bei welchen gesellschaftlichen prozessen, welche implicit immer änderungen sind, kann man denn einen einzigen oder einen wesentlichen kausalfaktor nennen, der am anfang steht?
Bei großen naturkatastrophen. Aber sonst? Was ist der grund für die unterschiedliche entwicklung der völker? Man vermuten das klima, andere sagen, die entscheidung, mehl statt reis als grundnahrungsmittel zu verwenden, habe die westliche welt nach vorne gebracht.
Welches ereignis führte dazu, daß der westen säkular wurde und die monarchien abschaffte? Ich denke, kein einziges! Es waren vielmehr unzählige kleine veränderungen im denken und handeln der menschen, die schließlich in kleinen schritten die verhältnisse änderten.
Alle menschen haben zu einem gegebenem zeitpunkt ein bestimmtes bündel von handlungsoptionen (für demokratie, dagegen). Welche handlungsoptionen sie haben, ist aber wieder auch gesellschaftlich bedingt. Die disposition, etwas zu akzeptieren oder zu verwerfen oder auch etwas zu mögen oder nicht zu mögen (im ästhetischem sinne) sind ihrerseits selbst gesellschaftlich bedingt. Gesellschaft ist also ein adaptives, selbstreflexives system, in dem es keine simplen ursache-wirkungs-schemata gibt, weil viele einflußfaktoren selbst vom menschen beeinflußt werden.
Wir bemerken doch an uns selbst veränderungen der dipositionen, zumindest ihre kritische hinterfragung. Denke ich über jede sache immer gleich? Solche einen menschen gibt es wohl kaum.
Zweitens sind diese dispositionen auch erlernt. Verhaltensweisen anderer werden kopiert. Ist es denn so, daß ich eine erfahrung unbedingt selbst machen muß, um zu einer verhaltensentscheidung zu kommen, oder genügt es nicht auch, wenn diese erfahrung auf einem fiktiven wege (durch erzählung anderer, ergo durch bücher, fernsehen ...) gemacht wird? Wie kann es sein, daß die meisten menschen den krieg fürchten, obwohl kaum jemand ihn aus wirklicher erfahrung kennt? Allein berichte darüber induzieren also dies verhaltensmuster. Und belletristik transportiert solche fiktiven wirklichkeiten, die ähnlich der wirklichen erfahrung den "erfahrungsschatz" und damit die disposition eines menschen, also was er denkt und welche handlungsoptionen er besitzt, beeinflußt (richtig ist aber auch, daß die aktuelle disposition die belletristik beeinflußt!).
Pädagogik ist doch die lehre der beeinflussung von menschen. Warum wird denn in der schule literatur gelesen? Warum gibt es literatur/theater ... für kleinkinder? Doch um sie zu konditionieren, etwas zu lehren; aber nicht um ihnen erbauung zu verschaffen.
Warum gibt es bei filmen, literatur direkte oder indirekte altersbegrenzungen, wenn nicht aus dem glauben, daß ein einfluß erfolgen könnte (ich weiß, das ist kontrovers)?
Ich glaube also, daß gesellschaftliche änderungen in kleinen, unvorhersehbaren schritten geschehen, ohne daß man letztlich oftmals eindeutig-verantwortliche erklärungsvariablen finden kann. Wäre es anders, müßten ja prognosen auf dem gebiet der soziologie und der politik funktionieren. Untersuchungen zeigen aber, daß die prognosen entsprchender think-tanks daneben liegen.
gruß hafis
Bücher die: - die Welt verändern!
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Hallo zusammen !
Meinst Du nun Koeppen oder Fromm?
sandhofer: ja, wie Hubert schon schrieb, ich meinte Erich FrommIch schreibe hier mit, weil ich gern mit Leuten diskutiere; weil ich immer wieder mal auf etwas hingewiesen werde, das ich noch nicht kenne; weil ich meine Eindrücke an denen anderer Leute prüfen kann.
Okay, ich dachte, alle die in einem Literaturforum schreiben, interessieren (=der Wunsch etwas neues zu erfahren oder eigene Eindrücke zu bestätigen) sich für Literatur :breitgrins: :zwinker: Du könntest also genausogut in einem Urlaubsforum (Diskussion über Hotel, über den Strand, den du noch nicht kennst und die Bestätigung, dass das Essen schlecht war) schreiben ?
Ich kann also natürlich nur für mich persönlich sprechen: bei mir bewirken Bücher ( und damit meine ich alle Bücher !) etwas und wenn es nur ein Wohlgefühl ist ! Wenn sie nichts bewirken würden, dann würde ich nämlich nichts lesen ! Im übrigen stimme ich hafis zu:
ZitatIch glaube also, daß gesellschaftliche änderungen in kleinen, unvorhersehbaren schritten geschehen, ohne daß man letztlich oftmals eindeutig-verantwortliche erklärungsvariablen finden kann.
Gruß von Steffi
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aus dem artikel zu melville's mobby dick in der ZEIT-bibliothek der 100 bücher:
"...sicher aber nur deshalb, weil 'weißjacke', melville's im märz 1850 publizierter roman über 'seine erfahrungen und beobachtungen im dienst einer ameriikanischen fregatte', wie er im vorwort schrieb, das gewesen war, was wir heute ein politisches ärgernis nennen. Eines morgens lag der roman auf dem pult jedes amerikanischen kongreßabgeordneten und regte die derartig auf, daß sie menschlichkeit gesetzlich festmachten: 'Bald ging ein gesetz durch, das die auspeitschung in der flotte untersagte...', wie konteradmiral franklin überliefert."
gruß hafis -
Hallo zusammen!
Ich weiss ehrlich gesagt nicht recht, ob eine weitere Diskussion des Themas überhaupt noch Sinn macht. Zum einen, weil es hier (auch, ja vorwiegend) um eine Glaubensfrage geht, zum andern…
Zum einen:
Hafis50 meinte:
ZitatDie einfachste weise, eine veränderung objektiv festzustellen, liegt in der untersuchung, ob eine bestands- oder flußgröße im bruttoinlandsproduktes sich änderte.
Harry potter hat aus einer sozialhilfeempfängerin eine millionärin gemacht. Die industrie hat mit diesem buch viel verdient und es wurden entsprechende arbeitsplätze geschaffen. Sicher eine änderung der welt.
Ohne goethe gäbe es keine goethe-gesellschaften, keine goethe-museen etc..Dies ist neben der geldrechnung auch eine änderung menschlichen verhaltens.Dem ist sicherlich zuzustimmen. Aber es ist keine Veränderung, die der Belletristik als solcher zuzurechnen wäre (es gibt z.B. auch eine Schopenhauer-Gesellschaft usw.). Auch war es für mich nie eine Frage – und nie ein Punkt dieser Diskussion -, dass die Welt des Autors durchs Schreiben in jedem Fall verändert wird. Das gilt selbst für die 14-jährige Tagebuch-Schreiberin, die ihr Werk 20 Jahre später stillschweigend und ohne es je jemandem gezeigt zu haben, verbrennt…
Und Hubert meinte:
ZitatJeder Arzt wird Dir bestätigen, dass die beste Medizin nichts nützt, wenn der Kranke nicht bereit ist, diese einzunehmen. Aber genau so klar ist, dass in vielen Fällen die Bereitschaft Gesund zu werden, auch nicht hilft, wenn die Medizin fehlt. Wobei ich natürlich genau weiß, dass die meisten Krankheiten auch von alleine heilen, aber eben nicht alle.
Und genau da ist der andere Punkt, der bisher praktisch mit Stillschweigen übergangen wurde. Der romantische Glaube an die Veränderung der Welt durch Bücher geht praktisch immer stillschweigend von einer Veränderung zum Besseren aus. Rein statistisch gesehen, müssten doch 50% der Leser jedes Buchs sich davon nicht angesprochen fühlen. Von den übrigen müssten 50% ins Schlechtere beeinflusst werden!? Dass dem nicht so ist, beweist m.E., dass die Prä-Disposition bedeutend wichtiger ist. Wenn nämlich ein Einfluss stattfände, müssten sich die 50% Plus und die 50% Minus auch gegenseitig aufheben, ein Einfluss auf die Welt wäre neutralisiert. Auch muss, wer an die Veränderung der Welt durch Belletristik glaubt, die Berechtigung von Zensur anerkennen. Hafis50 hat das als einziger erkannt.
Soviel zum einen. Nun zum anderen:
Speed-Reading ist eine feine Sache, wenn es darum geht, die essentiellen Informationen aus einem Text zu ziehen. (Es ist mir nun klar, warum in diesem Forum die Lyrik fast nur gestreift wird. Denn Lyrik verlangt halt genaues Lesen...)
Ich schätze es nun persönlich gar nicht, wenn man speed-reading-mässig meine Statements durchgeht und meine Aussagen bestreitet, wenn man sie offenbar nur halb mitgenommen hat.
Beispiele: Wenn ich (im Wilde-Thread) von Oscar Wildes langweiligstem Werk rede, so meine ich Ocar Wildes langweiligstes Werk, nicht ein langweiliges Werk an sich. Wenn ich sage, dass ich die Bibel in diesem Zusammenhang als Sachbuch betrachte, dann meine ich in diesem Zusammenhang (nämlich dem des Threads) nicht einfach generell. Huberts Aussage
Zitataber als Sachbuch kann man die Bibel wirklich nicht bezeichnen
zeigt, dass er nicht genau gelesen hat.
Bei Steffi muss ich mich hingegen entschuldigen dafür, dass ich sie zu genau gelesen habe. Wenn Hubert nämlich meint:
ZitatMeinst Du nun Koeppen oder Fromm?
Steffi hatte geschrieben: Und, um Erich Fromm anzuführen, meine "Sein"-Seite wird immer größer ! Ich glaube, das war das Buch, dass mich am meisten beeinflußt hat. – Deutlicher kann man sich eigentlich nicht ausdrücken.
- dann schneidet er einen Teil der Aussage weg. (Wie wollt Ihr Literatur verstehen, wenn Ihr keine 3 Sätze im Zusammenhang lesen könnt?) Steffi hatte nämlich geschrieben:
ZitatNach Koeppens Roman (und Huberts Hilfe) weiß ich nun mehr über das Nchkriegsdeutschland, somit mehr über die heutige Politik. Und, um Erich Fromm anzuführen, meine "Sein"-Seite wird immer größer ! Ich glaube, das war das Buch, dass mich am meisten beeinflußt hat.
Wir haben also in einem ersten Satz „Koeppens Roman“, der Steffi etwas übers Nachkriegsdeutschland beigebracht hat. Dann, im zweiten Satz, wird der Name Fromms erwähnt, zusammen mit einem Ausdruck „meine „Sein“-Seite. Nun reicht meine Bildung, um zu wissen, auf welches Buch hier angespielt wird, aber das Buch wird in diesem Satz nicht wirklich erwähnt. Nun folgt der Satz „das war das Buch […]“. Das einzige Buch, das Steffi erwähnt hat, und von dem sie etwas gelernt zu haben aussagt, ist „Koeppens Roman“. Fromm wird in einem Nebensatz eingeführt, sein Buch nur verklausuliert angesprochen. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass es Fromm gewesen sein muss, der sie beeinflusst hat. Die sprachliche Logik des Absatzes weist, wenn überhaupt wohin, dann auf Koeppen. Ich bin versucht zu sagen: ‚Undeutlicher, lieber Hubert, kann man sich eigentlich nicht ausdrücken.’ Wie wollt Ihr Literatur verstehen, wenn Ihr keine 3 Sätze im Zusammenhang schreiben könnt?
Dann verstehe ich etwas nicht. Wenn Hubert in den Lesevorschlägen einen neuen Thread eröffnet zum Thema ‚Bibel’, weil er der Elfenkönigin Projekt, die Evangelien rein literarisch zu lesen, zurückweist mit dem Argument
ZitatAllerdings kann ich mir nicht vorstellen, die theologischen Fragen auszuklammern
- um dann in diesem Thread die Bibel rein belletristisch aufzufassen, dann habe ich ehrlich gesagt ein ungutes Gefühl.
Wenn Jenny im Thread ‚Klassikerbibliothek’ meint
ZitatIch denke, man muss nicht der Bildung wegen einfache Sachverhalte verkomplizieren.
- möchte ich dem entgegenhalten, dass es m.E. eher die terrible simplificateurs sind, die der Bildung schaden. Hubert, bist Du wirklich und ehrlich der Meinung, dass Homers Werke eine Götter-Satire ist, die zur Abschaffung der Götterwelt unter den Griechen geführt haben? Dass die Bibel Literatur (also Belletristik!) ist? Dass „Niels Lyhne“, das Du ja zugegebenermassen gar nicht kennst, von folgendem handelt:
ZitatDer Protagonist Niels Lyhne scheitert an dem Versuch einer Versöhnung von Phantasterei und Atheismus.
??? Keines dieser Werke funktioniert m.M. so einfach, wie Du es hinstellst. Ich mag die Schmetterlings-These überhaupt nicht, aber so einfach und geradlinig funktioniert Belletristik nicht.
ZitatJa, in Frankreich steht Moliere sowohl in der Publikumsgunst als auch in der Wertschätzung der "Experten" weit höher als Rabelais. Auch im Ausland ist Moliere mit Abstand vor Rabelais angesiedelt, sowohl was die Bekanntheit, als auch was die Beliebtheit angeht.
Woher wisst Du das, Hubert???
Um ehrlich zu sein, scheinen mir in diesem Forum zunehmend Vereinfachungen und Plakatierungen an der Tagesordnung, die mir persönlich nicht unbedingt liegen, um es gelinde auszudrücken. Mag sein, dies beruht auf Gegenseitigkeit…
Grüsse
Sandhofer
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Hallo sandhofer !
Du hast recht, mein posting war damals wirklich nicht sauber ausformuliert und das Buch, das mich am meisten beeinflußt hat, (Erich Fromm "Haben oder Sein") war nicht deutlich erkennbar.
Ich finde es schwierig, über das Thema dieses threads schriftlich zu diskutieren. Ohne Mimik und Gestik, ohne erklärende Zusätze und ohne zu wissen, welche literarische Erfahrung die Diskussionspartner haben, fällt es mir sehr schwer, hier weiterzudiskutieren ! Ich habe außerdem das Gefühl, dass du sehr strenge Maßstäbe an die Diskussionspartner stellst. Dem fühle ich mich nicht gewachsen - ich meine damit, dass ich keine Lust habe, jedes meiner Worte auf die Goldwaage zu legen!
Meine kleine persönliche Meinung ist, dass es wohl wirklich eine Glaubensfrage ist, ob Bücher den Leser beeinflußen können oder nicht.
Gruß von Steffi
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Hallo zusammen!
Hallo Steffi!Du hast geschrieben:
ZitatIch habe außerdem das Gefühl, dass du sehr strenge Maßstäbe an die Diskussionspartner stellst. Dem fühle ich mich nicht gewachsen - ich meine damit, dass ich keine Lust habe, jedes meiner Worte auf die Goldwaage zu legen!
Eigentlich verlange ich nicht soooooooo viel. Es ist mir schon klar, dass man nicht jedesmal 100% sauber und unmissverständlich formuliert. Ich ja auch nicht, ich halte mich da keineswegs für über jeden Tadel erhaben. Deswegen habe ich seinerzeit auch ganz einfach nachgefragt, welchen Autor Du nun meinst, weil es mir wirklich nicht klar war. Es war dann v.a. Huberts Antwort, die mir (auch weil ich ja nicht ihn sondern Dich gefragt hatte) ziemlich schlecht 'rein kam. Dass Du ihm nachher in Ton und Inhalt einfach zustimmtest... na ja: Ich hätte zumindest eine Bemerkung à la 'Lieber Mann, ich kann für mich selber reden' erwartet - meine Frau hätte in einem solchen Fall dem Betreffenden den Tarif sehr schnell erklärt. Da habe ich dann versucht, zu demonstrieren, warum ich meine Frage stellte, und dass sie - für mich jedenfalls - keineswegs aus Dummheit oder aus Provokation entstanden ist.
Wer mich kennt - und man kennt mich unterdessen in ein paar Foren - weiss, dass es mindestens 3 Dinge gibt, die ich nicht mag, und die mich sehr heftig reagieren lassen:
[list]- Verallgemeinerungen jeder Art (Ich habe eine akute und unbehandelbare Allergie auf Wörter wie 'nie', 'immer', 'jeder', 'alle' usw.)
- das Nicht-Respektieren einer anderen Meinung (Voltaire!)
- wenn man mich wie einen Deppen behandelt. (Ich bin da wie jeder andere auch: Ich mag zwar ein Depp sein, will aber nicht so behandelt werden)[/list:u]Ziemlich sicher bin ich ja ein anachronistisches Monster: der letzte der Aufklärer...
Ich hoffe, ich habe Dir das Diskutieren - auch mit mir - nicht verleidet. Das täte mir leid, denn das war nicht der Sinn meines Postings.
Grüsse
Sandhofer
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Zitat von "sandhofer"
Hafis50 meinte:Dem ist sicherlich zuzustimmen. Aber es ist keine Veränderung, die der Belletristik als solcher zuzurechnen wäre (es gibt z.B. auch eine Schopenhauer-Gesellschaft usw.). Auch war es für mich nie eine Frage – und nie ein Punkt dieser Diskussion -, dass die Welt des Autors durchs Schreiben in jedem Fall verändert wird.
Sicher gibt es veränderungen, die direkt der belletristik zuzurechen sind, nämlich die genannten veränderungen im BIP. Also verdienste der verlage, der buchhandlungen, die zahlen geschaffener arbeitsplätze für produktion, marketing und absatz. Dies ist der handgreiflichste beleg für eine veränderung der welt. Es wäre aber verkürzt, zu entgegnen, diese veränderungen würden nur "unwesentliche" änderungen bedingen, also gesellschaftliche änderungen größeren ausmaßes nicht mitbedingen. Ich würde sagen, letztlich kann alles politik im sinne von beinflussbarkeit der welt sein, auch zB "die mutter" gorkis, die selbst den prozess einer solchen beeinflussung beschreibt.
Sicher könnte man versuchen, alles auf eine "prädisposition" zu schieben. Das ist aber kein ausweg, weil dann das konzept der willens- und entscheidungsfreiheit aufgegeben werden müßte, und das geschick der welt vom menschen nicht beeinflussbar wäre. Die sozial- und die ökonomischen wissenschaften müßte man dann aber aufgeben (zB gäbe es keine wirksame werbung, weil ja eh alles prädisponiert ist). Will man jene aber retten, ist die augenblickliche prädisposition nichts mehr als das im moment zur verfügung stehende handlungsbündel, wobei dieses bündel durch die welt entscheidend veränderbar ist. Damit fällt aber letztlich die unterscheidung zwischen "ursache" und "prädisposition". Der schmetterlingseffekt (komplexitätstheorie) oder die oben von mir angesprochene theorie der evolutionären sozialtheorie spielen eine große rolle in der aktuellen forschung (ökonomie, soziologie).
Lawrence sterne war im tristram shandy seiner zeit voraus, als er schrieb:
Es ist nicht ganz ohne interesse, den triumph kleiner zwischenfälle zu verfolgen und zu lernen, was für ein unwahrscheinlich großes gewicht ihnen bei der bildung unserer ansichten über menschen nicht weniger über dinge zukomme, daß kleinigkeiten gewichtlos wie die luft den samen des glaubens in unsere seelen wehen und dieser dann fest sich darin einwurzle, sodaß selbst euklids beweise, könnte es auch mit deren hilfe gelingen, eine bresche hineinzuschlagen, nicht die kraft hätten, ihn umzuwerfen oder auszurotten.Der historiker wird wahrscheinlich auch beispiele dafür geben, wie unbedeutende zufälle in einem entscheidendem augenblick den geschichtsablauf entscheidend beeinflußten.
Ich glaube also nicht, daß ein einzelnes buch quasi das bewußtsein des lesers schlagartig umdreht und so veränderungen bewirkt. Dies scheitert schon daran, daß dies buch von vielen gelesen werden müßte. Dies setzt selbst schon eine änderung der öffentlichen meinung voraus (s.o.). Aber indem es zunächst evtl. vorhandene strömungen reflektiert, kann es seinerseits durch selbstverstärkungen diesen strömungen gegenüber anderen ein stärkeres gewicht verleihen. Ist belletristik nicht in erster linie die selbstbeobachtung einer gesellschaft? Aus der ökonomie weiß man, daß die selbstbeobachtung den beobachtenden in seinen handlungen aber ändert , -selbstreflexivität. In der literaturkritik werden ja literarische strömungen an gesellschaftliche perioden gehängt (sturm und drang, vormärz, biedermeier). In diesem sinne hätten sich strömung und gesellschaftlicher prozess gegenseitig beeinflußt, was klare ursache-wirkungs-unterscheidungen evtl. sogar unmöglich macht, > chaostheorie.
gruß hafis -
Hallo zusammen!
Hallo hafis50!Dein Posting könnte ich praktisch zu 100% mitunterschreiben. Höchstens dass ich der Belletristik die Kraft, durch Selbstverstärkungen gewissen Strönungen gegenüber anderen mehr Gewicht zu verleihen, im Grunde abspreche. Höchstens über den Umweg der moralischen Integrität und Autorität des Autors ist das für mich denkbar.
ZitatIn diesem sinne hätten sich strömung und gesellschaftlicher prozess gegenseitig beeinflußt, was klare ursache-wirkungs-unterscheidungen evtl. sogar unmöglich macht, > chaostheorie.
Einverstanden.
ZitatAus der ökonomie weiß man, daß die selbstbeobachtung den beobachtenden in seinen handlungen aber ändert , -selbstreflexivität.
Das wusste übrigens schon Heinrich von Kleist :zwinker:
Grüsse
Sandhofer
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Hallo sandhofer,
irgendwann hast Du mal geschrieben:
Aber Konkret unseren Alltag beeinflussen kann Belletristik imho nicht. Sie verschönert meinen persönlichen Alltag - andere züchten dafür Fische oder Rosen...
Ich bin z.B. davon überzeugt, dass auch das Züchten von Fischen oder Rosen, ja selbst die Farbe der Tapeten in unserer Wohnung einen Einfluß auf uns ausübt. Warum sollen ausgerechnet die Bücher, die wir lesen, dies nicht tun? Trotzdem akzeptiere ich, wenn Du etwas anderes glaubst. Wir müssen ja nicht immer einer Meinung sein. Soviel zum einen. Nun zum anderen: Genau wie Steffi habe ich keine Lust, wenn jedes meiner Worte auf die Goldwaage gelegt wird. Trotzdem ist einiges noch richtig zu stellen:
1. Oscar Wilde (obwohl ich nicht verstehe, was der mit diesem Thema zu tun hat)
"Dorian Grey" sei, hast Du geschrieben, Oscar Wildes langweiligstes Werk. Genau, das habe ich verstanden und gesagt, ich finde „Dorian Gray“ nicht langweilig. Warum soll von zwei Menschen der eine nicht ein Buch langweilig finden, der andere aber nicht?. Nun schreibst Du, mit „Oscar Wildes langweiligstes Werk“ hättest Du nicht gemeint, das Werk sei langweilig. Ich habe diese Erklärung akzeptiert und verstehe nicht, warum Du mich deswegen angreifst. :sauer:
Wenn ich aber etwas nicht mag, dann das: Maßstäbe(z.B. grammatikalische Korrektheit, genaues Lesen und Schreiben), bei anderen anlegen, wenn man diese selber nicht erfüllt.. Ich habe mich deshalb beim Duden-Verlag in Mannheim erkundigt und die haben mir bestätigt, dass die Steigerungsformen Komparativ und Superlativ nur angewendet werden dürfen, wenn das Attribut zutrifft. Wenn Du also etwas nicht langweilig findest, kannst Du auch nicht sagen, es sei langweiliger oder am langweiligsten. Der Satzausschnitt „Oscar Wildes langweiligstes Werk“ weist darauf hin, dass der Schreiber nicht nur „Dorian Gray“ sondern mindestens zwei weitere Werke von Wilde langweilig findet. Bei nur einem weiteren langweiligen Werk von Wilde, hätte nämlich der Komparativ (langweiliger als) ausgereicht. Werden die nur langweiligen Werke Wildes (im Gegensatz zum langweiligsten) nicht explizit genannt, wie im vorliegenden Fall, ist die Aussage sogar dahingehend zu verstehen, dass alle Werke Wildes langweilig seien.
2. Bibel
Ich habe sehr genau gelesen, dass Du die Bibel in diesem Zusammenhang als Sachbuch betrachtest. Trotzdem. Für mich ist die Bibel weder in diesem noch in einem anderen Zusammenhang ein Sachbuch. Aber auch hier müssen wir ja nicht einer Meinung sein.
3. Steffis Posting
Zugegeben, das Posting war nicht einwandfrei formuliert. Es geht in einem Diskussionsforum aber auch nicht um 100%ige grammatikalische Korrektheit. Trotzdem, war der Sinn deutlich zu erkennen. Ich habe einen Test gemacht und Steffis Posting 14 meiner Bekannten vorgelegt. Davon haben 14 erkannt, dass Steffi das Buch von Erich Fromm meinte, dass sie am meisten beeinflusst hat. Keiner hat auf Koeppen getippt. So undeutlich kann es also nicht gewesen sein.
4. Bibelprojekt (Hat eigentlich nichts mit diesem Thread zu tun) :sauer:
In einem Literaturforum soll ein Buch nicht theologisch sondern literarisch aufgefasst werden. Der Unterschied zwischen dem Projekt der Elfenkönigin und meinem besteht darin, dass sie theologische Fragen ausklammern will, ich aber nicht. Es gibt weitere Unterschiede: Elfenkönigin will nur die Evangelien lesen, ich aber das alte Testament mit einbeziehen, sie hat direkt angefangen, ich lese aber zur Zeit „Alexis Sorbas“ und habe dieses Jahr keine Zeit mehr für die Bibel.
Ich denke aber, Elfenkönigin kann ihr Projekt selbst verteidigen. Oder bist Du jetzt der Forumslektor?5. Homer
Da ich kein Altphilologe bin, kann ich hier keine eigenen Forschungen vorweisen und muß mich auf die Aussagen anderer verlassen. Adornos Meinung zum theologischen Anspruch der „Odyssee“ habe ich ja beispielhaft bereits in einem anderen Thread gepostet: die Zerstörung des Mythos der olympischen Götter durch Spiegelung desselben in der rationalen Ordnung.
6. Niels Lyhne (Hat eigentlich nichts mit diesem Thread zu tun) :sauer:
Da ich das Buch nicht kenne, kann ich auch nicht sagen von was es handelt. Ich habe nur einen Satz wiedergegeben, den ich zu diesem Buch gefunden hatte, habe aber auch nie etwas anderes behauptet.
7. Moliere (Hat eigentlich nichts mit diesem Thread zu tun) :sauer:
Woher ich das weiß? – Kannst Du in dem entsprechenden Thread nachlesen.
8. Verallgemeinerungen
Du hast gepostet:
Der romantische Glaube an die Veränderung der Welt durch Bücher geht praktisch immer* stillschweigend von einer Veränderung zum Besseren aus.Woher weißt Du das? Ich z.B. gehe genau vom Gegenteil aus.
(* ein Wort gegen das nicht nur Du eine Allergie hast. Frage: Warum verwendest Du es dann?) :sauer:Rein statistisch gesehen, müssten doch 50% der Leser jedes* Buchs sich davon nicht angesprochen fühlen.
Woher weißt Du das? Meiner Meinung nach gibt es nur wenig Bücher, die genau 50% ansprechen. Viele Bücher sprechen mehr als 50% an (z.B. Bestseller), viele Bücher sprechen aber auch weniger als 50% an (z.B. Ladenhüter). Bücher, die genau 50% ansprechen, kenne ich persönlich keine, statistisch gesehen, ist diese Aussage auch nicht haltbar.
(* wieder eines Deiner Allergie-Wörter; statistisch gesehen, glaube ich, dass Du diese Allergie-Wörter häufiger benutzt als Andere: vielleicht kommt daher auch Deine Allergie)Von den übrigen müssten 50% ins Schlechtere beeinflusst werden!?
Ist es nicht eher so, dass schlechte Bücher ins Schlechte beeinflussen, gute Bücher ins Gute?
Wenn nämlich ein Einfluss stattfände, müssten sich die 50% Plus und die 50% Minus auch gegenseitig aufheben.
Selbst wenn man in einem Modell annehmen würde, dass es genau 50% gute Bücher und 50% schlechte Bücher gibt und diese auch gleich häufig gelesen werden, würde das den Einfluss auf die Welt nur aufheben, wenn alle Bücher das gleiche Thema behandeln würden. Das ist aber nicht so und deshalb müßte (um mal eines Deiner Lieblingswörter zu gebrauchen) es so sein, dass der Einfluss der Bücher in manchen Bereichen zum Guten in anderen Bereichen zu Schlechten erfolgt.
9. Zensur
Auch muss, wer an die Veränderung der Welt durch Belletristik glaubt, die Berechtigung zur Zensur anerkennen.
Eben nicht, genau deshalb darf es keine Zensur geben. Auch den Einfluss der Presse kann doch heute niemand mehr ernsthaft leugnen. Deshalb ist aber die Pressefreiheit wichtig und nicht die Pressezensur.
(Achtung Ironie: Es soll sogar Leute geben, die einen Einfluss der Politik auf das Weltgeschehen vermuten. Sollte man da nicht ein Verbot der Politik in Erwägung ziehen?).
:zwinker:Grüsse
Hubert
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Hallo - ich bin erstaunt, dass diese Diskussionsrunde so lange Pause gemacht hat .. es ist doch vielleicht die interessanteste Frage im Zusammenhang mit Literatur.
Abgesehen von dem Einfluss einiger für mich wichtiger Bücher auf mich persönlich ist mir sofort Goethes Werther eingefallen. Als wir ihn damals in der Schule lesen mussten, wofür ich sehr dankbar bin, hat unsere Lehrerin uns erklärt, dass das Buch seinerzeit eine enorme Wirkung hatte ... Wertheranhänger überall, die ihm nacheiferten ... ich habe jetzt nochmal nachgelesen und Folgendes gefunden:
"Nach der Veröffentlichung des "Werther" gab es eine Selbstmordwelle im Stil Werthers. "
(Dies haben Schüler nach der Lektüre u. a. ausgearbeitet) ..wenn das kein Einfluss ist : )
:winken:
Daniela -
Hallo
Mir ist sogar selbst noch ein "Einfluss" von Werther eingefallen ... einige Jahre nach Erscheinen der Leiden des jungen Werther hat sich Ulrich Plenzdorf inspirieren lassen und ihm sind die "Neuen Leiden des jungen Werther" eingefallen.
So kann Literatur auch Literatur beeinflussen :zwinker::winken:
Daniela -
Hallo Daniela,
Du hast sicherlich recht, ob oder vielmehr wie Literatur verändert, ist eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit Literatur. Für mich persönlich sogar die wichtigste: würde Literatur nicht verändern, würde ich meine Zeit sinnvoller nutzen als mit Lesen. Aber wir hatten die Frage ja ausdiskutiert. Erstaunt war ich allerdings auch. Wie wenige Forumsmitglieder sich für solche Fragen interessieren.
Was den Einfluss von Goethes Werther betrifft, der war auf die Literatur sicherlich groß (auch auf die Mode) und nicht nur auf Plenzdorf, aber die Selbstmorde nach Werther halte ich für überbewertet. Tatsächlich wurden damals zwar einige junge Selbstmörder nach Werthermode gekleidet oder mit dem Werther in der Hand gefunden, aber d.h. ja nicht, dass sie den Selbstmord wegen der Wertherlektüre verübten. Tatsächlich ist, wenn ich richtig informiert bin, die Selbstmordrate damals nicht angestiegen, es haben also nur potenzielle Selbstmörder, sich mit Werther identifiziert. sich aber nicht wegen der Lektüre getötet oder wurden dazu angeregt.
Der geniale Goethe hat im Werther selbst schon die Antwort auf diese Frage gegeben: Neben dem toten Werther wird ja Lessings „Emilia Galotti“ aufgeschlagen gefunden. Aber trotzdem ist nicht Emilias Selbstmord und somit die Lektüre Lessings der Grund für Werthers Selbstmord.
Gruß von Hubert
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Hallo Hubert
Zitat...aber die Selbstmorde nach Werther halte ich für überbewertet. Tatsächlich wurden damals zwar einige junge Selbstmörder nach Werthermode gekleidet oder mit dem Werther in der Hand gefunden, aber d.h. ja nicht, dass sie den Selbstmord wegen der Wertherlektüre verübten. Tatsächlich ist, wenn ich richtig informiert bin, die Selbstmordrate damals nicht angestiegen, es haben also nur potenzielle Selbstmörder, sich mit Werther identifiziert. sich aber nicht wegen der Lektüre getötet oder wurden dazu angeregt.
Jetzt würde mich doch wahrhaftig mal interessieren, ob an dem Gerede um die vielen Selbstmorde nun etwas dran ist oder eher nicht, so wie Du sagst. Allerdings ist das ja auch schon ziemlich makaber und nun eh nicht mehr zu ändern.
Als ich nach einer Quelle für diese Aussage gesucht habe, bin ich ja, bei oberflächlicher Suche, nur auf diese Schülerauswertung gestoßen und wo die ihre Weisheiten herhaben, wurde dem geneigten Leser leider nicht mitgeteilt ...
Ich denke, Goethes Buch ist sehr schwärmerisch und letztendlich ja auch voller Liebesleid. Vielleicht haben sich damals wirklich einige schwärmerische Naturen zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen .. .
Vielleicht wurde hier aber auch "nur" etwas aufgebauscht, ein Phänomen als Vermarktungsstrategie ausgenutzt? :zwinker:Die meisten Leute werden das Buch gelesen haben und sind dann weit später an einer anderen Todesursache verstorben, nehme ich an.
Mir hat es jedenfalls, einfach so, gefallen, auch ohne unglückliche LIebesbeziehung.:winken:
Daniela
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Hallo Daniela,
Werthers Selbstmord als Vorbild für andere Selbstmörder, das haben sich die Schüler sicher nicht selber ausgedacht, nein, das kann man in vielen Werken der Sekundärliteratur so nachlesen. Richtig muss es deshalb aber nicht sein.
Unbestritten hat man nach Erscheinen des Buches Selbstmörder mit dem Werther in der Hand oder Tasche gefunden. M.W. gab es aber vor einiger Zeit eine Studie (Quelle kann ich i. M. nicht nennen), bei der an Hand von Kirchenbücher u.a. Dokumenten aus der Zeit vor und nach Erscheinen des Romans festgestellt wurde, dass die Selbstmordrate nach Erscheinen des Werthers nicht anstieg. Und wie gesagt, dass Selbstmörder den Roman bei sich hatten, beweist nicht, dass Werther für sie Vorbild war, genauso wie die Tatsache, dass man bei Werther Lessings Emilia fand, kein Zeugnis dafür ist, dass Emilia Vorbild für Werther war.
Die Selbstmorde zur Vermarktung einzusetzen, wäre damals aber eine schlechte Strategie gewesen, führte doch allein die Tatsache, dass Goethe Werthers Selbstmord nicht verurteilte, fast zum Verbot des Buches. Gott sei Dank, kam es nicht so weit, und so konnte Goethes Roman und zwar völlig ohne Vermarktungsstrategie, :zwinker: seinen Siegeszug durch die Welt antreten
Gruß von Hubert
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Hallo zusammen,
dass Literatur, wie im Uebrigen alles Existierende, eine Wirkung im allgemeinsten Sinne hat, ist ja unbestritten. Ob allerdings diese Wirkung so stark ist, dass sie ausschlagebend wird fuer soziale, wirtschaftliche, politische oder auch nur menschliche Veraenderungen, moechte auch ich bezweifeln. Ist nicht auch ein Kennzeichen von Kunst, eben nicht zweckgerichtet zu sein?
Klassiker sind noch heute spannend und uns nah, gerade weil die Menschen sich in den letzten paar tausend Jahren nicht veraendert haben.Gruss
Antonio -
Zitat
Ist nicht auch ein Kennzeichen von Kunst, eben nicht zweckgerichtet zu sein?
Klassiker sind noch heute spannend und uns nah, gerade weil die Menschen sich in den letzten paar tausend Jahren nicht veraendert habenHallo zusammen,
hallo Antonio,m.M nach ist es kein Kennzeichen von Kunst nicht zweckgerichtet zu sein. Früher erfüllte die Kunst z.B. religiöse Zwecke (so ist Kunst erst entstanden) heute eher soziale usw. Erinnern will ich an einen, seit Beuys bestehenden, neuen Kunstbegriff (Stichwort: soziale Plastik). Natürlich wenn man den "röhrenden Hirsch" in den Wohnstuben unserer Großeltern als Kunst ansieht, okay der war eher nicht zweckgerichtet - obwohl ... :zwinker:
Wenn ich mir die Klassiker der letzten paar tausend Jahren ansehe: Gilgamesch, Odyssee usw. stelle ich sehr wohl fest, dass sich die Menschen in den letzten paar tausend Jahren verändert haben. Selbst Dantes "göttliche Komödie", obwohl noch lange nicht 1 Tausend Jahre alt, ist heute nicht mehr für jeden verständlich. Aber soweit braucht man ja nicht zurück. Lies einfach mal "Onkel Toms Hütte" und Du wirst erfahren, dass es mal eine Zeit gab, in der hellhäutige Amerikaner, Schwarzamerikaner als Skaven hielten und diese für ihre Herren arbeiten mußten. Und das ist noch nicht sehr lange her. Aber es gibt tausend andere Beispiele. Lies mal die Bücher der südafrikanischen Literaturnobelpreisträger Gordimer und Coetzee, dann wirst Du feststellen, daß beide in diesem Jahrhundert über das gleiche geogr. Land schreiben, aber es ist inzwischen eine völlig andere Welt mit völlig anderen Menschen. Und wahrscheinlich ist daran die Literatur nicht unbeteiligt.
Gruß von Hubert
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Hallo zusammen,
hallo Hubert,
jetzt habe ich gerade etwas Langes geschrieben und eben wieder aus Versehen geloescht...
Daher nur kurz und in Stichworten:
"Kunst" wird von der Religion als Dekoration genutzt (so wie der "roehrende Hirsch" als Dekoration dient und nicht als Kunstwerk);
auch wenn ich hypothetisch anerkennte, dass der Anstoss von Gesetzesaenderungen durch die Veroeffentlichung eines literarischen Textes verursacht werden kann, so bedeutet solch eine Aenderung leider nicht, dass sich die Menschen (oder auch nur ein Einziger) WESENTLICH geaendert haben: ihr Hang zur Barbarei bleibt ungebrochen;
Aenderungen unserer Lebensumstaende verdanken wir bei weitem mehr der Naturwissenschaft als der Literatur;
"nicht unbeteiligt" koennte eine gute Kompromissformel seinGruss
Antonio -
Hallo zusammen,
hallo Antonio,da hast Du jetzt ja eine radikale These aufgestellt (siehe Titel), aber ich bin damit einverstanden.
Du hast gepostet:
"Kunst" wird von der Religion als Dekoration genutzt (so wie der "roehrende Hirsch" als Dekoration dient und nicht als Kunstwerk);Jetzt bist Du aber in Deine eigene Falle getappt. Ich nehme mal an, dass wir darin übereinstimmen, dass die „Röhrenden Hirsche“, auch wenn diese kunstfertig in Öl gemalt sind, keine Kunst sind. Warum nicht? Weil sie keinen Zweck verfolgen, sondern Dekoration sind. Dagegen gelten Hirsche, von Steinzeitmenschen als einfache Strichzeichnung in eine Höhlenwand geritzt, als Kunst. Warum? Weil diese Zeichnungen, die uns überhaupt nicht kunstfertig erscheinen, einem Zweck dienten und zwar sollten sie das Jagdglück fördern.
Für Dich, mag eine Ikone der russischen Kirche Dekoration sein, für einen orthodoxen Christen ist sie sicherlich mehr. Ein griechischer Tempel, ein romanischer Dom oder eine gotische Kathedrale sind Kunstwerke, sie dienten sicherlich nicht der Dekoration, sondern Grundriss, Bauweise und Ausstattung verfolgten einen bestimmten Zweck. Die Wandgemälde von Fra Angelo in den Zellen eines Klosters in Florenz waren keine Dekoration sondern Meditationsbilder die einem bestimmten Zweck dienten, nur deshalb sind sie Kunst, und zwar vom Feinsten, ansonsten wären sie allenfalls Kunsthandwerk..
Die Beispiele könnte ich unendlich fortführen, ich will hier aber keine Kunstdiskussion vom Zaun brechen (Außerdem gibt es im Einzelforum „Klassische Musik“ den Thread „Was ist klassische Musik?“ und da habe ich die Frage „Was macht eigentlich Kunst aus?“ ohne große Resonanz gestellt. Wenn Du also über diese Frage diskutieren willst, sollten wir das dort tun) Ich denke aber. Wir haben jetzt soweit Übereinstimmung, dass Kunst (Literatur ist natürlich auch Kunst) durchaus einen Zweck verfolgen kann, möglicherweise sogar muss, um Kunst zu sein.
auch wenn ich hypothetisch anerkennte, dass der Anstoss von Gesetzesaenderungen durch die Veroeffentlichung eines literarischen Textes verursacht werden kann, so bedeutet solch eine Aenderung leider nicht, dass sich die Menschen (oder auch nur ein Einziger) WESENTLICH geaendert haben: ihr Hang zur Barbarei bleibt ungebrochen;
Aenderungen unserer Lebensumstaende verdanken wir bei weitem mehr der Naturwissenschaft als der Literatur;Niemand hat behauptet, dass Literatur unsere Lebensumstände mehr verändert hat als die Naturwissenschaften. Aber wenn Du schreibst „.... bei weitem mehr der NW als der Literatur“, dann hast Du ja zugegeben, dass Literatur auch, wenn auch in geringerem Umfang unsere Lebensumstände verändert. Wenn es aber nicht um Lebensumstände geht, sondern um Bewusstseinsänderungen: Nicht die Naturwissenschaft hat dem russischen Volk klar gemacht, dass Leibeigene auch Menschen sind, sondern Turgenev mit seinen Erzählungen „Aufzeichnungen eines Jägers“, nicht Naturwissenschaftler haben die franz. Revolution vorbereitet, sondern Literaten wie Montesquieu, Voltaire, Rousseau und Beaumarchais. Die Frauenemanzipation ist keine Folge neuer, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sondern der Romane von Balzac und Flaubert, der Dramen Ibsens, der Veröffentlichungen von Simone de Beauvoir. Auch diese Beispiele ließen sich unendlich fortführen.
"nicht unbeteiligt" koennte eine gute Kompromissformel sein
Ich habe ja nie behauptet, dass Literatur allein für alle Veränderungen in der Welt verantwortlich ist, aber (mit diesem Kompromiss bin ich einverstanden): sie ist daran nicht unbeteiligt.
Gruß von Hubert