Johann Heinrich Voß

  • Hallo Klassikkenner,


    ich bin auf den Geschmack klassischer Dichtungen gekommen, neugieriger auf die griechische und römische Mythologie und habe mich ein bischen im Netz schlau gemacht und bin auf den Übersetzter klassischer Werke Johann Heinrich Voß gestoßen, den ich bisher - ich muss es gestehen - nur dem Namen her kannte. Wenn es einen Ort gibt, mich schlau zu machen, dann hier, aber dazu muss ich natürlich erst einmal fragen oder einen Ordner anlegen, in dem sich Wissen und Rat sammeln kann - was hiermit auch gleich erledigt ist. Irgendwie habe ich noch nicht so genau die Abgrenzungen gesehen zwischen griechischer und römischer Mythologie, den verschiedenen Sagengruppen und deren Überschneidungen, den ursprünglichen Dichtern und Niederschriften, den verschiedenen Übersetzungen usw. Aber das wird sich sicher noch ergeben...


    Die dtv-Ausgabe der Ilias wird recht gut bewertet:
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    Schon mal vielen Dank für euren Rat und die sich hoffentlich entwickelnde Diskussion!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Von Voß schätze ich am meisten seine hexametrischen Idyllen (z. B. "Der siebzigste Geburtstag", "Luise" usw.).


    Er war auch Mitglied des Göttinger Hainbundes und hat wie Hölty und andere Mitglieder dieser Dichtergemeinschaft schöne Gedichte (auch in antiken Versmaßen) geschrieben, die für mich viel Friedlichkeit ausstrahlen.


    Zu seinen Übersetzungen will ich aber nichts sagen, da ich sie nie vertiefend gelesen habe.


    Liebe Grüße

  • Hallo,


    die Homer-Übersetzungen von Voß schätze ich sehr, wobei ich dazu sagen muss, dass dies rein subjektiv ist, denn ich habe keine andere Übersetzung der Werke gelesen und kann auch kein Altgriechisch. Aber die Sprachmelodie seiner Verse, die deutlich lesbare Nachbildung griechischen Versmaßes und antiker Metaphorik, die ja dann auch stilbildend auf die deutsche Literatur gewirkt haben (Goethe, Benn
    usw.) gefallen mir sehr gut und ich meine schon, Homer oder das, wofür dieser Name steht, durch seine Übersetzung zu erfahren.
    Das Credo mancher Literaturkenner sagt zwar aus, dass jede Zeit ihre eigenen Übersetzungen der Klassiker braucht. Daran ist bestimmt viel Wahres, weil es die Auseinandersetzung mit den alten Werken immer wieder neu anregt und unter neue Erkenntnisse stellt, aber dadurch verlieren die alten Übersetzungen, die ja für sich auch Kunstwerke sind, nicht an Wert. Das gilt, wie für unsere ausgezeichneten Shakespeare-Übersetzer des 18. und 19. Jahrhunderts, eben auch in dem gleichen Maße für Voß.


    HG
    finsbury

  • Von Voß schätze ich am meisten seine hexametrischen Idyllen (z. B. "Der siebzigste Geburtstag", "Luise" usw.).


    Ich meine mich zu erinnern, dass ihn schon Goethe und Schiller gerade an seinen Idyllen aufs gröbste aufgehängt und sich über ihn lustig gemacht haben. Meine Goethe-Ausgabe mit den Xenien ist aber noch in einem Umzugskarton ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich meine mich zu erinnern, dass ihn schon Goethe und Schiller gerade an seinen Idyllen aufs gröbste aufgehängt und sich über ihn lustig gemacht haben.


    Das wundert mich nicht.



    Voß war, glaube ich, der erste (bedeutende) Dichter, der die Idylle in das bürgerliche Leben verlegte und auch der erste, der eine Anti-Idylle schrieb ("Die Pferdebändiger"). Dadurch war Voß, meine ich, maßgebend für die weitere Entwicklung der Idylle in der deutschsprachigen Literatur. Für mich zählen seine Idyllen zu den schönsten. Deren Verse zu lesen ist für mich ein tausendmal größerer Genuß als das Lesen spöttischer Distichen.

  • Johann Heinrich Voß: Idyllen und Gedichte (ca.1772-1793)

    Johann Heinrich Voß (1751-1826) war ein Dichter, der sowohl Elemente der Aufklärung, der Empfindsamkeit, aber auch des Sturm und Drangs und der Klassik in seinem Werk vereinte. Man kennt ihn heute vor allem für seine „klassische“ Übersetzung der beiden homerischen Epen Ilias und Odyssee.


    Voß wurde als Sohn eines ehemaligen Kammerdieners und späteren Gastwirts sowie einer Organistentochter in einem mecklenburgischen Dorf geboren. Die Eltern vermittelten ihm Zug zur Bildung, und ihm wurde trotz der Armut seiner Eltern der Besuch einer Lateinschule ermöglicht. Daraufhin eröffnete sich ihm wie vielen anderen Stürmern und Drängern die ziemlich demütigende Laufbahn als Hofmeister für die anspruchsvollen Sprösslinge des Adels und ihrer arroganten Eltern. Zahlreiche negative Erfahrungen mit dem Adelsstand spiegeln sich in seinen späteren Werken.


    Später gelang es ihm mithilfe des Herausgebers des Göttinger Musenalmanachs, in dieser Stadt klassische Philologie zu studieren. Dort gründete er mit den beiden Grafen Stolberg, Ludwig Hölty und anderen den Göttinger Hain, einen Dichterbund, der sich auf den von der schriftstellernden Jugend verehrten Dichter Klopstock, auch ein früherer Absolvent der Uni Göttingen, berief. Ihre dichterischen Erzeugnisse huldigten zumeist der Empfindsamkeit , setzten sich aber auch mit den klopstockschen Inhalten Freiheit, Vaterland und Liebe auseinander.


    Voß nun selber war aufgrund seiner kleinbürgerlichen, von Armut geprägten Herkunft und seiner Erlebnisse mit dem Adel trotz der klassischen Formen, die er für seine Lyrik verwendete, für seine Zeit auffallend sozialkritisch. In der zweiteiligen Idylle „Die Leibeigenschaft“ geht er äußerst deutlich auf den menschenverachtenden Umgang des Grundherren mit seinen leibeigenen Hintersassen ein, indem er schildert, wie der Grundherr eine versprochene Hochzeit eines Leibeigenen, dessen Familien dem Junker dafür ihren letzten Besitz gaben, aufgrund falscher Anschuldigungen platzen lässt. Demgegenüber wird im zweiten Teil dann tatsächlich idyllisch geschildert, wie Grundherr und befreite Bauern mit erträglicher Pacht harmonisch und in gegenseitiger Achtung miteinander umgehen.


    Auch in anderen Idyllen und Gedichten wird ein scharfer Ton gegenüber dem preußischen Junkertum angeschlagen, insbesondere in der bissigen Idylle „Junker Kord“, die ironisch das bildungsferne und genussbestimmte Leben des Junkers schildert, der weder auf Tiere noch unter ihm stehende Menschen irgendeine Rücksicht nimmt, aber in seiner Borniertheit selbst dumm wie Brot ist.


    Ein Beispiel für seine scharfe Adelskritik bietet auch


    STAND UND WÜRDE


    Der adliche Rat

    Mein Vater war ein Reichsbaron!

    Und Ihrer war, ich meine …?


    Der bürgerliche Rat

    So niedrig, dass, mein Herr Baron,

    Ich glaube, wären Sie sein Sohn,

    Sie hüteten die Schweine.


    (Idyllen und Gedichte, Reclam 1967, S. 3)


    Natürlich sind einige Gedichte auch konventionell und zeittypisch, aber insgesamt bin ich erstaunt, hier einen Dichter für mich wieder entdeckt zu haben, der schon so früh soziale Strukturen durchschaute und mutig kritisierte. Ich schätzte bisher sehr seine Homer-Übersetzungen, die, wie ich finde, von großer sprachlicher Schönheit sind, aber seine eigenständigen Leistungen als Dichter kannte ich noch nicht. Ein wichtiger Wegbereiter für die Menschen- und Freiheitsrechte.

    Noch eine kleine Anmerkung zur obigen Erwähnung der Kritik durch Goethe und Schiller: Ich könnte mir vorstellen, dass diese beiden, aus arrivierten bürgerlichen Verhältnissen stammenden und geadelten Weimarer Größen sich schon allein deshalb gerne über den niederdeutschen, auch mal in Platt schreibenden und aus seiner Herkunft keinen Hehl machenden Voß lustig machten. Wobei es auch einige Idyllen gibt, die sich wirklich sehr in Einzelheiten verlieren

    (z.B. Der siebzigste Geburtstag).

  • OT, aber interessant, wie ich finde:

    mithilfe des Herausgebers des Göttinger Musenalmanachs

    Heinrich Christian Boie. Ein vor allem als Herausgeber verschiedener Zeitschriften ungeheuer wichtiger Mann jener Zeit. Seine eigenen Gedichte sind ... na ja ... Seine Schwester heiratete übrigens 1777 Voß. Was wiederum Boie in die Bredouille bringen sollte, als sich Voß einerseits, Heyne und Lichtenberg andererseits über Details der griechischen Philologie verkrachten. (Der Verleger des Göttinger Musenalmanachs, Johann Christian Dieterich, war auch Verleger, Freund und Mietsherr Lichtenbergs ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Na, bei den vielen biografischen Bezügen sind die Infos ja nicht OT. Danke dafür, sandhofer. Ich habe mir schon oft gedacht, dass eine Kulturgeschichte des Verlagswesens eine große Bereicherung für die Literaturgeschichte wäre, aber vielleicht gibt es ja sogar schon so was. Das i s t jetzt aber OT.