Mai 2010: H.v.Doderer - Die Strudlhofstiege


  • [ich habe hier das Gefühl, wir haben alle ein wenig zu viel Ehrfurcht vor den großen Doderer, der ja auch im MRR Kanon steht (was man eben alles so gelesen haben soll und muss). Mir persönlich fehlt an dieser LR die Leichtigkeit [...] ich mache bei der ersten Lektüre nie einen Staatsakt daraus :winken:


    Ich empfinde diese Leserunde als ausgesprochen locker und angenehm. Der Roman wird nicht zügig durchgehechelt, sondern mit Muße gelesen. Jeder hat seinen eigenen Leserhythmus und berichtet von Zeit zu Zeit von seinen Eindrücken, über die man sich dann austauschen kann.


    Ehrfurcht vor Schriftstellern habe ich noch nie gehabt, aber Sprachgewalt bewundere ich und fühle herzliche Dankbarkeit, wenn ein Autor mir die Stunden mit seinem Werk verschönt. :smile: Den MRR-Kanon kenne ich nicht, doch wenn Doderer dazu gehört, umso besser. Bis jetzt habe ich an dem Roman auch noch nichts zu kritisieren, aber wir sind erst am Anfang, da kommt vielleicht noch dieser oder jener Punkt.
    Und einen Staatsakt daraus machen? Meinst Du damit die Recherchen? Ob und wie weit man Recherche betreiben will, ist doch jedem selbst überlassen Ich gehe zunächst immer ganz naiv an einen Roman heran und beginne erst im Laufe der Lektüre, mir zusätzliche Informationen zu verschaffen (Dank übrigens an Steffi und Maria für die Links). Etwas über die Hintergründe eines Werkes zu erfahren, kann das Vergnügen an der Lektüre doch nur steigern. Nicht selten führen solche Recherchen auch zu weiteren interessanten Büchern. Ich habe mir schon mal Johann Nestroy notiert, den habe ich schon lange nicht mehr gelesen.


    es ist unendlich langatmig und es steckt voller Banalitäten.


    [ich lese kaum eine Äußerung zur Stiege (außerhalb), die nicht zumindest die Langatmigkeit erwähnt :zwinker:


    Ich kann nichts erwähnen, was ich nicht empfinde. Ich würde den Roman trotz seiner Komplexität als im Gegenteil sehr kurzweilig bezeichnen. Und die Banalitäten sind zumindest auf höchstem Niveau beschrieben. Ich bin eigentlich ein sehr langsamer Leser, aber in den ersten drei Tagen habe ich fast 250 Seiten gelesen, ohne es so richtig zu bemerken, so gut hat mich diese Mischung aus psychologischer Beobachtung, Humor und eindrucksvollen Stimmungsbildern unterhalten. Jetzt bremse ich bewusst wieder ab, um den Genuss ein wenig hinauszuzögern. Empfindest Du den Roman tatsächlich als so langatmig?


    Für mich stellt sich wirklich die Frage, was will dieser Autor eigentlich von mir? Soll ich mir jetzt auch mein Arbeitszimmer zu pflastern mit Bruchstücken und Puzzleteilen? Gibt es einen Grund dafür, dass Doderer mein Gedächtnis so strapaziert? Wo führt das hin? Ich bin derzeit nicht in der Stimmung mich auf ein solches Versteckspiel einzulassen.


    Die Frage ist wohl eher, was Du von dem armen Autor willst :breitgrins:, mit welchen Erwartungen Du an seinen Roman herangegangen bist. Was einer in einem Buch zu finden erhofft, muss nicht das sein, was dem Schriftsteller vorschwebte. Bis jetzt, ich hatte es schon geschrieben, entwirft Doderer ein detailliertes Lebenspanorama, und da kommt man um das Bruchstückhafte nicht herum. Aber Maria hat ja schon auf den Begriff der „Menschwerdung“ bei Doderer hingewiesen, der eine Art Entwicklung anzudeuten scheint.
    Aber wenn Dir was an dem Roman nicht passt, Anita, immer heraus damit! Eine Diskussion wird erst interessant durch kontroverse Meinungen.


    Gruß
    Anna :winken:


  • Empfindest Du den Roman tatsächlich als so langatmig?


    Die Frage ist wohl eher, was Du von dem armen Autor willst :breitgrins:, mit welchen Erwartungen Du an seinen Roman herangegangen bist.


    Ja, nein, ich weiß nicht, ich weiß nur, dass eine Art von Paranoia aufgrund dieser Puzzleteile entwickle, und ich mich frage, ob ich dem gerecht werden kann. :breitgrins:


    Die Menschwerdung können wir Melzer zuschreiben, weil er wird der einzige rote Faden im Buch bleiben sowie wohl diese Stiege. An Ende des ersten Teil haben wir dessen Familiengeschichte erfahren, sowie seinen anfänglichen Werdegang. Meine Banalitäten, könnte es sein, dass sie einfach das Lotterleben jener Zeit symbolisieren, durch welche unser Held sich hindurch kämpfen muss. :idea: Denn wenn ich mir das Wort so auf der Zunge zergehen lasse "Menschwerdung", finde ich wenige Menschen :zwinker:
    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • ... wenn ich mir das Wort so auf der Zunge zergehen lasse "Menschwerdung", finde ich wenige Menschen :zwinker:


    Einspruch (den ich mir auch als lediglich passiver Konsument Eurer Runde gestatte)!


    Doderers Figuren sind Angehörige des wohlhabenden und oberflächlich gebildeten Bürgertums, einer Schicht, die das Habsburgerreich (und nicht nur dieses) administriert und dadurch geprägt hat. Sie sind passiv, schicksalsergeben und verhalten sich noch nicht einmal ansatzweise religiös oder gar moralisch - sind also das, was ich als personifizierte Durchschnittlichkeit bezeichne. Und genau deshalb sind Doderers Figuren glaubwürdig gezeichnete, lebensechte Menschen. Ob Doderer ihnen im Verlauf des Romans so etwas wie eine Entwicklung zugesteht, werdet Ihr in Eurer Runde bestimmt herausfinden und diskutieren ...


    Viele Grüße


    Tom


  • Die Menschwerdung können wir Melzer zuschreiben, weil er wird der einzige rote Faden im Buch bleiben sowie wohl diese Stiege.



    Hallo zusammen,


    ich schätze mal, wir dürfen auch Mary K. nicht vergessen. Ich glaube, sie wird von Doderer nicht umsonst gleich im 1. Satz genannt und sogar ihr "Schicksal" vorweg genommen (der Verlust ihres Beines)... Gleich bei diesem Satz habe ich mich gefragt, wie sie das psychisch verkraften wird.


    Außerdem, sowie dem Melzer der Vorname fehlt, fehlt Mary der Nachname. Finde ich auffallend.


    ich glaube, so einfach (Melzer) macht es uns Doderer nicht.


    Diese Vorwegnehmen der Zukunftsereignisse, gibt Doderer ja sehr gerne Preis. Ich denke da nun auch an Etelka Stangeler, auch von ihr verrät er es bereits. So werden die Bilder vom Liebespaar Etelka und Grauermann immer überschattet von dem Gedanken, wie es zum Selbstmord kam. Geht es euch auch so?


    Ein wunderschönes Bild vermittelt mir dieser Satz:


    Sie beugte sich vor, zog seinen Kopf an sich und küßte das duftende Haar. Grauermann blieb mit geschlossenen Augen an ihre Brust gelehnt und ließ das Buch in seinen Händen sinken........ Sie setzte sich jetzt aufrecht auf die Chaiselongue und Grauermann fuhr mit dem Vorlesen der vierfachen Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde' fort.


    ein schönes Bild, wenn auch ein seltsamer Lesestoff. Schopenhauer, wie ich verstanden habe.




    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Doderers Figuren sind Angehörige des wohlhabenden und oberflächlich gebildeten Bürgertums, einer Schicht, die das Habsburgerreich (und nicht nur dieses) administriert und dadurch geprägt hat. Sie sind passiv, schicksalsergeben und verhalten sich noch nicht einmal ansatzweise religiös oder gar moralisch - sind also das, was ich als personifizierte Durchschnittlichkeit bezeichne.


    Das war jetzt typisch aneinander vorbei geredet :zwinker:


    Der Mensch stellt für mich ein komplexes Ganzes dar, nicht nur ein Bruchstück, ein Puzzleteil. Ähnlich wie Anna meine Charakterisierung als verkehrt empfand, womit sie natürlich Recht hat, da es nur eine Seelenlage ist. Wenn man vielleicht von einer Charakterisierung sprechen darf, dann werden das am Ende sehr wenige "Menschen" sein.


    Die personifizierte Durchschnittlichkeit trifft mein "Lotterleben" eigentlich sehr gut, mit jenem Lotterleben meinte ich genau diese Schicht. Die ganzen Dialoge kennzeichnen zudem absolut dieses oberflächliche Leben.


    Hallo Maria.


    Bisher gehört Mary K. zu Toms oberflächlichen gebildeten Bürgertum, also mein Lotterleben. Die Tiefe finde ich bisher nur bei Melzer. Aber ich befinde mich erst im ersten Drittel :zwinker: Jetzt lese ich erst einmal weiter!


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo,


    noch was lustiges nebenbei. Als ich in der Strudlhofstiege las, dass René Stangeler die Gewohnheit annahm, keine Hosenträger mehr zu tragen, fiel mir ein Zeitungsbericht ein, den ich im Netz las. Ich glaube, das amüsiert euch bestimmt auch:


    Frischgebackener Cervantes-Preisträger Jose Emilio Pacheco hatte zu seinem Pech auf Hosenträger verzichtet


    :breitgrins:


    Übrigens, es gibt ihn auch bei Twitter, jawohl - Erhalte kurze, zeitgemäße Nachrichten von Heimito von Doderer.
    http://twitter.com/heimitododerer


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • noch was lustiges nebenbei. Als ich in der Strudlhofstiege las, dass René Stangeler die Gewohnheit annahm, keine Hosenträger mehr zu tragen, fiel mir ein Zeitungsbericht ein, den ich im Netz las. Ich glaube, das amüsiert euch bestimmt auch: Frischgebackener Cervantes-Preisträger Jose Emilio Pacheco hatte zu seinem Pech auf Hosenträger verzichtet


    :breitgrins:


    Genau! Das ist so eine Banalität, die diese Gesellschaftsschicht ganz plastisch darstellt. Das Tragen von Hosenträger :breitgrins:


    Hier und das ist Melzer Seite 234 bis 35


    >>... er hatte in dem allgemeinen Stimmengewirr Muße für einen solchen Blick<< er starrte aus dem Fenster >>Melzer, wiewohl durch ein bis zwei Minuten fast völlig abwesend, beobachtete jetzt - ... - war ausnahmehaft und vielleicht sogar erstmalig<< denn er bekam eine Frage des Herrn von Stangeler nicht mit, böse Falle :zwinker:


    LG
    Anita :winken:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Hallo zusammen !


    Hier geht es ja erfreulicherweise sehr lebendig zu !


    Bisher kann ich auch nichts Langatmiges oder Banales finden, gerade diese Kleinigkeiten, die vielleicht dich stören, Anita, gefallen mir ausgesprochen gut und vermitteln mir eine angenehme Lebendigkeit. Die Schilderungen der Wohnsituation der Stangelers und Ethelkas Charakterzeichung, ja, das könnte durchaus etwas langatmig wirken aber für mich schafft das eben ein rundes Bild. Das sind für mich gerade die Teile, die mir besonders gut gefallen. Und ja, mir ist auch schon aufgefallen, dass Doderer manchmal um den heißen Brei rumredet, er statt eines knappen Wortes eine halbe Seite wählt, doch genau das sind wieder Dinge, die mich begeistern können.


    Ehrfurcht vor einem Werk - ja, das ist, glaube ich, vor allem bei Menschen verbreitet, die sich nicht so häufig mit Klassikern auseinandersetzen. Ich denke, dass man die Strudlhofstiege ganz gut ohne Sekundärliteratur lesen kann, aber ich persönlich mag es sehr gerne, wenn es etwas zu entdecken gibt und sei es nur, dass ich mich mal wieder ein wenig mit Schopenhauer beschäftige. Diese Lust am zusätzlichen Entdecken ist es übrigens, die mich hauptsächlich zu den Klassikern treibt.


    Einspruch (den ich mir auch als lediglich passiver Konsument Eurer Runde gestatte)!


    Du weißt ja, jederzeit willkommen !


    Die personifizierte Durchschnittlichkeit trifft mein "Lotterleben" eigentlich sehr gut, mit jenem Lotterleben meinte ich genau diese Schicht. Die ganzen Dialoge kennzeichnen zudem absolut dieses oberflächliche Leben.


    Ist es nicht gerade gewollt, dass Doderer diese Schicht als ganz normale, durchschnittliche Menschen charakterisiert ? Bisher erscheint mir der Roman ja schon sehr stark im Realismus verhaftet zu sein, eine Abbildung dieser österreichischen Bourgoisie eben. Und wäre das dann nicht der Maßstab, an dem man ihn messen sollte ? Ich für mich kann das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ganz entscheiden.



    Danke, JMaria, für den Hosenträger-Link, man ahnt ja nicht, welche Ausmaße so eine "neue" Mode annehmen kann :breitgrins:



    Zwei Dinge sind mir noch aufgefallen, zum einen René Stangelers Begegnung mit Teddy Honegger - waren das homosexuelle Anspielungen seitens Honegger ? Und natürlich ist endlich auch die Stiege selbst erwähnt worden, wobei sie eine romantische Note bekam.


    Diese Vorwegnehmen der Zukunftsereignisse, gibt Doderer ja sehr gerne Preis. Ich denke da nun auch an Etelka Stangeler, auch von ihr verrät er es bereits. So werden die Bilder vom Liebespaar Etelka und Grauermann immer überschattet von dem Gedanken, wie es zum Selbstmord kam. Geht es euch auch so?


    Ja, mir geht es genauso. Diese Schicksale oder dramatischen Ereignisse werfen natürlich ihre Schatten voraus.


    Gruß von Steffi


  • Bisher erscheint mir der Roman ja schon sehr stark im Realismus verhaftet zu sein, eine Abbildung dieser österreichischen Bourgoisie eben.


    Ja, so empfinde ich das auch, mit zwei Ausnahmen:. Er driftet ins Romantische, und zwar scheint unser Melzer ein richtiger Naturbursche zu sein, und dann fehlt dem Realismus die Kriegsereignisse, vom Krieg wird nur am Rande etwas erwähnt. Vielleicht weil er das Ende der K.u.K. symbolisiert, und man lebt einfach weiter?


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Hallo zusammen,


    Zwei Dinge sind mir noch aufgefallen, zum einen René Stangelers Begegnung mit Teddy Honegger - waren das homosexuelle Anspielungen seitens Honegger ? Und natürlich ist endlich auch die Stiege selbst erwähnt worden, wobei sie eine romantische Note bekam.



    Über Teddy Honnegger habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, denn Pista Grauermann sucht an der Stirn Etelkas eine Verwandtschaft zu Teddy Honnegger . Seltsam.


    Lotterleben, österreichischen Bourgoisie, oberflächlich gebildetes Bürgertum .... jetzt fielen bereits einige Begriffe, wo uns doch Doderer selbst so ein schönes Wort dazu gibt:


    Verschmocktheit (S. 117)
    = leeres, geschwollenes Gerede (Wiktionary) ;-)


    Mir gefiel die Beschreibung der "Tafelrunde" bei den Stangeler gut, die Beschreibung der Gäste, des Tisches und seiner Tiefe, ein Spiegelbild, erweitertes Bild, die Mutter Stangeler die sehr darauf bedacht ist, dass ihr Mann, der Patriarch, immer im Vordergrund ist, nicht mal der Sohn darf unbewußt in Konkurrenz treten. Dies hat durchaus etwas Salon-Qualität einer Madame Verdurin (Proust).


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Mir gefiel die Beschreibung der "Tafelrunde" bei den Stangeler gut, die Beschreibung der Gäste, des Tisches und seiner Tiefe, ein Spiegelbild, erweitertes Bild, die Mutter Stangeler die sehr darauf bedacht ist, dass ihr Mann, der Patriarch, immer im Vordergrund ist, nicht mal der Sohn darf unbewußt in Konkurrenz treten. Dies hat durchaus etwas Salon-Qualität einer Madame Verdurin (Proust).


    :smile: Diese Vergleiche wurden in der Sekundärliteratur schon öfter gezogen, auch zwischen Eulenfeld und Charlus (mit jedoch unterschiedlicher sexueller Ausrichtung). Recherche und Strudlhofstiege haben schon einiges gemeinsam (etwa die scheinbare Inhaltsleere), die Genauigkeit der Charakterisierungen, die aufwändige, umfangreiche Konzeption.


    Die hier schon erwähnten "Erleuchteten Fenster" kann man als eine Art Vorspiel zur Strudlhofstiege ansehen, die Dämonen als Fortsetzung (wenngleich m. E. nicht mehr durchgehend von gleicher Qualität wie die Stiege). Insofern ist für Leser mit Liebe zu umfangreichen Romanen auch hier noch vorgesorgt.


    Grüße


    s.


  • Recherche und Strudlhofstiege haben schon einiges gemeinsam (etwa die scheinbare Inhaltsleere), die Genauigkeit der Charakterisierungen, die aufwändige, umfangreiche Konzeption.


    Der Vollständigkeit halber ergänze ich als drittes Werk Musils "Mann ohne Eigenschaften". Was für eine herrliche "Triade"!


    Einen schönen Feiertag wünscht


    Tom

  • Hallo zusammen,


    ich frage mich, was die arabischen/persischen Elemente in der Strudlhofstiege zu bedeuten haben. Türkischer Kaffee mit passendem Service, Omar Chajjam, ein Wirtshaus: Zur Flucht nach Ägypten.


    oder auch das Einhorn: Wirtshaus "Zum blauen Einhorn".


    hier ein Vierzeiler von Omar Chajjam (auch Omar Khayyam):


    Viel köstlicher
    Viel köstlicher als aller Ruhm der Erde
    Ist’s, einen Trunk aus vollem Glas zu tun;
    Viel köstlicher und Gott gefälliger
    Als frommes Plappern ist der Hauch des Glückes,
    Der leis vom Munde der Verliebten weht.



    Sir Thomas:
    Der Vollständigkeit halber ergänze ich als drittes Werk Musils "Mann ohne Eigenschaften". Was für eine herrliche "Triade"!


    meinst du mit "Triade" : Strudlhofstiege - Die Dämonen - Mann ohne Eigenschaften" oder Proust - Doderer - Musil ?
    eigentlich egal, das sind Autoren denen man sich widmen sollte. Musil ist für mich noch Neuland.



    @scheichsbeutel:
    Diese Vergleiche wurden in der Sekundärliteratur schon öfter gezogen, auch zwischen Eulenfeld und Charlus (mit jedoch unterschiedlicher sexueller Ausrichtung). Recherche und Strudlhofstiege haben schon einiges gemeinsam (etwa die scheinbare Inhaltsleere), die Genauigkeit der Charakterisierungen, die aufwändige, umfangreiche Konzeption.


    gut zu wissen.



    sehr schön finde ich, dass René und seine Geschwister sehr jugendlich eingeführt werden. Renè lädt diese Paula Schachl zu Indianerkrapfen ein (mußte erst nachschauen was das sind, so eine Art Muffins). Jedenfalls kam mir ein Bild eines sehr jungen Renés vor die Augen. Oder das Liebespaar Etelka und Pista nochmals, sie lesen ja Schopenhauer; aber nicht irgendein Werk, sondern Schopenhauers Jugend- und Schlüsselwerkes. Das finde ich sehr stimmig zu diesem Zeitpunkt des Romans.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • JMaria: Ich würde diese Einzelheiten nicht überinterpretieren. In Wien finden sich als einem "Tor zum Osten" immer wieder Versatzstücke aus dem Orient, dem Türkischen (auch der Kriege wegen); außerdem hat die "Vierfache Wurzel vom Grunde" (eine wundervolle Liebeslektüre ;)) Bezug zur indischen Philosophie (und dann ist es - wie bei West-Östlichen Diwan auch nach Persien nicht mehr weit).


    Das Haus "Zum Blauen Einhorn" war Wohnstatt des - hier bereits erwähnten - Verwandten Nikolaus Lenau, von Doderer wohl nur spielerisch eingebaut in seinen Roman.


    Grüße


    s.


    Nachsatz: http://www.sagen.at/fotos/showphoto.php/photo/7651 - da war doch was zu finden im Netz


  • Das Haus "Zum Blauen Einhorn" war Wohnstatt des - hier bereits erwähnten - Verwandten Nikolaus Lenau, von Doderer wohl nur spielerisch eingebaut in seinen Roman.


    Interessant - danke ! Ist doch schön, wie Doderer so kleine Hinweise versteckt. Der Leser muss schließlich gefordert werden !


    Den Bezug zum Orient sehe ich momentan auch in erster Linie in der Lage Wiens und dann natürlich war Österreich-Ungarn vor dem 1. Weltkrieg doch noch mehr in den Osten verbreitet. http://www.diercke.de/bilder/omeda/501/100770_092_1.jpg



    Mir gefiel die Beschreibung der "Tafelrunde" bei den Stangeler gut, die Beschreibung der Gäste, des Tisches und seiner Tiefe, ein Spiegelbild, erweitertes Bild, die Mutter Stangeler die sehr darauf bedacht ist, dass ihr Mann, der Patriarch, immer im Vordergrund ist, nicht mal der Sohn darf unbewußt in Konkurrenz treten. Dies hat durchaus etwas Salon-Qualität einer Madame Verdurin (Proust).


    Diese Parallele ist mir auch gleich aufgefallen, auch wenn die Beschreibungen bei Doderer etwas "handfester", also nicht so intellektuell abgehoben sind. Er reflektiert doch immer noch den Charakter der Personen während sie für Proust oft nur Mittel zum Zweck sind.


    Ich habe mir nun das Doderer-ABC ausgeliehen, sehr informativ und interessant.


    Gruß von Steffi


  • JMaria: Ich würde diese Einzelheiten nicht überinterpretieren. In Wien finden sich als einem "Tor zum Osten" immer wieder Versatzstücke aus dem Orient, dem Türkischen (auch der Kriege wegen); außerdem hat die "Vierfache Wurzel vom Grunde" (eine wundervolle Liebeslektüre ;)) Bezug zur indischen Philosophie (und dann ist es - wie bei West-Östlichen Diwan auch nach Persien nicht mehr weit).


    Hallo,


    @scheichsbeutel,
    diese Information hat mir gefehlt. "Tor zum Osten" - natürlich! *an die Stirn schlag*


    Zitat


    Das Haus "Zum Blauen Einhorn" war Wohnstatt des - hier bereits erwähnten - Verwandten Nikolaus Lenau, von Doderer wohl nur spielerisch eingebaut in seinen Roman.



    Dank dir :winken:
    schön, dass man hier so weitergeholfen wird.


    Steffi,
    danke für die Map. Die Zerschlagung der alten Donaumonarchie muß ein Trauma für Österreich gewesen sein.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Hier und das ist Melzer Seite 234 bis 35


    >>... er hatte in dem allgemeinen Stimmengewirr Muße für einen solchen Blick<< er starrte aus dem Fenster >>Melzer, wiewohl durch ein bis zwei Minuten fast völlig abwesend, beobachtete jetzt - ... - war ausnahmehaft und vielleicht sogar erstmalig<< denn er bekam eine Frage des Herrn von Stangeler nicht mit, böse Falle :zwinker:


    LG
    Anita :winken:



    Hallo zusammen,


    Anita,
    durch dieses obige Zitat fiel mir auf, dass wir in der Strudlhofstiege sehr oft aus dem Fenster blicken, oder auch auf andere Weise etwas "gerahmt" betrachten. Doderer benutzt auch gerne das Wort "Rahmen".


    (Außerdem auch "Spiegel" und spiegelverwandte Wörter) . Jetzt kurz vor dem Ende des 1. Teils wird sehr viel mit Licht (gerade um Etelka) reflektiert.


    @scheichsbeutel,
    jetzt habe ich noch eine Frage. Wird mir beim Lesen von Schopenhauers "Vierfacher Wurzel vom Grunde" klar, dass bezug auf indische Philosophie genommen wird? Ich bin noch nicht weit im Text der Vierfachen Wurzel, im 1. Teil §4.


    (Ist für mir alles sehr fremd).


    Ich komme in der Strudlhofstiege zum Zweiten Teil.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • durch dieses obige Zitat fiel mir auf, dass wir in der Strudlhofstiege sehr oft aus dem Fenster blicken, oder auch auf andere Weise etwas "gerahmt" betrachten. Doderer benutzt auch gerne das Wort "Rahmen".


    (Außerdem auch "Spiegel" und spiegelverwandte Wörter) . Jetzt kurz vor dem Ende des 1. Teils wird sehr viel mit Licht (gerade um Etelka) reflektiert.


    Hallo Maria.


    Der ganze Roman scheint in verschiedenen Ebenen zu spielen, in innen und außen, Wahrnehmungen und Wirklichkeit. Am Ende des zweiten Teil löst sich m. M. n. auch dieses ganze Bruchstückhafte auf, dieser ganze Scherbenhaufen verteilt sich mehr in zwei Säulen :smile: (Oder aber zum Ende eines Teils lässt Doderer den Leser bewusst aufatmen :zwinker: )


    Habe mir soeben auch den Schopenhauer bestellt, vielleicht können wir hier und da etwas gemeinsam erarbeiten.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

    Einmal editiert, zuletzt von Anita ()