Februar 2004: Walter Scott -Ivanhoe

  • Hallo zusammen!


    Wenn ich so Revue passieren lasse, was mir von "Ivanhoe" am meisten Eindruck gemacht hat, muss ich sagen, es ist die schöne Jüdin. M.M. die heimliche Hauptfigur des Romans.


    Während Scott im Streit zwischen Angelsachsen und Normannen eigentlich den Streit zwischen Engländern und Franzosen schildert, und dort eindeutig eine Position Pro-England einnimmt, ist er in der Schilderung der Jüdin erstaunlich vorurteilsfrei. Sie ist schön - so schön, dass sie der Tempelherr der Angelächsin vorzieht. Sie ist äusserst gebildet - ihre medizinischen Kenntnisse übertreffen nicht nur die der Christen (zu jener Zeit problemlos möglich) sondern auch die ihrer männlichen Glaubensgenossen. Ihr Mut bei der Konfrontation mit dem Tempelherrn macht diese Szene wohl zum Höhepunkt des Romans. Last but not least: Ihre letzten Endes unerfüllbare Liebe macht aus ihr auch eine tragisch-heroische Gestalt.


    Ich stecke ja immer noch im "Herz von Midlothian" des gleichen Autors. Auch da will mir scheinen, dass Scott die weiblichen Protagonisten besser gelungen sind als die männlichen, die Leute aus dem 'Volk' besser als höher gestellte Personen. (Obwohl er im "Herz" wohl differenzierter zeichnet als in "Ivanhoe".)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo sandhofer !


    Doch ich bin ja noch immer mittendrin und komme nur im Schneckentempo voran.


    Leider bin ich immer noch nicht sehr weit gekommen, ich bin erst beim 29. Kapitel. Irgendwie schaffe ich es nicht, mehr wie 10 Seiten am Stück zu lesen. Die Handlung fesselt mich nicht richtig - all die Täuschungen und Verkleidungen, ächz ! Dann unterbricht Scott wieder, um recht pingelig seine Quellen zu zitieren oder ein paar Bemerkungen einfließen zu lassen. Nein, ich weiß nicht, das Ganze mag damals ziemlich neu und spannend gewesen sein, vielleicht auch aktueller angesichts des Sieges über den französischen Erzfeind.


    Der "abgetauchte" Ivanhoe verkörpert wohl das aussterbende Rittertum; Ritterlichkeit (chivalry) wurde ja quasi erfunden, um den zweiten und dritten Söhnen, die den Titel und das Land nicht erben konnten, eine Aufgabe und einen Lebenssinn zu geben - dazu wurden sie auch dann auf die Kreuzzüge geschickt. Natürlich war es sicherlich unbequem, wenn sie wieder heimkehrten und sich daheim wieder in alles einmischen wollten, zumal sie sicherlich mehr Kampf- und Lebenserfahrung hatten. Die meiste Zeit jedoch waren sie jedoch nicht verfügbar - eben bewußtlos.


    Ulrica und Rowena verkörpern die sächsischen Frauen, die bisher als einzige einen gewissen Widerstand gegenüber den Normannen spüren lassen: listig, unversöhnlich und aufrecht stehen sie ihren Mann, während Cedric und Athelstane ja nur in der Vergangenheit leben bzw. sich mit ihrer Situation schon längst arrangiert haben. Ich finde auch diese beiden, zusätzlich zur schönen Jüdin, ganz interessant und vielschichtig gezeichnet, während die Männer wirklich eher oberflächlich und egoistisch sind :rollen:


    Warum nun auch noch Robin Hood auftauchen muss, verstehe ich nicht so recht, vielleicht als Verkörperung der Bauern und des 3. Standes ? Ich meine aber, dass Robin von Locksley ursprünglich doch auch ein Adliger war ? Also, ich kann mich mit diesen Verwirrungen einfach nicht anfreunden !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen!
    Hallo Steffi!


    Zitat von "Steffi"

    Doch ich bin ja noch immer mittendrin und komme nur im Schneckentempo voran.


    Leider bin ich immer noch nicht sehr weit gekommen, ich bin erst beim 29. Kapitel. Irgendwie schaffe ich es nicht, mehr wie 10 Seiten am Stück zu lesen.


    Es gibt so Bücher. Bei mir harzt es im Moment auch - mit dem "Herz von Midlothian", auch von Scott. Obwohl imho bedeutend besser geschrieben als "Ivanhoe". Übrigens auch im "Herz" wunderbar gezeichnete Frauengestalten, wie ich Dir überhaupt Recht geben muss in Beziehung auf die Darstellung der Frauen und Männer im "Ivanhoe". (War das noch Deutsch???)


    Zitat von "Steffi"

    Die Handlung fesselt mich nicht richtig - all die Täuschungen und Verkleidungen, ächz ! Dann unterbricht Scott wieder, um recht pingelig seine Quellen zu zitieren oder ein paar Bemerkungen einfließen zu lassen.


    Es ist auch in vielem der zeitgenössische, romantische Stil des Romane-Schreibens. Geradeaus-Erzählen gibt es nicht. Übrigens würde mich interessieren: Ich halte viele der von Scott erwähnten Quellen für fiktiv. Hat jemand eine Edition mit Anmerkungen, wo das geklärt wird?


    Zitat von "Steffi"

    Der "abgetauchte" Ivanhoe verkörpert wohl das aussterbende Rittertum; Ritterlichkeit (chivalry) wurde ja quasi erfunden, um den zweiten und dritten Söhnen, die den Titel und das Land nicht erben konnten, eine Aufgabe und einen Lebenssinn zu geben - dazu wurden sie auch dann auf die Kreuzzüge geschickt. Natürlich war es sicherlich unbequem, wenn sie wieder heimkehrten und sich daheim wieder in alles einmischen wollten, zumal sie sicherlich mehr Kampf- und Lebenserfahrung hatten. Die meiste Zeit jedoch waren sie jedoch nicht verfügbar - eben bewußtlos.


    Eine interessante Idee. Muss ich darüber nachdenken ...


    Zitat von "Steffi"

    Warum nun auch noch Robin Hood auftauchen muss, verstehe ich nicht so recht, vielleicht als Verkörperung der Bauern und des 3. Standes ?


    Zum einen wohl, weil er nun mal als äussserst romantische Figur auftauchen musste: der edle Räuber gehörte zum Standard-Personal der damaligen Trivialliteratur. (Vgl. "Rinaldo Rinaldini" von Goethes Schwager Vulpius - ein Bestseller jener Zeit!)


    Zitat von "Steffi"

    Ich meine aber, dass Robin von Locksley ursprünglich doch auch ein Adliger war ?


    Äh, nein. Ich zitiere aus den Robin Hood Pages:

    Zitat

    The Robin Hood of modern folk-mythology is a creature built up, generation by generation, to meet the needs and desires of his audience. The earliest Robin Hood was a yeoman, not a wronged nobleman, who haunted Barnsdale Forest, not Sherwood; he didn't become a Saxon or mere Englishman fighting the Norman oppressor until Sir Walter Scott dressed him up for his walk-on in Ivanhoe. The original outlaw behind Batman and Zorro and The Scarlet Pimpernel was a ragged ruffian who might have worn Lincoln Green, whose shadow stretching across the centuries tells us much about our changing understanding of order and honor and justice.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    So, ich bin nun durch, und mein Gesamteindruck ist sehr positiv. Ich kann jetzt wirklich nicht mehr nachvollziehen, warum mir der letzte Versuch so schwer gefallen ist. Es gab zwar gegen Ende ein paar Szenen, die ich etwas zäh fand, aber im allgemeinen war es sehr schön und spannend. Vor allem habe ich mich immer wieder über Szenen gefreut, die ich noch in Erinnerung hatte. Diese ganzen Verkleidungen finde ich übrigens toll, "Pax Vobiscum" ist meine Lieblingsstelle :)


    Bei Rebecca kann ich nur zustimmen, sie ist die interessanteste und stärkste Figur des Romans. Ich persönlich würde das aber nicht allgemein auf die Frauenfiguren ausweiten, Rowena finde ich nämlich etwas langweilig und oberflächlich.
    Was mir auch gefallen hat, waren die Charaktersierungen der "Bösen", besonders Bois-Guilbert. Einfach schön, wie er mit Rebecca und dabei mit sich selbst ringt.
    Und ich mag Athelstane, er ist zwar etwas eindimensional, aber ich habe ihn ins Herz geschlossen.


    Robin Hood gehört, so denke ich auch, einfach dazu. Und er bildet eine weitere Facette des Sachsen-Normannen-Konflikts, indem er auf seine Weise gegen die Unterdrückung kämpft. Daß er vor Scott kein Sachse war wußte ich nicht, interessant.


    Jetzt hätte ich es beinahe wieder vergessen, ich habe neulich etwas entdeckt: William Thackeray hat eine satirische Fortsetzung zu Ivanhoe geschrieben. Der Titel ist "Rebecca and Rowena" und darin wird richtiggestellt, was am Ende von Ivanhoe falsch gelaufen ist. *lol*
    http://www.hicom.net/~oedipus/books/randr.html


    Grüße,


    Meriamon

  • Hallo !



    Zitat von "sandhofer"


    Übrigens würde mich interessieren: Ich halte viele der von Scott erwähnten Quellen für fiktiv. Hat jemand eine Edition mit Anmerkungen, wo das geklärt wird?


    Ja, ich ! hast du bestimmte Stellen, von denen du vermutest, dass sie fiktiv sind ? Generell hat Scott hauptsächlich folgende Quellen benutzt:


    Dr. Robert Henry (1718-90) The History of Great Britain, from the Invasion of it by the Romans under Julius Caesar


    Joseph Strutt (1749-1802) Horda Angel-cynnan or a Complete View of the Manners, Customs, Arms, Habits etc. of the Inhabitants of England
    und andere Titel


    Sharon Turner (1768-1847) The History of the Anglo-Saxons from he Earliest Period to the Norman Conquest


    Manche Dinge hat Scott wohl einfach umgewandelt, z.B. der Name "Le Noir Faineant" für Richard kommt von 'roi faineant (king who does nothing, or sluggard king) a term applied to the later Merovingian kings of France'.


    Einige der Mottos hat Scott allerdings erfunden :zwinker:
    Dann nimmt er noch Motive von Shakespeare und Chaucer auf und hat überhaupt zahlreiche Quellen und Geschichtchen, die er entsprechend einfließen lässt. So stammt die Szene zwischen Richard und Friar Tuck aus The Kyng and the Hermite allerdings zwischen einem unidentifizierten King Edward und einem nicht benannten Einsiedler.


    Auch die Namen sind meist nicht frei erfunden:
    Wamba - Gothenkönig im 7. Jh.
    Cedric - Cerdic, westsächsischer König im 6. Jh.
    Gurth - Gyrth(Gurth), Bruder von König Harold, gest. 1066
    Front-de-Boeuf - aus einer Liste von normannischen Kämpfern
    Ivanhoe - aus einem alten Reim ... ring, Wing, and Ivanhoe/ For striking a blow, /Hampden did forego,/And glas he could escape so.
    Es geht jedoch um Tennis :rollen:


    Danke für die Erläuterungen zu Robin Hood - interessant auch die Fortsetzung von Thackeray ! Der Anfang klingt äußerst witzig ...


    Meriamon schrieb:

    Zitat

    "Pax Vobiscum" ist meine Lieblingsstelle


    Die Rolle der Kirche haben wir noch gar nicht richtig angesprochen. Scott kritisiert ja sehr deutlich, dass der Klerus nicht viel taugt und sich um nichts kümmert. Obwohl diese Hilfe doch sehnsüchtig erwartet wird, wie man in der Szene mit dem verkleideten Cedric deutlich sieht. Ob er damit auch die anglikanische Kirche angreift ? Ich weiß leider nicht, wie deren Haltung während der napoleonischen Kriege war.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen!
    Hallo Stiffi!


    Besten Dank für Deine Zusammenstellung von Scotts Quellen. Es war allerdings nicht das, was ich meinte. Ich habe jetzt das Buch nicht zur Hand, aber ich meine mich zu erinnern, dass Scott z.B. beim grossen Turnier einen mittelalterlichen Gewährsmann quasi zitiert, der das Turnier beschrieben haben soll. Da das Turnier Fiktion ist, nehme ich an, dass auch der Gewährsmann oder zumindest der Bericht fiktiv ist.


    Zitat von "Steffi"

    Die Rolle der Kirche haben wir noch gar nicht richtig angesprochen. Scott kritisiert ja sehr deutlich, dass der Klerus nicht viel taugt und sich um nichts kümmert. Obwohl diese Hilfe doch sehnsüchtig erwartet wird, wie man in der Szene mit dem verkleideten Cedric deutlich sieht. Ob er damit auch die anglikanische Kirche angreift ? Ich weiß leider nicht, wie deren Haltung während der napoleonischen Kriege war.


    Die anglikanische Kirche - wohl eher nein. Eher die katholische, die m.W.. zumindest zeitweise Napoleon unterstützt hat. Obwohl ich mich jetzt schlau machen müsste, ob es damals schon Differenzen gab zwischen 'High Church' und 'Low Church', und ob Scott sich eventuell da ... - Auf der andern Seite gab es vor und zu Scotts Zeit jede Menge protestantischer Sekten und Sektchen in seiner schottischen Heimat, die er auch - z.B. in "Das Herz von Midlothian" - aufs liebevollste karikiert. Er scheint generell die professionellen Theologen für gefährlich gehalten und die theologischen Amateure nicht für voll genommen zu haben ...


    Ein weites Feld ...


    Meriamon

    Zitat

    Und ich mag Athelstane, er ist zwar etwas eindimensional, aber ich habe ihn ins Herz geschlossen.


    Er ist in seiner Schwäche und Gutmütigkeit tatsächlich sehr lebensecht, finde ich. Ausser bei seiner letzten Szene - aber wir wollen Steffi nicht den Genuss verderben ... :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo !


    sandhofer:
    Ashby-de-la-Zuoche war keiner der 5 Turnierplätze, die Richard I benutzt hatte (Sports and Pastimes von Joseph Strutt). Turniere waren wegen ihrer Gefährlichkeit von Henry II verboten worden, doch Richard hatte sie wieder eingeführt.
    Solche Turniere, wie Scott es beschreibt, wurden allerdings erst im 14. Jh. durchgeführt. Die Turniere des 12. Jh. glichen echten Schlachten, die auf dem Land durchgeführt wurden. Es scheint, dass Scott bei der Beschreibung von Chaucers Knight's Tale geklaut hat ... äh, inspiriert wurde.


    Athelstanes ruhmreicher Heldentod habe ich bereits genossen. Zu ärgerlich, da will er einmal ein richtiger Ritter sein, ein romantischer Held, schüttelt seine Lethargie ab und dann, wie Wamba es voraussagte, das: " ... that silken bonnet keeps out no steel blade. ... the Templar's weapon ... descending on his head, levelled him with the earth." Irgendwie hatten sich da die Rollen vertauscht (mal wieder), der Narr wurde zum Weisen und der Weise zum Narr.


    Überhaupt scheint sich immer mehr ein Abgrund zwischen romantischer Ritterlichkeit (chivalry) und der Realität aufzutun. Vielleicht ist Rebecca auch dadurch eine sympathische Figur, weil sie, anders als Ivanhoe, chivalry kritisiert und eine realistische Auffassung hat. Leider schläft Ivanhoe während dieser interessanten Diskussion ein und leider kann auch der romantische Ritter die hilflose Frau nicht verteidigen - diesmal keine Ehre für die Ritterlichkeit :rollen:


    Ach ja, einen interessanten Einblick in die Geschichte der schottischen Highlands und dem politischen Einfluß Scotts (ganz nach unten scrollen) ist hier zu finden:
    http://www.electricscotland.com/history/scotland/chap10.htm



    Gruß von Steffi :breitgrins:


    Ich komme zum 36. Kapitel !

  • Hallo !


    Ja, ich habe es nun auch geschafft - die letzten 100 Seiten sind wirklich richtig spannend geworden und es war noch ein richtiges Vergnügen.


    Okay, der letzte Auftritt von Athelstane hatte wirklich was :breitgrins: , ich habe die Szene mit sehr viel Genuß gelesen !


    Gruß von Steffi

  • Electricscotland ist keine gute Seite, um sich über schottische Geschichte zu informieren. Der Webmaster kopiert ungelesen alles was ihm zugesandt wird, und vieles ist nur ein Abklatsch längst überholter Theorien aus dem 19. Jahrhundert, geschrieben von Laien mit einem Haß auf die Campbells. Ich habe meine eigenen Beiträge von dieser Seite zurückgezogen. (Das ist das Problem mit solchen Seiten, wer sich nicht auskennt, wird das erst einmal glauben - ich kann nur davor warnen, das Internet für Recherche zu verwenden, wenn die Seiten nicht von anerkannten Forschungseinrichtungen stammen.)


    Wer sich ernsthaft mit Scott und seiner Rolle in der englischen Literatur und schottisch/englischen Geschichte auseinandersetzen will, sollte in einer Universitätsbibliothek nach moderner Forschung schauen, zB.


    Alexander Welsh, The hero of the Waverley novels
    (Literature in History)
    Princeton University Press, 1992,
    ISBN paperback 0-691-01533-3


    Fiona Robertson, Legitimate histories: Scott, Gothic and the authorities of fiction
    (Oxford English Monographies)
    Clarendon Press, 1994
    ISBN 0-19-811224-6


    Richard Humphrey, Walter Scott - Waverley
    (Landmarks of World Literature)
    Cambridge University Press, 1993
    ISBN paperback 0-521-37888-5