Da John Galsworthy bald 100 Jahre tot ist, mindestens in seinem Land nach wie vor gelesen und verfilmt wird und 1932 den Literaturnobelpreis bekommen hat, gönne ich ihm mal einen Platz in der klassischen Literatur und stelle hier einen seiner frühen Romane vor:
John Galsworthy: Das Landhaus (The Country House, 1907)
John Galsworthy (1867-1933) ist vor allem für seinen mehrfach verfilmten umfangreichen Roman „Die Forsyte Saga“ mit zwei Folgebänden bekannt. Der hier vorgestellte Roman gehört nicht zu der Forsyte-Welt und beschäftigt sich mit der untergehenden Welt des Landadels und dessen starrsinnigem Beharren auf Konventionen.
Zum Inhalt und zur Form
George Pendyce, dessen Vater ein Landhaus mit den dazugehörigen Ländereien im weiteren Umland von London besitzt, verliebt sich in eine verheiratete Frau, deren Mann Gutsnachbar der Familie Pendyce ist und die aber getrennt von ihm lebt. Der Ehemann beantragt die Scheidung aufgrund von Untreue und klagt George Pendyce als Mitschuldigen an. Der Vater Horace Pendyce, dessen Familie seit Generationen im Besitz des Landgutes ist und der ohne Einschränkungen an seine gesellschaftliche Stellung und die damit verbundenen Werte glaubt, ist empört und verlangt von seinem Sohn, dass dieser – auch um dem Ansehen der Frau nicht zu schaden, aber vor allem, um keinen Skandal zu provozieren - seine Mitschuld abstreitet. Dieser aber, sehr verliebt und genauso starrsinnig wie sein Vater – der Rechtsanwalt der Familie bezeichnet das als „Penderismus“ – will zu seinem Verhältnis stehen und die Frau nach der Scheidung heiraten. Der Vater ist wütend und will seinen Sohn bis auf den Fideikommiss-Teil – das Landgut selbst – enterben. Seine Frau und Georges Mutter, die an der Seite ihres Mannes ein unerfülltes und fremdbestimmtes Leben führt, wehrt sich zum ersten Mal gegen ihren Mann und reist nach London, um George beizustehen. Als sie die Geliebte aufsucht, wird deutlich, dass diese George fallen gelassen hat und kein Interesse an seinem Beistand hat. Da der Vater Horace zu stolz ist, um vor dem Nachbarn, dem gehörnten Ehemann, für seinen Sohn die Mitschuld abzustreiten, erledigt das Marjorie, nachdem sie wieder zu Hause ist. Alles bleibt beim Alten und jede Chance auf Veränderung, insbesondere für die Frauen, ist dahin.
Galsworthy setzt sich – wie in seinen anderen Werken – für eine Modernisierung der gesellschaftlichen Werte und insbesondere für eine gleichberechtigtere Stellung der Frau ein und kritisiert die festgefahrenen Ansichten des Adels und der Landbevölkerung. Dies macht er auch an zahlreichen Nebenfiguren deutlich: Als positives Beispiel beschreibt er den karitativ tätigen Cousin von Marjorie und auch deren Engagement am Ende des Romans. Dagegen stehen der verknöcherte, selbstgerechte und dem Alkohol sehr zugeneigte Pfarrer sowie auch der gehörnte Ehemann, der der aufbrausenden Sportsman-Variante des Landadels angehört. George selbst bleibt blass und wird sich wohl am Ende in seine Rolle fügen. Bei der freisinnigen Geliebten bleibt Galsworthy allerdings auf Abstand; Er gesteht ihr zwar die Affaire zu, aber ihr promiskuitives Verhalten am Ende kritisiert er zwar nicht offen, beschreibt sie jedoch als unsympathisch.
Der Roman ist klassisch geschrieben mit chronologischer Handlung und nur einigen Perspektivwechseln zwischen den Hauptpersonen. Interessant ist, dass er die Handlungen der Hauptpersonen sich auch im Verhalten ihrer Haustiere, insbesondere des Spaniels von Horace Pentyce, spiegeln lässt, die sensibel auf die Stimmung ihrer Eigentümer reagieren und ihr eigenes Verhalten danach richten. Galsworthy verwendet in seinem Roman ungewöhnlich viele Adjektive, Vergleiche und Metaphern und übertreibt meiner Ansicht nach dabei öfters, so dass einige sprachliche Mittel schon ungewollt lächerlich wirken.
Fazit:
Der Roman kommt bei weitem nicht an Galsworthys opus magnus heran, aber er gibt sehr schön die Stimmung am Ende der viktorianischen Zeit in der höher stehenden ländlichen Gesellschaft wieder und ermöglicht einen amüsanten Einblick in das Scheidungsrecht jener Zeit, das im Prinzip von den scheidungswilligen Ehepartnern eine große Anstrengung an Heuchelei bedeutete, weil das erste Ziel immer die Rettung der Ehe war, auch wenn es für beide Ehepartner ein andauerndes Unglück bedeutete und fast nur die eheliche Untreue als Scheidungsgrund galt.
Man kann übrigens diesen Roman über das Projekt Gutenberg, auch als Übersetzung, gemeinfrei beziehen.