Juli 2010: Meyer:Jürg Jenatsch

  • Hallo zusammen,
    hiermit eröffne ich die Leserunde zu Meyers historischem Roman aus dem Dreißigjährigen Krieg.


    Teilnehmer:


    JMaria
    finsbury
    sandhofer als sporadischer Beiträger




    Ich lese den Roman als Teil einer zweibändigen Werkausgabe aus dem Aufbau-Verlag der Endsiebziger und wünsche uns eine schöne Leserunde.


    finsbury

  • Hallo zusammen,
    hallo finsbury,



    ich lese die Reclam-Ausgabe mit einem Nachwort von Paul Michael Lützeler. Darin wird erwähnt, dass der Grundkonflikt in der Feindschaft zwischen den Dynastien der Bourbonen und der Habsburgern im frühen 17. Jahrhundert bestand. Der Roman ist aber auch unter den Eindrücken entstanden des deutsch-französischen Kriegen 1870/71, sozusagen eine Neuauflage des alten europäischen Grundkonflikts. 1876 erschien erstmals sein Werk „Jürg Jenatsch“.


    Auszug aus dem Nachwort:
    Etwas 250 Jahre später erlebte der Kontinent mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 eine Neuauflage.... Wieder verstand es die Schweiz, Neutralität zwischen den beiden Parteien zu wahren. Auch in der Schweiz hatte der deutsche Sieg von 1871 Folgen. Enerseits fühlte sich die deutschsprachige Bevölkerung in ihrer doppelten kulturellen Loyalität bestärkt, andereseits jedoch wuchs das Misstrauen vor einem preußisch geprägten deutschen Militärstaat und seinen eventuellen Expansionsabsichten. Im Werk von Conrad Ferdinand Meyer werden beide Tendenzen reflektiert....


    ich freu mich auf unsere Leserunde.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo Maria und alle,
    eben habe ich sehr viel über den Roman geschrieben und alles ist mir abgestürzt. Mein blöder Laptop hat direkt neben dem A die Umstelltaste, die beim Schreiben im Netz diesen Effekt hat. Aber ich bin immer noch zu faul, das Ganze vorher in Word zu speichern, was ich jetzt aber doch mache.


    Jetzt also nochmal in Kürze:


    Danke für die Informationen aus dem Nachwort deiner Ausgabe, Maria. Ergänzend dazu nennen meine Einleitung sowie das Kindler den Widerspruch zwischen politischem Willen und ethischen Grundsätzen – hier verkörpert in dem Pfarrer und Machtmenschen Jenatsch – als Thema des Romans.


    Bin bis zu I, 5 vorgedrungen.
    Der Roman gefällt mir bisher sehr gut: Meyer hat hier einen echten Pageturner geschrieben, der mit plastischen Charakteren, eindrucksvollen Kulissen und schöner Sprache prunkt.
    Es gelingt dem Autor, Situationen anschaulich und spannend zu schildern, ohne abgebrauchte Versatzstücke zu benutzen.
    Die Hauptperson, Jürg Jenatsch, wird erst im vierten Kapitel direkt eingeführt: Vorher erhalten wir durch die Schilderungen und Erinnerungen seines Jugendfreundes Waser und seines Erzfeindes Planta eine Vorstellung von seinem widersprüchlichen Charakter.
    So wird er dann auch in Kapitel vier dargestellt: Nachdem er seinen Freund Waser herzlich begrüßt hat, geht er ihm gleich mit dem Messer an die Gurgel, um ihm eine Information zu entreißen.
    Auch sein Verhältnis zu seiner Frau ist – zumindest nach seinen Sprüchen zu schließen, von Nützlichkeitserwägungen bestimmt: Um wenigstens eine katholische Veltlinerin zum Protestantismus zu bekehren, habe er sie heiraten müssen, und ihre außerordentliche Schönheit stehe ihm schließlich zu. Haha ...


    Man kann Meyer nicht vorwerfen, dass er unkritisch um Sympathien für seinen Helden wirbt.


    Was mir an diesem Roman auch Spaß macht, ist zu gucken, wo das Ganze stattfindet. So bin ich mit Schweizer Karten erstmal auf die Suche nach den angegebenen Gebirgspässen gegangen und habe schließlich das Veltlin im heutigen oberitalienischen Addatal wiedergefunden.
    Noch einen schönen (Lese)Sonntag wünscht


    finsbury

  • Hallo,


    hier einige Materialien zu unserer Leserunde:


    Den vollständigen Text findet ihr hier.


    Eine Inhaltsangabe in Schülerdeutsch lest ihr hier.


    Der Wikiartikel


    Einen Artikel zum Schauplatz von Jenatschs Mord an Planta kann man hier lesen.


    Auch ein Bild des historischen Jürg Jenatsch ist zu betrachten.



    Und schließlich noch etwas zu C.F. Meyer:


    Wikiartikel


    Zu seinen Prosawerken



    Viel Spaß beim Stöbern!


    finsbury

  • Hallo finsbury,
    hallo zusammen,


    ich habe zwei Kapitel gelesen und bisher gefällt mir C.F. Meyers Stil sehr gut. Die Rückblende ziemlich am Anfang einzusetzen, passt sehr gut und hat mir die Hauptpersonen der Geschichte plastisch nahe gebracht. Wie er die Rückblende ansetzt und am Ende Kapitel 2 wieder herauskommt, ist elegant gemacht.


    Ende Kapitel 1:
    Vor dem eben Erlebten spannen sich Wasers Gedanken zu fliegenden Fäden in seine Knabenzeit zurück...


    Ende Kapitel 2:
    Hier verjagte der sausende Sturm die vor dem Blicke des jungen Wanderers gaukelnden Bilder seiner Knabenzeit...



    Gestolpert bin ich über den Einsatz des Wortes „Weltkrieg“ (Planta sagt im 2. Kapitel „Ein Weltkrieg steht bevor“). Ich hätte eher vermutet, dass sich dieser Ausdruck erst im 20. Jahrhundert etablierte, nach dem 1. Weltkrieg. Dieses Wort im historischen 17. Jahrhundert zu finden, hat mich überrascht. Es könnte natürlich sein, dass man schon damals, wenn zwei herrschende Mächte sich bekriegten, von Weltkrieg sprach.





    Was mir an diesem Roman auch Spaß macht, ist zu gucken, wo das Ganze stattfindet. So bin ich mit Schweizer Karten erstmal auf die Suche nach den angegebenen Gebirgspässen gegangen und habe schließlich das Veltlin im heutigen oberitalienischen Addatal wiedergefunden.
    Noch einen schönen (Lese)Sonntag wünscht


    Das mach ich auch gerne und habe mir im Netz die röm. Säulen auf dem Julier Pass angeschaut.



    finsbury,
    danke für die schöne Linksammlung in den "Leserunden-Materialien". Sehr hilfreich. z.B. der Link zum Bildnis Jürg Jenatsch. Ich dachte im ersten Moment, das wäre Wallenstein, muß an der Mode liegen und am Bartwuchs *g*


    Wallenstein
    Georg Jenatsch




    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Gestolpert bin ich über den Einsatz des Wortes „Weltkrieg“ (Planta sagt im 2. Kapitel „Ein Weltkrieg steht bevor“). Ich hätte eher vermutet, dass sich dieser Ausdruck erst im 20. Jahrhundert etablierte, nach dem 1. Weltkrieg. Dieses Wort im historischen 17. Jahrhundert zu finden, hat mich überrascht.


    Hiess der Erste Weltkrieg nicht lange einfach der "grosse Krieg"? Und - auch wenn die Geschichte im 17. Jahrhundert angesiedelt ist: Meyer hat selbstverständlich im 19. Jahrhundert geschrieben. Und ob seine Sprache historisch korrekt ist, z.B. in der direkten Rede, wage ich anzuzweifeln. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hiess der Erste Weltkrieg nicht lange einfach der "grosse Krieg"? Und - auch wenn die Geschichte im 17. Jahrhundert angesiedelt ist: Meyer hat selbstverständlich im 19. Jahrhundert geschrieben. Und ob seine Sprache historisch korrekt ist, z.B. in der direkten Rede, wage ich anzuzweifeln. :zwinker:


    "Weltkrieg" passt aber zum 30jährigen Krieg aus Sicht des 19. Jahrhunderts wirklich gut. Auch wenn man im 17. Jahrhundert das Zeitalter der Entdeckungen zum großen Teil schon absolviert hatte, fand man sich doch hier in Europa sehr "welthaltig". Und von den europäischen Mächten waren ja die meisten - von Schweden bis zu Spanien und Tschechien - in diesen Krieg verwickelt.


    finsbury

  • "Weltkrieg" passt aber zum 30jährigen Krieg aus Sicht des 19. Jahrhunderts wirklich gut. Auch wenn man im 17. Jahrhundert das Zeitalter der Entdeckungen zum großen Teil schon absolviert hatte, fand man sich doch hier in Europa sehr "welthaltig". Und von den europäischen Mächten waren ja die meisten - von Schweden bis zu Spanien und Tschechien - in diesen Krieg verwickelt.


    finsbury




    dass der Begriff "Weltkrieg" von C.F. Meyer benutzt wurde, hat mich gewundert. Hätte mich interessiert, wann der Gebrauch üblich wurde.
    Ich habe nun das 1. Buch "Die Reise des Herrn Wasers" beendet. Alles gipfelt sich im Veltliner Protestantenmord, dessen Beginn Heinrich Waser miterlebte, ebenso den tragischen Tod der schönen Lucia. Weitere Berichte aus dieser Region erfährt Waser durch andere, da er bereits wieder zurück in Zürich ist. So ist dieser Teil der Geschichte sehr gerafft. Trotz der Kürze, fand ich diese Art dem Leser weiteres mitzuteilen, spannend, hervorgerufen auch durch prophetische Andeutungen und das Auftauchen dieses herrischen Kindes, Junker Wertmüller von Wampispach". Jürg taucht am Schluß des 1. Kapitels wieder auf, denn er ist auf den Weg nach Mansfeld (wird auch "Lutherstadt" genannt).


    gekonnt wurde dem Leser auch die politische Situation dargelegt. Fein eingeflochten, ohne langweilig zu werden.
    Das zweite Buch wird "Lukretia" betitelt. Ich bin sehr gespannt.


    Viele Grüße
    Maria

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  • Hallo Maria und alle,


    bin inzwischen auch mit dem ersten Buch fertig und im zweiten Buch bei der Beschreibung der Begegnung von Rohan und Jenatsch.


    Immer wieder erfreue ich mich an der schönen Sprache Meyers und seinem Blick für Kulisse und Perspektiven. Er wäre heute auch ein hervorragender Regisseur und Kameramann geworden.


    Aus II, 2:


    Mit diesen Worten stieß er beide Flügel weit auf. Der dunkle Steinrahmen der Tür umschloss ein Bild voller Farbenglanz, Leben und Sonne.


    Zur Etymologie des Wortes "Weltkrieg": Turnvater Jahn hat es 1814 als erster für die Befreiungskriege verwendet. (Vgl. wiki)


    finsbury

  • Hallo zusammen, hallo finsbury,



    danke, finsbury! Das ist die Antwort, die ich suchte. Auf die Idee unter dem Stichwort "Weltkrieg" zu schauen, wäre ich nicht gekommen.


    Zitat von "finsbury"

    Immer wieder erfreue ich mich an der schönen Sprache Meyers und seinem Blick für Kulisse und Perspektiven. Er wäre heute auch ein hervorragender Regisseur und Kameramann geworden.


    oder auch für die Bühne. Die Leute stehen plötzlich da oder gehen ab, wie z.B.


    II. Buch Ende 1. Kapitel:
    "Weinschlauch! ... dies ist des denkwürdigen Dialogs beglaubigter Wortlaut", erscholl es mit heller, mächtiger Stimme von dem offenen Eingange her....


    Jürg Jenatsch tritt auf, Wertmüller tritt ab ohne weiteren Kommentar. Jürg und Lorenz Fausch sind alleine.
    an der Sprache erfreue ich mich ebenfalls sehr. Ich sollte wohl unbedingt auch seine Gedichte lesen.
    Zwischen dem jungen Offizier Wertmüller und dem älteren Helden Jürg könnten sich noch interessante Dialoge spinnen.


    Ich komme zum 4. Kapitel im II. Buch.


    Nebenbei:
    ich habe zu Ricarda Huch "Der Dreißigjährige Krieg" gegriffen um mehr über diesen Teil europäischer Geschichte zu erfahren. Ein ganz schön fetter Wälzer.



    Edit:
    in den Horen las ich Goethes "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter" und u.a. erzählt man sich darin Geschichten von Bassompierre. Als ich im Wiki nachschaute, erhielt ich diese Info:


    Als Gesandter in Spanien handelte er 1621 den - nie ausgeführten - Madrider Vertrag aus, der die Rückerstattung des Veltlins an Graubünden vorsah. http://de.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7ois_de_Bassompierre


    wie eins das andere ergibt ist manchmal schon kurios. :smile:
    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo finsbury und alle,


    II. Buch, Kapitel 5:
    heute würde man sagen: "Ganz großes Kino".
    Äußerst dramatisch die Begegnung zwischen Lukretia und Jürg;
    unerbittlich die Seelen, so wie der Krieg selbst.


    Von Vergeben keine Spur, auch der Rat Rohans wirkt nicht, Gott die Rache zu überlassen. Ein höheres und persönliches Ideal wird über den Glauben gestellt. Darin ähneln sich die Beiden.



    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Maria und alle,


    befinde mich nun in III, 5 und das Verhältnis zwischen Rohan und Jenatsch wird nach langer guter Zusammenarbeit schwierig, denn es deutet sich an, dass der Herzog seine Versprechungen gegenüber den Bündnern nicht einhalten kann.
    Bei Jürg Jenatsch selbst gleitet Meyer manchmal ein wenig ins Triviale ab: Er ist groß, stark, hat blitzende Augen und imponiert überall mit seinem eindrucksvollen Auftritt.
    Im Gegensatz zu ihm zeichnet Meyer die Nebengestalten viel differenzierter: den nüchtern-gemütlichen Waser, den nervös-kritischen, mageren Wertmüller, die hysterisch-gemütvolle Herzogin usw.
    Insgesamt ein imponierender Roman, in dem der Autor auch sehr effektiv Zeitdehnung und -raffung einsetzt. Wie du schon schriebst, Maria, ist es ihm um effektvolle Szenen zu tun; Auch dramatischen Handlungen zwischendrin lässt er im Bewusstseinsstrom oder Berichten der beteiligten Personen wiedergeben. So erinnert sich Lucretia - malerisch an einem Klosterfenster über dem Rheintal sitzend - an ihre Befreiung Jenatschs und die gemeinsame Flucht.


    Bis bald


    finsbury

  • Hallo finsbury,


    ich komme zu III/ 5. Kapitel. Enttäuschend für die Bündner, dass der franz. König zu schwach ist um die Unterschrift zu leisten. Rohan schwer erkrankt, wird wohl kaum mehr etwas tun können, wenn er es auch versucht. Doch Jenatsch hat sich bereits innerlich von ihm abgewendet. Wenigstens waren sie bis dato ehrlich miteinander.



    Zitat

    Bei Jürg Jenatsch selbst gleitet Meyer manchmal ein wenig ins Triviale ab: Er ist groß, stark, hat blitzende Augen und imponiert überall mit seinem eindrucksvollen Auftritt.
    Im Gegensatz zu ihm zeichnet Meyer die Nebengestalten viel differenzierter: den nüchtern-gemütlichen Waser, den nervös-kritischen, mageren Wertmüller, die hysterisch-gemütvolle Herzogin usw.


    Damit hast du recht. Jenatsch kann ich nur schwer einordnen; er ist mir nicht sympathisch, aber er zeigt derweilen Züge, die mich bewegen. Ergreifend war für mich Lukretias Warnung an Jenatsch, sich von ihr fern zu halten. Ich glaube, das wird er nicht ernst nehmen, denn er sieht in ihr eine stolze, aber schwache Frau.




    Mir gefällt sehr gut, wie der Autor Kunst und Literatur einbaut, passend zum Thema Freiheitskampf und Liebe:


    S. 46 Blasius Alexander liest die Makkabäer, Jenatsch legt auf diese Seiten seine Notiz : Makkabäer = jüdische Freiheitskämpfer


    S. 136 ein Dichter dessen Name wie ein Vogel klingt = Pierre Corneille, franz. Dramatiker, schrieb u.a. La Mort de Pompée, Der Tod des Pompeius, zwar eine andere Thematik und spielt in Ägypten, doch zumindest der Titel erinnert an unseren Pompejus (Planta).


    S. 121 Grimani erwähnt Machiavelli, der u.a. darüber schrieb, dass die Religion als Mittel der Politik diene, weil durch sie sich die Menschen besser manipulieren lasse. Eigentlich macht es Jenatsch ähnlich, er benutzt beides, Religion und Politik, um an sein Ziel zu kommen, manipuliert er die zwei Machtstaaten, Frankreich und Spanien-Habsburg.


    S. 119 ein Bild von Tizian oder aus der Schule Tizians, eine Venus wird beschrieben. Es gibt zwar Venusdarstellungen von Tizian, doch ohne den Parisapfel. Hier bin ich nicht fündig geworden.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    finsbury, falls du die Zeit dafür findest, empfehle ich dir das Hörspiel auf DRS:
    http://www.drs.ch/www/de/drs/s…elle/2937.sh10085744.html


    der Dialekt gibt einen authentischen Zugang zu der Geschichte; mir gefällts gut, ich höre gerade den 1. Teil :smile:
    das Hörspiel wird immer wieder unterbrochen mit geschichtlichen Ereignissen in Jenatsch Leben (Schule, Studium...), die nicht im Roman angesprochen werden und füllt somit einige Lücken.



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Maria,


    danke für den interessanten link zum Hörspiel. Das werde ich mir in der nächsten Woche anhören! Falls ich den Dialekt verstehe ... . Ich bin mit dem Roman fertig, schreibe aber erst später eine Schlussstellungnahme, weil ich mich erstmal noch ein bisschen zu Jenatsch und Meyer informieren will.
    Das Ende mit Schrecken ist ein sehr konsequentes Ende und passt zu Jenatsch und Lucretia, allerdings nichts für "helle" Romantiker.
    Ein derart gebrochener Held wie Jenatsch ist mir selten begegnet, da hast du schon Recht.
    Danke für die Parallelen in den angesprochenen Kunstwerken. Das habe ich bis auf den Corneille glatt überlesen: Zu Corneille steht in meinen Anmerkungen, dass sich die Anspielung auf den "Cid" bezieht, den spanischen Freiheitskämpfer, der auch den Vater seiner Geliebten, allerdings unabsichtlich, ermordete und durch den Kampf fürs Vaterland die Blutschuld löst.


    Bis bald


    finsbury

  • Hallo finsbury,



    Ich komme zum 11.Kapitel und C.F. Meyer versteht es die Spannung zu steigern. Jenatsch Verrat an den guten Herzog wurde dem Leser nun chronologisch in engem Zeitraum zugeführt:


    Als Beispiel ein Zitat, Kapitel 8:
    Wenige Tage später, den 19. März, eilte der gelehrte Ritter Fortunatus Sprecher ....
    usw...


    zuvor die Bemühungen des Offiziers Wertmüller, den Verrat aufzudecken. Alles sehr zügig erzählt. Toll.


    Wie zweischneidig doch das Wort „Verrat“ ist!
    Verrat an den Herzog, Verrat den Jenatsch an sich selbst begeht, immerhin ist er im protestantischen Glauben erzogen worden, Verrat an seine Liebe... Doch kein Verrat an sein Volk? Darum drehen sich meine Gedanken.


    Die Sehnsucht nach Freiheit geht hier über Machtgepräge und Religion, wenn man bedenkt, dass auch Lukretia sich bereit erklärte Jenatsch zu helfen. An dieser Stelle wird sie eine „Bünderin“ (Reclam S. 189, III/6. Kapitel) genannt, somit tut sie es nicht nur aus Liebe zu Jenatsch, das gleiche gilt für den katholischen Pater Pankraz.



    Jenatsch Entscheidung die Fronten zu wechseln, bringt auch menschliche „Ratten“ aus den Löchern, wie Rudolf Planta, der noch ein Geschäft wittert:
    ...Wir essen jetzt das Brot desselben Herrn. ... sagt Rudolf Planta zu Jenatsch, das ihm bitter ankommt. (Reclam, S. 221, Ende III/9. Kapitel)



    Kann man Jürg Jenatsch einen faustischen Menschen nennen? (Reclam S. 213, das Volk glaubt es wohl). Er tut alles für seine (fanatische) Überzeugung, dennoch müsste er, wenn er das Ziel erreicht, befriedigt sein. Aber soweit bin ich noch nicht.



    Zitat

    Zu Corneille steht in meinen Anmerkungen, dass sich die Anspielung auf den "Cid" bezieht, den spanischen Freiheitskämpfer, der auch den Vater seiner Geliebten, allerdings unabsichtlich, ermordete und durch den Kampf fürs Vaterland die Blutschuld löst.



    eine aufschlussreiche Info. Danke. Ich vermisse Fußnoten oder zumindest „Anmerkungen“ im Anhang. Es ist nur ein Nachwort vorhanden über die geschichtlichen Ereignisse.


    Ich schätze, ich werde heute noch fertig mit dem Buch.


    Edit:
    was mir noch aufgefallen ist:
    Jenatsch ist nun in scharlachrot gewandet. Das könnte auf seine neue herrschaftliche Machtstellung hinweisen, aber bedeutet "rot" auch Sünde und Gefahr.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Das Ende mit Schrecken ist ein sehr konsequentes Ende und passt zu Jenatsch und Lucretia, allerdings nichts für "helle" Romantiker.


    absolut ! Von dunkler Natur ist dieser Historienroman, vermittelt er eine ungeheure Kraft in einer ausgesprochen schönen Sprache.
    Seltsamerweise kann ich Jenatsch besser verstehen als Lukretia, die ihre Hände für die Rache als rein betrachtet. Geht hier Blutrache wieder vor Gottes Gesetz "Mein ist die Rache"?


    Jenatsch Skrupellosigkeit in seinem Befreiungskampf war so ungewöhnlich nun auch nicht. Sogar dem französischen König Heinrich IV (im Grunde ein Hugenotte) war ein paar Jahrzehnte zuvor Paris eine Messe wert, als er zum katholischen Glauben übertritt. Kardinal Richelieu folgte auch nicht seinem Glauben, sondern den polititschen Ränkeschmieden, die er selbst schnürte.


    Wie gesagt, Lukretia bleibt mir in ihrer Handlung fremd.
    Die Nebenfigur Wertmüller wird zweimal als Hexenmeister und Zauberer bezeichnet. Hier habe ich das Gefühl, dass mir ein Hinweis entgangen ist.


    finsbury, dein Lesevorschlag war goldrichtig. Die Leserunde hat mir ein neuen Schriftsteller beschert, den ich unbedingt weiterlesen möchte.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,
    gestern hatte ich einen Unfall, hänge daher mit meinen Recherchen zurück.


    Seltsamerweise kann ich Jenatsch besser verstehen als Lukretia, die ihre Hände für die Rache als rein betrachtet. Geht hier Blutrache wieder vor Gottes Gesetz "Mein ist die Rache"?


    Ja, so geht es mir auch, wobei ich allerdings glaube, dass Lukretia Jenatsch nicht getötet hätte, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass er sowieso stürbe:


    In Verzweiflung richtete sie sich auf, sah Jürg schwanken, von gedungenen Mördern umstellt, von meuchlerischen Waffen umzuckt und verwundet, rings und rettungslos umstellt. Jetzt, in traumhaftem Entschlusse, hob sie mit beiden Händen die ererbte Waffe und traf mit ganzer Kraft das teure Haupt. Jürgs Arme sanken, er blickte die hoch vor ihm Stehende mit voller Liebe an, ein düsterer Triumph flog über seine Züge, dann stürzte er schwer zusammen.


    Vielleicht ist es so verständlicher, wenn man annimmt, dass Lukretia in der Ausweglosigkeit der Situation beschlossen hatte, dass er nicht durch die Waffen seiner in ihren und seinen Augen nicht ebenbürtigen Feinde sterben dürfe, sondern dann lieber durch ihre Hand, da sie als einzige wirkliches Recht (nach mittelalterlichem Verständnis) an seinem Tod hatte und ihm dadurch auch einen ehrenvollen Abgang bescherte. Daher auch seine Reaktion.



    Jenatsch Skrupellosigkeit in seinem Befreiungskampf war so ungewöhnlich nun auch nicht. Sogar dem französischen König Heinrich IV (im Grunde ein Hugenotte) war ein paar Jahrzehnte zuvor Paris eine Messe wert, als er zum katholischen Glauben übertritt. Kardinal Richelieu folgte auch nicht seinem Glauben, sondern den polititschen Ränkeschmieden, die er selbst schnürte.


    So ähnlich sehe ich das auch: Jenatsch war ein ganz gewöhnlicher Machtpolitiker, und dieses Moralisieren bezüglich des Betrugs am Herzog sehe ich als relativ schwach motiviert: Er hatte diesen schließlich deshalb unterstützt, weil er sich dadurch Freiheit für die Bünde versprach. Als diese sich als
    von französischer Seite unerwünscht herausstellte, war es (aus Sicht des Realpolitikers) sein gutes Recht, sich andere Verbündete zu suchen, um sein Ziel zu erreichen. Dass er dabei den Herzog hinhielt und hinters Licht führte, ist sicher nicht die feine Art, aber anders hätte er keine Möglichkeit gehabt, sein Ziel zu erreichen.


    Die Ursache ist wohl, dass Meyer in seinem Leben politisches und öfffentliches Handeln oft als unmoralisch und korrupt erlebt hat: Als junger Mann unternahm er z.B. eine Reise nach Paris und war von dem Handeln und Denken der Menschen dort derart abgestoßen, dass er schnell in seine Heimat zurückkehrte.
    Er hatte auch eine schwierige Jugend, in der er sich auf sich selbst zurückzog und lange Jahre unfähig war, in der Gesellschaft zu agieren und einen Beruf zu erlernen. Eine große Erbschaft ermöglichte ihm schließlich, auch weiterhin Privatier zu bleiben und dann später zu seinem wahren Beruf, dem Schreiben zu finden.


    Das Problem von Moral und Realpolitk bestimmt viele seiner Werke, z.B auch die Novellen " Der Heilige" und "Die Versuchung des Pescara".



    Die Nebenfigur Wertmüller wird zweimal als Hexenmeister und Zauberer bezeichnet. Hier habe ich das Gefühl, dass mir ein Hinweis entgangen ist.


    Es wird ein paarmal erwähnt, dass Wertmüller sich einen Spaß daraus macht, astrologische Zeichen zu bemühen und Kartentricks usw. durchzuführen. Allerdings nur in Kreisen, die nicht mit dem Herzog in Verbindung stehen. Wertmülller ist sowieso ein interessanter Charakter, in dem sich unbedingte Treue mit einigen lasterhaften und auch misanthropen Zügen paaren. Eigentlich ähnlich wie Jenatsch, nur dass sich dessen unbedingte Treue auf die Freiheit seiner Bünde bezieht. Daneben hatte er aber auch Spaß am Töten und bereicherte sich durch seine Stellung.


    finsbury, dein Lesevorschlag war goldrichtig. Die Leserunde hat mir ein neuen Schriftsteller beschert, den ich unbedingt weiterlesen möchte.


    das freut mich! Mir geht es ebenso. Eigentlich war mir Meyer nur eingefallen, weil ich meinen diesjährigen Urlaub in der Schweiz verbringe(n möchte, je nachdem, was der Arzt nun dazu sagt).
    Jetzt aber habe ich wieder Lunte gerochen und mit den Gedichten begonnne, von denen viele wunderschön sind und von einer einzigartigen Sprachkunst: Tipp: Schwarzschattende Kastanie, Eingelegte Ruder, Zwei Segel


    Auch die in meiner Ausgabe enthaltenen Novellen will ich nun noch (einmal) lesen. Ich beginne mit dem "Schuss von der Kanzel" und empfehle dir, wenn du weiter Meyer lesen weillst, auch damit weiterzumachen, weil diese Novelle in der gleichen Zeit spielt und durch die Person des Wertmüller mit dem Jenatsch verknüpft ist.


    Vielen Dank, es war eine sehr schöne, kleine, aber feine Leserunde!


    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Ich freue mich, dass Euch C. F. Meyer, der einer meiner absoluten Lieblinge ist, so gefallen hat. Leider hatte ich keine Zeit, auch nur einen Blick in Jörg Jenatsch zu werfen, um ein paar sinnvolle Worte beitragen zu können. Ja, von Meyer lohnt sich fast alles: seine Gedichte, seine Balladen, seine Novellen. Ich wünsche Euch weiterhin viel Spass beim Entdecken dieses Autors! :winken:


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus