März 2010 - Jean Paul: Titan

  • Da gebe ich Dir insofern Recht, als ich die Abschweifungen auch am unterhaltsamsten finde. Aber auch so geht es bei mir nur langsam weiter. Ich bin jetzt in der 8. Jobelperiode und etwas unschlüssig, was ich von der Liane-Geschichte halten soll. Teilweise sehr schwärmerisch, aber es scheint doch auch immer wieder Ironie durch. Insgesamt eine gute Mischung, aber nichts zum Schnelllesen. Ich hoffe aber, dass ich nach dem vollgepackten Wochenende wieder etwas weiter komme.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo,



    Ich bin jetzt in der 8. Jobelperiode und etwas unschlüssig, was ich von der Liane-Geschichte halten soll. Teilweise sehr schwärmerisch, aber es scheint doch auch immer wieder Ironie durch. Insgesamt eine gute Mischung, aber nichts zum Schnelllesen.


    Soweit bin ich nun auch gekommen und finde die Liane-Geschichte auch ein wenig, naja, rührselig. Aber ich erinnere mich, dass das in anderen JP-Büchern auch oft so ist, wenn die Frauen in den Fokus geraten, natürlich nicht bei der Gattin des Siebenkäs :breitgrins:!
    Im Moment überwiegt die Idylle ganz eindeutig das Ironische, das nur am Rand aufblitzt.


    Weitere Anmerkungen / Fragen zur 8. Jobelperiode:


    8/ Ende 44. Zykel: Führt JP die Gedanken zur reinen, guten Musik noch aus und fehlen diese nur in meiner kastrierten Ausgabe? In der Autorenanmerkung erwähnt er, dass er dazu noch etwas schreiben wolle. Das müsste ich mir dann bei Projekt Gutenberg beschaffen.


    8/ 43. Zykel: Steht in euren Anmerkungen, warum es den zweimal gibt? Bei mir steht nur, dass es ihn zweimal gibt: Tolle Information!


    Außerdem zu Chariton, Dions Ehefrau: Wann sollen die denn geheiratet haben? Sie ist siebzehn und stillt das dritte Kind! Eins von den älteren brüstet sich damit, dass es schon lesen kann!


    Interessant ist, dass die Begegnung zwischen Albano und Roquairol immer wieder hinausgezögert wird. Das Motiv der Flöte, das Roquairol immer wieder anzukündigen scheint und sich dann verflüchtigt, ergänzt die Idylle um das bukolische Element. Beides ist ja auch nahe miteinander verwandt.


    Einen schönen Sonntag noch


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    nun komme ich gerade mal ein bisschen voran: Bin nun mit der 10. Jobelperiode fertig.


    Schön is in der neunten Jobelperiode das Staatsbegräbnis des hohenfließischen Fürsten: Die Hohlheit solcher Riten wird erbarmungslos enttarnt und noch durch die drei Särge der Staatsoberhaupts satirisch frech gebrochen.
    Auch Schoppe läuft wieder zur Hochform auf: Sein als Selbstmord missverstandener Badeausflug (9/48) strotzt von Seitenhieben auf Befindlichkeiten der Gesellschaft. Kurz vorher sagt JP im Vergleich zu Albano sehr schön über Schoppe (was auch für viele andere seiner Figuren gilt):


    Zitat von 8/48


    [color=maroon]Albano war ein heiß brennender Hohlspiegel, der seinen Gegenstand nahe hat und ihn aufgerichtet hinter sich darstellt, Schoppe einer, der ihn ferne hat und verkehrt in die Luft wirft.


    Das passt recht gut: Albano überhöht und lässt alle nah an sich ran. Schoppe distanziert und verzerrt die Personen, macht sie aber auch dadurch recht deutlich, weil sie für alle sichtbar sind (in der Luft), während Albano sie durch den Filter seiner Wahrnehmung viel unkenntlicher macht.


    Endlich nun greift Roquairol, alias Karl, in das Geschehen um Albano ein: Schon dass Albano ihn Karl nennt, mit diesem kurzen einheimischen Namen, der Vertrautheit signalisiert, zeigt seine gefilterte Wahrnehmung.


    Dagegen könnte man meinen, dass JP schon eine Anspielung auf Rock 'n Roll im Sinne hatte :zwinker:: Mich jedenfalls erinnert Roquairol an die früh abgelebten und desillusionierten Rockstars, die den Freitod suchten, wie Jim Morrison oder Curt Cobain.


    Nun wirds unter der Woche wieder etwas langsam vorangehen.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Zitat

    Mich jedenfalls erinnert Roquairol an die früh abgelebten und desillusionierten Rockstars


    Auch wenn ich hier nicht aktuell teilnehme: als Jean Paul den Roquairol erstmal beschrieb und dabei von einem "eingestürzten Gesicht" sprach, dachte ich auch grinsend an Keith Richards.

  • Auch wenn ich hier nicht aktuell teilnehme: als Jean Paul den Roquairol erstmal beschrieb und dabei von einem "eingestürzten Gesicht" sprach, dachte ich auch grinsend an Keith Richards.


    Genau der war es, den ich auch vor Augen hatte, aber dessen Name mir nicht einfiel!


    Danke, Gronauer!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Nun wirds unter der Woche wieder etwas langsam vorangehen.


    Und wie langsam! Gerade eine Zykel bin ich weitergekommen. Aber da gibt es eine so schöne Passage über JPs Frauensichtweise, dass ich doch zitieren muss:


    Zitat von Titan 11/56 bezüglich Lianes

    Dafür gebührt ihr der herrliche Beiname Virgils, die jungfräuliche. In unseren Tagen der weiblichen Krachmandeln, der akademischen Kraftfrauen, der Hopstänze und Doubliermarschschritte im platten Schuh kommt der virgilianische Titel nicht oft vor.


    So sehr Jean Paul den Intellekt wohl an sich selbst schätzte, wollte er diesen doch, ganz Durchschnittsmann seiner Zeit, vorwiegend auf sein eigenes Geschlecht beschränkt sehen. Aber Krachmandeln ist klasse!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich habe dieses Forum erst vor kurzem entdeckt und finde es schade, daß ich bei dieser Leserunde nicht teil nehmen konnte. Ich habe das Buch mal vor 15 oder 20 Jahren gelesen. Damals hatte ich das Gefühl etwas durchaus erhabenes gelesen zu haben und gerade der Anfang hat mir sehr gefallen. Später zog es sich irgendwie.


    Ich habe sicher einiges von Jean Paul gelesen: Schulmeisterlein Wutz natürlich, Flegeljahre, Siebenkäs und einiges andere. Ich finde aber Jean Paul wirklich schwierig zu lesen. Jean Paul ist ein Metapherngott, keine Frage, schlägt einen aber mit Metaphern und gelehrten Anspielungen gelegentlich einfach tot. Beim Titan war es dann auch einfach so, ich erinnere mich, daß ich dieses Stück gewissermaßen auf mich wirken gelassen habe, aber daß ich durch die eigentliche Handlung des Romans überhaupt nicht durchgestiegen bin, wie mir dies bei Jean Paul häufiger geschieht, weshalb ich auch die Unsichtbare Loge oder Hesperus nie zu ende gelesen habe.


    Ist dieser Thread also noch im Gange oder ist er bereits tot? Im moment lese ich ja gerade Oscar Wilde, aber an sich nähme ich diesen Thread gerne zum Anlaß den Titan mal wieder zu lesen und mich über Verständnisprobleme auszutauschen.


    Gruß
    Martin

  • Moin, Moin!


    Ist dieser Thread also noch im Gange oder ist er bereits tot? Im moment lese ich ja gerade Oscar Wilde, aber an sich nähme ich diesen Thread gerne zum Anlaß den Titan mal wieder zu lesen und mich über Verständnisprobleme auszutauschen.


    Wir könnten ja gemeinsam anfangen. Ich bin kein guter Leserundenteilnehmer, aber warum nicht sporadisch posten. Ich habe seit Jahren keinen Jean Paul mehr gelesen und brenne darauf, den Anschluß wiederzufinden. Warum als nicht einsteigen?

  • Von mir wird er frühestens Ende nächster Woche wieder beschickt. Aber ich lese ja sowieso nur die kastrierte Version! :breitgrins: Tät aber gern weiter posten, ab dem genannten Datum.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Nun habe ich zaghaft wieder die Lektüre aufgenommen.


    wie schon Marlino (willlkommen im Forum :winken:!) unten sagt, ist es oft sehr schwierig, durch JPs Metaphernwelt durchzusteigen. Wenn er auch selber noch als ein Thema des Romans dieses Verspinnen von Sein und Schein wählt, wird es doppelt schwierig. Ich kann nicht sagen, dass ich diese hochgestimmten Nächte in Lilar inhaltlich durchdrungen habe, geschweige denn geistig (insbesondere 12. Jobelperiode)! Einfacher wird es auch nicht dadurch, dass fast alle männlichen Haupt- und wichtigen Nebenpersonen mehrere Namen und zusätzliche Berufs- und Rangbezeichnungen haben. Da rächt es sich natürlich auch, wenn man lange Lesepausen macht.
    Im Moment (13. Jobelperiode) herrscht eine Phase zitternder Empfindsamkeit und hoher Gefühle vor: Ich hoffe und freue mich darauf, dass bald einmal Schoppe wieder in sein Recht gesetzt wird oder dass das skurille Nebenpersonal wie z.B. Albanos Vermieter Sphex mal wieder auftaucht.


    Der Siebenkäs und die Flegeljahre gefallen mir bisher deutlich besser.


    @ Marlino,
    so wie's ausschaut, hast du noch alle Zeit der Welt, dich dieser Lese"runde" bzw. den sporadischen Postings anzuschließen.
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    ob noch irgendjemand mitliest?


    Bin inzwischen wieder eingestiegen und bis zur 21. Jobleperiode vorgedrungen.
    Albanos Beziehung zu Liane ist nun - scheint's - zu Ende: Liane hat den - uns Lesern nicht mitgeteilten - Gründen ihres Seelsorgers gegen eine Verbindung mit Albano nachgegeben, und dieser steht kurz vor einer Reise nach Italien, zu der ihn sein vermeintlicher Vater Cesara einlädt.
    Im Moment ist es nicht mehr so gefühlig, dagegen gibt es wieder einige kleinere Seitenhiebe, z.B.
    - gegen das restaurative Österreich --> Verbot des Französischen, um vor revolutionären Gedanken zu schützen (19/85),
    - gegen den Geniebegriff --> "...die Genies sind ... Affen im ästhetischen Nachmachen, in der Herzlosigkeit, Bosheit, Schadenfreude, Wollust und Lustigkeit." (20/88)
    Roquairol ist auf dem Weg in den Abgrund, nun nicht mehr der gute Freund und liebe Karl, sondern der zerfressene Egomane, der vielleicht als Beispiel für den oben genannten genialen Affen steht.


    Schwierig finde ich es immer noch, den ganzen Intrigen und Doppelbödigkeiten zu folgen: Ich muss auch immer wieder in der Einleitung meiner Ausgabe nachlesen, wer Albanos echte und scheinbare Schwester, Zugedachte usw. sein soll.


    Nun, es wird noch dauern, aber ich werde den Titan in der abgespeckten Version durchbekommen, allerdings mit deutlich weniger Lesefreude als alle meine bisherigen JP-Lektüren.


    Und wie sieht's mit euch aus?


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    dann mach ich mal weiter mit meiner Leseecke zum "Titan".
    Stand: Vor Beginn der 30. Jobelperiode: Albano ist inzwischen schon wieder auf dem Rückweg in Rom. Seine Liane hat er schnell genug vergessen, um Linda Romero anzuhimmeln, von der er nicht weiß, dass sie die echte Tochter Cesaras ist. Erste Geheimnisse werden zum Teil aufgedeckt: Er weiß nun, dass Julienne seine Schwester ist, wie das aber zugegangen ist, erfährt er erst ein paar Monate später.


    Auf dem Hinweg hat er in Rom den Entschluss gefasst, an der Seite des französischen Volkes für die Freiheit zu kämpfen, aber dann wurde es gleich wieder gefühlig, weil eben Linda ... .


    Schoppe fehlt an allen Ecken und Enden: Er macht den Roman zu einem echten Jean Paul, aber leider ist er in Hohenfließ zurückgeblieben.
    Das Idyllische ist oft sprachlich wunderbar gestaltet, aber diese ständige hochgespannte Gefühlssprache ist wirklich anstrengend.


    Das hat mich auch schon an Hölderlins Hyperion gestört, der allerdings im Vergleich zu JP völlig humorfrei ist.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    heute Nacht bin ich wieder etwas weiter gekommen: bis 32 / 128. Roquairol beginnt gerade seine Schlussintrige gegen Linda Romeiro und Albano; Vorher war diese mit Julienne bei Idoine in deren Dorf Arkadien, das mich sehr an die Mädchenerziehungsanstalt von Natalie und das Mustergut von Lydia im "Wilhelm Meister" erinnert, nur dass das Ganze bei JP natürlich noch arkadischer ist, deshalb auch gleich so heißt :zwinker:. Idoine ist ziemlich blutleer, nur unwesentlich weniger ätherisch als ihr verstorbenes Ebenbild Liane.
    Freude, wenn auch längst nicht durchgehendes Verstehen, hatte ich an Schoppes langem Brief in 31 /122: Kurz vor Ausbruch des von ihm ironisierten Wahnsinns stellt er sich noch in den Dienst der Aufklärung der Intrige um Albano und reist nach Spanien.
    Wie sich JP selbst indes die ganzen Zusammenhänge zwischen Schoppe / Leibgeber / Löwenskjöld / Siebenkäs und Graul vorstellt, dafür bräuchte es einen weit besseren Anmerkungsteil, als meine Ausgabe besitzt, oder auch einen wesentlich besseren JP-Kenner, als ich es bin. Die Lektüre der Flegeljahre liegt bei mir immerhin auch schon einige Jährchen zurück.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    nun beende ich mal - zumindest was mich betrifft - diese Lese"runde". Habe fertig!
    Das Ende ist noch durchaus - in Theaterdonnermanier - spannend, so dass es sich schnell runterliest. Albano wählt schnellstens seine neue Liebe - Idoine - kaum dass Lindas Wagen entschwand, und genauso leicht fällt es ihm, auf seine Pläne bezüglich der Unterstützung des Freiheitskampfes des französischen Volkes zu verzichten, ist er nun doch selber regierender Fürst und muss für seine Leute sorgen. Begründet wird das nicht, der Leser hat's zu schlucken.
    Natürlich kommt Leibgeber nicht, wie unten angedeutet, in den 'Flegeljahren', sondern im 'Siebenkäs' vor, dessen Lektüre bei mir noch viel weiter zurückliegt: Wer eine zugängliche kurze Arbeit über die Figur des Leibgebers in JPs Romanen und Erzählungen kennt, möge mich bitte davon unterrichten :blume:.


    Fazit: Einige schöne Richtersche Momente, aber bisher das für mich am wenigsten begeisternde Werk dieses Sprachgenies.


    Manjula und weitere mögliche Mitleser: Noch viel Kraft und Durchhaltevermögen!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)