Februar 2011: Franz Kafka: Erzählungen


  • Hat sich also Gregor, bisher Mittelpunkt der Familie (siehe Raumanordnung) über Nacht in eine unerwünschte Person verwandelt?


    Leider erfahren wir als Leser nicht, ob sich Gregor sozusagen selber entschlossen hat, seinen Pflichten nicht mehr nachzukommen und die bisherige Familienordnung durcheinanderzubringen. Oder ob dieser Impuls von außen kam.


    Wenn man die Erzählung als Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenen liest, dann kam seine Verwandlung mit dem Ende der Pubertät. (Wie alt ist Gregor eigentlich ?). Er hatte bis zur Verwandlung nicht den Mut, seine Lage und Position zu ändern, seinen Bedürfnissen nachzugehen, er erfüllte seine Pflicht wie ein Kind. Nun weigert sich sein Körper, seine Psyche vielleicht, dem Bild der anderen weiterhin zu entsprechen. Und setzt damit die weiteren Geschehnisse in Gang.


  • Wenn man die Erzählung als Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenen liest, dann kam seine Verwandlung mit dem Ende der Pubertät. (Wie alt ist Gregor eigentlich ?).


    Hallo Steffi,


    Wie kommst Du zu dieser Lesart? Wenn überhaupt, was ich aber nicht glaube, dann wäre es doch eher die Rückentwicklung eines Erwachsenen zum Kind, oder?


    Gregor ist imo so alt, wie Kafka war, als er die Novelle schrieb: 29 Jahre und da ist die Pubertät selbst bei Spätentwicklern längst vorbei, außerdem ist ein pubertierender Junge wohl kaum als Ernährer und Mittelpunkt einer Familie vorstellbar.


    Btw: Ich habe mal den Wikipedia-Artikel zur „Verwandlung“ durchgelesen, da steht z.T. haarsträubender Unsinn. Beispiel:



    „Ein enger Bezug besteht zur Kafka-Novelle Das Urteil. Beide Werke entstaden im Herbst 1912. Schon die Namensähnlichkeit Gregor und Georg ist auffällig.“


    Es ist zwar richtig, dass beide Erzählungen im Herbst 1912 entstanden sind und dazu die Arbeit am Roman „Der Verschollene“ unterbrochen wurde. Aber die Ursache für diese Unterbrechung war jeweils eine andere. Während „Das Urteil“ in der Nacht nach Jom Kippur geschrieben wurde und deshalb sicher einen Bezug zur Erzählung „In der Strafkolonie“ hat, die ebenfalls kurz nach Jom Kippur allerdings 2 Jahre später entstand, wurde „Der Verschollene“ für „Die Verwandlung“ etwas später unterbrochen, weil seine Lieblingsschwester Kafka „zurückgewiesen hat“, was immer das auch heißt (inzwischen halte ich bei Kafka nichts mehr für unmöglich) und sich, obwohl sie vorher immer zu Franz gegen die Familie gehalten hat, jetzt auf die Seite der Familie geschlagen hat.


    (Da fällt mir wieder ein, dass ich ja auf Jom Kippur noch eingehen wollte, -mal sehen wie ich das alles schaffe?)


    Auch die Namensähnlichkeit von Georg und Gregor ist nicht auffällig, sondern zufällig. Georg ist imo eine Hommage an den früh verstorbenen Bruder Georg (ich bin noch am recherchieren, wieso der so früh verstorben ist, möglicherweise tun sich da Abgründe auf), während Gregor, wie schon erwähnt, eindeutig ein Hinweis auf „Venus im Pelz“ ist.


  • Hat sich also Gregor, bisher Mittelpunkt der Familie (siehe Raumanordnung) über Nacht in eine unerwünschte Person verwandelt?


    Dazu würde auch passen, dass ihn die anderen Personen zu Beginn noch durch die geschlossene Tür verstehen können - seine Stimme klingt zwar schon verändert und "tierisch" (weil er noch um eine Uhrzeit im Bett liegt, als er eigentlich schon bei der Arbeit sein sollte), aber noch wissen sie nicht, was genau es mit diesem Verhalten auf sich hat, darum bemühen sie sich noch um ein Verstehen. Erst als klar wird, dass er heute garantiert nicht mehr arbeiten geht, löst sich die letzte Kommunikationsmöglichkeit ganz in Luft auf.
    Allerdings stellt diese Variante mein ursprüngliches Verständnis ein bisschen auf den Kopf (wo Gregor ja unbedingt seine Pflicht erfüllen will, aber nur durch seine neue Gestalt daran gehindert wird).



    er erfüllte seine Pflicht wie ein Kind. Nun weigert sich sein Körper, seine Psyche vielleicht, dem Bild der anderen weiterhin zu entsprechen.


    Zuerst bin ich über diese Aussage gestolpert, aber ich glaube, jetzt verstehe ich, was du meinst. Meine erster Gedanke war: ein Kind hat doch keine "Pflicht", irgendeinem Bild zu entsprechen!? Aber vielleicht ja doch, bzw. tun es viele Kinder wohl ganz automatisch, und in der Pubertät kommt dann zum ersten Mal der Moment, wo sie sich ihrer Individualität so richtig bewusst werden und gegen die Erwartungen der Eltern rebellieren - und sei es nur, indem sie etwas bestimmtes nicht mehr tun.
    So gesehen könnte es tatsächlich sein, dass Gregor, obwohl altersmäßig schon erwachsen, vielleicht etwas nachholt, dass er in der Pubertät versäumt hat.
    Verallgemeinern kann man das aber glaube ich nicht, denn es gibt sicher genug Menschen, die sich in einer ähnlichen Weise aufopfern/ausnutzen lassen, ohne dass man nun gleich sagen könnte, sie haben in der Pubertät was verpasst.

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."


  • Aber vielleicht ja doch, bzw. tun es viele Kinder wohl ganz automatisch, und in der Pubertät kommt dann zum ersten Mal der Moment, wo sie sich ihrer Individualität so richtig bewusst werden und gegen die Erwartungen der Eltern rebellieren - und sei es nur, indem sie etwas bestimmtes nicht mehr tun.
    So gesehen könnte es tatsächlich sein, dass Gregor, obwohl altersmäßig schon erwachsen, vielleicht etwas nachholt, dass er in der Pubertät versäumt hat.


    Danke, Bluebell, du hast es sehr gut ausgedrückt, so hatte ich es gemeint !


    Ich habe ja "Die Verwandlung" aufgrund eines Schul-Referats meiner Tochter gelesen. Und für sie war dieser Pubertätsaspekt (ich nenne das jetzt einfach mal so) sehr greifbar, quasi ein Aufruf, sich eben nicht ein Leben lang den Pflichten und Erwartungen der Eltern oder der Familie zu unterwerfen, sondern seinen eigenen Weg zu finden, auch wenn man sich damit selber ausgrenzt. Denn, wie man bei Gregor sieht, obwohl er sich lange unterworfen hat, wurde er nicht als Person sondern nur aufgrund seiner Ernährer-Position geliebt. Das Ungeziefer könnte dann auch eine Metapher für den alten Gregor (aus Gregors Sicht) und den neuen Gregor (aus Familiensicht) sein.


    Wie gesagt, ich denke, dass das einer unter mehreren Aspekten ist. Das Alter spielt meiner Meinung nach dafür keine große Rolle, ich denke aber, dass man damals ja schon mit 15 zu arbeiten begann, daher Gregor auch erst Anfang 20 sein könnte.

  • Steffi, das mit deiner Tochter finde ich sehr interessant! Damit bestätigt sich ein weiteres Mal, dass Kafka ein Chamäleon ist. :smile:
    Je nach Leser erscheinen seine Texte mal so, mal so, und bleiben doch immer Kafka.

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  • Hallo Steffi,
    hallo Bluebell,


    nachdem ich jetzt Kafkas Erzählung noch mal mit euren Argumenten durchdacht habe muss ich sagen, dass dieser Pubertätsaspekt natürlich auch stimmig ist, da kann man nicht viel dagegen einwenden, trotzdem wie bei Kafka üblich, und um auch mal Brecht abzuwandeln, ziehen wir betroffen, den Vorhang zu – und manche Fragen offen!


    Die nächste Erzählung in unserer Runde ist „Ein Bericht für eine Akademie“, eine Erzählung auf die ich schon mit Spannung warte. Zwar habe ich sie noch nie gelesen, aber schon zwei Mal im Theater gesehen, das ist allerdings schon so zwischen 15 und 20 Jahre her. Nach einer hochgelobten Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, mit dem seit Geburt an der Glasknochenkrankheit erkrankten Schauspieler Peter Radtke 1986 in der Regie von Franz Xaver Kroetz, wurde das Stück Anfang der 90er Kult und kaum ein Theater, das es nicht auf dem Spielplan hatte. Radtke hat „Ein Bericht für eine Akademie“ übrigens auch ab 1992 in einer Tabori-Inszenierung am Wiener Burgtheater gespielt. Seit der Zeit wollte ich die Erzählung auch immer mal wieder lesen und freue mich, dass es jetzt mit euch Beiden klappt.


    LG


    Hubert.

  • Die vierte Erzählung heißt: „Ein Bericht für eine Akademie“. Es bietet sich an, diese Erzählung nach der Verwandlung zu lesen, denn während sich in „Die Verwandlung“ ein Mensch zum Ungeziefer verwandelt, erzählt Kafka in „Ein Bericht für eine Akademie“ von einem Affen, der sich in einen Menschen verwandelt. Trotzdem haben die beiden Erzählungen wenig miteinander zu tun. Wir erleben hier einen völlig anderen Kafka: während in allen Werken Kafkas, die wir bis jetzt gelesen haben, der Protagonist eine abwärts gerichtete Entwicklung durchläuft, erleben wir jetzt eine aufwärts gerichtete Entwicklung, - na ja sofern man die Entwicklung vom Affen zum Menschen als solche sieht. Kafka jedenfalls lädt genau zu diesem Punkt zum Nachdenken ein!


    Hier findet man den Text:
    http://www.textlog.de/32069.html


    Hier den Wikipedia-Artikel:
    http://de.wikipedia.org/wiki/E…ht_f%C3%BCr_eine_Akademie


    und hier Kritiken zu einer Aufführung des Schauspielers Hans Schwab
    http://www.hansschwab.de/kritik_akademie.htm


  • Danke, Hubert, du machst mich neugierig ! Zuvor will ich aber noch den Brief an den Vater lesen.


    Hallo Steffi,


    es macht wirklich Sinn, den „Brief an den Vater“ im Zusammenhang mit „Die Verwandlung“ zu lesen, da wollen wir gerne auf Dich warten. Gib einfach Bescheid wenn Du soweit bist. Ich hoffe Du bist nicht böse mit mir, weil ich den „Brief“ einfach so allein gelesen habe, ohne auf Dich zu warten, aber nachdem Bluebell postete, dass sie den „Brief an den Vater“ zwischendurch gelesen hat, und Du dich auf meine Frage nach dem „Brief“ nicht gemeldet hattest, habe ich gedacht Du kennst ihn schon, bzw. Du hast kein Interesse. Sorry


    LG


    Hubert.

  • Hallo Hubert,


    nix passiert :zwinker: Ich hab den Brief gestern noch gelesen. Ich fand ihn sehr interessant, aber ein bißchen kam es mir auch so vor, als ob es nicht ein Brief war, den man wirklich abschicken will. Mir schien es, dass Kafka auch eine solche Hassfigur braucht, um schreiben zu können und nicht in einem schönen, braven und langweiligen Alltag zu versinken. Zumindest wenn ich soviele Vorwürfe hätte, würde ich nicht mehr mit meinem Vater sprechen, schon gar nicht mein Kind zu ihm bringen und überhaupt jeden Kontakt ablehnen.


  • kam es mir auch so vor, als ob es nicht ein Brief war, den man wirklich abschicken will.


    Hallo Steffi,


    Du sprichst mir aus der Seele, auch ich habe gleich gedacht, das wollte der doch nicht wirklich abschicken und tatsächlich hat er den Brief ja auch Milena gegeben und so was macht man ja nicht mit einem privaten Brief, sondern eher mit einem literarischen Werk?


    Gruß


    Hubert

  • http://www.klassikerforum.de/i…58.msg46411.html#msg46411


    Hallo Bluebell,
    hallo Steffi,


    gestern Abend habe ich mir das Hörbuch “Die Verwandlung” angehört und dabei ist mir aufgefallen, dass von den „vielen Füßchen“ Gregors die Rede ist; „viele Füßchen“, das klingt für mich mehr als vier oder sechs und damit kann es sich imo nicht um einen Käfer oder eine Schabe handeln, ich denke es läuft darauf hinaus, das es ein Phantasie - Ungeziefer ist, ein weiteres Argument dafür, dass sich die Verwandlung nicht in der Realität, sondern in Gregors Phantasie abspielt.


    LG


    Hubert


  • gestern Abend habe ich mir das Hörbuch “Die Verwandlung” angehört und dabei ist mir aufgefallen, dass von den „vielen Füßchen“ Gregors die Rede ist; „viele Füßchen“, das klingt für mich mehr als vier oder sechs und damit kann es sich imo nicht um einen Käfer oder eine Schabe handeln


    Najaaa ... wenn ich morgen mit 6 anstatt meiner gewohnten 2 Füßchen aufwachen sollte, dann wären das für mich durchaus "viele". :breitgrins:
    Und ist nicht an irgendeiner anderen Stelle durchaus von sechs die Rede, oder habe ich das falsch in Erinnerung?


    Heute habe ich den "Bericht an eine Akademie" gelesen. Diese Geschichte hatte eine ganz eigenartige Wirkung auf mich. Der Affe legt seine Affennatur ab und sich menschliche Verhaltensweisen zu, aber obwohl ihn das theoretisch auf eine höhere Stufe heben sollte (was er selbst ja auch so empfindet, und anscheinend auch die Menschen in seiner Umgebung), erniedrigt er sich dadurch doch ganz fürchterlich. Zumindest ich war hin- und hergerisschen zwischen Mitleid und Abstoßung, als er seinen übergroßen Lerneifer beschreibt ... auch wenn er einen guten und vollkommen nachvollziehbaren Grund dafür hat, ist diese Selbstverleugnung in meinen Augen etwas ganz Demütigendes. Einerseits hätte ich vor Mitleid zerfließen können, andererseits hat sie mich wie gesagt teilweise auch abgestoßen. Die Stellen, wo er mit großer Selbstverständlichkeit über seine Flöhe spricht oder darüber, dass er stolz auf seinen Pelz ist und sich auch nicht schämt, die Hose auszuziehen, waren dagegen eine richtige Erleichterung!
    Wie ging es euch?

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  • Hallo zusammen !


    Ich konnte mit der Erzählung "Bericht an eine Akademie" nicht soviel anfangen. Ich hatte sogleich das Märchen "Der Affe als Mensch" von Wilhelm Hauff im Kopf und schon das gefällt mir nicht. Eine Satire auf die menschliche Gesellschaft, ja, aber ich vermisste die Raffiniertheit, die Kafka sonst so gut beherrscht.


  • Ich konnte mit der Erzählung "Bericht an eine Akademie" nicht soviel anfangen. Ich hatte sogleich das Märchen "Der Affe als Mensch" von Wilhelm Hauff im Kopf und schon das gefällt mir nicht. Eine Satire auf die menschliche Gesellschaft, ja, aber ich vermisste die Raffiniertheit, die Kafka sonst so gut beherrscht.


    Für mich kann diese Geschichte auch nicht mit den anderen mithalten, die wir schon gelesen haben.
    Aber auch wenn mir die ersten drei mehr zugesagt haben, hat mir ehrlich gesagt bisher noch keine Erzählung so gut gefallen wie "Amerika/Der Verschollene" ... vielleicht liegen mir Kafkas Romane generell mehr. Vom "Prozess" habe ich jedenfalls neulich die ersten ein, zwei Seiten gelesen und die klangen wieder nach etwas, das mir sehr gefallen könnte!

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  • Najaaa ... wenn ich morgen mit 6 anstatt meiner gewohnten 2 Füßchen aufwachen sollte, dann wären das für mich durchaus "viele". :breitgrins:
    Und ist nicht an irgendeiner anderen Stelle durchaus von sechs die Rede, oder habe ich das falsch in Erinnerung?


    Hallo zusammen,


    Dein Einwand, Bluebell, ist sicher berechtigt. Ich habe deshalb „Die Verwandlung“ mal elektronisch durchsucht und wenn meine Suchfunktion richtig funktioniert, kommt „Sechs“ im Zusammenhang mit Füßen oder Beinen nicht vor. Aber dreimal wird auf die vielen Beinchen hingewiesen, einmal sogar mit zusätzlich zwei Händen und kein Tier hat viele Beinchen und zusätzlich Hände, oder? Mir scheint, Kafka hat bewusst auf viele Beine hingewiesen ohne eine genaue Zahl zu nennen damit eben nicht auf eine bestimmte Klasse im Tierreich hingewiesen wird.


    Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.


    Er hätte Arme und Hände gebraucht, um sich aufzurichten, statt dessen aber hatte er nur die vielen Beinchen, die ununterbrochen in der verschiedensten Bewegung waren und die er überdies nicht beherrschen konnte.


    der sich schon am Geländer des Vorplatzes lächerlicherweise mit beiden Händen festhielt; fiel aber sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei auf seine vielen Beinchen nieder


  • Heute habe ich den "Bericht an eine Akademie" gelesen. Diese Geschichte hatte eine ganz eigenartige Wirkung auf mich. Der Affe legt seine Affennatur ab und sich menschliche Verhaltensweisen zu, aber obwohl ihn das theoretisch auf eine höhere Stufe heben sollte (was er selbst ja auch so empfindet, und anscheinend auch die Menschen in seiner Umgebung), erniedrigt er sich dadurch doch ganz fürchterlich. ...... Wie ging es euch?


    Mir ging es ähnlich wie Dir, - auch Max Brod spielt wohl auf diese Erniedrigung an, wenn er im Anschluss an eine öffentliche Lesung dieser Erzählung durch seine Frau schreibt: „Ist das nicht die genialste Satire auf die Assimilation, die je geschrieben wurde. …. Der Assimilant, der nicht Freiheit … will, nur einen Ausweg, einen jämmerlichen Ausweg! Es ist grotesk und erhaben in einem Atemzug.“ (Sowohl Brods als auch Kafkas Familien gehörten dem assimilierten, jüdischen Bürgertum Prags an, die jüngere Generation empfand diese Assimilation, auch angeregt durch Gastspiele ostjüdischer Theatergruppen, als erniedrigend.)


    Der Ansatz von Brod ist sicher richtig aber er macht auch den Fehler, Kafka auf ein Thema zu verengen. Wie viel mehr steckt in dieser Erzählung? Auf zwei Punkte will ich noch hinweisen. Sehr raffiniert bringt Kafka das psychoanalytische Thema der Kastrationsangst ins Spiel,


    http://www.psychology48.com/de…ngst/kastrationsangst.htm


    wenn er Rotpeter von dem zweiten Schuss der ihn unterhalb der Hüfte getroffen hat, erzählen lässt, - Rotpeter kann deshalb auch ungeniert die Hose runterlassen, da ist nichts mehr wofür er sich genieren müsste, nur eine Narbe und wohlgepflegter Pelz.


    Auch die Problematik, dass ein Leidender, durch den Ausweg der Kunst überleben kann, steckt in der Erzählung. Rotpeter wollte nicht die Freiheit, den er wusste, das wäre der Tod gewesen, er suchte nur einen Ausweg, den er als Varietekünstler fand. Auch Kafka war ein Leidender. Den Weg in die Freiheit hat er im „Urteil“ dargestellt in dem er quasi Schiller zitiert („ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei“ aus dem Tell, ein Zitat das auch Koeppen als letzten Satz in seinem „Treibhaus“ verwendet). Kafka (wie Koeppen, Thomas Mann u.a.) hat diesen Weg in die Freiheit nicht gewählt (vielleicht sein Bruder Georg, aber das ist noch Spekulation), Kafka nahm den Ausweg den er im „Bericht“ beschreibt, zum Künstler.


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Danke für deine Mühe mit der Suchfunktion, schön langsam kommt auch mir das am wahrscheinlichsten vor:



    Mir scheint, Kafka hat bewusst auf viele Beine hingewiesen ohne eine genaue Zahl zu nennen damit eben nicht auf eine bestimmte Klasse im Tierreich hingewiesen wird.


    Dann wäre die "Mistkäfer"-Aussage der Haushälterin also eher umgangssprachlich zu verstehen.



    Auf zwei Punkte will ich noch hinweisen. Sehr raffiniert bringt Kafka das psychoanalytische Thema der Kastrationsangst ins Spiel,


    http://www.psychology48.com/de…ngst/kastrationsangst.htm


    wenn er Rotpeter von dem zweiten Schuss der ihn unterhalb der Hüfte getroffen hat, erzählen lässt, - Rotpeter kann deshalb auch ungeniert die Hose runterlassen, da ist nichts mehr wofür er sich genieren müsste, nur eine Narbe und wohlgepflegter Pelz.


    In diese Richtung hatte ich auch überlegt, weil mich die Sache an eine keltische Sage erinnert hat, die ich vor einigen Jahren gelesen habe. Darin wird ein König am Oberschenkel verletzt und ist daraufhin bettlägrig, und sein Land geht währenddessen vor die Hunde. Es handelt sich dabei um eine Metapher für Impotenz, und seither bin ich sensibilisiert, wenn ich von Verletzungen in einem gewissen Radius rund um den männlichen Intimbereich lese. :breitgrins:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."


  • In diese Richtung hatte ich auch überlegt, weil mich die Sache an eine keltische Sage erinnert hat, die ich vor einigen Jahren gelesen habe. Darin wird ein König am Oberschenkel verletzt und ist daraufhin bettlägrig, und sein Land geht währenddessen vor die Hunde. Es handelt sich dabei um eine Metapher für Impotenz, und seither bin ich sensibilisiert, wenn ich von Verletzungen in einem gewissen Radius rund um den männlichen Intimbereich lese. :breitgrins:


    Ah, dann bin ich künftig auch vorgewarnt, danke :breitgrins: Daran hatte ich nämlich gar nicht gedacht.



    Auch die Problematik, dass ein Leidender, durch den Ausweg der Kunst überleben kann, steckt in der Erzählung.


    Das leuchtet ein und ist auch schlüssig - ein Ausweg, der nicht unbedingt zu mehr Glück und Zufriedenheit verhilft.