Hallo Hubert,
erst einmal freut es mich, daß ich einen weiteren Liebhaber der Brechtschen Lyrik gefunden habe. Allzu oft wird diese nämlich bestenfalls mitleidig belächelt ("Brecht, daß ist doch dieser verkappte Sozi") und diesen Standpunkt teile ich überhaupt nicht und zwar nicht erst, seitdem mir Gedicht 'Gegen Verführung' 13 Punkte im mündl. Abitur gebracht haben :zwinker:
Rocklyrics oder Texte von Liedermachern fände ich auch sehr interessant, besonders weil ich mir schon mehrmals überlegt hat, ob und wie es möglich wäre, in der Schule in einer Lyrikreihe auch mal diese Form mit einfließen zu lassen.
Ich hoffe, Dein Ärger über die 'echten' Klassiker ist inzwischen verflogen und ich wollte hier ganz sicher keine neuerliche Grundsatzdefinition anzetteln, da mir die bisher verwandte Definition durchaus sehr plausibel und allgemein auch gut anwendbar ist. Brecht erachte ich aber als einen kritischen Fall. Das 'echt' habe ich daher bewußt in Anführungszeichen gesetzt, weil ich damit deutlich machen wollte, daß Brecht nach der hier benutzten Definition noch kein Klassiker ist, aber für meine Begriffe den Rahmen der zeitgenössischen Literatur auch schon eher hinter sich gelassen hat. Gerade bei Brecht, aber sicherlich auch bei anderen Autoren, lassen sich nämlich meiner Ansicht nach Punkte festmachen, die anzeigen, daß er eben nicht mehr so wirklich zeitgenössisch ist. So ist z.B. die Idee des Klassenkampfes, der ein zentrales Element vieler Texte Brechts ist, heute eigentlich kein so großes Thema mehr, sondern, wenn auch nicht gelöst, so ist dieses Problem zumindest in der Brechtschen Form weitesgehend zu den Akten gelegt worden.
Ich habe es in einem Praktikum bereits einmal ausprobiert und diese Problemstellung oder auch die Idee des Marximus ist den heutigen Schülern zumindest nicht mehr wirklich präsent und ich fürchte, diese Beobachtung läßt sich auch auf weite Teile der Bevölkerung ausdehnen.
In dieser Hinsicht war zumindest für die Schüler der Zugang zu Brecht ähnlich schwierig, wie zu Goethe oder Lessing, die auch mit einem gewissen Unverständnis aufgenommen wurden. Zwar war die Brechtsche Sprache ihnen näher, aber die Thematik war nicht mehr in ihrem Bewußtsein.
Auf dieser direkten Ebene trifft Brecht also wohl nicht mehr das aktuelle Empfinden und deshalb tue ich mich schwer, viele seiner Texte noch als zeitgenössisch aufzufassen.
In wieweit es trotzdem sinnvoll ist, Brecht auch und gerade in der Schule zu lesen, möchte ich hier jetzt eigentlich nicht eingehen, denn es würde wohl zu weit vom eigentlichen Thema abweichen.
Aufgrund dieser Differenzen habe ich das in Anführungsstriche gesetzte 'echt' gebraucht. Klassiker in Lauerstellung würde es vielleicht besser treffen :zwinker:
Allerdings erwächst in mir jetzt gerade die Frage, ob es für die Zukunft vielleicht sinnvoll sein könnte eine weitere Kategorie zwischen Klassiker und zeitgenössischer Literatur einzusetzen. Denn an meinen Ausführungen, sofern ich darin keinen groben Denkfehler begangen habe, meine ich zu erkennen, daß Brecht sicherlich noch kein Klassiker ist, aber eben auch nicht mehr wirklich zeitgenössisch, sprich kein echter Genosse der aktuellen Zeit, nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist entsprechend ist. Stellt sich die Frage: Wenn er vielleicht beides nicht mehr oder noch nicht ist, was ist er dann...
Gruß
Berch
P.S.: Ich werde mich bemühen meine Vater für eine mögliche Liedermacherinterpretaion ins Boot zu holen. Er hat zumindest eine, wenn auch nicht immer beabsichtigte, humorvolle Komponente... :zwinker: