Italo Svevo: Senilità

  • Der – editorisch nicht ins Deutsche übersetzte – Titel des Romans charakterisiert den Helden Emilio Brentani zumindest äußerlich keineswegs: dieser ist gerade Mitte dreißig und arbeitet eher lustlos als Versicherungsangestellter. Zu Beginn lebt er in eingebildet überlegener Haltung in einer Mischung aus Zölibat und symbiotischer Lebensgemeinschaft mit einer jüngeren, aber auf die häusliche Sorge beschränkten und etwas verhärmten – gerade so vergreist, wie es manche sehr alte Eheleute pflegen und die „Greisenhaftigkeit“ des Titels rechtfertigt. Nebenbei hat Emilio eine in einem frühen Ansatz steckengebliebene Schriftstellerlaufbahn hinter sich, wie der Autor in diesem Alter übrigens auch.


    In diese erstarrende Existenz hinein fasst Emilio den Beschluss, ein möglichst unverbindliches Abenteuer zu wagen und gerät dabei an die junge Angiolina. Die Unverbindlichkeit scheitert allerdings früh: er verfällt der Geliebten mit allen Zügen einer Sucht. Das absehbare Scheitern der Beziehung liegt darin begründet, dass Angiolina etwas im Übermaß hat, was Emilio fehlt: Vitalität. Angiolina hatte – und hat noch immer – eine unbestimmte Zahl von Liebschaften bis hin zu einem von Emilio angeblich tolerierten Eheversprechen gegenüber einem Dritten, sie lügt, dass sich die Buchdeckel biegen und bleibt bei alledem völlig unbefangen. Emilio hingegen verharrt in seinem Suchtverhalten wie an eine Droge gekettet, in ständigem Wechsel von rauschhafter Sehnsucht und wild entschlossenen Gelübden, die verderbliche Verbindung endgültig, aber eben auch absolut formvollendet, aufzugeben.


    Neben den zwei Figuren der ersten Reihe gibt es noch ein zweites Paar, das in eine Mésalliance verstrickt wird, nämlich Emilios Schwester und sein Freund, der Künstler Stefano Balli. Balli ist in seiner barocken Vitalität ein perfektes Gegenstück zu Angiolina, darin allerdings auch lebensklug genug, sich mit ihr nicht vertieft einzulassen. Eine Begegnung mit Emilios Schwester Amalia wird von dieser in ihrer Weltferne aber völlig missverständlich aufgenommen und führt sie in ein tragisches Ende, das den ironischen Tonfall des Romans in einem Mollakkord enden lässt.


    Natürlich ist es legitim, das alles als ein Stück Befindlichkeitsprosa aufzufassen. Was es von dem gerne und intensiv betriebenen Psychologisieren beispielsweise eines Stefan Zweig abhebt, ist die ironische Distanz, die Italo Svevo zu schaffen verstanden hat, obwohl es hier erkennbar um Versatzstücke seiner eigenen Lebensgeschichte geht.


    Zur Sprache: Svevo gilt ja als einer der Gründerväter der modernen italienischen Literatur. In der deutschen Übersetzung lässt sich das kaum nachvollziehen, es sei denn man übersetzte seine Romane so ähnlich wie Wollschläger Joyce übersetzt. Zur Zeit der Entstehung dieses Romans war in der deutschen Literatur eine ähnlich schlanke Sprache längst üblich. Zu den wenigen Texten, etwa von Calvino und Moravia, die ich im Original vor mir hatte, ist in der Tat kein spürbarer stilistischer Bruch mehr zu erkennen. Das mag gegenüber dem Zeitgenossen und notorischen Flamboyant Gabriele d’Annunzio anders gewesen sein. Die paar Absätze, die ich in einem Original der Senilità las, lassen allerdings, abgesehen von einigen mir etwas fremd vorkommenden Präpositionen und ähnlichen Dingen, eines erkennen: noch heute kommentiert Tuttosport die Spiele der Serie A in der Regel „italienischer“, als Svevo, der Schwabe, von hundert Jahren seine Romane schrieb.

  • sandhofer

    Hat den Titel des Themas von „Italo Svevo: Sebilità“ zu „Italo Svevo: Senilità“ geändert.
  • Ich beherrschte es mal, nach einem Kurs im örtlichen Stenografenverein, so was gab es damals tatsächlich noch, als ich 15 war, also vor 50 Jahren. Dumm lief es aber nur etwas später, nämlich vor 49 Jahren, als ich mir den Ringfinger der rechten Hand so gründlich zertrümmerte, dass er nicht mehr in die Grundstellung zu bringen war. Tasteninstrumente vom Pianoforte bis zur Schreibmaschine adieu. Nur die Erinnerung, was wo ungefähr liegt, ist eben geblieben - die Ausrutscher, die mir unterlaufen, liegen immer unmittelbar nebeneinander.