Christoph Martin Wieland: Geschichte der Abderiten

  • Hallo,


    hiermit eröffne ich die Leserunde zu Wielands kleinem Roman "Die Geschichte der Abderiten".


    Teilnehmer sind:


    Giesbert Damaschke
    Karamzin
    sandhofer
    Sir Thomas
    finsbury



    Ich wünsche unserer Leserunde einen guten und harmonischen Verlauf!

  • Ich freue mich ebenfalls auf die Leserunde, die viele neue Eindrücke bringen möge. :smile:


    Vielleicht zuerst einige Bemerkungen zur Entstehung des Romans. Ich habe ihn bisher noch nicht gelesen und kann mich deshalb erst allmählich zu Wort melden.



    Der in Weimar tätige Altertumsfreund und Philologe Karl August Böttiger
    http://www.klassikerforum.de/i…84.msg51883.html#msg51883



    hatte Wieland persönlich recht gut kennengelernt und schrieb über die Entstehung der "Geschichte der Abderiten":


    "Seine Abderiten empfing er in einer Hinterstube, deren Aussicht jämmerlich eingeengt und beschränkt war, in einer Stunde des Unmuths. Die Manheimer haben es ihm erlassen, daß er bei den Theaterscenen in Abdera nicht ihre damalige Theatergeschichte gemeint habe. Ein Augspurgisches Abderitenstückchen kommt auch darinnen vor. Dort sind in einem lichtleeren Rathssaal einige vortreffliche Gemälde aller Beschauung entnommen."


    Karl August Böttiger: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar. Hrsg. von Klaus Gerlach und Rene Sternke. 3. Auflage. Berlin 1998, S. 151-152.



    1774 bis 1780 erschien Wielands Roman in Fortsetzungen in der literarischen Zeitschrift "Der Teutsche Merkur", deren Redakteur er von 1773 bis 1789 war. Später wurde das Werk mehrfach überarbeitet. Im Februar 1796 berichtete Wieland, der Beginn der "Abderiten" sei "in einer Stunde des Unmuths" entstanden, als er, der damals 40-Jährige, von seinem Mansardenfenster herab "die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte" und sich an ihr zu rächen beschloß.
    Zit. in: Johannes-Heinrich Dreger: Wielands "Geschichte der Abderiten". Eine historisch-kritische Untersuchung. Göppingen 1973, S. 36.


    Seit 1772 war Wieland in Weimar Erzieher der Söhne der Herzogin Anna Amalia. Aus den knappen Bemerkungen bei Böttiger geht hervor, dass er sich in einer beengten Räumlichkeit befand, als er mit der Arbeit an dem Roman begann.
    Er verarbeitete offenbar, so Böttiger, nicht nur Eindrücke aus Biberach, wo er Ratssekretär gewesen war, sondern auch aus Mannheim und Augsburg, so dass die Bewohner anderer süddeutscher Gemeinwesen sich durch Teile des Romans ebenfalls an die Zustände in ihren Städten erinnert fühlten.

  • Ein wenig zu spät bin auch ich jetzt eingestiegen und habe Vorwort und das erste Kapitel gelesen. Auch wenn Wieland im Vorwort mit klassische Autoren und zeitgenössischer Sekundärliteratur um sich wirft, lasse ich mich nicht entmutigen und hole nicht das Lexikon für alle diese Namen heraus. Allerdings sollte man wohl, wie du, Karamzin, schon recherchiert hast, etwas über Demokrit wissen, damit man dann den Spaß besser verstehen kann.


    Also, Abdera, ein antikes Schilda oder Laleburg, war wohl schon von den Altvorderen als solches apostrophiert worden. Wieland greift demnach auf antike Schilderungen zurück, um sie auszuschmücken und darin Kritik an seiner zeitgenössischen Gesellschaft zu üben.


    Nachdem Wieland im Vorwort den als unwillig hingestellten Leser an sein Thema herangeführt hat, gibt er im ersten Kapitel bereits zwei Beispiele für den Enthusiasmus der Abderiten und dessen ungeschickte oder sogar lächerliche Manifestation: ein kunstvoller Brunnen, der kein Wasser spendet, und eine schöne kleine Statue, die im wahrsten Sinne des Wortes so überhöht wird, dass kein Mensch mehr ihre Schönheit erkennen kann. Was beide Beispiele angeht, kann ich auch durchaus noch heute im Kulturgeschehen meiner Heimatregion, des Ruhrgebietes, Parallelen finden. Das Dortmunder U, ein Kulturpalast, der zweieinhalb Jahre nach seinem geplanten Eröffnungstermin immer noch eine Baustelle ist, weil man die vorgefundenen Gegebenheiten falsch eingeschätzt hat, ist z.B. eine gute Parallele zu dem kunstvollen, aber wasserlosen Brunnen.

  • Dieser Wieland liest sich ja sehr süffig. Ich bin bereits bei Kapitel 4 oder so. Im Grossen und Ganzen erzählt Wieland einfach Schildbürgerstreiche, auch wenn von Zeit zu Zeit philosophische / aufklärerische Ansätze anklingen. Aber Demokrit-der-überlegene-Weltbürger ist im Grunde genommen kein grosser Philosoph. Das einzige Rätsel: Was macht diese Schwarze bei ihm? Ein Beispiel weltmännischer Toleranz?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Dieser Wieland liest sich ja sehr süffig. Ich bin bereits bei Kapitel 4 oder so.


    Ich komme auch zügig voran.



    Das einzige Rätsel: Was macht diese Schwarze bei ihm? Ein Beispiel weltmännischer Toleranz?


    Eine bessere Erklärung habe ich auch nicht.



    Was beide Beispiele angeht, kann ich auch durchaus noch heute im Kulturgeschehen meiner Heimatregion, des Ruhrgebietes, Parallelen finden.


    Mir fällt spontan Berlin ein (Flughafenneubau). Abdera ist eben zeitlos und überall, ein Zustand, in dem die "Einbildung einen so großen Vorsprung über die Vernunft gewinnt, dass es dieser niemals möglich ist, sie einzuholen." Das Ergebnis dieses Zustands ist Mittelmäßigkeit, gepaart mit einer ordentlichen Portion Geist- und Geschmacklosigkeit. "Die guten Leute hatten sich nie träumen lassen, dass die Seele ein anderes Interesse habe als der Magen ... Mit all ihrer Schwärmerei für die Künste hatten die Abderiten gar keinen Geschmack; es ahndete ihnen nicht einmal, dass das Schöne aus einem höheren Grund schön sei, als weil es ihnen so beliebte."


    Was auffällt: Wieland liebt das Spiel mit dem Leser. Er spricht ihn oft an, mahnt ihn zur Geduld, macht ihn sogar lächerlich. Mir gefällt das. Ist eigentlich bekannt, wie die Zeitgenossen Wielands diese Ironie auffassten?


    Es grüßt


    Tom

  • Bin nun beim 10. Kapitel angelangt, und wie ihr auch schreibt: Das Lesen macht einfach Spaß.



    Dieser Wieland liest sich ja sehr süffig. ...
    Das einzige Rätsel: Was macht diese Schwarze bei ihm? Ein Beispiel weltmännischer Toleranz?



    ...
    Was auffällt: Wieland liebt das Spiel mit dem Leser. Er spricht ihn oft an, mahnt ihn zur Geduld, macht ihn sogar lächerlich.


    Ich denke, dass die Inkarnation der Golleru als Begleiterin Demokrits zu diesem Spiel mit dem Leser gehört: Dieser denkt vielleicht: Hach, jetzt kommt mal saftiger Klatsch! Und wird gleich von Wieland hoppgenommen und enttäuscht.


    Was ich am Thema Golleru und der Relativität des Schönen schwierig finde, ist, dass sich Demokrit im 8.Kapitel selbst widerspricht: Hatte er am Beispiel der Golleru noch ausgeführt, dass es kein allgemeines Ideal des Schönen gebe*, spricht er im 8. Kapitel davon, dass sich das Verfassen guter Theaterstücke nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ästhetischen und moralischen Genusses zu richten habe und dass die Tänze der Einwohner der Goldküste eben kein herrliches Werk seien, auch wenn diese es glaubten. Also gibt es für ihn doch eine Idee des Schönen, die über den Perspektiven der einzelnen Völker steht!?


    Auf jeder Seite dieses Romans findet man zahlreiche Anspielungen auf die lässliche Geistes- und moralische Haltung nicht nur der Abderiten und Wielands Zeitgenossen, sondern es sind i.d.T. menschlich-allzumenschliche Schwächen, die er uns hier vorhält und bei deren einigen ich mich auch an die eigene Nase packen muss :zwinker:


    [size=7pt]* Bezüglich dieser Behauptung wird ihm von einem Abderiten unterstellt, er sei ein Jünger des Parmenides. Unter diesem Namen nachschlagend fand ich nur heraus, dass dieser - nach der Auffassung des Aristoteles - angenommen habe, es gebe nur ein einziges Seiendes und überhaupt kein Werdendes. Das aber wäre ein eklantanter Widerspruch gegenüber den Ausführungen des Wielandschen Demokrits zu dem Ideal des Schönen. Soll das wieder ein Beispiel für das Unvermögen der Abderiten sein, logische Schlüsse und Vergleiche zu ziehen oder habe ich mich über Parmenides falsch informiert?[/size]

  • Ich bin ebenfalls in die ersten Kapitel des Romans eingedrungen und will von drei Beobachtungen berichten:


    Das "Naturkind" und die (oberflächlich) als zivilisiert Geltenden


    Demokritus hat als gebürtiger Abderit als erster das unmittelbare Umfeld der Heimatstadt verlassen, ging auf Reisen und das gleich für zwanzig Jahre. In den ersten von Wieland geschilderten Begegnungen mit Gruppen der Abderiten, die nie aus ihrem Nest herausgekommen sind, versucht Demokritus klarzustellen, dass seine Beobachtungen nicht irgendwelchen sagenhaften exotischen Merkwürdigkeiten galten, von denen man sich in Abdera allein auf der Grundlage phantastischer Lektüre völlig märchenhafte Vorstellungen machte.
    Wichtigstes Ziel seiner Erkenntnis war auf Demokrits Reisen der Mensch. Die Menschen in fernen Gegenden mögen sich in manchem Äußeren von den Bewohnern Abderas unterschieden haben. Aber im Wesentlichen sind sie ihnen gleich. Sie haben ebenfalls auf der Grundlage von Übereinkünften ihre Vorstellungen über menschliche Schönheit entwickelt.
    Dieser Gedanke von der Gleichheit der Menschen war aufklärerisch. Wieland dürfte ein umfangreiches völkerkundliches Material über die Bewohner anderer Erdteile zur Verfügung gestanden haben. In seinem Roman "Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian" (1772; den kannte ich schon) ist eine Fülle derartiger, aus Reisebeschreibungen und geschichtlichen Werken geschöpfter Beobachtungen über den Orient zu finden. Die Gestalt der "guten, kunstlosen, sanften Gulleru" ist vielleicht als die eines in der Literatur jener Jahre populären "Naturkinder" und "edlen Wilden" anzusehen, die dem Lesepublikum bereits vertraut waren und den überdrehten, verwöhnten Europäerinnen in den Freien Reichsstädten und Residenzen der Fürstlichkeiten entgegen gestellt wurden.


    Frauen treten zuerst auf den Plan und stellen auch viele Leserinnen


    Als zweites fällt mir auf, dass es kein Zufall sein dürfte, dass als erste Versammlung von Bewohnern Abderas eine Zuhörergruppe von Frauen erscheint, in der sich einige wenige männliche Abderiten befanden. Wieland wusste, dass vor allem Frauen zu den ersten Lesern seines Romans gehören würden. Kurz zuvor, 1772, hatte er seine einstige Verlobte und lebenslange Freundin Sophie La Roche dazu angeregt, ihren Roman "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" auf den Markt zu bringen. Sophie La Roche war somit eine der ersten deutschsprachigen Romanautorinnen von Rang.
    Diese Bewohnerinnen von Abdera, die auf den wunderlichen Sonderling Demokritus neugierig geworden sind, nähern sich ihm als erste und lassen sich auf ein Gespräch mit ihm ein. Sie werden in ihrer Gefallsucht und mit ihrem Blick auf Äußerlichkeiten, in ihrer lokalen Beschränktheit karikiert, aber wohl nicht so verletzend, dass Wielands weibliches Lesepublikum davon abgestoßen gewesen wäre. Man kann eher annehmen, dass sich diese Leserinnen ziemlich auf Kosten ihrer beschränkten Geschlechtsgenossinnen amüsiert haben.



    Wie bei Voltaire: Zeitgenossen werden erwähnt


    Schließlich fielen mir manche Ähnlichkeiten mit den kleinen Romanen Voltaires auf, die Wieland offenbar ebenfalls inspiriert hatten. Ebenso bei Wieland das Spiel mit den Erwartungshaltungen seiner Leser, die in Spannung auf unerwartete Eröffnungen gehalten werden. Wieland mischt wie Voltaire unter die Griechen so manchen seiner Zeitgenossen. Der große Unterschied zu Voltaire: bei ihm bekommen persönliche Gegner ihr Fett ab und werden recht bissig gepiesackt: im "Candide" sein Feind Freron, Maupertuis kriegt immer wieder grimmige Seitenhiebe ab.


    Wieland führt eher freundlich Zeitgenossen an: den französischen Gesellschaftsphilosophen Claude-Adrien d'Helvetius, den Karikaturisten William Hogarth, auch den weniger bekannten "Keißler"* in einem Atemzug mit Pausanias aus der Antike, der vorbildhafte Reiseliteratur schuf. Daniel Solander (1733-1782) war ein schwedischer, mit Wieland gleichaltriger Botaniker. Da werden bestimmt noch mehr kommen.


    * Vgl. Winfried Siebers: Johann Georg Keyßler und die Reisebeschreibungen der Frühaufklärung. Würzburg 2009.


  • ...


    [size=7pt]* Bezüglich dieser Behauptung wird ihm von einem Abderiten unterstellt, er sei ein Jünger des Parmenides. Unter diesem Namen nachschlagend fand ich nur heraus, dass dieser - nach der Auffassung des Aristoteles - angenommen habe, es gebe nur ein einziges Seiendes und überhaupt kein Werdendes. Das aber wäre ein eklantanter Widerspruch gegenüber den Ausführungen des Wielandschen Demokrits zu dem Ideal des Schönen. Soll das wieder ein Beispiel für das Unvermögen der Abderiten sein, logische Schlüsse und Vergleiche zu ziehen oder habe ich mich über Parmenides falsch informiert?[/size]


    Parmenides kommt auch in Wielands "Geschichte des Agathon" (1767) vor, und zwar an der Stelle, an der von einer Schule "geschwätziger Sophisten" die Rede ist, die "heute für die Ideen des Parmenides, morgen für die Atomen des Leucippus zu fechten" (3. Teil) gewohnt sind.
    Das ist ein Hieb gegen die Beliebigkeit wendiger Zeitgenossen, die ihren Mantel nach dem Wind hängen. Die Funktion der Einführung des Parmenides in die "Abderiten" ist mir auch noch nicht ganz klar; möglicherweise handelt es sich um einen Bezug auf zeitgenössische Auseinandersetzungen.

  • Noch eine kleine Randbemerkung zu den ersten Kapiteln: Der Ort Abdera scheint bei Wieland so etwas wie eine Aura der Dummheit auf die Bewohner auszustrahlen. Kaum wurden die Tejer zu Abderiten, so schlugen sie aus der Art. Und einige Seiten später: Wenn ein Protagoras oder Demokritus aus ihrem Mittel entsprang, so war die gute Stadt Abdera gewiß eben so unschuldig daran, als Lykurgus und seine Gesetze, wenn in Sparta ein Dummkopf oder eine Memme geboren wurde.


    Das führt mich gedanklich zum Begriff des "genius loci" zur Kennzeichnung der spezifischen geistigen Atmosphäre, die auf die Bewohner eines Orts wirkt und deren Denken und Handeln prägt. Ich glaube, dass diese Annahme in bestimmten und extremen Fällen durchaus gerechtfertigt ist. War Wieland ein Anhänger dieses Gedankens? Weiß man etwas darüber?

  • Ich glaube nicht, dass Parmenides anders gedacht ist, denn als Merkmal für die Möchte-gern-Klugheit der Abderiten.



    Und ich glaube auch nicht, dass Wieland an so etwas wie einen genius loci glaubte. Abdera war für ihn letzten Endes überall, auch wenn er in satirischer Überhöhung die griechische Kleinstadt gleich mit allen abderitischen Übeln geschlagen sein lässt.

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  • Demokrit und die Abderiten wurden einander unerträglich. Es wurde für ihn zu einer gefährlichen Sache, mehr Verstand zu haben als seine Mitbürger. Die Abderiten waren jedoch nicht so "bösartig", wie die Landsleute des Sokrates, die dessen Tod forderten. Sie ließen den Demokrit reden, denn er war sehr reich. Also konnte der Philosoph in ihren Augen alles Mögliche behaupten, ohne Gefahr für Leib und Leben befürchten zu müssen.


    Wie gesagt, ich lese den Roman wirklich zum ersten Mal und habe auch kein Kommentarwerk neben mir.
    Eigentlich geht mir ja Wielands ständiges Herausstreichen der geistigen Überlegenheit des Demokritus über die Abderiten, der an all ihren Plänen etwas auszusetzen gehabt hat, ganz schön auf die Nerven. Es wird sich im Verlauf der weiteren Handlung zeigen, ob der Schriftsteller das durchhält oder ob noch augenzwinkernd auch Schwächen und Menschliches bei Demokrit zum Vorschein kommen. Wenn nicht, lag die aufklärerische und belehrende Absicht in Wielands Zeit, und ich bin durch spätere Lektüren beeinflusst, müsste mich also noch anders auf seine Schreibweise einstellen.



    Die Abderiten ließen nur ihre Erfahrungen und Maßstäbe gelten, weil sie nicht weit herumgekommen waren. Eine Ausnahme stellte Athen dar. Demokrit kritisiert die Stücke des beliebten Theaterdichters Hyperbolus, der die Athener nachahmte, ein Theaterstück nach dem anderen herausbrachte, dabei jedoch Tragisches und Komisches miteinander vermischte. Auf der Bühne wurde den Abderiten grobe Unterhaltung geboten, wie sie den deutschen Lesern noch aus der Zeit der Hanswurst-Stücke geläufig gewesen sein dürfte. Wahre Regeln für das Stückeschreiben könnten nicht willkürlich sein. Man müsse auch auf die Zuschauer Rücksicht nehmen.


    Man wird sicher nicht fehlgehen, in diesen Passagen eine Kritik an dem Nachäffen alles Französischen, das aus der Kunstmetropole Paris kam, auf deutschen Bühnen zu erblicken.
    Ich müsste noch nachlesen, wer gemeint war.


    Zur gleichen Zeit, als Wieland den Roman in Fortsetzungen schrieb, regte sich in Deutschland der "Sturm und Drang". Goethe, Lenz, Klinger, Wagner begannen ihre Aufsehen erregenden Stücke erscheinen zu lassen.

  • Demokrit und die Abderiten wurden einander unerträglich.



    Diese Formulierung halte ich für zu hart. Demokrit findet die Abderiten einfach lästig - so, wie man Fliegen oder Mücken im Hochsommer als lästig betrachtet. Und die Abderiten finden Demokrit eher seltsam. Gefahr ist aber für Demokrit von Seiten der Abderiten nicht wirklich zu befürchten...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus



  • Diese Formulierung halte ich für zu hart. Demokrit findet die Abderiten einfach lästig - so, wie man Fliegen oder Mücken im Hochsommer als lästig betrachtet. Und die Abderiten finden Demokrit eher seltsam. Gefahr ist aber für Demokrit von Seiten der Abderiten nicht wirklich zu befürchten...


    Den von Dir wiedergegebenen Satz hätte ich korrekterweise als Zitat kennzeichnen müssen (auch eingedenk aktuellen Anlasses :zwinker:): er ist von Wieland selbst, eine Stelle aus dem Roman! Auch über eine Demokrit drohende Gefahr denkt der auktoriale Erzähler von Wielands "Abderiten" im Zusammenhang mit dem Schicksal des Sokrates nach.

  • Den von Dir wiedergegebenen Satz hätte ich korrekterweise als Zitat kennzeichnen müssen (auch eingedenk aktuellen Anlasses :zwinker:): er ist von Wieland selbst, eine Stelle aus dem Roman!


    Der Satz leitet das 7. Kapitel des 1. Buchs ein, das ich mittlerweile beendet habe.


    Nach sehr gutem Beginn wird das Werk schwächer. Die abstruse philosophische Diskussion im 11. Kapitel sowie die beiden letzten Kapitel (12 und 13) haben die Qualität eines Bauernschwanks, der vermutlich gewollt war, mir aber ganz und gar nicht mundet.

  • Den von Dir wiedergegebenen Satz hätte ich korrekterweise als Zitat kennzeichnen müssen (auch eingedenk aktuellen Anlasses ;) ): er ist von Wieland selbst, eine Stelle aus dem Roman!



    Ich weiss ;) . Er hat mich ja bei Wieland auch gewundert. Und Wieland relativiert seine Aussage ja auch schon gleich. Es wäre ja auch nicht im Stile Wielands gewesen, wenn es nun wirklich hart auf hart gegangen wäre. Aber diese Formulierung ist für Wielands Verhältnisse nachgerade reisserisch. Haschen nach Aufmerksamkeit des Lesers für die Erstveröfffentlichung im Merkur?

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  • Meine Lektüre stagniert nach dem 10.Kapitel, hoffe, ab morgen weiterzukommen.


    Bezüglich des 10. Kapitels teile ich Sir Thomas' Meinung. Schon hier wird es zu lehrhaft, die Komik bleibt auf der Strecke.
    Bis auf den letzten Satz, der ist schön sophistisch:


    Gütiger Anubis! dachte Demokrit, da er wieder allein war, was man nicht mit diesen Abderiten reden muss, um sich - die Zeit von ihnen vertreiben zu lassen.


  • Meine Lektüre stagniert nach dem 10.Kapitel, hoffe, ab morgen weiterzukommen.


    Bezüglich des 10. Kapitels teile ich Sir Thomas' Meinung. Schon hier wird es zu lehrhaft, die Komik bleibt auf der Strecke.



    Hm ... eine Einschätzung, die ich nicht teilen kann. Vielleicht, weil ich das Ganze schon zwei- oder dreimal gelesen habe - oder dann, weil ich schon anderes viel Lehrhafteres gelesen habe. Andererseits erwarte ich von Wieland auch keine Komik, sondern (milde!) Satire.

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  • Das elfte Kapitel ist ein Parforceritt durch die Philosophie der Vorsokratiker. Wieland zieht da Annahmen durch den Kakao, die wir im Lichte der modernen Physik durchaus wieder ernstnehmen. Hierbei habe ich allerdings ein Verständnisproblem, weil gerade die Atomlehre, die ja von Demokrit stammt, als lächerliche Annahme der "tiefergelegten" abderitischen Philosophen hingestellt wird.
    Die Kosmologie des Demokrit wird hier zwar verballhornt, ist aber noch erkennbar (der sechste Philosoph).
    Zu diesem Themenkomplex
    Dieses Kapitel fand ich ziemlich spannend.

  • Nach der Lektüre von II, 1 bin ich nun schlauer, was Wielands Einstellung zur Naturphilosophie des Demokrit angeht.
    Während wir heute wissen, dass D. einer der wichtigsten Vorläufer unseres heutigen wissenschaftlichen Weltbildes ist und seine Lehre von den Atomen auch heute noch Bestand hat, wenn wir den Begriff herunterbrechen auf die in den letzten Jahrzehnten neu entdeckten kleinsten Bestandteile der Atome, findet Wieland diese Idee zu seiner Zeit so unglaubwürdig, dass er ablehnt, sie wirklich als eine Lehrmeinung des D. anzusehen und sie als Missverständnis seiner Überlieferer hinstellt.
    Schon interessant, wie Einsichten und Ideen durch die Geistesgeschichte schlingern ... .


    Nun bin ich also im II. Buch und wundere mich darüber, dass hier, obwohl doch wohl nach dem Titel Hippokrates im Mittelpunkt stehen soll, es noch munter weiter über Demokrit geht. Im zweiten Kapitel, wo ich momentan verweile, soll er nun sogar entmündigt werden - natürlich ein Schmankerl für die diejenigen, die dann die Vormunde des reichen D. werden.