Der große Jubilar hat noch keinen eigenen Ordner? Dann werde ich ihm einen spendieren – kurz vor seinem 200. Geburtstag.
Richard Wagner – das Musikgenie. So heißt es immer bzw. immer öfter. Wer das sagt oder schreibt, hat ganz bestimmt nie vier bis fünf quälende Stunden in einer seiner Opern verbracht. Denn dann hätte er vermutlich eher folgendes gesehen: „…das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Künstler. … der Musiker wird jetzt zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt sich immer mehr als ein Talent zu lügen.“ Das war Friedrich Nietzsche, der an anderer Stelle fortfährt: „… War Wagner überhaupt ein Musiker? Jedenfalls war er etwas Anderes mehr: nämlich ein unvergleichlicher Histrio, der größte Mime, das erstaunlichste Theater-Genie, das die Deutschen gehabt haben, unser Szeniker par excellence. Er gehört wo andershin als in die Geschichte der Musik: mit deren großen Echten soll man ihn nicht verwechseln. Wagner und Beethoven — das ist eine Blasphemie — und zuletzt ein Unrecht selbst gegen Wagner… Was bedeutet er trotzdem in der Musikgeschichte? Die Heraufkunft des Schauspielers in der Musik: ein kapitales Ereigniss, das zu denken, das vielleicht auch zu fürchten gibt.“(alle Zitate aus: Der Fall Wagner)
Auch Thomas Mann war über Jahrzehnte Wagnerianer. 1933, im Jahr der großen Ernüchterung durch die Nazis, kommt er allerdings zu ähnlichen Ergebnissen wie Nietzsche. Wagners Verhältnis zu den Einzelkünsten (Musik, Literatur) hafte viel Dilettantisches an. Seine Libretti seien keine Literatur, sondern ergänzungsbedürftiger Musikdunst. Seine Musik sei so ganz und gar nicht Musik. Er sei kein Dichter und kein Musiker, sondern etwas Drittes, worin diese Eingeschaften verschmelzen: ein Theaterdionysos. „Wagner war auf eine gesunde Art krank, er kultivierte eine morbide Art, heroisch und erotisch zu sein.“ In den 40er Jahren, während der Arbeit an Doktor Faustus, erkennt Thomas Mann endgültig in Wagner den geborenen Amateur, dessen autoritäres Mitreden über alles und jedes, dessen namenlose Unbescheidenheit diejenige Hitlers vorweg genommen habe.
Genug der Zitate. Wenn man sich heute der Wagnerschen Musik nähern möchte, kann man getrost auf den Opernbesuch verzichten. Das spätromantisch-morbide Klangideal kommt nämlich in der Reduktion auf das Soloinstrument Klavier mindestens ebenso gut, wenn nicht besser, zur Geltung. Als kleine Trouvaille habe ich mir deshalb die vier Stücke des Albums „Wagner Idyll“ (gespielt von Vestard Shimkus) gekauft. Zwar ist nur die Fantasia eine Originalschöpfung Wagners, aber auch die Transkriptionen aus „Tristan und Isolde“, „Siegfried“ (von G. Gould) und „Der fliegende Holländer“ (F. Liszt) gewähren repräsentative Einblicke in Wagners Musik.
Hier noch der Link zum Album: