Adalbert Stifter: Der Hochwald

  • SInd alle fertig? Sollen wir die Leserunde beenden?


    Nö. Mir fehlt noch ein Kapitel. Im übrigen zeigt sich Stifter nach dem überaus kitschigen Kapitel um die Waldwiese im folgenden Kapitel (Waldfels) wieder von seiner besten landschaftsmalerischen Seite:

    Der zarte, schwerfällige Sohn des Spätjahres hatte sich bereits eingestellt, der Nebel, und oft, wenn die Schwestern an der noch immer sonnenwarmen Wand ihrer Felsen saßen, die einzelnen Glanzblicke des Tages genießend, so wogte und webte er draußen, entweder Spinnenweben über den See und durch die Thäler ziehend, oder silberne Inseln und Waldesstücke durcheinander wälzend, ein wunderbar Farbengewühl von Weiß und Grau und der rothen Herbstglut der Wälder; dazu mischte sich die Sonne und wob heiße weißgeschmolzne Blitze und kalte feuchte blaue Schatten hinein, daß ein Schmelz quoll, schöner und inniger, als alle Farben des Frühlings und Sommers. Und wenn die Mädchen dann so schweigend hinaussahen, so rieselte es neben ihnen leise, und ein oder zwei blutrothe Blätter des Waldkirschbaumes fielen zu ihren Füßen. Sie saßen da und sahen selber herbstlich trauernd dem Schauspiele zu, ahnend, wie majestätisch der Winter hier sein müsse, da sich ihm ihre Wildniß mit solcher Feierlichkeit und Stille entgegenrüste. Im Hause wurden Hauen, Schaufeln, Schneereife, Schlitten und andere Geräthe angehäuft, um nicht eingeschneit zu werden, oder durch Schneemassen von der Welt abgeschnitten.

    So mag ich meinen Stifter.


    Im übrigen zeigt das Fernrohr, dass - die wohl ziemlich depressiv veranlagte - Johanna Recht behatlen sollte. Keine Harmonie zum Schluss, wie sie Stifter im Nachsommer gebildet hat. Da waren wohl auch - ach! - zwei Seelen in des Autors Brust ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ein schöner Auszug aus dem Text, Sandhofer. So mag ich Stifter auch. Er kann einen verzaubern. Am Ende war ich wieder etwas verwirrt als dieser Ritter Bruno, ein Vetter, auftauchte. Stifter zieht die Personen immer aus dem Ärmel. Clarissa als harrende Titania (wohl aus Shakespeares Sommernachtstraum gemeint) in Waldruine.



    Zitat von Lost

    So wie die Burg dem Kriegsbrand geopfert wird, muss auch der Zufluchtsort, das Waldhaus in Flammen aufgehen. Die Natur soll sich ihren Raum wieder zurück nehmen, und das Geschlecht der Burgbewohner verdämmert in der Ruine.



    Seh ich auch so. Die Reinheit ging verloren, wie es gleich zu Beginn von Waldruine heißt.



    Insgesamt hat mir Hochwald gut gefallen, mir liegt Stifter, und mit euch zusammen gleich nochmals so gut.



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Insgesamt hat mir Hochwald gut gefallen, mir liegt Stifter, und mit euch zusammen gleich nochmals so gut.


    Finde ich auch und jawohl Stifter mag ich auch sehr gerne, obwohl ich diesmal wirklich meine Probleme mit Ronald, der Liebesgeschichte, ja und auch dem Schluss mit Bruno usw. hatte. :entsetzt: Irgendwie passt es nicht so ganz, vielleicht hätte er daraus einen Roman machen sollen, denn so steht der Leser etwas verwirrt nach der Lektüre mit dieser Erzählung da.


    Ihr habt schon alle den Witiko gelesen, ist das auch etwas für mich? Ich lese nun "Mein Stifter" und mache mir mal ein grobes Bild vom Autor.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Liebe Anita,


    "Mein Stifter" von Arnold Stadler nehme ich an. Ich habe mich da durchgekämpft, es ist eine Hommage, die sich hauptsächlich am Nachsommer orientiert. Den Witiko habe ich, im Gegensatz zum Nachsommer, mit richtiger Begeisterung gelesen. Hört man sich um, so werden an diesem Roman besonders die langatmigen Schilderungen von zermoniellen Reden und Ritualen bemängelt. Mich haben diese Stellen eher in die Szenerie hineinversetzt, ich befand mich zeitweise mitten im Geschehen (und verlor sogar bei enem Scharmützel die linke Hand. Jetzt darf ich auf keinen Fall den Götz noch Mal lesen).
    Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen meiner Abneigung gegenüber dem Nachsommer und meiner Zuneigung zum Witiko. Da du vom Nachsommer begeistert warst, kann ich dir deshalb nur dringend vom Witiko abraten :breitgrins:

  • Scheint recht polar zu wirken, der Romancier Stifter. Für mich gehört "Der Nachsommer" zu jenen Werken, die ich regelmässig alle 2-5 Jahre wiederlese. "Wittiko" dagegen habe ich erst im zweiten oder dritten Anlauf geschafft. Und seither nicht mehr wiedergelesen. Aber auch den "Hochwald" habe ich in dieser Leserunde zum ersten Mal seit über -zig Jahren wiedergelesen.

    PS. Ich bin übrigens immer noch nicht fertig damit. ;)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • "Mein Stifter" von Arnold Stadler nehme ich an. Ich habe mich da durchgekämpft, es ist eine Hommage, die sich hauptsächlich am Nachsommer orientiert.


    Aber ein bisschen Biographie ist auch dabei Lost, ansonsten eine Hommage an den Nachsommer würde ich sehr gerne lesen, deshalb hab´ich mich ja auch für diese Lektüre entschieden. :breitgrins: Und da du auch beide Romane gelesen hast, werde ich mich auf dieses Unterfangen einlassen und mal abwarten. Vielleicht steht es danach wirklich 1:1 für und gegen Stifter.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Sodele - nun bin ich auch durch. Bruno hat mich nicht sehr gestört - er ist der reitende Bote des Theater, der Dinge erzählt, die auf der Bühne nicht dargestellt werden könne. Und, seien wir ehrlich, Stifter wusste ganz genau, dass er "Schlachten nicht konnte". Wittiko leidet zum Teil darunter. Das Ende ist melancholisch, auch melodramatisch. Teilweise auch biedermeierliche Übertreibung. Nur weil ein Liebhaber stirbt, gleich 80 Jahr Jungferndasein? Selbst zu Stifters Zeiten war das allenfalls im Roman (also: romantisch) möglich ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • ...der reitende Bote des Theaters... gefällt mir sehr :winken:


    Jetzt sind alle Teilnehmer durch, denke ich. Wir haben aber vielleicht noch Nachbemerkungen.


    Als AnStifter möchte mich aber schon jetzt bei allen Teilnehmern bedanken, auch bei GinaLeseratte und
    Sir Thomas für ihre Einwürfe.


    Es war ein kurzer Text, die Beiträge waren für mich aber anregend und da ich außerdem diszipliniert in Häppchen gelesen habe, auch dank den teilweise zauberhaften Naturbeschreibungen, wurde ich recht gut vertraut mit der Geschichte und der Natur in der sie spielt.
    Das hat mich für weitere Erzählungen Stifters motiviert.


  • Eine kleine Zusammenfassung meines Lektüreeindrucks habe ich noch =>hier<= hinterlegt. :winken:


    Worauf möchtest du eigentlich hinaus mit deiner Distanz sandhofer? Die Distanz ist da, keine Frage, aber was möchtest du und auch evtl. Stifter damit sagen? Ist es die Distanz, seine Depression, die letztlich zum Selbstmord geführt hat, die Distanz am normalen Leben teilzuhaben? Oder was?


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Worauf möchtest du eigentlich hinaus mit deiner Distanz sandhofer? Die Distanz ist da, keine Frage, aber was möchtest du und auch evtl. Stifter damit sagen?


    Hinaus? Ich will nirgends hinaus ... Was Stifter damit sagen wollte, ob Stifter die Distanz überhaupt bewusst eingesetzt hat, weiss ich nicht. Eine Beziehung zu Stifters Leben bzw. seinem späteren Selbstmord? Will ich ebenfalls nicht etablieren.


    Distanz ist ein kompositorisches Merkmal der Geschichte.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Distanz ist ein kompositorisches Merkmal der Geschichte.


    Mir kam beim Lesen deiner Rezension ein Gedanke zu Distanz, dass da vielleicht mehr hinter steckt. Aber vielleicht ist nun dieses Buch "Mein Stifter" von Stadler da ausschlaggebend, denn dieser Mensch sagt über Stifter, dass er sich wohl nie glücklich gefühlt hat, fast immer Geldsorgen hatte, heute würde man sagen, Stifter war depressiv und hat aus diesem Grund "gefressen", was ihn wohl seine Leber ruiniert hat. Aber auf den "Nachsommer" bezogen, könnte man auch dort behaupten, dass es aus einer Distanz heraus geschrieben ist, Utopien beruhen immer auf Distanz. Zu den Figuren hat er Distanz - Stadler schreibt, dass Stifter wie Nietzsche die Zukunft der Menschen sehr pessimistisch sah, und dass der begangene Weg der Menschheit/Gesellschaft ihn große Sorgen bereitete, er distanzierte sich davon. Im "Nachsommer" möchte er ja auch eher zurück als nach vorne.


    Also ich meine "Distanz" könnte so ein Leitmotiv generell für Stifter sein, und zwar im Werk sowie in seinem Leben.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;


  • Über Stifter selbst habe ich nichts gelesen, was mir wirklich einleuchtet. Das mag daran liegen, dass die stifterische "Utopie" des Nachsommers für mich eher grußelig ist und die meisten Literaten gerade diesen Roman so lieben. Irgendwie erschient mir aber auch Stifter nicht von dieser (Menschen)Welt zu sein, und mir fällt weniger Distanz auf, sondern ich sehe in dem was ich bisher von ihm gelesen habe eher ein Leiden am Dasein und dessen Verdrängung in literatischer Form. Für einen Erzkatholiken wie Stadler kehrt sich sowas ins Positive, Sebalds psychoanalytisches Geschwafel ist unerträglich 8schade eigentlich, wo er in seinen Textren doch sofeinsinnig ist), und jetzt ist mir Stifter wieder kurz bei Wichert in "Der Totenwald" begegnet und wieder ist es der Nachsommer der diesen katholischen Dichter so positiv beeindruckt. Wenn ich mir dagegen vorstelle in einer Kultur des Nachsommers zu leben, wohin dann mit meinen Agressionen, meinem Widerspruchsgeist, was ist in dieser rückwärtsgewandten Welt inspirierend? Da kann ich ja gleich Klassiker lesen.


    Nächstes Jahr will ich Maria folgen und die Biografie von WOlfgang Matz lesen, vielleicht gibt es dann "Mehr Licht".

  • die stifterische "Utopie" des Nachsommers


    Gut, setzt Du "Utopie" in Anführungszeichen. Für mich hat der Nachsommer nichts Utopisches an sich. Es sind ein paar Personen, die sich den üblichen Anforderungen ihrer Zeit und Gesellschaft so weit wie möglich entziehen, ohne paradigmen-bildend sein zu wollen. Ähnlich im Hochwald : Die beiden Jungfrauen flüchten vor dem Krieg, danach auch vor dem Leben, weil eine erste Liebeserfahrung (die sogar nur von der einen gemacht wurde!) tragisch verlaufen ist. Das ist Eskapismus, wenn man so will, zwischenmenschlich-gesellschaftliche Distanzierung von allem und jedem. Ob das Paradigma "Distanz" so in Stifters Psyche (gar als Ausdruck (s)einer Depression) eingraviert war, wage ich nicht zu beurteilen, wage es gar zu bezweifeln (immerhin mischt Witiko recht fröhlich im Leben und der Gesellschaft mit, heiratet zum Schluss ebenso wie der Ich-Erzähler im Nachsommer). Mein Erkenntnisinteresse (um mal Habermas zu bemühen) ruht aber auf dem Werk nicht auf dem Autor.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ein MIssverständnis meinerseits. Ich wollte als Zitat folgende Bemerkung von Anita meinem Beitrag voranstellen:


    Also ich meine "Distanz" könnte so ein Leitmotiv generell für Stifter sein, und zwar im Werk sowie in seinem Leben.