Februar 2011: Franz Kafka: Erzählungen


  • Dann wäre die "Mistkäfer"-Aussage der Haushälterin also eher umgangssprachlich zu verstehen.


    Wie das wirklich zu verstehen ist, kann natürlich niemand beweisen, ich zumindest verstehe das genau so!



    In diese Richtung hatte ich auch überlegt, weil mich die Sache an eine keltische Sage erinnert hat, die ich vor einigen Jahren gelesen habe. Darin wird ein König am Oberschenkel verletzt und ist daraufhin bettlägrig, und sein Land geht währenddessen vor die Hunde. Es handelt sich dabei um eine Metapher für Impotenz, und seither bin ich sensibilisiert, wenn ich von Verletzungen in einem gewissen Radius rund um den männlichen Intimbereich lese. :breitgrins:


    Das ist ja sehr interessant, die alten Kelten mit ihren kafkaesken Sagen - weißt du noch, liebe Bluebell, wie die Sage hieß oder wo man die finden kann?


    Das leuchtet ein und ist auch schlüssig - ein Ausweg, der nicht unbedingt zu mehr Glück und Zufriedenheit verhilft.


    Sicher nicht, Steffi, zumindest bei Kafka war es ja auch nur ein befristeter Ausweg!


    LG


    Hubert

  • Hallo zusammen,


    schade, dass euch „Ein Bericht für eine Akademie“ nicht so gefallen hat, von allen bisher gelesenen Erzählungen halte ich persönlich diese für die gelungenste. Aber die Geschmäcker sind verschieden und es muss ja nicht jeder/m alles gefallen. Kommen wir zur vorletzten Erzählung in unserer kleinen aber feinen Leserunde: „Ein Landarzt“.


    Text und ein paar Links findet man wie immer im Materialordner.


    Der Komponist Alban Berg, der Kafka sehr verehrte, hat gerne zu Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen Bücher von diesem verschenkt. Einmal als sein „Lehrer“ Arnold Schönberg wegen einer Blinddarmoperation in einem Wiener Krankenhaus lag hat er diesem statt Blumen Kafkas Erzählung „Ein Landarzt“ geschickt. Ob dieses Geschenk zur schnelleren Genesung von Arnold Schönberg beigetragen hat ist allerdings nicht überliefert.


    LG


    Hubert

  • Die fünfte Erzählung heißt: „Ein Landarzt“. Die Erzählung ist gleichzeitig titelgebend für einen Sammelband, der auch „Ein Bericht für eine Akademie“ und zwölf weitere zum Teil sehr kurze Erzählungen enthält. Welche das sind kann man dem unten verlinkten wikipedia-Artikel entnehmen.

    Hier findet man den Text:
    http://www.textlog.de/32067.html


    hier den Wikipedia-Artikel:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Landarzt


    hier eine Basisinterpretation von Gerrit Schneider (Uni Düsseldorf):
    http://www.mythos-magazin.de/methodenforschung/gs_kafka.pdf


    hier ein Thesenpapier von der Uni Heidelberg:
    http://dokumente-online.com/ka…arzt-zusammenfassung.html


    und hier eine Arbeit über traumhafte Elemente in Kafkas „Ein Landarzt“:
    http://franzkafka.ovh.org/opinie_pliki/kurzacz%203.pdf


  • weißt du noch, liebe Bluebell, wie die Sage hieß oder wo man die finden kann?


    Ich werde nachsehen! Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es tatsächlich eine keltische Sage war oder eine vom Fischerkönig (dem Gralshüter), was dann ja eher ein keltisch-christlich-mythologisches Mischmasch wäre - jedenfalls kenne ich die Geschichte aus meiner Keltenphase und habe eine Handvoll Bücher im Kopf, die dafür in Frage kommen. Ich werde am Osterwochenende mal danach suchen!



    schade, dass euch „Ein Bericht für eine Akademie“ nicht so gefallen hat, von allen bisher gelesenen Erzählungen halte ich persönlich diese für die gelungenste. Aber die Geschmäcker sind verschieden und es muss ja nicht jeder/m alles gefallen.


    Mir hat bis jetzt die Strafkolonie am besten gefallen. Wenn wir durch sind, könnten wir ja zum Spaß jeder eine persönliche Reihung posten und vergleichen, wer womit wie viel oder wie wenig anfangen konnte! :smile:



    Kommen wir zur vorletzten Erzählung in unserer kleinen aber feinen Leserunde: „Ein Landarzt“.


    Hui, die lässt mich im ersten Augenblick sehr durcheinander zurück. Ich will jetzt gar nicht sofort etwas dazu schreiben, sondern die Geschichte erst einmal setzen lassen und dann deine weiterführenden Links lesen, Hubert. Jedenfalls eine sehr intensive, sehr (alp-)traumhafte Angelegenheit ...


    Nette Anekdote mit den Komponisten übrigens - generell würde ich ja auch Kafka statt Blumen bevorzugen, aber wenn ich gerade wegen einer OP im Krankenhaus läge und mir brächte jemand den "Landarzt", würde ich ihn der Person wahrscheinlich um die Ohren hauen! :elch:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."


  • Aber auch wenn mir die ersten drei mehr zugesagt haben, hat mir ehrlich gesagt bisher noch keine Erzählung so gut gefallen wie "Amerika/Der Verschollene" ... vielleicht liegen mir Kafkas Romane generell mehr. Vom "Prozess" habe ich jedenfalls neulich die ersten ein, zwei Seiten gelesen und die klangen wieder nach etwas, das mir sehr gefallen könnte!


    Hallo Bluebell,


    wenn Dir ev. auch „Das Schloss“ gefallen könnte und Du Lust dazu hast, könnten wir das hier im Anschluss an die Erzählungen noch lesen, bis zu Fontane ist ja noch 5 Wochen Zeit. Den „Prozess“ hab' ich im Klassikerforum schon mal gelesen. Gerne hätte ich durch einen Link auf die Leserunde hingewiesen, aber sie ist, wie das Bibelprojekt, verschwunden.



    Ich werde nachsehen! Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es tatsächlich eine keltische Sage war oder eine vom Fischerkönig (dem Gralshüter), was dann ja eher ein keltisch-christlich-mythologisches Mischmasch wäre - jedenfalls kenne ich die Geschichte aus meiner Keltenphase und habe eine Handvoll Bücher im Kopf, die dafür in Frage kommen. Ich werde am Osterwochenende mal danach suchen!


    Das, liebe Bluebell, wäre sehr, sehr nett.



    Mir hat bis jetzt die Strafkolonie am besten gefallen. Wenn wir durch sind, könnten wir ja zum Spaß jeder eine persönliche Reihung posten und vergleichen, wer womit wie viel oder wie wenig anfangen konnte! :smile:


    Super Idee, dieses Ranking sollten wir auf jeden Fall machen, ich bin sicher, es wird sehr unterschiedliche Listen geben.



    Nette Anekdote mit den Komponisten übrigens - generell würde ich ja auch Kafka statt Blumen bevorzugen, aber wenn ich gerade wegen einer OP im Krankenhaus läge und mir brächte jemand den "Landarzt", würde ich ihn der Person wahrscheinlich um die Ohren hauen! :elch:


    Ich hab' mich auch gefragt, ob Alban Berg Kafka nur verschenkt oder auch gelesen hat?



    Die Erzählung „Ein Landarzt“ habe ich begonnen, bin aber durch die literarischen Anspielungen so abgelenkt worden, dass ich nicht sehr weit kam. Gleich zu Beginn bei „..... aber das Pferd fehlte, das Pferd“ habe ich automatisch laut gesagt: „A horse, a horse, my kingdom for a horse!“ und dann erst mal den 5. Akt von „Richard III“ wieder einmal gelesen und dann bei


    „gequält stieß ich mit dem Fuß an die brüchige Tür des schon seit Jahren unbenutzten Schweinestalles. Sie öffnete sich und klappte in den Angeln auf und zu. Wärme und Geruch wie von Pferden kam hervor. Eine trübe Stalllaterne schwankte drin an einem Seil. Ein Mann, zusammengekauert in dem niedrigen Verschlag, zeigte sein offenes blauäugiges Gesicht. »Soll ich anspannen?« fragte er, auf allen Vieren hervorkriechend. …......
    uund zwei Pferde, mächtige flankenstarke Tiere, schoben sich hintereinander, die Beine eng am Leib, die wohlgeformten Köpfe wie Kamele senkend, nur durch die Kraft der Wendungen ihres Rumpfes aus dem Türloch, ….


    hat's mich fast aus dem Lesesessel gehauen, da befreit doch Kafka zumindest literarisch tatsächlich die zwei kohlhaaschen Rappen aus dem Schweinekoben der Tronkenburg und ich konnte nicht anders und musste erstmal das Gespräch zwischen Kohlhaas und seinem Pferdeknecht Herse nachlesen und bin dann bei Kleist hängengeblieben.


    Dir und natürlich auch allen anderen Mitgliedern des Klassikerforums wünsche ich „Frohe Ostern“


    LG


    Hubert


  • wenn Dir ev. auch „Das Schloss“ gefallen könnte und Du Lust dazu hast, könnten wir das hier im Anschluss an die Erzählungen noch lesen


    Danke für das Angebot, aber nach den Erzählungen werde ich erst mal eine kleine Kafka-Pause machen und danach wahrscheinlich trotzdem lieber zuerst den "Prozess" lesen - vielleicht auch noch das "Schloss", aber eher nicht in unmittelbarer Zukunft.


    Übrigens finde ich es spannend, welche Parallele dir da zum Michael Kohlhaas aufgefallen ist - den habe ich ja noch nicht gelesen, aber ich freue mich auch immer wahnsinnig, wenn ich (ausnahmsweise mal :elch: ) solche Bezüge bemerke.


    Das, liebe Bluebell, wäre sehr, sehr nett.


    Also - das Buch heißt "Die keltische Frau" und stammt von Jean Markale. Kapitel V heißt "Der Gral oder die Suche nach der Frau", und hier habe ich eine der Stellen gefunden, an die ich mich erinnert habe. Aus dem Zusammenhang gerissen klingt sie ein wenig verwirrend, aber ich poste trotzdem mal:


    [...] symbolisiert der Gral-Kelch den Uterus der Muttergöttin, die - vorausgesetzt, dass sie geschwängert wird - den Geschöpfen auf Erden das Leben schenkt. Bekanntlich ist das Gralreich unfruchtbar und verwüstet und wartet auf den erwählten Ritter, der ihm seine verlorene Fruchtbarkeit wiedergibt. Und was ist erst von der Verletzung des Fischerkönigs an seinem "edelsten" Körperteil zu halten? Allein durch diese Analogie zwischem dem Gral-Kelch und dem Mutterschoß dürfte die Weiblichkeit des Grals hinreichend bewiesen sein.


    Zwei Seiten später wird eine Stelle aus einer irischen Sage zitiert:


    "[...] Du warfst einen Jagdspieß nach mir. Ich warf einen anderen nach dir und traf dich am Oberschenkel in der Höhe des Geschlechts. Seit dieser Zeit hast du ein Drüsenleiden und hast seither nie mehr einen Sohn oder eine Tochter gezeugt."
    Daraus geht hervor, dass Celtchar das gleiche Leiden hat wie der Fischerkönig. Folglich kann er den "Heldenanteil", d.h. die Rangstelle des Königs nicht für sich beanspruchen, denn die Königswürde ist, wie wir schon häufig feststellen konnten, unvereinbar mit sexueller Impotenz.


    Das Thema wird auch noch an mehreren anderen Stellen im Buch aufgegriffen, also wenn du dich näher dafür interessierst, würde es sich vielleicht schon auszahlen, es irgendwo aufzutreiben.

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  • Also - das Buch heißt "Die keltische Frau" und stammt von Jean Markale.


    Liebe Bluebell, vielen Dank dafür, dass Du einen Teil der Osterfeiertage dafür geopfert hast um für mich zu recherchieren. Anscheinend gibt es das Buch in Deutsch nicht mehr, aber ich denke es handet sich um dieses Buch:


    http://www.amazon.com/Women-Celts-Jean-Markale/dp/0892811501


    Dann werde ich mir das demnächst besorgen, zumal ich jetzt noch ein anderes Buch von Markale entdeckt habe:


    “Cathedral of the Black Madonna: The Druids and the Mysteries of Chartres”


    das mich als Freund und Kenner? der gotischen Kathedrale von Chartres sehr interessiert.


  • Hui, die lässt mich im ersten Augenblick sehr durcheinander zurück. Ich will jetzt gar nicht sofort etwas dazu schreiben, sondern die Geschichte erst einmal setzen lassen und dann deine weiterführenden Links lesen, Hubert. Jedenfalls eine sehr intensive, sehr (alp-)traumhafte Angelegenheit ...


    „Eine sehr intensive, sehr (alp-) traumhafte Angelegenheit“, liebe Bluebell, damit hast du den Nagel auf dem Kopf getroffen und dein Ersteindruck gefällt mir zehnmal besser als das Ergebnis von Gerrit Schneiders wissenschaftlicher Arbeit das ich zuerst mal würdigen möchte, bevor ich in meinem nächsten Beitrag meine Interpretation abgebe:



    Gerrit Schneider kommt in seiner „Basisinterpretation zu Franz Kafkas ‚Ein Landarzt’“ mit Hilfe der ‚kognitiven Hermeneutik’ zu dem Ergebnis, dass Kafka mit dieser Erzählung seinen Lesern eine rätselhafte Textwelt hinterlassen hat.


    Ihnen Herr Schneider, ihrem Professor Dr. Peter Tepe und dem gesamten Institut für Germanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gilt mein besonderer Dank für diese gewagte These, die imo ohne die literaturwissenschaftliche Methode der ‚kognitiven Hermeneutik’ mit einem so hohen Grad an Wissenschaftlichkeit nicht möglich gewesen wäre und für die 13 Seiten, die ich lesen durfte um zu dieser Offenbarung zu gelangen
    :breitgrins:


    LG (Dir Bluebell)


    Hubert


  • Gerrit Schneider kommt in seiner „Basisinterpretation zu Franz Kafkas ‚Ein Landarzt’“ mit Hilfe der ‚kognitiven Hermeneutik’ zu dem Ergebnis, dass Kafka mit dieser Erzählung seinen Lesern eine rätselhafte Textwelt hinterlassen hat.


    :breitgrins: Das heißt wohl, ich kann mir den Artikel sparen ? Außer "Alptraum" ist mir zu "Ein Landarzt" nämlich auch nicht viel eingefallen. Den Kohlhaas-Bezug hätte ich nicht erkannt, dazu ist meine Kohlhaas-Lektüre doch schon viel zu lange her. Die seitliche Wunde erinnerte mich ein bißchen an Jesus, allerdings dass sie mit der Farbe "rosa" beschrieben wurde und das Dienstmädchen ja auch Rosa heißt, das verwirrte mich ein bißchen :zwinker: Aber wer weiß, was ein Landarzt da auf dem Land eben so alles erlebt ? Auf jeden Fall ist "Ein Landarzt" ein gutes Beispiel für den magischen Realismus, der ja erst später in Lateinamerika so richtig zur Blüte kam.


  • Den Kohlhaas-Bezug hätte ich nicht erkannt,


    „Michael Kohlhaas“ war eines der Lieblingswerke von Kafka und er hat diese Erzählung nach eigenen Angaben mindestens zehnmal gelesen.


    Es gibt sicher noch viele literarische Anspielungen in Kafkas Erzählung „Ein Landarzt“, auf eine, weil sie imo für die Interpretation entscheidend ist, will ich noch hinweisen:


    Kafka beschreibt die Wunde des Patienten wie folgt:


    „Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelndem Blut, offen wie ein Bergwerk obertags.“


    Indem Kafka „Rosa“ großgeschrieben an den Satzanfang setzt, macht er deutlich, dass es sich bei dem Patienten eben nicht um den Landarzt handelt, wie Konrad Kurzacz in seiner Arbeit u.a. vermutet, sondern um Rosa. Den Zusatz auf das Tageberwerk hätte es eigentlich nicht mehr gebraucht, auch so ist deutlich was Kafka hier beschreibt, sicher keine Kastrationswunde. Mich lässt ein Obertagebergwerk immer an das Bergwerk von Falun denken.


    Literarisch vielfach bearbeitet, hier ein Zitat aus „Die Bergwerke zu Falun“ von E.T.A. Hoffmann:
    aus Kapitel 2


    Als nun Elis Fröbom hinabschaute in den ungeheueren Schlund, kam ihm in den Sinn, was ihm vor langer Zeit der alte Steuermann seines Schiffs erzählt. Dem war es, als er einmal im Fieber gelegen, plötzlich gewesen, als seien die Wellen des Meeres verströmt, und unter ihm habe sich der unermeßliche Abgrund geöffnet, so daß er die scheußlichen Untiere der Tiefe erblickte, die sich zwischen Tausenden von seltsamen Muscheln, Korallenstauden, zwischen wunderlichem Gestein in häßlichen Verschlingungen hin und her wälzten, bis sie mit aufgesperrtem Rachen, zum Tode erstarrt, liegen geblieben. ……. Daran dachte Elis, denn wohl bedünkte ihm der Abgrund wie der Boden der von den Wellen verlassenen See, und das schwarze Gestein, die blaulichen, roten Schlacken des Erzes schienen ihm abscheuliche Untiere, die ihre häßlichen Polypenarme nach ihm ausstreckten.


    Also ich bin mir sicher, Kafka hat sich zu seinen rosafarbenen fingerdicken Würmern von Hoffmanns Untieren mit Polypenarmen (beides imo Phallus-Hinweise) anregen lassen und nicht von Freud und die Wunde des Patienten ist ebenso wie der Schlund der Erzgrube bei Hoffmann ein Vagina-Hinweis.

  • Hallo zusammen,


    wenn es nach der Befreiung der kohlhaaschen Rappen heißt, „Aber gleich standen sie aufrecht …“ dann war das imo im Zusammenhang mit dem „willigen Mädchen“ im folgenden Satz, eine der Stellen, bei denen Kafka beim Vorlesen im privaten (Männer-)Kreis vor Lachen weilchenweise nicht weiterlesen konnte.
    :breitgrins:


    Danke Hubert, ich habe gerade diese Arbeit überflogen und auch wenn es sich fast ausschließlich auf Freud bezieht, gibt es einige sehr interessante Ansätze.


    Da Bluebell und Du Steffi, in der Erzählung „Ein Landarzt“ richtigerweise einen Traum erkannten, muss es bei Konrad Kurzacz Arbeit über „Traumhafte Elemente …“ natürlich interessante Ansätze geben, zumindest hat sich K.K. einige Gedanken gemacht, wenn auch manchmal die falschen und nicht nur, wie Gerrit Schneider, eine literaturwissenschaftliche Methode abgearbeitet.


    Unter Punkt 3. schreibt K.K.: „In einem Traum passiert es oft, dass sich eine Persönlichkeit in mehrere spaltet, …… Diese Persönlichkeitsspaltung wurde schon oft in der Literaturgeschichte verarbeitet.“ Soweit richtig und K.K. hätte als Beispiel „Faust & Mephisto“, „Dr. Hekyll & Mr. Hyde“ oder „Hans Giebenrath & Hermann Heilner“ anführen können, aber mit „Karl & Franz Moor“ liegt er imo falsch.


    „Der Knecht und der Landarzt können als eine Person betrachtet werden …“, schreibt K.K. weiter und auch das ist imo richtig, allerdings belegt K.K. diese These mit 3 falschen Beispielen wie z.B., dass sowohl der Pferdeknecht, als auch der Landarzt die Pferde mit dem Ruf „Munter“ in Bewegung setzen , überliest dabei aber, dass der Ruf nur bei dem Knecht seine Wirkung erzielt.


    Zur Verdeutlichung:


    Wenn man aber schon mal gehört hat, dass Kara Ben Nemsi mit dem Ruf „Rih“ den Turbo bei seinem legendären Rappen einschaltet dann wird man das bei Gelegenheit auch versuchen, wenn es nicht funktioniert, heißt das aber doch nicht, dass man jetzt mit Kara Ben Nemsi identisch ist sondern zeigt eher das Gegenteil, da man halt eben nicht weiß, dass der Ruf allein zuwenig ist, es braucht auch noch die Berührung an einer bestimmten Körperstelle.


    Trotzdem, auch ich denke, dass der Knecht als agressiv-männlicher Teil des Landarztes betrachtet werden kann, der dem Dienstmädchen gewaltsam eine Wunde zufügt, was eine Entjungferung andeuten könnte, - ab jetzt hat das vorher namenlose Mädchen auch eine Namen: Rosa! – Rosa ist auch die Wunde des Patienten, womit angedeutet ist, dass der Patient die andere Seite des Mädchen ist – auch hier eine Persönlichkeitsspaltung. Der Arzt wird von der Dorfbevölkerung und insbesondere der Familie gezwungen das entjungferte Mädchen zu heilen, sprich zu heiraten, er wird dem Patienten/Mädchen quasi ins Bett gelegt, anderenfalls so wird ihm schon vorher durch den Schulchor gedroht wird er nicht überleben.


    LG


    Hubert

  • Hallo zusammen !


    Ja, die Sache mit der Persönlichkeitsspaltung leuchtet ein, so bekommt die ganze Erzählung doch einen ganz anderen Gesichtspunkt. Kafka, scheint mir, ist immer für eine Überraschung gut und es sind wohl gerade die extremsten Einfälle, die er verarbeitet hat.

  • Hallo ihr Lieben,
    ich muss mich fürs Erste (noch) ein bisschen rarer machen - bin beruflich und privat gerade ziemlich ausgelastet, und zusätzlich bin ich drüben im Großen Bücherforum mit der Monatsleitung eines Lesespiels betraut worden ... da kann ich hier gerade leider nicht sehr ausführlich mitdiskutieren.


    Nur 2 Cent zu der Wunde: für mich hatte die Beschreibung auch Vaginasymbolik, besonders, als sich der Landarzt dann nackt neben den Patienten legt (und zwar auf der Seite, wo die Wunde war). Die Beschreibung mit den Würmern fand ich dann aber so widerlich, dass ich gar nicht mehr genauer darüber nachdenken wollte.


    Den Hungerkünstler habe ich übrigens schon gelesen, ich weiß wie gesagt nur nicht genau, wann ich hier wieder in Ruhe zum Posten komme ...! Werde aber zumindest reinlinsen.


    Bis hoffentlich bald!! :winken:

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  • Die sechste und letzte Erzählung in unserer Leserunde heißt: „Ein Hungerkünstler“. Die Erzählung ist gleichzeitig titelgebend für einen Sammelband, der insgesamt vier kurze Erzählungen enthält. Welche das sind kann man dem unten verlinkten wikipedia-Artikel entnehmen.

    Hier findet man den Text:
    http://www.textlog.de/32076.html


    hier den Wikipedia-Artikel:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Hungerk%C3%BCnstler


    und hier weiterführende Links:
    http://dpie.ch/school/pdf/deut…eet%20hungerkuenstler.pdf


    http://www.susanne-schmid.de/Hungerkuenstler_Theorie.pdf

  • Dann versuche ich mich mal an der Erzählung "Der Hungerkünstler" , ich bin inzwischen schon auf alles gefasst :breitgrins:


    Zuerst ist mir aufgefallen, dass Kafka den Begriff "Hungerkünstler" wörtlich nimmt und ihn tatsächlich nicht als einen kunstschaffenden Menschen, der nicht oder nur schwer von seiner Kunst leben kann, beschreibt, sondern als Künstler, der vom Hungern lebt. Zumindest am Anfang lebt er ganz gut damit. Diese wieder mal absurde Haltung gefiel mir gut, erinnert mich aber auch ein bißchen an eine (zynischens ?) Reaktion auf Vorhaltungen, die man ihm als (Hunger-)künstler gemacht haben könnte. Oder die er sich selber gemacht hat.
    Allerdings gibt es auch reale Vorbilder, wirkliche Hungerkünstler. Also vielleicht doch keine Absurdität diesmal ?


    Denn während seiner "guten" Zeit, als er also vom Hungern leben kann, ist er fortwährend unzufrieden, denn er könnte noch so viel mehr leisten, noch mehr hungern. Als er soviel hungern darf, wie er will, wird er vergessen und stirbt schließlich. Ein gewisses Provokationspotential ist da durchaus zu erkennen.


    Es fragt sich natürlich auch, was mit dem Hungern gemeint sein könnte. Hunger nach Anerkennung, Zuneigung und Verständnis? Hunger nach künstlerischem Schaffen, Hungern für die Kunst ? Oder Fasten aus religiösen Gründen, um durch den Verzicht zur inneren Reinheit zu kommen, d.h. durch künstlerisches Schaffen (=Hungern, da kein materieller Verdienst bezweckt ist) zur inneren Erlösung ? Fasten um Aufmerksamkeit zu erhalten, für die eigene Überzeugung oder Magersucht als Beweis der Überlegenheit des Geistes, als krankhafter Ehrgeiz ? Oder doch Selbstkasteiung als Provokation und Darstellung, was man alles leisten kann ?


    Der Grund, warum Kafkas Künstler hungert, ist "...weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.“


    Kafka macht es mir nicht leicht, irgendwie scheint alles zu passen. Ich denke schon, dass es sich auf die Kunst bezieht. Für ihn ist die Kunst keine Willensanstrengung und das Ziel, ein absoluter Künstler zu sein, etwas zu schaffen, das unfehlbar ist, wird nicht erreicht werden können. Der Künstler auf der Suche nach dieser Unfehlbarkeit oder, vielleicht weniger dramatisch, bei der unbeirrten Ausübung seiner Kunst bis zum Tod.


  • Zuerst ist mir aufgefallen, dass Kafka den Begriff "Hungerkünstler" wörtlich nimmt und ihn tatsächlich nicht als einen kunstschaffenden Menschen, der nicht oder nur schwer von seiner Kunst leben kann, beschreibt, sondern als Künstler, der vom Hungern lebt.


    Ganz schön krasser Beruf, nicht wahr?
    (Da fällt mir ein Ausspruch einer amerikanischen Serienschauspielerin ein, die in einem Interview mal voller Zynismus gemeint hat: "Man bezahlt uns nicht fürs Schauspielern, sondern fürs Hungern.")



    Es fragt sich natürlich auch, was mit dem Hungern gemeint sein könnte.


    Wikipedia betont besonders die Metapher für Kunst, aber ich finde, deine Ideen würden auch alle einleuchten. Auf mich persönlich wirkt er gar nicht so anders als moderne Magersüchtige, und ich glaube ihm auch nicht, wenn er sagt: "...weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.“


    Genuss scheint mir so ziemlich das Letzte zu sein, was ihn zum Essen bewegen könnte. Was auch immer seine ursprüngliche Motivation gewesen sein mag, aber das bloße "Nichtschmecken" wohl kaum. :rollen:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen,


    leider gibt es bei mir i.M. beruflich und privat (u.a. liegt meine Mutter schwerkrank im Krankenhaus) vieles, dass mich nicht die Zeit und die Muße finden lässt den „Hungerkünstler“ zu lesen, ich hoffe das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Reingeschaut habe ich natürlich schon und eine Frage ist aufgetaucht, bei der ihr mir vielleicht helfen könnt:


    „Als Höchstzeit für das Hungern hatte der Impresario vierzig Tage festgesetzt, darüber hinaus ließ er niemals hungern, auch in den Weltstädten nicht, und zwar aus gutem Grund. Vierzig Tage etwa konnte man erfahrungsgemäß durch allmählich sich steigernde Reklame das Interesse einer Stadt immer mehr aufstacheln, dann aber versagte das Publikum, eine wesentliche Abnahme des Zuspruchs war festzustellen; es bestanden natürlich in dieser Hinsicht kleine Unterschiede zwischen den Städten und Ländern, als Regel aber galt, daß vierzig Tage die Höchstzeit war.“


    Mit diesem Zitat spielt Kafka natürlich auf das 40-tägige Fasten in der Bibel an, dass sowohl im Alten Testament


    „Denn am Horeb erzürntet ihr den HERRN also, daß er vor Zorn euch vertilgen wollte, (2. Mose 32.1) 9 da ich auf den Berg gegangen war, die steinernen Tafeln zu empfangen, die Tafeln des Bundes, den der HERR mit euch machte, und ich vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Berge blieb und kein Brot aß und kein Wasser trank“


    als auch im Neuen Testament vorkommt:


    „1 Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf daß er von dem Teufel versucht würde. (Hebräer 4.15) 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. (2. Mose 34.28) (1. Könige 19.8)“


    Wenn ich lese, was Kafka über die Gründe schreibt, die den Impressario zu den 40 Tagen kommen lässt, bin ich mir nicht sicher, ob sich Kafka da über die biblischen Stellen lustig macht. Wie seht ihr das?

  • Hallo Hubert,


    klar, die Ironie ist schon sehr deutlich, finde ich. Mir hat dieses Stelle besonders gut gefallen, besonders die "Reklame" , die sich auch , wie ich finde, auf die biblischen Wunder bezieht.


    Ich hoffe und wünsche dir, dass du bald wieder mehr Ruhe findest und dass es deiner Mutter schnell wieder besser geht !