April 2009 - Xenophon: Anabasis

  • So, Buch 1 habe ich gelesen. Und vorher noch den Anhang meiner Ausgabe (Der Zug der Zehntausend, Artemis & Winkler: Bibliothek der Alten Welt). Übersetzt hat meine Ausgabe Walter Müri.


    Die ersten Eindrücke sind einigermassen durchzogen. Sprachlich stereotyp, inhaltlich auch nicht so aufregend. Die Schlacht, in der Kyros jr. sein Leben verliert, scheint mir nicht so wahnsinnig gut geschildert. Wenn nicht im Anhang eine kartografische Übersicht über das Geschehen während dieser Schlacht figurierte, hätte ich den Teil wohl mehrmals lesen müssen, um den Ablauf zu begreifen. Auch Kyros' Tod kommt ein bisschen plötzlich und undramatisch.


    Interessant wird Buch 1 vor allem durch das, was Xenophon nicht sagt oder bloss andeutet, wohl auch, weil es seinen Zeitgenossen ja nur allzu bekannt war: Macht-, ja Bruderkämpfe unter den Grossen wie unter den Kleinen; so, dass sich über zehntausend verzweifelt-entwurzelte Griechen finden, die sich - offenbar nur das Kriegshandwerk gewöhnt - als Söldner von jedem und für jedes anheuern lassen.


    Irgendwie erstaunt mich es immer wieder, wie die Antike (griechisch wie römisch) so gar nicht heile Welt war, wie ich im Gymnasium immer den Eindruck hatte. Wenn mal nicht gerade ein externer Krieg herrschte, gaben sich Griechen wie Römer halt selber und gegenseitig auf die Nüsse.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich folge in gemächlicherem Tempo Sandhofers preschender Vorhut.
    Bisher habe ich drei Kapitel gelesen und ein wenig im Kleinen Pauly gestöbert.


    Interessant finde ich, wie schon im ersten Kapitel Entschuldigungen und Rechtfertigungen auftauchen.
    Natürlich war es der böse Tissaphernes, der Kyros bei seinem Bruder verleugnete und natürlich war der es, der sich ins Unrecht setzte, in dem er ihm glaubte und den armen Kyros zum Tode verurteilte.
    Und im dritten Kapitel mucken die griechischen Söldner auf, als das Gerücht umgeht, es gehe gegen den Großkönig zu Felde. Klearchos überzeugt sie vom Gegenteil, so dass sie weiter völlig unschuldig marschieren können, obwohl anscheinend doch jeder weiß, worum es wirklich geht. Immerhin haben die Bedenken der Söldner ihnen eine Gehaltserhöhung eingebracht.

  • Klearchos überzeugt sie vom Gegenteil, so dass sie weiter völlig unschuldig marschieren können, obwohl anscheinend doch jeder weiß, worum es wirklich geht. Immerhin haben die Bedenken der Söldner ihnen eine Gehaltserhöhung eingebracht.


    Ja, die hehre Klassik kriegt schon die eine oder andere Schramme, wenn man die alten Historiker mal wirklich liest ... :breitgrins:

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  • Das 2. Buch ist schon um vieles interessanter. Xenophon schildert, wie, nachdem die griechischen Söldner zwar gesiegt haben, die Barbaren aber allesamt von des Grosskönigs Heer geschlagen und Kyros getötet wurde, die griechischen Heerführer dem Grosskönig recht naiv in die Falle laufen und von diesem getötet werden. Xenophon schliesst dem ein paar allgemeine Betrachtungen an über das Wesen des Heerführertums. Man könnte diese Betrachtungen übernehmen in ein Handbuch für Führungskräfte des 21. Jahrhunderts ... :breitgrins:

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  • Hallo!


    Da muss ich doch das 1. Buch gleich einmal in Schutz nehmen. Im Vergleich zu anderen mir bekannten historischen Werken aus der Antike fand ich die Umsichtigkeit mit der Xenophon alles schildert, doch sehr beachtlich. Teilweise glaubt man ja sogar, man läse einen Dumont Kulturreiseführer, wenn er etwa beschreibt, wie die Wirtschaft der jeweiligen Gegend funktioniert.


    Dass er in die Schule des Thukydides gegangen ist, sieht man an dem ziemlich schonungslosen Blick auf seine Landsleute. Die Geldgier wurde ja oben schon erwähnt. Auch der Streit, der fast in eine Schlacht zwischen den Griechen eskaliert, ist ja sehr erhellend.


    Wenn das 2. Buch noch besser wird, lese ich sehr gerne weiter.


    CK

  • Teilweise glaubt man ja sogar, man läse einen Dumont Kulturreiseführer, wenn er etwa beschreibt, wie die Wirtschaft der jeweiligen Gegend funktioniert.


    Den Vergleich gebe ich Dir sogar zu. Allerdings entsprechen Reiseführer jeglicher Couleur nicht gerade meinem Idelbild an genussreicher Lektüre. Aber: Suum quique ...


    Dass er in die Schule des Thukydides gegangen ist, sieht man an dem ziemlich schonungslosen Blick auf seine Landsleute. Die Geldgier wurde ja oben schon erwähnt. Auch der Streit, der fast in eine Schlacht zwischen den Griechen eskaliert, ist ja sehr erhellend.


    Ja, das sind die besseren Momente des ersten Buchs.


    Wenn das 2. Buch noch besser wird, lese ich sehr gerne weiter.


    Es wird - behaupte ich mal. :winken:

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  • Hallo!


    Also ich fand das zweite Buch eben weder besser noch schlechter als das erste. Xenophon hält sein Niveau :smile:


    Auffallend ist, dass er Todesfälle immer nutzt, um eine Kurzbiographie des Verblichenen zu geben. Das Portrait des bösen Menon am Ende des Buches ist ein kleines literarisches Glanzstück. Ansonsten liest sich die Geschichte sehr spannend, obwohl man ja weiß, wie sie ausgeht.


    CK

  • Also ich fand das zweite Buch eben weder besser noch schlechter als das erste. Xenophon hält sein Niveau :smile:


    Ich fand schon, dass er bereits im zweiten Buch einen Zacken zulegt. (Gut, mag sein, dass das auch meine üblichen Einstiegsschwierigkeiten in Sprache und Stil eines neuen Autors sind.) Und ich hoffe, dass das im dritten so weitergeht.


    Auffallend ist, dass er Todesfälle immer nutzt, um eine Kurzbiographie des Verblichenen zu geben. Das Portrait des bösen Menon am Ende des Buches ist ein kleines literarisches Glanzstück.


    Ja, für solches verzeihe ich dem Xenophon auch seinen holprigen Start. :winken:

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  • Buch 3 gelesen.


    Der Stil ändert nun doch zum Besseren. Xenophanes beginnt zu erzählen und hört auf zu referieren. Sicher, was er an Reden hier widergibt, wird in den meisten Fällen so nicht gesprochen worden sein - dennoch macht es Freude, den Wechselreden zuzu"hören". Liegt es daran, dass mit Xenophanes nun endlich eine Person den Plan betritt, die dem Autor bekannt ist und am Herzen liegt. Auf jeden Fall machen nun auch die detailreichen Schilderungen des Zugs Spass. Und Xenophanes der Autor ist sogar im Stande, zuzugeben, dass Xenophanes, der Heerführer, taktische Fehler begeht - so, wenn er seine Fussgänger-Soldaten die attackierenden Reiter des Grosskönigs verfolgen lässt.


    Jedenfalls scheint er mir hier doch die Vorbilder eines Thukydides zu verlassen und Eigenständiges zu verfassen.

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  • Ich krieche weiter hinter euch her, habe jetzt Buch 1 beendet.


    Wie versorgt man in einer großen unbewohnten Stadt ein Heer mit Lebensmitteln frag ich mich.
    Interessante Einblicke in die Verproviantierung. Ist der Weizen zu teuer, ess ich eben Fleisch.
    Dass die Griechen nicht nur kein Frühstück bekamen, sondern nach gewonnener Schlacht (die sei leider den Oberbefehlshaber kostete) auch noch ums Abendbrot betrogen wurden, das ist zu einen bitter, zum anderen ein nettes Detail. Das fällt vielleicht nur jemand auf, der mit dabei war.

  • Dass die Griechen nicht nur kein Frühstück bekamen, sondern nach gewonnener Schlacht (die sei leider den Oberbefehlshaber kostete) auch noch ums Abendbrot betrogen wurden, das ist zu einen bitter, zum anderen ein nettes Detail. Das fällt vielleicht nur jemand auf, der mit dabei war.


    Es gibt auch im Livius irgendwo eine Szene, wo sich der Autor darüber unterhält, ob nun ein Heer mit oder eines ohne Frühstück im Bauch besser zu gebrauchen sei. Könnte eine Reminiszenz an oder Verbeugung vor Xenophon gewesen sein.


    [hr]


    Habe im übrigen Buch 4 beendet. Interessante völkerkundliche Details. Interessant ebenfalls, dass der hochgerühmte Ausruf der Soldaten: "Das Meer! Das Meer!" eigentlich recht versteckt irgendwo in Buch 4 vorkommt, irgendwo in der Mitte des Textes also. Offenbar war es von Xenophon so gar nicht als Höhepunkt der Geschichte geplant ...

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