Februar 2011: Franz Kafka: Erzählungen

  • „Das Urteil“ von Franz Kafka (Taeter Theater HD)


    Inszenierung: Wolfgang Graczol
    Technik: Anne Steiner-Graczol
    Musik: Anton Webern
    Darsteller: Wolfgang Graczol


    „An einem Sonntagmorgen im schönsten Frühjahr schreibt der junge, erfolgreiche Kaufmann Georg Bendemann einen Brief an seinen Jugendfreund im fernen Petersburg, um ihn zu seiner Hochzeit einzuladen. Als Georg seinem alten Vater, mit dem er in gemeinsamer Wohnung lebt, von seiner Einladung an den Freund erzählt, entwickelt sich zwischen ihnen überraschend ein Machtkampf auf Leben und Tod.“


    Der Wiener Wolfgang Graczol, der als Schauspieler zehn Jahre am Theater der Stadt Heidelberg wirkte, bevor er vor nunmehr über zwanzig Jahren das Taeter-Theater Heidelberg gründete, interpretiert Kafkas Text überzeugend in einem sparsamen Bühnenbild (1 Stuhl und mehrere Latten aus denen im Laufe der Aufführung ein Schutzraum errichtet wird, der am Ende, Pink Floyds Wall nicht unähnlich, zusammenbricht).


    Die Premiere in Heidelberg war am 29. Mai 2011, ich habe mir „die beliebteste Erzählung innerhalb unserer Leserunde“ am 19. Juni 2011 als Theateraufführung angesehen. Das Stück dauerte etwas mehr als eine Stunde, anschließend haben wir noch zwei Stunden bei Kartoffelsuppe (der besten die ich je gegessen habe) und Sekt über „Das Urteil“, Kafka, Jom Kippur, Gott und die Welt diskutiert, - ein toller Abschluss einer schönen Leserunde!


    „Die Erzählung ‚Das Urteil’ von Franz Kafka ist und bleibt, trotz vieler ausführlicher, intelligenter Interpretationen, eine unerklärliche Zumutung. Sie überspringt logische Denkmuster und bezieht ihre Kraft aus der Faktizität und Brutalität ihrer jähen Umschwünge. Wenn man allerdings genauer auf die Formulierungen der Sätze Kafkas blickt, entdeckt man in ihnen geheime Hinweise auf die Ursachen des Scheiterns der Figuren. Das hat mich an dieser Arbeit am meisten gereizt. Und so versuche ich also, in einem subjektiven Assoziationsraum die verborgenen Motive sowie die alptraumartigen Emotionen der Figuren auszuleben“, so Wolfgang Graczol, Regisseur und Darsteller in Kafkas „Urteil“.

  • Hallo Steffi,
    hallo Bluebell,


    leider ist unsere Leserunde schon zu Ende. Ich zumindest habe im Laufe der Leserunde viel über Kafka gelernt und mein Kafkabild hat sich innerhalb der Leserunde verändert. Dazu habt ihr Beide durch eure Beiträge, Anmerkungen, Fragen keinen unwesentlichen Anteil beigetragen. Dafür meinen aufrichtigen Dank verbunden mit der Hoffnung, dass wir uns hoffentlich bald in einer anderen Leserunde wieder zusammen finden.


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Fazit: Nicht jede Erzählung gefällt allen gleich gut, aber letztendlich hat Kafka für Jede/n etwas zu bieten!


    :klatschen:


    In diesem Sinne auch von mir ein Dankeschön für die Leserunde mit euch, bei Gelegenheit gerne wieder! Und ein extra Danke für Huberts umfangreiche Zusatzrecherchen, zu denen mir selber die Muße gefehlt hat - aber diese mundgerechten Happen habe ich gerne angenommen! :breitgrins:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Ja, ich habe auch einige neue Einsichten zu Kafka bekommen und sicherlich auch eine neue, differenziertere Lesart für seine Metaphern. Vielen Dank für diese schöne und interessante Leserunde !


  • Deinen Link zu dem Artikel von Martin Walser habe ich vorhin im Materialordner gelesen und kommentiert, und jetzt sehe ich gerade erst deinen Kommentar hier:



    *unterschreib*


    Was Walser in seinem Text „Kafkas Stil und Sterben“ erwähnt gibt’s jetzt als Roman:


    Am Samstag hab ich wieder mal in einer Buchhandlung gestöbert und dabei das folgende Buch entdeckt: „Die Herrlichkeit des Lebens“ des in München geborenen und in Berlin lebenden Autors Michael Kumpfmüller. Erzählt werden die letzten Tage des Doktors (der Name Franz Kafka wird im Text nicht genannt), und die Liebe zwischen ihm und Dora Diamant. Kumpfmüller hat Kafkas Tagebuchnotizen und seine Briefe in die Erzählung eingearbeitet, aber imo wäre das Buch auch lesenswert, wenn man nicht wüsste, dass der Doktor einer der großen Autoren des 20. Jahrhundert ist, lesenswert als Roman über die Liebe und den Tod.

  • Hallo,


    da bin ich ja immernoch ein Neuling in der Runde, habe aktuell auch gar kein Kafka gelesen, aber trotzdem wollte ich gerne von einem Erlebnis mit Kafkas "In der Strafkolonie" erzählen:


    Ich war im Literaturkurs der 12. oder 13. Klasse eines humanistischen Gymnasiums. Unser Lehrer, den ich sehr schätzte, stellte ein Tonband ein, und uns wurde in einer Audioaufnahme die Kafka Erzählung vorgespielt. Ich versuche mal - ungefiltert, wirklich unreflektiert - darzustellen, was damals mit mir geschah. Kurz vorweg gesagt, mir ging es damals psychisch sehr schlecht:


    Es gab das Intro, die Einführung in die Szene. Da war dann der Mann, war er nicht Wächter, der auf das Folterinstrument gespannt wurde? Langsam aber kontinuierlich wurde ihm sein Vergehen in die Haut tätowiert. Die Aufseher sahen der Ausführung zu. So hatte es seine Richtigkeit. Alles ging seinen Gang. Der Deliquent wußte nichts von seinem Verbrechen, obwohl er - was für ein Hohn - an der Eintätowierung seines Verbrechens über kurz oder lang zu Grunde gehen würde.
    Es wurde ihm auf dem Leib tätowiert, überall war er davon betroffen. Das Verbrechen! Welches Verbrechen? Egal, Du hast das Verbrechen begangen, Du gehst daran zugrunde. Alle könnten es jetzt sehen, aber ich weiß' nicht, wegen welchen Verbrechens ich gerade sterbe!
    Alle können es sehen, ich gehe kaputt, aber ich weiß' es nicht, was habe ich denn gemacht! Es ist an meinem ganzen Körper, aber was ist denn nun meine Schuld?
    Ich sterbe, werde ich nie wissen warum?


    Ausgehalten habe ich das bis zu der Stelle mit dem Abfließen des Blutes in Rinnen, dann bin ich rausgerannt und fand mich heulend auf der Damentoilette wieder. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Mir ging es schlecht, ich hatte wenige Monate davor versucht, mich umzubringen, und diese Geschichte hatte alles beschrieben: Etwas schreibt mir eine Schuld in den Körper/in die Seele, die mich umbringt, die ich nicht kenne, gegen die ich mich nicht verteidigen kann. Die nicht zu ertragen ist, die ich nie mehr los werde.


    Mein Deutschlehrer hat nach meinem Auftritt die Aufnahme, wie ich hörte, abgebrochen, ich selbst lebe auch immernoch....


    Aber auch gerade Kafka hat mir in Bezug auf "die Sünden der Väter..." aus der Bibel die Augen geöffnet. Das ist keine Drohung, das ist eine Beschreibung.


    Die Geschichte geht auch irgendwie zuende, das habe ich später gelesen und auch wieder vergessen. Bei mir endet die Geschichte mit dem Ablaufen des Blutes. Es war das Eindringlichste, was ich je gehört habe.