Lukrez: Von der Natur der Dinge / Lucretius: De natura rerum

  • Hallo zusammen


    Auch diese Leselücke habe ich nun endlich gestopft. Und es nicht bereut. Völlig unaufgeregt bringt Lukrez in diesem seinem einzigen überlieferten Werk seine atomistische Weltanschauung herüber. Ich habe eine englische Versübertragung gelesen und war auch von dem schlanken, eleganten Stil positiv angetan. Natürlich hält Lukrez' Ansicht der Welt heute in den meisten Dingen einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Doch darum geht es nicht. Sondern darum, dass Lukrez ganz dezidiert eine natürliche Entstehung der Welt postuliert, einer Welt, die logischerweise auch altert und irgendwann einmal vergehen wird. Vor allem das erste Buch bringt die grundlegenden Argumente Lukrez' für seine Weltanschauung und lohnen die Lektüre auch heute noch allemal.


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Ich habe eine englische Versübertragung gelesen und war auch von dem schlanken, eleganten Stil positiv angetan.


    Das kann man von der deutschen Übertragung (Karl Büchner) nicht behaupten. Seine Übersetzung ist schlicht miserabel und unleserlich. Vor diesem Reclam-Heft kann ich nur ausdrücklich warnen.


    LG


    Tom

  • Hallo zusammen,


    mir ist durch das Buch "Die Wende. Wie die Renaissance begann" von Stephen Greenblatt erst kürzlich zum ersten Mal Lukrez untergekommen und bin am Überlegen diese Lücke zu schließen.


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    über die Übertragung von Hermann Diels habe ich schon Lobesworte gelesen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat

    über die Übertragung von Hermann Diels habe ich schon Lobesworte gelesen.


    Das ist die in der zweisprachigen Tusculum-Ausgabe, nicht wahr? Da drin habe ich einmal ausgiebig geblättert, und was ich fand, war richtig gut.

  • Das ist die in der zweisprachigen Tusculum-Ausgabe, nicht wahr? Da drin habe ich einmal ausgiebig geblättert, und was ich fand, war richtig gut.


    Ich war eben mal kurz bei Amazon, habe reingeschaut und teile Deine Einschätzung. Leider ist Tusculum arg teuer.


    LG


    Tom


  • mir ist durch das Buch "Die Wende. Wie die Renaissance begann" von Stephen Greenblatt erst kürzlich zum ersten Mal Lukrez untergekommen ...


    Hallo Maria,


    Greenblatt ist, soweit ich informiert bin, recht umstritten mit seinen Thesen zur Renaissance. Wenn es Dir nichts ausmacht, berichte doch bitte kurz über Deine Eindrücke und Deine Meinung.


    LG


    Tom

  • Ich habe gerade gemerkt, dass ich weiter nichts zu meiner Ausgabe geschrieben habe:


    Es ist die (allerdings 2003 bei der Folio Society erschienene) Übersetzung von Sir Ronald Melville. Ursprünglich 1997, Clarendon Press; später (1999) Oxford University Press (Oxford World's Classics).

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich war eben mal kurz bei Amazon, habe reingeschaut und teile Deine Einschätzung. Leider ist Tusculum arg teuer.


    LG


    Tom



    wer einen eReader besitzt kann sich auch hier bedienen:


    http://www.libri.de/shop/actio…er_dinge.html?searchId=50
    (Übertragung nach Hermann Diel)



    Sir Thomas,
    ich bin noch nicht derart weit im Buch, dass ich etwas über Greenblatts Thesen schreiben könnte. Erst 63 Seiten gelesen und bin mit Poggio Bracchiolini noch auf Bücherjagd in deutschen Klöstern. Doderer lässt mir nebenher nicht viel Zeit. Ich merks mir für einen späteren Zeitpunkt.


    Edit:
    diesen Poggio Bracchiolini, ein bedeutender Humanist 1380 - 1459, hat Conrad Ferdinand Meyer zu seiner Hauptfigur in der Novelle „Plautus im Nonnenkloster" gemacht.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Hallo,


    ich habe Greenblatts Buch gerade gelesen und kann es ohne Einschränkung empfehlen. Das Niveau und die Erzählweise erinnerte mich ein wenig an Philipp Blom: anspruchsvolle kulturhistorische Inhalte spannend erzählt. Ich habe sehr viel gelernt über die Buchkultur der Antike, des Mittelalters und der beginnenden Renaissance im Vergleich, über die Lehre Epikurs und ihre Darstellung bei Lukrez und ihren Kontrast zum mittelalterlichen christlichen Weltbild, über die Zeit um 1400 (z.B. wird das Konstanzer Konzil sehr anschaulich geschildert), über die Wirkung des Lukrez nach seiner Wiederentdeckung und nicht zuletzt über Leben und Werk des Humanisten Poggio Bracciolini, der "De rerum natura" in einem deutschen Kloster 1417 aufstöberte.


    Was Greenblatt nicht tut und selber auch nicht will, ist eine Erklärung des Phänomens der Renaissance zu geben. Natürlich kann man die Renaissance nicht monokausal aus der Wiederentdeckung eines antiken Werkes herleiten. Was Greenblatt will, ist ein exemplarisches Schlüsselereignis der beginnenden Renaissance ausführlich zu schildern und dabei "en passant" den Epochenwechsel dem Leser begreiflich zu machen. Er vergleicht selbst die Wiederentdeckung des Lukrezschen Werkes mit dem Sturm auf die Bastille oder der Plünderung Roms durch Alarich oder dem ersten Hissen der spanischen Flagge auf amerikanischem Boden. Auch dies sind Schlüsselereignisse, die aber für sich genommen weder die französische Revolution erklären, noch den Untergang Roms oder die Eroberung Amerikas.


    Ich habe die Rezensionen der Presse überflogen. Jens Jessen (den ich seit seinem berüchtigten Videokommentar zur Ausländerkriminalität eh nicht mehr ernst nehme) stört wohl in der ZEIT Greenblatts Enthusiasmus für eine Philosophie, die in Konsequenz zum Atheismus führe, aber keineswegs zu "enthemmtem Genuß", wie Jessen behauptet. Andrew James Johnston, der Rezensent der t.a.z., ist Professor für Englische Philologie mit Schwerpunkt Literatur des Mittelalters und der Renaissance an der FU Berlin, aber wie er darauf kommt, Greenblatts Absicht mit dem Buch sei es, "die Amerikaner von ihrer religiösen Rechten zu befreien, indem er einen historischen Mythos wiederbelebt, der spätestens seit dem 19. Jahrhundert dazu diente, die Überlegenheit des Westens über den Rest der Welt zu legitimieren" ist mir schleierhaft. Er bezieht sich bei seiner Argumentation auf die allerletzten Seiten des Buches, wo erwähnt wird, dass Thomas Jefferson begeisterter Leser Lukrez' war und dadurch seine Gedanken Spuren in der amerikanischen Verfassung hinterließen. Die Rezension in der Süddeutschen Zeitung stört sich daran, dass das Klischee des "dunklen Mittelalters" und der "hellen Renaissance" bedient wird. Das kann ich so auch nicht sehen. Natürlich gab es auch ein "helles Mittelalter", man lese nur Greenblatts Schilderung, wie Poggio in ein Schweizer Badehaus kam und irritiert war angesichts der Freizügigkeit, die dort herrschte und die er von Italien nicht kannte. Es gab auch im Mittelalter ein Streben nach Lust und Genuß (und dabei auch die Übertreibung), aber dies entsprach nicht der den Zeitgeist dominierenden Kirche und wurde von ihr nicht gewünscht oder gar gerechtfertigt. Und in der angeblich "hellen" Renaissance wurde Giordano Bruno wegen seines Lukrezschen Gedankengebäudes öffentlich verbrannt, Greenblatt schreibt ausführlich darüber. Klischees kann ich hier nicht erkennen.


    Was ich glaube (aber nicht beweisen kann): die Kritik mancher Rezensenten beruht auf dem bei manchen deutschen Intellektuellen immer noch existierenden Vorurteil, dass man über schwierige Themen nicht verständlich und zu einem breiten Publikum schreiben kann und darf. Bei den Rezensionen zu Philipp Blom herrschte auch so ein Unterton.


    Gruß
    Klaus


  • ich habe Greenblatts Buch gerade gelesen und kann es ohne Einschränkung empfehlen.


    Moin Klaus,


    vielen Dank für diese Einschätzung.



    Was ich glaube (aber nicht beweisen kann): die Kritik mancher Rezensenten beruht auf dem bei manchen deutschen Intellektuellen immer noch existierenden Vorurteil, dass man über schwierige Themen nicht verständlich und zu einem breiten Publikum schreiben kann und darf.


    Schon möglich. Die angelsächsische Art der Präsentation komplexer Stoffe hat etwas latent Journalistisches, was hierzulande noch immer als Makel empfunden wird.


    LG


    Tom