Beiträge von uhu

    [quote='Sir Thomas','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=29390#post29390']
    „Allgemeinere Bedeutung: Eine Liebe, die nach gewöhnlichen Maßstäben nicht vernünftig ist, da sie entweder keine Aussicht auf Bestand hat, ...“


    Wie andere Autoren auch bin ich der Meinung, dass hier der Begriff der "amour fou" zum Teil etwas überdehnt wird. In meinen Augen ist nicht jede Liebesbeziehung, die tragisch endet, ist eine "amour fou". Ich würde daher die Faust-Gretchen-Geschichte ebenfalls nicht unbedingt unter diese Kategorie einordnen.


    Folgt man der oben zitierten allgemeineren Bedeutung des Begriffes, ist sicher Gottfried Kellers "Romeo und Julia auf dem Dorfe" zu nennen. Das Pärchen geht am Schluss der Novelle in den Selbstmord, weil die Liebe aufgrund äusserer Umstände nicht fortbestehen (bzw. nicht fortgelebt werden) kann.


    Uhu

    Habe gerade die Beiträge unter diesem Betreff gelesen. Auch wenn hier schon eine ganze Weile nichts mehr gelaufen ist, ein weiterer Beitrag:


    Mein klarer Favorit ist "Maria Stuart". So macht Dramen Lesen Spass. Ich habe vor vielen Jahren auch eine sehr gute Aufführung gesehen - als die Klassiker noch so gespielt wurden, wie sie geschrieben worden waren, und die Hauptdarsteller noch nicht in Lederjacken und Miniröcken, mit Tatoos und Handys etc. auftraten.


    Unerwähnt geblieben ist, wenn ich das richtig gesehen habe, bislang der "Wallenstein". Das ist zwar etwas ein Brocken, lohnt sich aber in Portionen aufgeteilt allemal.


    Uhu

    Das "Wettfasten" kenne ich auch, ziemlich unterhaltsam. Es liegt aber m.E. am anderen Endes des Schaffensspektrums von Spitteler. Auf "Prometheus und Epimetheus" bin ich durch C.G. Jung gestossen, der das Werk verschiedentlich zitiert und ihm auch eine eigene Abhandlung gewidmet hat ("Das Typenproblem in der Dichtkunst - Carl Spittelers Prometheus und Epimetheus", GW 6, §§ 275ff.).

    Immerhin hat Goethe die Arbeiten am Faust II aufgenommen, lange bevor Faust I 1806 beendet war. So existiert ein Schema zur "Weiterdichtung" vom Juni 1797 (da war Goethe zugegebenermassen schon etwas älter als 20). Mit dem dritten Akt zu Faust II hat er 1800 begonnen.

    Guten Abend!


    Ich habe im Verlaufe des letzten Jahres Spittelers "Prometheus und Epimetheus" gelesen, ein über lange Passagen hinweg ein sehr poetischer Text, der mir ausserordentlich gut gefallen hat. Aber manchmal hat das Buch für mich mehr als sieben Siegel.


    Wer hat das Buch gelesen? Ich würde mich gerne mit ihr/ihm austauschen.


    Uhu

    Zugegeben, meine Aussage war etwas absolut formuliert! Ich relativiere: seine wirkliche Bedeutung erlangt er für mich erst im Zusammenhang mit Teil II. Ich glaube aber, man muss auch aufpassen, die Gesamtbetrachtung der beiden Werke nur dem alten Goethe zuzuschreiben. Immerhin äussert er sich in einem Brief an Zelter vom 1. Juni 1831 wie folgt: "Es ist keine Kleinigkeit, das, was man im 20. Jahre konzipiert hat, im 82. ausser sich darzustellen."

    Guten abend


    Ich kann Sandhofer nur zustimmen. Die Stelle bei Eckermann ist 6.6.1831. Ein Fragment ist - schon vom Begriff her - etwas Unvollständiges. Zumindest Goethe hat nichts Unvollständiges in seinem Werk gesehen, sonst hätte er sich nicht so gegenüber Eckermann geäussert. Die postume Veröffentlichung war gewollt.


    Um noch etwas zu provozieren: Faust I, für sich allein genommen, hat sicherlich hohen dichterischen Wert. Seine wirkliche Bedeutung erlangt er aber erst im Zusammenhang mit Teil II. Faust macht eine Entwicklung durch, und zwar über die beiden Teile hinweg. Dass die beiden Teile zusammengehören, ergibt sich - wie schon erwähnt - auch daraus, dass im zweiten Teil nicht nur ganze Teile (wie v.a. die Walpurgisnacht) parallel vorkommen, sondern auch unzählige Fäden wieder aufgenommen werden, die schon im ersten Teil ausgelegt wurden. Beispiele:


    - Die Bedrohung, die von der Gottähnlichkeit (Inflation) ausgeht, V 4708 (vgl. V 2049)
    - Das erneute Auftauchen Wotans in V 5801 und V 10677 (vgl. V 2491ff.)
    - Referenz zur Hexenküche im ersten Teil in V 6229
    - "Verweile doch, du bist so schön!" (V 11582 bzw. V 1699)
    - "Die Uhr steht still - " in V 11592 und der entsprechende Text in V 1705


    Schönen Abend!


    Uhu

    Guten Abend


    Ein Fragment bezeichnet ein Bruchstück, etwas, das unvollendet geblieben ist. Und das ist der Faust nun gerade nicht. Ich denke, dass es bezeichnend ist, dass Goethe nicht nur sein Werk, sondern auch sein Leben als vollendet betrachtete, nachdem er den Faust beendet hatte. (Eckermann, Gespräche mit Goethe, 6.6.1831)


    Selbstverständlich kann man auch nur den ersten Teil lesen. Die Behauptung, Faust II habe mit Faust I nichts mehr zu tun, möchte ich aber in Abrede stellen. Faust muss seinen Weg voranschreiten. Er kann nicht dort stehenbleiben, wo er am Schluss von Faust I steht, mit Gretchen auf dem Gewissen. Der Zusammenhang zwischen den beiden Teilen zeigt sich sodann an dem, dass im zweiten Teil immer wieder Bezüge zum ersten hergestellt werden, nicht zuletzt durch Gegensätzliches (romantische Walpurgisnacht - klassische Walpurgisnacht z.B.) oder den Verlauf von Gretchen zu Helena zu Sophia (mater gloriosa).


    Schönes Wochenende!


    Uhu

    Guten Abend


    vielleicht kann ich die Diskussion zum Faust mit einem neuen Beitrag wieder in Gang bringen, wäre spannend.


    Ich denke, es lohnt sich unbedingt, nach dem ersten auch den zweiten Teil in Angriff zu nehmen. Die Gretchen-Tragödie führt keineswegs dazu, dass die von Pius gestellten Fragen in den Hintergrund treten. Goethe hat sie bestimmt nicht vergessen. Im Gegenteil: die im ersten Teil begonnene Geschichte ist noch lange nicht zu Ende (und auch Gretchen hat im zweiten Teil nochmals einen Auftritt).


    M.E. steht Faust zu Beginn des ersten Teils inmitten einer Midlife Crisis. Diese lebt er zuerst einmal auf der Genuss- und Triebebene aus, was zur Katastrophe führt. Erst der zweite Teil des Werkes - an dem ich gerade selbst intensiv zu beissen habe - bringt die (Er-)Lösung. C.G. Jung sagt das - stark verkürzt - etwa so: Man(n) muss den weiblichen Aspekt in sich selbst suchen, nicht ausser sich, um sich selbst zu werden (V. 12110-12111: "Das Ewig-Weibliche/Zieht uns hinan.").


    Auf bald hoffentlich


    Uhu

    Also wenn der "Grüne Heinrich" noch immer ungelesen ist: ich empfehle dringend die Urfassung. Keller ist im Alter etwas prüde geworden und hat die schönsten Stellen zensuriert.


    Beste Grüsse


    Uhu