Produkt zu schaffen. Das scheint mir legitim. Ich lese zur Zeit eine englischsprachige Interpretation des Faust II. Der Autor weist darauf hin, dass es von diesem Werk zwar - Irrtum vorbehalten - 4 Übersetzungen ins Englische gibt. Er macht dann die Feststellung, dass eigentlich keine einzige lesbar ist. Wieso soll das bei Werken, die ins Deutsche übersetzt werden, anders sein?


    Wieso moderne Übersetzungen den Blick auf klassische Texte verstellen soll, verstehe ich nicht (und unterstelle dem Übersetzer, dass er eigene politische, religiöse etc. Einstellungen bei der Arbeit einigermassen auszublenden vermag).


    Gruss


    Uhu

    Was aber ist der Inhalt?


    Abgesehen davon, dass mir das Buch beim zweiten Lesen nicht zerbröselt ist (vielleicht empfiehlt es sich, die gebundene Ausgabe zu lesen :zwinker:) für heute nur so viel: Diese Frage liesse sich wohl trefflich bei manchem Buch der Belletristik stellen.

    Der Name der Rose ist ein Buch, das bei einer Zweitlektüre jämmerlich in sich zusammenfällt. Professorenliteratur: Eco weiss ganz genau, wie ein Roman konstruiert sein muss, und er folgt der Bastelanleitung getreulich. Mit dem Resultat, dass man bei einer Zweitlektüre sieht, wie schlecht die Scharniere verkleidet sind, wo der Konstrukteur den Zirkel eingesteckt hat etc. etc.


    Das kann auch ich nicht unterschreiben! Ich habe den Roman zweimal gelesen und er hat mich beidesmal fasziniert. Das zweite Mal eher noch mehr: Da beim zweiten Lesen das Krimi-Element unwichtiger wird (die Frage whodunnit ist ja schon beantwortet), kann man sich mich mehr auf den Inhalt konzentrieren.


    Dagegen rate ich von der Verfilmung ab. Ich hab' sie mir nur angeschaut, weil Sean Connery einer meiner Lieblingsschauspieler ist. Wieso der immer wieder in so schlechten Filmen mitspielt, ist mir rätselhaft.


    Schönen Abend

    Hier ein paar weitere Vorschläge:


    Das Meer in gefrorenem Zustand: Ransmayrs Die Schrecken des Eises und der Finsternis


    Und wer's lieber etwas wärmer mag: In the South Seas von R.L. Stevenson (deutsch: In der Südsee)


    Schon genannt wurde Jules Verne als Autor, aber nicht dessen Werk Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren


    Gruss


    Uhu