Samuel Beckett: Warten auf Godot

  • Guten Morgen,


    mein Mann und ich haben gestern im Hamburger Schauspielhaus "Warten auf Godot" gesehen - ich kannte das Buch vorher nicht, ging also ganz erwartungsfrei in die Vorstellung.


    Im Grunde genommen geschah NICHTS, Didi und Gogo warteten einfach, wussten nicht worauf, wussten nicht wie lange schon und wie lange noch, wussten nicht wer genau Godot eigentlich ist. Selbst in den Dialogen ging es größtenteils um nichts...
    Den Diskussionen der umsitzenden Zuschauer zufolge, hatte jeder eine andere Vorstellung, wer oder was Godot ist und wofür es sich zu warten lohnt - oder auch nicht.


    Wie man aus Nichts noch so ein interessantes Theaterstück machen kann ist mir schleierhaft, aber es war sehr gelungen. Das Buch und das Theaterstück muss damals in den 50er Jahren zunächst auf totales Unverständnis gestoßen sein.


    (Gibt es eigentlich Pläne, das Klassikerforum um ein Theaterforum zu erweitern? Immerhin gibt's ja auch schon Höbücher.)


    Verregneten Gruß aus Hamburg
    Heidi

  • Hallo Heidi?
    Jetzt muss ich Dich mal ganz blöd was fragen. Hatten die beiden Typen in dem Stück, die die ganze Zeit warten, nicht irgendwie so russische Namen? Schon ewig her, dass ich das Stück gelesen habe. Würde das ja auch zu gerne mal angucken. Wart mal da waren doch Lucky und Pozzo, die bei den beiden vorbeikommen. Wie hießen denn die beiden nur noch mal?
    Aber hier ab und zu Theaterbesprechungen zuzulassen ist doch sicherlich kein Problem, oder? Zur Not gibts ja eben auch noch diesen allgemeinen Diskussionsorner.


    Gruß Lars

  • Hallo zusammen,
    die beiden heißen Wladimir (Vladimir??) und Estragon, nennen sich gegenseitig aber Didi und Gogo.
    Liebe Grüße,
    adia

  • Hallo zusammen!


    Das Stück habe ich vor ca. 1 Jahr als Komödie gesehen. Üblicherweise wird es ja bierernst aufgefasst. Aber es lässt sich ausgezeichnet als Komödie inszenieren - auch wenn einem zwischendurch das Lachen im Hals stecken bleibt.

    Zitat von "Heidi HH"

    (Gibt es eigentlich Pläne, das Klassikerforum um ein Theaterforum zu erweitern? Immerhin gibt's ja auch schon Höbücher.)


    Wieso? Es hindert ja niemand daran, Theaterstücke im Klassikerforum zu diskutieren, dass das Forum das Schwergewicht in der Epik bzw. Belletristik hat, heisst ja nicht, dass Lyrik und Drama ausgeschlossen sind, es gibt schliesslich auch da Klassiker. Wenn Du allerdings bestimmte Aufführungen diskutieren möchtest, könnte es sein, dass zu gegebenem Zeitpunkt halt niemand in Hamburg, Stockholm oder Paris war und niemand die spezielle Aufführung kennt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Heidi,


    da ich zum eigentlichen Thema nichts sagen kann, antworte ich aber wenigstens auf:


    Zitat von "Heidi HH"

    (Gibt es eigentlich Pläne, das Klassikerforum um ein Theaterforum zu erweitern? Immerhin gibt's ja auch schon Höbücher.


    Ich denke, wenn sich hier Topics zu Theaterstücken, Dramen etc. häufen würden (darunter könnte man ja Inszenierungen _und_ die zu Grunde liegenden schriftlichen Werke verstehen), dann würde ich auch die Möglichkeit eines neuen Unterforums sehen. Also munter drauflosschreiben und entsprechende PJostings erstellen, dann kann man das irgendwann schon mal splitten und aufräumen.


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo zusammen,
    hallo Heidi,


    Du hast gepostet:
    es war sehr gelungen


    Es freut mich, dass Dir eines meines Lieblingsstücke gefallen hat. Ich hab’ es schon viermal gesehen, davon zweimal auf deutsch und es hat mir immer gefallen. Allerdings wenn ich mir die Kritik, der taz zu der Hamburger Inszenierung ansehe (obwohl eine sehr positive Kritik), bin ich mir nicht sicher, ob Jan Bosse da nicht zu viel inszeniert hat. Vielleicht kannst Du mal posten, ob die folgende Kritik der Aufführung entspricht:


    http://www.taz.de/pt/2004/02/17/a0081.nf/text


    Das Buch und das Theaterstück muss damals in den 50er Jahren zunächst auf totales Unverständnis gestoßen sein


    Nein, im Gegenteil, das Stück „En attendant Godot“, das 1952 in Paris erschien und im Januar 1953 im „Theatre de Babylone“ in Paris uraufgeführt wurde, war der erste finanzielle Erfolg für Beckett, der auch schon vor dem Krieg, allerdings mit wenig Erfolg, viel geschrieben hatte. Das Drama machte Samuel Beckett über Nacht weltberühmt. Das Stück wurde noch im gleichen Jahr in deutsch (von Elmar Tophove bei Suhrkamp erschienen) und englisch übersetzt und bescherte dem Autor sogar den Literaturnobelpreis.


    Beeinflusst ist „En attendant Godot“ von der französischen Slapstick-Farce (daher die komödienhaften Elemente, obwohl man es m.M. nach nicht als Komödie inszenieren darf), dem Existenzialismus und vor allem von James Joyce, für den Beckett vor dem II. Weltkrieg in Paris als Sekretär arbeitete.


    Den Diskussionen der umsitzenden Zuschauer zufolge, hatte jeder eine andere Vorstellung, wer oder was Godot ist und wofür es sich zu warten lohnt - oder auch nicht


    So ist das Stück auch gedacht. Beckett selbst hat auf die Frage, wer Godot ist, immer geantwortet: wenn ich das wüsste, hätte ich es im Stück gesagt. Somit ist natürlich jede Interpretation eines Zuschauers (aus seiner Sicht, in seiner momentanen Situation) richtig. Wie Joyce in seinen „Short stories“ gibt Beckett keine Antworten, sondern wirft Fragen auf.


    Häufig wird das Drama auch religiös interpretiert, wie die folgenden zwei Links zeigen. Auch das ist okay, aber es sind nicht die einzigen Interpretationsmöglichkeiten:


    1. „Warten auf GodotJ“ und der Psalm 13 (Warten auf Gott):


    http://www2.rz.hu-berlin.de/religion/dokumente/pr59.doc


    2. „Warten auf Godot“ und Mt. 25, 14-30 (Gott ist immer im Kommen)


    http://www.zum.de/Faecher/kR/BW/bibellit/texte/t023.htm



    sandhofer


    Das Stück habe ich vor ca. 1 Jahr als Komödie gesehen. Üblicherweise wird es ja bierernst aufgefasst. Aber es lässt sich ausgezeichnet als Komödie inszenieren


    Bierernst ist das Stück sicher nicht gemeint, aber als Komödie? – Ich hab’ übrigens auch schon Kleists „Kätchen von Heilbronn“ als Komödie gesehen und Shakespeares Tragödien kann man auch als Komödie spielen, aber ob das Sinn macht?


    Wieso? Es hindert ja niemand daran, Theaterstücke im Klassikerforum zu diskutieren, dass das Forum das Schwergewicht in der Epik bzw. Belletristik hat, heisst ja nicht, dass Lyrik und Drama ausgeschlossen sind, es gibt schliesslich auch da Klassiker. Wenn Du allerdings bestimmte Aufführungen diskutieren möchtest, könnte es sein, dass zu gegebenem Zeitpunkt halt niemand in Hamburg, Stockholm oder Paris war und niemand die spezielle Aufführung kennt


    Ich hatte Heidi so verstanden: ein Unterforum, analog dem Hörspielforum, nicht für gelesene Dramen, sondern für gesehene Dramen und da kann man diskutieren auch wenn man nicht die gleiche Inszenierung gesehen hat (z.B. über die Unterschiede verschiedener Inszenierungen). Mich hätte z.B. auch interessiert, wie der Heidi die Aufführung von „Stella“ gefallen hat. (oder hat das nicht geklappt damals im Thalia-Theater?)


    Grüße von Hubert

  • Hallo Hubert,


    der Artikel in der taz beschreibt die Inszenierung recht gut. Da wir ohne Erwartungen und näheres Wissen um das Stück ins Theater gingen, waren wir ganz unvoreingenommen hinsichtlich Tragödie oder Komödie. Es war beizeiten schon komisch, aber immer wieder trat die totale Sinnlosigkeit und Ausweglosigkeit der Situation und des Wartens hervor.
    Selbst der von sich eingenommene Pozzo hatte etwas Tragisches, nicht erst als er blind wurde. Jörg Ratjen alias Pozzo kam auf Krücken auf die Bühne, dies aufgrund eines Bänderrisses. Vielleicht wirkte er deswegen tragischer als beabsichtigt. Nun ja, von Lucky gar nicht zu sprechen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob er "schlechter" oder "besser" dran ist als Didi und Gogo, er hat ja immerhin eine Aufgabe und wartet auf nichts.


    Die beiden Jungen habe ich für einen Teil von Didi und Gogo angesehen (sie waren auch identisch gekleidet), sozusagen das Bewusstsein, dass Godot auch heute wieder nicht kommen wird; das Anzweifeln des Wartens.


    Mein Mann hat die Jungen allerdings eher für Boten des Herrn Godot gehalten. Ich glaube im Buch tritt immer nur ein Junge auf?


    Gruß aus HH
    Heidi

  • Hallo,
    ja, wenn ich mich recht erinnere, tritt im Buch nur ein Junge auf.
    In der Inszenierung, die ich vor einiger Zeit in Münster gesehen habe, wurde dieser Junge ersetzt durch einen als Telefon umfunktionierten Duschkopf. Ich habe damals auch erst die Inszenierung gesehen und mir anschließend den Text in Buchform zu Gemüte geführt.
    Nachdem ich auch den Text gelesen hatte, wurde mir dann auch schnell klar, weshalb mir die Inszenierung nicht so recht gefallen hatte und im Nachhinein würde ich sie sogar als recht schlecht bezeichnen. Einzig Lucky gefiel mir auch im Nachhinein noch (sein Denk-Monolog war wirklich sehr gut vorgetragen). Ansonsten: Pozzo wirkte mehr als nur tuntig und war bewußt so angelegt (nicht der Schauspieler selbst erweckte diesen Eindruck), zwischenzeitlich fuhr immer wieder eine Spielzeugeisenbahn durch die Szenerie, die vollkommen zusammenhanglose Gegenstände beförderte (ich erinnere mich an eine Büste mit einem Vogelnest obenauf, einen Teddybär und ähnliches).
    Aber dies scheint mir, wie ich mittlerweile festgestellt habe, ein generelles Problem zu sein, daß ich mit Aufführungen im Theater in Münster habe. Auch Hamlet gespielt von einer Frau, die mich arg an Frodo erinnerte und der Geist von Hamlets Vater mit einer Darth-Vader-Maske und einem SS-Mantel, befremdeten mich gelinde gesagt schon.


    Allerdings habe ich auch schon mal gelesen, daß bei einer der ersten Aufführungen von Godot, die Zuschauer entrüstet in der Pause das Theater verließen und z.T. ihr Geld zurück verlangten. Leider kann ich mich weder an die Quelle, noch an Zeitpunkt und Ort der Aufführung erinnern.

  • Hallo Heidi,


    Du hast gepostet:
    Es stellt sich allerdings die Frage, ob er "schlechter" oder "besser" dran ist als Didi und Gogo, er hat ja immerhin eine Aufgabe und wartet auf nichts


    Eine von vielen Fragen die das Drama stellt und auf jede dieser Fragen gibt es wieder viele Antworten.


    Die beiden Jungen habe ich für einen Teil von Didi und Gogo angesehen (sie waren auch identisch gekleidet), sozusagen das Bewusstsein, dass Godot auch heute wieder nicht kommen wird; das Anzweifeln des Wartens.


    Mein Mann hat die Jungen allerdings eher für Boten des Herrn Godot gehalten. Ich glaube im Buch tritt immer nur ein Junge auf?


    Wahrscheinlich habt ihr beide Recht. Bei Becket gibt es tatsächlich nur ein Junge und der ist Bote von Godot, wer oder was immer Godot auch sein mag. Die Hamburger Inszenierung scheint aber da andere Wege zu gehen und zwei Miniaturausgaben von Wladimir und Estragon zu zeigen. Ist so was zulässig?


    Berch
    Hallo Berch,


    wenn ich Dein Posting richtig verstanden habe, bist Du für Inszenierungen, die sich exakt an die Vorlage halten?


    Gruß von Hubert


  • Hallo Freund Hermann


    Du darfst jederzeit jeden Orner hervorkramen und etwas hinzufügen. Aber so ein Beitrag:



    Hallo,


    habe wegen dem Thema des Absurden einmal den Beckett Ordner hervorgekramt.


    MfG
    F. Hermann


    macht nun wirklich wenig Sinn. Wenn Du was Konkretes zu diesem Drama oder zum Thema des Absurden beizutragen hast, ja.


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Sorry Sandhofer,


    kommt nicht wieder vor. Ich stelle deswegen einmal noch ein paar Diskussionsansätze vor:


    Zitat

    In den Stücken der „absurden Dramatiker“ lösen sich die vom klassischen Theater geforderten Einheiten der Zeit, der Handlung und des Ortes auf. An ihre Stelle treten unlogische Szenarien, absurde Handlungen und wahllos verknüpft erscheinende Dialogreihen, so dass schließlich nicht mehr vom klassischen Theater im aristotelischen Sinne, das auf die Regeln der Poetik zurückgeht, gesprochen werden kann.


    Zitat

    Die meisten Theoretiker sympathisieren mit der zweitgenannten Annahme, derzufolge das absurde Theater als Ausdruck einer Weltsicht des Absurden begriffen werden könne. Berührungspunkte gibt es hier mit der existentialistischen Philosophie, die in Frankreich in den dreißiger und vierziger Jahren durch die Arbeiten von Jean-Paul Sartre (1905–1980) und der absurden existentialistischen Philosophie eines Albert Camus (1913–1960) populär wurde. Beide Strömungen thematisieren mit unterschiedlichen Mitteln die Konsequenz über die Erkenntnis der Lebensabsurdität. Sie sind im Kontext der Krisensituation Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu betrachten.


    Es scheint aber auch darum zu gehen, mit Mitteln der Irrationalität menschliche Verhaltensweisen darzustellen, ohne sich dabei an bestimmten Schauplätzen, Zeiten oder Personen orientieren zu müssen, um dadurch irgendeine Art Allgemeingültigkeit zu bestimmen. Es wäre vielleicht auch einmal interessant das Stück gemeinsam zu lesen, um sich insgesamt ein besseres Bild davon zu machen. Wenn jemand Interesse hätte, bitte melden.


    MfG
    F. Hermann