Oktober 2009 - Iwan A. Gontscharow: Oblomow

  • Lieber Mitleser,


    in diesem Thread darf ausführlich über das Buch Oblomow debattiert werden [kaufen='3423124954'][/kaufen]


    Viel Spaß beim Lesen,


    Katrin


    Teilnehmerliste:


    Sir Thomas
    Fuu
    Bibliomonster
    Harald
    Dostoevskij
    Lost
    Robinson
    Doris (unsicher)
    Dusy
    Jaqui

  • Hallo liebe Mitlesende,


    Die ersten paar Seiten habe ich mir mittlerweile zu Gemüte geführt und festgestellt, dass ich diesen Oblomow nicht mag. Seine kommandierende Art gefällt mir nicht, dass er nicht aufstehen will, steht ja schon am Klappentext, aber das es so extrem sein wird, hat mich doch überrascht. Ich habe eher angenommen, dass ist so eine Art Metapher und er verlässt einfach das Haus nicht. Dabei liegt er wirklich nur im Bett herum.


    Wobei ich diesen Zustand als Morgenmuffel an manchen Tagen auch kenne :breitgrins: Da wird sich im Bett noch mal hin und her gewälzt, der Wecker ständig um weitere zehn Minuten weitergedreht, um dann müder als je zuvor aus dem Bett zu kriechen.


    Das wars erstmal von mir.


    Katrin


  • ... dass ich diesen Oblomow nicht mag.


    Hi Katrin,


    ein bisschen von der Art dieses schrägen Vogels steckt in jedem Menschen, warum ist Dir das so unsymphatisch? Man könnte ihn auch für eine Art Aussteiger oder Totalverweigerer halten ... Ich habe den Eindruck, dass Gontscharow durchaus mit seiner Hauptperson sympathisiert.


    Außerdem: Wir sprechen hier von einer Figur, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Gutsbesitzer in Rußland lebte. Das heißt: Um allzu viele Dinge musste er sich nicht sorgen, denn er war umgeben von einer diensteifrigen Schar, die jede Zumutung von ihm fernhielt. Diese "parasitäre" Lebensform mag man heute kritisieren, damals war sie normal (zumindest für die besitzenden Klassen).


    Da ich schon ein wenig weiter gelesen habe als Du, erschließt sich mir dieser Oblomow übrigens aus einer ganz anderen Perspektive. Aber ich möchte nichts vorwegnehmen ...


    Viele Grüße


    Tom

  • Die Wikipedia-Artikel sind leider ziemlich flach, auch die englischsprachigen sind in diesem Fall nicht besser. Gontscharow ist halt nicht Dostojewski oder Tolstoi, zumindest nicht vom Bekanntheitsgrad in Deutschland. Qualitativ bewegt Gontscharows sich aber mMn. auf Augenhöhe mit den beiden Giganten.


    Leider kann ich kein Russisch. Das versperrt den Zugang zu einer großen Fundgrube.


    Ich hoffe sehr, dass wir besseres Material auftreiben.


    Viele Grüße


    Tom


  • ein bisschen von der Art dieses schrägen Vogels steckt in jedem Menschen, warum ist Dir das so unsymphatisch? Man könnte ihn auch für eine Art Aussteiger oder Totalverweigerer halten ... Ich habe den Eindruck, dass Gontscharow durchaus mit seiner Hauptperson sympathisiert.


    Ich mag ihn deswegen nicht, weil er mit seinem Angestellten so herumspringt. Aufgrund seiner eigenen Unfähigkeit (Suchen und Finden des Briefes und ähnliches) wird sein Angestellter im ganzen Raum herumgescheucht. Und als ihn dieser darauf aufmerksam macht, dass er ja drauf liegt, wird er auch noch patzig.


    Solche Leute mag ich einfach nicht. Aber vielleicht ändert sich meine Sichtweise ja noch.


    Katrin


  • Mir scheint, Du bist noch nicht so richtig angekommen in diesem Roman ... :zwinker:


    Danke für den Link. :winken:
    Aber mit deiner Vermutung könntest du schon recht haben, ich muss mich erst an das Jahrhundert gewöhnen und das ist nicht einfach. Ich werde mich einfach mal auf den Roman einlassen und in Ruhe weiterlesen.


    Katrin

  • Mittlerweile habe ich die ersten drei Kapitel des ersten Teils gelesen und irgendwie tut mir Oblomow ein wenig leid. Er liegt nur zu Hause herum, bedauert alljene, die bei ihm vorbeischauen und merkt gar nicht, dass das Leben an ihm vorbeiläuft. Er verpasst so viel im Leben. Was mich aber wundert ist, dass immer wieder Leute bei ihm vorbeischauen. War es nicht eigentlich so, dass man die Leute auch besuchen musste, um gesellschaftlich beachtet zu werden? Aber so wie ich das sehe geht Oblomow zu keinen Anlässen und dennoch ist bei ihm ein ständiges Kommen und Gehen.


    Sir Thomas: Ich weiß jetzt was mich am Verhältnis Oblomow zu Sachar gestört hat. Der Diener ist viel zu frech! Er widerspricht ihm dauernd, sagt ihm, dass er nur zusammen räumen kann, wenn Oblomow endlich das Haus verlässt und so weiter. Das war doch auch kein normales Verhalten in dieser Zeit, oder? Und Oblomow beschwert sich zwar darüber, ändert aber nichts daran. Das hat mich angfangs extrem irritiert.


    Katrin

  • Nachdem ich bis Kapitel 5 weitergelesen habe, will ich dazu auch noch schnell was sagen: Diesem Tarantjew stehe ich zwiespältig gegenüber. Einerseits reißt er Oblomow aus seiner Melancholie und andererseits ist er ein sehr unangenehmer Mensch, wie er sich das Geld einstreift und es dann plötzlich "nicht mehr findet" und wie immer alles nach seinem Kopf gehen muss. Aber ich finde seine Art mit Oblomow umzugehen auch ein wenig gut. Immerhin wird dieser zum Handeln gezwungen, was sicher nicht das Schlechteste für ihn ist.


    Auf der anderen Seite finde ich Alexejew sehr mysteriös. Keiner sieht ihn richtig, keiner kann ihn einschätzen und dennoch ist er ein sehr netter, zuvorkommender Mensch, der nirgends anecken will.


    Nach dem Lesen von Kapitel 5 verstehe ich Oblomow aber ein wenig besser. Er ist mit der Zeit einfach nicht mitgekommen, wollte lieber Nichtstun als arbeiten und hat nicht verstanden, dass er jeden Tag im Büro erscheinen muss und nicht nur dann wann er gerade Lust dazu hat. :breitgrins: So eine Arbeitsmoral kann in keiner Zeit funktionieren.


    Katrin

  • Etwas verspätet kann ich mich nun auch der Leserunde anschließen. In Slowenien hatte ich kein Internet und in der freien Zeit war ich ziemlich abgespannt, weshalb meine Lektüre allerdings nicht sehr weit gekommen ist.
    Die ersten Seiten wirken auf mich wie ein Kammerspiel. Gontscharow führt uns nach Oblomow nacheinander einige Charaktere vor, die mit Ausnahme von Sachar nach ihrem Auftreten zunächst spurlos wieder verschwinden verschwinden. Gegenwelten entstehen. Auf der einen Seiten, das symbiotisch lebende Paar O. und Sachar, auf der anderen Seiten die Bekannten aus der Außenwelt. Es ist für O. eine feindliche Außenwelt und wenn auch seine Bekannte keine Feinde sind, so bringen sie, die aus der Kälte kommen, die Gefahr von Krankheit mit in den kleinen, schäbigen Haushalt von O.
    Meine sehr persönliche Sicht auf O. lässt ihn mir nicht unsympathisch erscheinen, doch möchte ich Sir Thomas widersprechen. Gontscharow hat bestimmt keine Sympathie für ihn. Als Zensor wusste G. bestimmt wie er über was schreiben durfte um nicht dem eigenen Amt zum Opfer zu fallen. O. steht hier für die Klasse der einflussreichen Gutsbesitzer, die nicht nur ihr Leben, sondern auch die Zukunft Russlands verschlafen. Ich neige im Augenblick dazu den Roman als eine Allegorie auf die damalige russische Gesellschaft zu sehen.
    Das Verhältnis zwischen Oblomow Sachar, das Jaqui kritisiert ist, glaube ich, komplexer als es am Anfang ersichtlich ist. Möglicherweise ist hier eine Persönlichkeit in zwei Personen aufgespalten, die in einer gegenseitigen Abhängigkeit leben. Man denke sich nur einen von beiden weg. Ist die verbliebene Person dem Laben dann noch gewachsen?
    Die ersten Kapitel sind voller Einzelheiten und ich vermute, viele davon werden sich noch als bedeutsam erweisen. Die weitere Lektüre wird zeigen was an meiner Vermutung richtig ist.
    Vorerst ist es ein Vergnügen den Das Buch zu lesen.

  • Hallo Lost,



    O. steht hier für die Klasse der einflussreichen Gutsbesitzer, die nicht nur ihr Leben, sondern auch die Zukunft Russlands verschlafen. Ich neige im Augenblick dazu den Roman als eine Allegorie auf die damalige russische Gesellschaft zu sehen.


    Das ist eigentlich mein größtes Problem, denn ich habe vorher noch nie einen russischen Klassiker gelesen und auch mit der russischen Geschichte bin ich so gut wie gar nicht vertraut.




    Das Verhältnis zwischen Oblomow Sachar, das Jaqui kritisiert ist, glaube ich, komplexer als es am Anfang ersichtlich ist. Möglicherweise ist hier eine Persönlichkeit in zwei Personen aufgespalten, die in einer gegenseitigen Abhängigkeit leben. Man denke sich nur einen von beiden weg. Ist die verbliebene Person dem Leben dann noch gewachsen?


    Das ist eine interessante Sichtweise, aus der ich das noch nie betrachtet habe.


    Katrin


  • Hallo Lost,



    Das ist eigentlich mein größtes Problem, denn ich habe vorher noch nie einen russischen Klassiker gelesen und auch mit der russischen Geschichte bin ich so gut wie gar nicht vertraut.


    Nun, ich meine das Russland im 19.Jahrhundert war die rückständigste von den bedeutenderen europäischen Nationen. Selbst der Donaumonarchie, die sich immer um Rückständigkeit bemühte, gelang es nicht, Russland darin zu übertrumpfen. Während die anderen europäischen Großmächte den Prozess der Industrialisierung stürmisch fortsetzten, blieb Russland in feudalen Agrarstrukturen mit Leibeigenschaft, veralteter Bodenbewirtschaftung einem überkommenen Rechts- und Bildungssystem hängen. Lenin bezeichnete ( wie ich im Nachwort las) die Figur des Oblomow als Krebsgeschwür in der russischen Gesellschaft.

  • Was mich übrigens an meiner dtv-Ausgabe stört ist das Bild auf dem Buchdeckel. Es zeigt den Komponisten Michail Glinka beim komponieren der Oper: Ruslan und Ljudmila, (laut Impressum) also einen ausgesprochen kreativen und tätigen Menschen. Hier haben die Buchgestalter keinen Sinn für den Roman bewiesen.

  • Hallo zusammen,


    ich bin erst heute dazu gekommen, das Buch zu beginnen, und bis knapp Seite 50 gelangt. Es war auf jeden Fall ausreichend, einen ersten Eindruck von Oblomow zu bekommen. Sein Verhältnis zu Sachar ist schon kurios, aber es sieht tatsächlich sehr danach aus, als könne der eine ohne den anderen nicht sein. Im Fall von Oblomow kommt es mir vor, als litte er an Agoraphobie, daher stellt Sachar wahrscheinlich seine Verbindung zur Außenwelt dar, sofern diese nicht von selbst zu Oblomow kommt. Und für Sachar sind die Launen seines Herrn "Äußerungen herrschaftlichen Willens und adeligen Rechts", die letzten Reste vergangener Herrlichkeit. Sie sind nicht die einzigen literarischen Paare dieser Gattung und bilden an sich schon ein spannendes Thema.


    Direkt sympathisch ist mir Oblomow nicht, aber eher wegen seiner lethargischen Art. Recht viel weiß ich allerdings auch noch nicht über ihn. Erstaunlich ist, dass seine Bekannten den Kontakt nicht abreißen lassen. Normalerweise muss man etwas dafür tun, um nicht in Vergessenheit zu geraten, wenn man sich derartig abkapselt. Irgendetwas muss also Oblomow an sich haben, dass man sich gar so um ihn reißt.


    Grüße
    Doris


  • ... Verhältnis Oblomow zu Sachar ... Das war doch auch kein normales Verhalten in dieser Zeit, oder?


    Das komplexe Verhältnis Oblomow/Sachar wird ab Kapitel 5 sehr schön herausgearbeitet. Wie schon angedeutet, ist der erste Eindruck ein wenig trügerisch.



    Gontscharow hat bestimmt keine Sympathie für ihn. Als Zensor wusste G. bestimmt wie er über was schreiben durfte um nicht dem eigenen Amt zum Opfer zu fallen. O. steht hier für die Klasse der einflussreichen Gutsbesitzer, die nicht nur ihr Leben, sondern auch die Zukunft Russlands verschlafen. Ich neige im Augenblick dazu den Roman als eine Allegorie auf die damalige russische Gesellschaft zu sehen.


    Ja, das ist die gängige Interpretation, die natürlich etwas für sich hat. Trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gontscharow das Verhalten der Oblomow-Bekannten, die zum Teil dumme Karrieristen oder Schnorrer sind, verachtenswerter findet als den "passiven Widerstand" und die Lethargie seines Helden. Gontscharow kannte nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland, sondern auch die Arbeit innerhalb einer zaristischen Behörde. Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob der Faulenzer Oblomow noch das kleinste Übel ist, an dem dieses rückständige Russland krankt.


    LG


    Tom

  • Direkt sympathisch ist mir Oblomow nicht, aber eher wegen seiner lethargischen Art. Recht viel weiß ich allerdings auch noch nicht über ihn. Erstaunlich ist, dass seine Bekannten den Kontakt nicht abreißen lassen. Normalerweise muss man etwas dafür tun, um nicht in Vergessenheit zu geraten, wenn man sich derartig abkapselt. Irgendetwas muss also Oblomow an sich haben, dass man sich gar so um ihn reißt.


    Ich habe mich auch schon gefragt, warum Oblomow so viele Bekannte hat, die ihn besuchen. Gontscharow lässt die ja auch auflaufen, als würden sie über einen Laufsteg schwänzeln ;-) Ich nehme an, er will uns zunächst ein Panoptikum der russischen Gesellschaft und Charaktere die im Gegensatz zu O. stehen vorstellen. Vielleicht werden später die Beziehungen noch deutlicher.


    Ja, das ist die gängige Interpretation, die natürlich etwas für sich hat. Trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gontscharow das Verhalten der Oblomow-Bekannten, die zum Teil dumme Karrieristen oder Schnorrer sind, verachtenswerter findet als den "passiven Widerstand" und die Lethargie seines Helden. Gontscharow kannte nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland, sondern auch die Arbeit innerhalb einer zaristischen Behörde. Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob der Faulenzer Oblomow noch das kleinste Übel ist, an dem dieses rückständige Russland krankt.


    Das erscheint mir berechtigt zu sein. Vielleicht nicht das kleinste Übel, aber die Parvenüs, die ihren Sold beziehen ohne ihr Amt auszufüllen sind wohl wirklich schlimmer, wobei Sudbinskij und Ivan Iwanowitsch.., nicht in dieses Schema passen. Andre K. Stolz wird später, so ist anzunehmen, der Antipode sein, und ich bin gespannt, welche Rolle er übernehmen wird.
    Zunächst scheint sich das meiste um die beiden Hauptprobleme Oblomows zu drehen. die schwindenden Erträge des Gutes und der anstehende Wohnungswechsel. Wenigstens das zweite Problem erfordert bald eine Entscheidung.

  • Liebe Mitleser,


    leider bin ich erst gestern zum Lesen gekommen, da ich am Wochenende sehr kurzfristig weggefahren bin.
    Ich werde aber versuchen aufzuschließen. :smile:


    Bis jetzt habe ich nur bis Kapitel 5 gelesen, aber mir sind die gegensätzlichen Rollen des Dieners Sachar und Tarantjews gegenüber O. aufgefallen. Die ersten drei Besucher haben O. nicht wirklich versucht zu überreden aus dem Haus zu kommen. Alexejew dagegen passt sich O. an, und wäre wahrscheinlich ein besserer Diener als Sacher. A. erinnert mich ein wenig an Süskind's Grenouille, er wird zum Beispiel von Tarantjew erst sehr spät bemerkt.


    Bemerkenswert für mich ist weiterhin das Verhalten O.s gegenüber den schon angesprochenen zwei Problemen. So schwer erscheinen mir die Lösungen auf diese Probleme (in Anbetracht der damaligen Zeit) gar nicht. Anstatt selber nachzudenken, fordert O. Ratschläge seiner Bekannten, welche, das muss ich zugeben wirklich sehr zahlreich erscheinen.



    Robinson