April 2009 - Xenophon: Anabasis

  • Fertig mit dem zweiten Buch.


    Mei, wir da keiner dem anderen traut, ein rechter Eiertanz. Niemand scheint auch so recht zu wissen, wie stark die andere Partei einzuschätzen ist oder wie nützlich sie sein könnte (oder wer wirklich gesiegt hat :breitgrins:). Macht schon mehr Spaß als der Reiseführerstil des ersten Buches.


    Sehr zuvorkommend von Xenophon übrigens die Kurzbios. Freut sicher jeden Autor, der eine Romanbearbeitung plant. Paul Kearney hat mit The Ten Thousand etwa eine Fantasyversion geschrieben.

  • Hallo,


    ich habe, vor allem im Flugzeug, die Bücher Drei bis Fünf gelesen. Inzwischen muss ich das erste Buch noch mehr in Schutz nehmen. Es war bisher das einzige, wo es etwas wie explizite Selbstkritik gab. Auch den von Euch geschmähte Reiseführerstil vermisse ich sehr. (Nebenbei bemerkt kann das nur ein Herodot-Hasser so sagen :breitgrins: ). Die Griechen treffen ständig auf neue Kulturen, da wäre doch eine ausführlichere Beschreibung interessant! Er macht das im fünften Buch an einigen Stellen, wenn aus griechischer Sicht besonders "seltsame" Barbaren auftreten, sonst aber kaum.


    Abgesehen davon, gehört Xenophon zu den best lesbaren aller antiken Historiker, die ich bisher kenne. Dafür fehlt ihm natürlich der charmante Mischmasch von Geschichten und Geschichte bei Herodot und der brillante analytische Blick des Thukydides.


    CK

  • Inzwischen muss ich das erste Buch noch mehr in Schutz nehmen. Es war bisher das einzige, wo es etwas wie explizite Selbstkritik gab.


    Hm ... ja, mag sein. Das hebt dessen Qualität in meinen Augen aber nur unwesentlich ...


    Auch den von Euch geschmähte Reiseführerstil vermisse ich sehr.


    Dann lies doch mal den Pausanias. Das ist ein Reiseführer! :breitgrins:


    (Nebenbei bemerkt kann das nur ein Herodot-Hasser so sagen :breitgrins: ).


    Non sequitur. Ich selber mag Herodot.


    Die Griechen treffen ständig auf neue Kulturen, da wäre doch eine ausführlichere Beschreibung interessant! Er macht das im fünften Buch an einigen Stellen, wenn aus griechischer Sicht besonders "seltsame" Barbaren auftreten, sonst aber kaum.


    Das stimmt. Das habe ich - bis und mit Buch 4 allerdings nur - auch an ein paar Stellen vermisst. Der Klappentext meiner Artemis&Winkler-Ausgabe ist da m.M.n. schon ein bisschen irreführend, da er in dieser Hinsich so einiges verspricht.


    Abgesehen davon, gehört Xenophon zu den best lesbaren aller antiken Historiker, die ich bisher kenne. Dafür fehlt ihm natürlich der charmante Mischmasch von Geschichten und Geschichte bei Herodot und der brillante analytische Blick des Thukydides.


    Einer Zwischenbilanz, der ich nur zustimmen kann.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • So, Buch 5 liegt hinter mir. Im Grossen und Ganzen scheint es sich bei diesem Buch um eine einzige, grosse Apologie des Xenophon zu handeln. ER hält die Griechen zusammen, und selbstverständlich hat er das ihm anvertraute Geld nicht veruntreut. Selbst wenn das wahr ist - der Leser merkt die Absicht und ist verstimmt.


    Ausserdem vermisse ich auch in Buch 5 eine genaue Schilderung der Gegend, der Tiere und der Völker, durch die der Zug der Zehntausend führt. Auch der Wikipedia-Artikel schwärmt davon, und langsam frage ich mich, ob hier wohl einfach einer dem andern abgeschrieben hat, ohne das Buch wirklich zu lesen. Ausser den mit Blumen tätowierten Kühen ist mir jedenfalls nichts völkerkundlich Relevantes aufgestossen.


    Aber Xenophon weiss lebendig zu erzählen, das ja.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ausserdem vermisse ich auch in Buch 5 eine genaue Schilderung der Gegend, der Tiere und der Völker, durch die der Zug der Zehntausend führt. Auch der Wikipedia-Artikel schwärmt davon, und langsam frage ich mich, ob hier wohl einfach einer dem andern abgeschrieben hat, ohne das Buch wirklich zu lesen. Ausser den mit Blumen tätowierten Kühen ist mir jedenfalls nichts völkerkundlich Relevantes aufgestossen.


    So, so auf einmal ... :breitgrins:


    CK

  • Wobei - in Buch 6 gibt's eine interessante Beschreibung von verschiedenen Tänzen. Ich meine aber verstanden zu haben, dass es sich um Griechen handelt, die hier tanzen, und deren Tänze Xenophon demzufolge beschreibt. Wahrscheinlich dürfen wir von einem Griechen gar nicht mehr erwarten. Die Barbaren sind es wohl wirklich nicht wert, dass wir uns zu sehr um sie kümmern. Sie stehen im Weg, wenn es darum geht, nach Hause zu kommen, sie sind vielleicht auch ganz praktisch, wenn sie unsern Sold zahlen - aber so richtig ernst können wir sie wohl nicht nehmen. Ihre Sitten und Gebräuche sind ganz einfach nur - barbarisch.


    Aber, wenn es darum geht, die internen Querelen unter den Griechen darzustellen, nimmt Xenophon kein Blatt vor den Mund. Auch wenn er sich selber immer ins bestmögliche Licht stellt - es gefällt mir trotzdem.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ja, ja, das Leben. Muss weiter hinter euch herhumpeln, aber die Nachhut kommt ja auch irgendwann an.


    Herodot habe ich auch gerne gelesen. Aber im ersten Buch der Anabasis fand ich wenig mehr als die Herzählung der Routenabschnitte. Herodot hat deutlich mehr notiert oder liebevoller hingeschaut. Tätowierte Kühe lassen mich für Xenophon hoffen.

  • Auch Buch 7 liegt nun hinter mir. Sehr interessant die Beschreibungen der internen Querelen und wie sich die Griechen ihren Sold mühsam erstreiten müssen von ihrem zeitweiligen Dienstherren. Interessant auch, wie selbst griechische Städte mit diesen halbwilden Söldnern eigentlich keinen Kontakt wünschen. Xenophon ist hier wirklich auf der Höhe seiner Kunst. Solche Dinge kann er glänzend beschreiben.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Dank Thalys, bzw dessen anderthalbstündigen Verspätung habe ich nun bis einschließlich Band 5 gelesen. Wie auch Sandhofer stieß mir dort die Selbstrechtfertigung Xenophons unangenehm auf. Interessant wieder die Schilderungen des militärischen Vorgehens (ich bin mir sicher, da hat sich mehr als ein Fantasyautor draus bedient) und die innere Zerrissenheit des Heeres. Vertrauen war scheints Mangelware.


    Die tätowierten Kühe sind in meiner Ausgabe übrigens "Kinder der Reichen, die gemästet und mit gekochten Kastanien ernährt wurden." Lesefehler? Übersetzungsfehler? Die tätowierten Kühe fand ich charmanter.

  • Wie auch Sandhofer stieß mir dort die Selbstrechtfertigung Xenophons unangenehm auf.


    Ich vermute, dass die Selbstrechtfertigung einer der Hauptgründe war für Xenophon. Er hat ja das Werk m.W. auch pseudonym veröffentlicht - wurde allerdings, wenn ich mich recht erinnere, schon von seinen Zeitgenossen durchschaut.


    Wegen der tätowierten Kühe müsste ich nochmals meine Ausgabe konsultieren. Mir sind sie deshalb aufgefallen, weil ich der Meinung bin, dass die Technik des Tätowierens in Europa eigentlich erst seit der sog. Neuzeit bekannt ist.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Auch Buch 7 liegt nun hinter mir. Sehr interessant die Beschreibungen der internen Querelen und wie sich die Griechen ihren Sold mühsam erstreiten müssen von ihrem zeitweiligen Dienstherren. Interessant auch, wie selbst griechische Städte mit diesen halbwilden Söldnern eigentlich keinen Kontakt wünschen. Xenophon ist hier wirklich auf der Höhe seiner Kunst. Solche Dinge kann er glänzend beschreiben.


    Habe gestern ebenfalls Buch 7 gelesen. Bin gespannt, ob erzähltechnisch noch irgendein Finale kommt oder ob es in diesem Stil jetzt bis zum Ende weitergeht.


    Werde mich später noch einmal ausführlicher zu Wort melden ...


    CK

  • Mein Fazit für die Notizen:


    Antike Historiker lese ich seit Jahren gerne und Thukydides zählt seit meiner ausführlichen Beschäftigung mit ihm und dem Peloponnesischen Krieges zu meinen bevorzugten Klassikern. Xenophon zählt zu den berühmtesten antiken Historikern, auch wenn seine “Popularität” im Laufe des 20. Jahrhundert deutlich nachgelassen hat. Höchste Zeit also, seine Anabasis zu lesen.


    In ihr beschreibt Xenophon den Rückzug eines griechischen Söldnerheeres aus Mesopotamien. Der Perser Kyros wollte seinen Bruder mit militärischer Hilfe der Griechen stürzen. Bei der Entscheidungsschlacht wurde Kyros aber selbst getötet. Die Griechen waren nun abgeschnitten mitten in Feindesland und mussten sich durch unwirtliche Gegenden und unfreundliche Einheimische zurück ans Meer durchschlagen. Diese Expedition beschreibt Xenophon zu deren Führern er unerwartet wurde.


    Literaturgeschichtlich wird die Anabasis gerne als erste Autobiographie verkauft und angesichts der apologetischen Tendenzen ist das eine plausible Perspektive auf die Lektüre. Xenophon rückt sich immer wieder ins beste Licht und stilisiert sich (oft mehr indirekt) als großen Feldherrn in der Nachfolge des Kyros, den er nach seinem Tod einer ausführlichen Würdigung unterzieht.


    Seine Wahl zum Feldherrn hat einen direkten Einfluss auf den Stil des Buches. Sind die ersten beiden Bücher nüchtern bis trocken beschreibend, wechselt der Text nach Xenophons Wahl zu einem erzählenden Duktus. Seine Erzählkunst ist denn auch die herausragende Eigenschaft der Anabasis. Er beschreibt den dramatischen Rückzug sehr anschaulich und spannend. Allerdings wünscht man sich ab und zu mehr kulturgeschichtliche und ethnographische Beobachtungen. Das konnte Herodot besser und natürlich muss man bei Xenophon ebenfalls auf elegant eingestreute mythologische Geschichten verzichten. Im Vergleich zu Thukydides fehlt ihm die analytische Schärfe und Selbstkritik.


    Nur im ersten Buch gibt es einige scharfe Bemerkungen aus denen deutlich hervorgeht, dass die Griechen, wie alle Söldner vor und nach ihnen, nur eines im Kopf hatten: Geld und Beute.


    Wer sich für antike Geschichte interessiert, ist mit der Lektüre des Buches gut beraten. Abschließend noch eine Bemerkung zur Ausgabe von Artemis & Winkler. Sie ist durchaus solide gemacht und greift auf die anerkannte Übersetzung von Walter Müri zurück. Allerdings ist der Text zu klein gesetzt, was angesichts der Kürze völlig unverständlich ist.

  • Es war wohl diese irreführende Behauptung, dass Xenophon mit der Anabasis ein historisches Werk geliefert hat, zusammen mit der völlig irregeleiteten Angabe (auch in der Wikipedia!), dass er uns einen Blick auf die Völker gönnt, deren Gebiete er durchzieht, die mich fehlgeleitet hat. Als autobiografischen Text finde ich die Anabasis eigentlicht sogar recht spannend. Um den Historiker Xenophon kennenzulernen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als auch seine Hellenika zu lesen, fürchte ich. :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Es war wohl diese irreführende Behauptung, dass Xenophon mit der Anabasis ein historisches Werk geliefert hat, zusammen mit der völlig irregeleiteten Angabe (auch in der Wikipedia!), dass er uns einen Blick auf die Völker gönnt, deren Gebiete er durchzieht, die mich fehlgeleitet hat. Als autobiografischen Text finde ich die Anabasis eigentlicht sogar recht spannend. Um den Historiker Xenophon kennenzulernen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als auch seine Hellenika zu lesen, fürchte ich. :breitgrins:


    Sehe ich auch so. Schlägst Du gleich die Leserunde vor bitte? :smile:


    CK

  • So, nun ist auch die letzte Fußkranke angekommen. :breitgrins: Ich habe Buch Sechs und Sieben durch. Ein etwas lasches Ende, der berühmte Thalassa-Ruf hätte sich hier besser gemacht als in Buch Vier.


    Wie immer interessant bei Xenophon die internen Querelen (wenn man ignoriert dass er der große Unbescholtene ist) und die Einblicke ins Soldatenleben. Immer auf der Suche nach dem nächsten Frühstück.


    Insgesamt gerne gelesen. Manchmal hätte ich gerne mehr erfahren.
    Bei seinen (seiner?) Hellenika zögere ich noch ob des Buchpreises. Wenn sie als Fortsetzung von Thukydides' Peloponnesischer Krieg gelten, sollte ich auch erste den lesen.